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Dispacheur

Begriff und Funktion des Dispacheurs

Ein Dispacheur ist eine unabhängige, auf See- und Transportrecht ausgerichtete Person, die Schäden, Aufwendungen und Vermögenswerte nach einem Seeunfall ermittelt und rechnerisch so verteilt, dass die wirtschaftlichen Beiträge der Beteiligten (Schiff, Ladung, Fracht) fair und regelkonform festgelegt werden. Das zentrale Arbeitsergebnis ist die sogenannte Dispache – ein ausführliches Berechnungs- und Begründungsdokument, das insbesondere in Fällen der Allgemeinen Havarie eine maßgebliche Rolle spielt.

Rechtliche Einordnung

Der Dispacheur agiert im Rahmen des Seehandels und ordnet einen Schadensfall rechtlich und wirtschaftlich. Grundlage sind vertragliche Vereinbarungen (etwa in Konnossementen oder Charterpartien) sowie allgemein anerkannte Regelwerke und Grundsätze, auf die sich die Beteiligten beziehen. Je nach Vereinbarung können internationale Standards oder nationales Recht maßgeblich sein. Die Dispache dient als strukturierte Feststellung der Beitragspflichten und als Abrechnungsbasis zwischen den Beteiligten.

Aufgaben und Arbeitsweise

Der Dispacheur sammelt und prüft Informationen, bewertet die rechtliche Einordnung des Ereignisses (z. B. Allgemeine Havarie) und berechnet die Anteile der Beteiligten. Er erstellt hierzu Entwürfe, hört Stellungnahmen der Beteiligten an und finalisiert die Dispache. Eine enge Abstimmung mit Versicherern, Havariekommissaren und gegebenenfalls Bergungsunternehmen ist üblich.

Informations- und Dokumentationsgrundlage

  • Schiffs- und Ladungsdokumente (Konnossemente, Frachtbriefe, Manifeste)
  • Logbuchauszüge, Berichte des Kapitäns und der Crew
  • Besichtigungs- und Schadensprotokolle (z. B. vom Havariekommissar)
  • Rechnungen und Kostenbelege (Rettungs-, Bergungs- und Hafenaufwendungen)
  • Warenrechnungen und Wertnachweise zur Ermittlung beitragspflichtiger Werte
  • Sicherheiten und Garantien zur Absicherung von Beitragsforderungen

Berechnungsgrundlagen und Regelwerke

Die Berechnung stützt sich auf vertraglich einbezogene internationale Regeln oder – sofern nichts vereinbart – auf die maßgeblichen nationalen Grundsätze. Typisch sind Bewertungsstichtage, Abzüge und Zuschläge, die Bewertung von Opfern und Aufwendungen sowie die Ermittlung der beitragspflichtigen Werte von Schiff, Ladung und Fracht.

Abgrenzung zu anderen Rollen

  • Havariekommissar: Begutachtet und dokumentiert Schäden an Schiff und Ladung vor Ort. Der Dispacheur wertet diese Ergebnisse rechtlich-ökonomisch aus und verteilt Kosten und Beiträge.
  • Bergungsunternehmen: Erbringt Rettungs- oder Bergungsleistungen. Der Dispacheur berücksichtigt deren Kosten in der Dispache.
  • Versicherer: Tragen nach den Policenbedingungen Beiträge oder Schäden. Der Dispacheur stimmt Berechnungen und Zahlungsflüsse mit ihnen ab.

Bestellung, Unabhängigkeit und Haftung

Bestellung und Mandat

In der Praxis wird der Dispacheur häufig vom Reeder oder Befrachter beauftragt. Das Mandat umfasst die Sammlung von Informationen, die rechtliche Einordnung, die Berechnung der Anteile und die Erstellung der Dispache. Die Beteiligten werden in das Verfahren eingebunden, indem sie Unterlagen einreichen und Stellung nehmen.

