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Dispacheur


Begriff und Stellung des Dispacheurs

Der Begriff Dispacheur (veraltet auch Dispatcheur, aus dem Französischen „dispacheur“ abgeleitet) bezeichnet eine unabhängige, sachverständig tätige Person im Seehandelsrecht, deren zentrale Aufgabe die Erstellung einer Dispache ist. Diese spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Großen Haverei, einem Rechtsinstitut des Seehandelsrechts zur Lastenverteilung außergewöhnlicher Seeunfälle.

Rechtliche Grundlagen

Die Tätigkeit des Dispacheurs ist im Wesentlichen im Fünften Buch des Handelsgesetzbuchs (HGB), insbesondere in den Vorschriften zu den §§ 588 ff. HGB (Seehandelsrecht), geregelt. Weiterführende Bestimmungen ergeben sich aus internationalen Abkommen, wie den „York-Antwerp-Rules“, an denen sich die Praxis der Dispacheure häufig orientiert.

Aufgabenbereich des Dispacheurs

Erstellung der Dispache

Die vorrangige Aufgabe des Dispacheurs liegt in der Anfertigung einer Dispache, einer detaillierten Abrechnung zur Feststellung und Verteilung der in der Großen Haverei entstandenen Schäden und Aufwendungen. Der Dispacheur prüft dabei die rechtliche und rechnerische Zulässigkeit von Aufwendungen und Schäden nach den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben sowie den York-Antwerp-Rules, sofern diese Anwendung finden.

Verfahrensablauf

Einleitung des Verfahrens

Das Dispacheverfahren wird in der Regel durch den Schiffseigentümer (Reeder) oder durch einen Beteiligten am Seeabenteuer initiiert. Der Dispacheur erstellt daraufhin die Dispache auf Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen und der getätigten Aufwendungen.

Beteiligte und Zuständigkeit

Zu den Beteiligten am Dispacheverfahren zählen insbesondere Schiffseigentümer, Frachtführer und Ladungsinteressenten, deren Rechte und Pflichten in der Dispache rechtlich verbindlich festgestellt werden. Der Dispacheur ist dabei zur Neutralität und Unparteilichkeit verpflichtet.

Prüfungs- und Entscheidungskompetenzen

Der Dispacheur prüft, ob die Voraussetzungen der Großen Haverei vorliegen und welche Kosten und Schäden als havereifähig anzuerkennen sind. Dabei sind sowohl deutsche Rechtsvorschriften als auch etwaig vereinbarte internationale Regelwerke (z. B. York-Antwerp-Rules) zu beachten.

Erstellung und Abschluss der Dispache

Nach Abschluss der Prüfung fertigt der Dispacheur die Dispache schriftlich als förmliches, nachvollziehbares Dokument aus. Die Dispache enthält eine detaillierte Aufstellung der zugrundeliegenden Tatsachen, rechtlichen Würdigungen und des Verteilungsschlüssels.

Vergütung und Kosten

Die Vergütung des Dispacheurs ist in der Regel eine Gebühr, die auf den Gesamtverlust oder den Gesamtwert der betreffenden Havereisache abgestellt wird. Diese Kosten werden gemäß dem Dispacheergebnis verteilt.

Rechtlicher Status und Stellung im Verfahren

Unabhängigkeit und Neutralität

Dem Dispacheur kommt eine unabhängige Stellung zu. Er ist nicht Parteiinteressen verpflichtet, sondern handelt ausschließlich zur sachgerechten, objektiven Ermittlung der Ansprüche auf Grundlage des Seehandelsrechts. Seine Neutralität ist für die Akzeptanz des Verteilungsergebnisses essenziell.

Bindungswirkung der Dispache

Die erstellte Dispache ist für die Beteiligten solange verbindlich, bis sie etwa im Wege einer gerichtlichen Entscheidung angefochten und abgeändert wird. Das HGB (§ 588 HGB) regelt die Beschwerde gegen die Dispache durch ein gerichtliches Verfahren.

Anfechtungs- und Beschwerderecht

Jeder an der Dispache Beteiligte kann binnen vier Wochen nach Zustellung der Dispache beim zuständigen Gericht Beschwerde einlegen. Im Rahmen des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens wird die Dispache auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit überprüft. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung bleibt die Dispache jedoch vorläufig rechtsverbindlich.

Historische Entwicklung

Die Rolle des Dispacheurs hat sich im Zuge der Internationalisierung des Seehandels gewandelt. Während der Dispacheur früher oft als unabhängiger, öffentlich anerkannter Sachverständiger firmierte, wird diese Aufgabe heute häufig von Kanzleien oder spezialisierten Sachverständigen wahrgenommen, wobei die essentielle Unabhängigkeit stets gewahrt bleiben muss.

Internationale Bezüge und Vergleich

Im internationalen Seehandelsrecht existieren vergleichbare Regelungen. Die bekanntesten Regeln sind die York-Antwerp-Rules, die in internationalen Charterpartys häufig Vertragsbestandteil sind und an die sich auch die Tätigkeit des Dispacheurs in Deutschland vielerorts anlehnt. Die Aufgaben des Dispacheurs in Deutschland entsprechen damit im Wesentlichen den international anerkannten Standards.

Fazit

Der Dispacheur ist eine zentrale Instanz im Rahmen des Seehandelsrechts zur Abwicklung der Großen Haverei. Mit der Erstellung der Dispache sorgt der Dispacheur für eine gerechte, rechtlich verbindliche Verteilung außergewöhnlicher Seehandelskosten. Die Tätigkeit erfordert umfassende Kenntnis der relevanten Gesetzesgrundlagen, internationaler Regeln und sachliche Unabhängigkeit, um eine objektive und bindende Entscheidungsfindung sicherzustellen. Die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung bewahrt die Rechte der Beteiligten und garantiert die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze.

Häufig gestellte Fragen

In welchen Fällen ist die Anordnung eines Dispacheurs gesetzlich erforderlich?

Im Rahmen des deutschen Seehandelsrechts, insbesondere nach Maßgabe des Handelsgesetzbuches (HGB), ist die Anordnung eines Dispacheurs insbesondere dann gesetzlich erforderlich, wenn nach einer Havarie-grosse (Große Haverei) die Verteilung des Schadens beziehungsweise der Kosten und Beiträge auf die Beteiligten eines Seeunfalls vorzunehmen ist. Die gesetzlichen Grundlagen hierzu finden sich vor allem in §§ 588 ff. HGB. Die Notwendigkeit eines Dispacheurs tritt regelmäßig dann ein, wenn keine gütliche Einigung der Beteiligten (z.