Unabhängigkeit und Neutralität

Obwohl der Auftrag häufig von einer Seite erteilt wird, ist die Tätigkeit des Dispacheurs auf Neutralität angelegt. Er muss die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen, die Berechnungen nachvollziehbar begründen und einen transparenten Prüf- und Anhörungsprozess sicherstellen.

Haftung und Kontrolle

Der Dispacheur kann für fehlerhafte Feststellungen oder Berechnungen verantwortlich gemacht werden. Ein üblicher Kontrollmechanismus ist die Möglichkeit der Beteiligten, gegen Entwürfe der Dispache Einwendungen zu erheben. Bleiben Differenzen bestehen, können die Beteiligten die Angelegenheit einer staatlichen Entscheidung zuführen, die Inhalt und Grundlagen der Dispache überprüft.

Die Dispache als Ergebnisdokument

Inhalt und Aufbau

Die Dispache enthält üblicherweise: Sachverhaltsschilderung, rechtliche Einordnung, Darstellung der angewandten Regelwerke, Auflistung der anerkannten Opfer und Aufwendungen, Ermittlung der beitragspflichtigen Werte, Verteilungsrechnung und eine Zahlungsübersicht. Belege und Berechnungen werden dokumentiert, um Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.

Vorläufige und endgültige Dispache

Oft erstellt der Dispacheur zunächst einen Entwurf zur Stellungnahme. Nach Auswertung der Einwendungen folgt die endgültige Dispache. In komplexen Fällen kann es Zwischenabrechnungen geben, etwa um zeitnah Gelder zu verteilen oder Sicherheitsleistungen abzulösen.

Rechtswirkung und Anfechtbarkeit

Die Dispache bildet die Basis für die Abrechnung zwischen den Beteiligten. Wird sie akzeptiert, kann sie als verbindliche Abrechnung dienen. Wird sie nicht akzeptiert, kann eine gerichtliche Klärung über Voraussetzungen und Höhe der Beiträge erfolgen. Sicherheitsleistungen stellen sicher, dass Forderungen bis zur endgültigen Klärung abgesichert sind.

Allgemeine Havarie und verwandte Konstellationen

Allgemeine Havarie

Von Allgemeiner Havarie spricht man, wenn in einer gemeinsamen Gefahr bewusst Opfer oder Aufwendungen im gemeinsamen Interesse erbracht werden. Klassische Beispiele sind der überlegte Seewurf von Ladung zur Stabilisierung des Schiffs oder Umwege mit zusätzlichen Kosten zur Gefahrenabwehr. Der Dispacheur prüft, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, und verteilt die anerkannten Opfer und Aufwendungen auf Schiff, Ladung und Fracht nach ihren beitragspflichtigen Werten.

Sicherheitsleistungen und Freigabe von Ladung

Um Ladung nach einem Seeunfall freizugeben, werden häufig Sicherheitsleistungen verlangt, etwa Bürgschaften oder Garantien. Der Dispacheur koordiniert die Formen und Höhen der Sicherheiten, damit Beitragsforderungen gedeckt sind, bis die Dispache endgültig vorliegt.

Verhältnis zu Bergung und Einzel- bzw. Teilschäden

Bergungskosten und Vergütungen können – je nach Sachverhalt und anwendbaren Regeln – ganz oder teilweise in die Dispache eingehen. Von der Allgemeinen Havarie zu unterscheiden sind Einzelschäden an Ladung oder Schiff, die gesondert zu behandeln sind. Der Dispacheur grenzt diese Positionen ab und ordnet sie rechnerisch korrekt zu.

Internationale Bezüge und Praxis

Regelwerke

In der internationalen Praxis werden häufig privat ausgearbeitete Regeln zur Allgemeinen Havarie vertraglich einbezogen. Diese schaffen einheitliche Maßstäbe für Bewertung, Anerkennung und Verteilung. Fehlt eine Vereinbarung, richtet sich das Vorgehen nach den maßgeblichen nationalen Grundsätzen.

Digitalisierung und Kommunikation

Moderne Verfahren nutzen digitale Plattformen für Dokumentenübermittlung, Sicherheitsleistungen und Statusabfragen. Dadurch wird die Bearbeitung beschleunigt und die Nachvollziehbarkeit der einzelnen Schritte erhöht.

Vergütung des Dispacheurs und Kostentragung

Gebühren und Einschluss in die Dispache

Die Vergütung richtet sich typischerweise nach Zeitaufwand und Komplexität. Üblich ist, dass die Kosten der Dispache als anerkannte Aufwendungen in die Verteilungsrechnung aufgenommen werden. Somit werden sie nach den beitragspflichtigen Werten auf die Beteiligten verteilt.

Bedeutung für Versicherungen und Beteiligte

Rolle der Versicherungen

Beiträge zur Allgemeinen Havarie sind regelmäßig Gegenstand von Transport- und Schiffskaskoversicherungen. Versicherer stellen oft Garantien oder übernehmen festgestellte Beiträge im Rahmen der vereinbarten Deckung. Der Dispacheur stimmt den Informations- und Abrechnungsfluss mit den Versicherern ab.

Rechte und Mitwirkung der Beteiligten

Beteiligte haben ein Interesse an transparenten Informationen, Möglichkeit zur Stellungnahme und Einsicht in Berechnungsgrundlagen. Sie bereiten die erforderlichen Dokumente auf, wirken bei der Klärung von Werten mit und nutzen das Einwendungs- und Prüfungsverfahren gegenüber Entwürfen der Dispache.

Häufig gestellte Fragen

Was ist ein Dispacheur und wann wird er tätig?

Ein Dispacheur ist eine unabhängige Stelle, die nach Seeunfällen die wirtschaftliche Verteilung von Opfern und Aufwendungen vornimmt. Er wird typischerweise tätig, wenn eine Allgemeine Havarie in Betracht kommt oder komplexe Kosten- und Schadensverteilungen zwischen Schiff, Ladung und Fracht zu klären sind.

Wer beauftragt den Dispacheur?

In der Praxis erfolgt die Beauftragung meist durch den Reeder oder Befrachter. Trotz dieser Bestellung arbeitet der Dispacheur neutral und berücksichtigt die Interessen aller beteiligten Parteien.

Ist die Dispache bindend?

Akzeptieren die Beteiligten die Dispache, dient sie als verbindliche Abrechnung. Bei Einwendungen kann eine staatliche Entscheidung herbeigeführt werden, die die Grundlagen und Ergebnisse der Dispache überprüft.

Welche Unterlagen benötigt der Dispacheur?

Erforderlich sind insbesondere Schiffsdokumente, Ladungspapiere, Wertnachweise, Berichte über den Unfallhergang, Kostenbelege, Besichtigungsprotokolle sowie Sicherheiten und Garantien zur Absicherung von Beitragsforderungen.

Wie lange dauert die Erstellung einer Dispache?

Die Dauer hängt von Komplexität, Dokumentenlage und Anzahl der Beteiligten ab. In einfachen Fällen kann eine Dispache in relativ kurzer Zeit erstellt werden, komplexe internationale Fälle benötigen regelmäßig deutlich länger.

Wer trägt die Kosten des Dispacheurs?

Die Vergütung des Dispacheurs wird in der Regel als Aufwand in die Dispache aufgenommen und anteilig auf die Beteiligten verteilt. Dies folgt dem Grundgedanken, dass die Kosten im gemeinsamen Interesse entstanden sind.

Welche Rolle spielen Versicherungen?

Transport- und Kaskoversicherungen sind häufig in die Abwicklung eingebunden. Sie können Garantien stellen und festgestellte Beiträge übernehmen, soweit dies von der jeweiligen Deckung umfasst ist.

Kann die Berechnung angefochten werden?

Ja. Gegen Entwürfe können Beteiligte Einwendungen erheben. Bleiben Meinungsunterschiede bestehen, kann eine unabhängige staatliche Klärung herbeigeführt werden, die Berechnungsansätze und Ergebnisse überprüft.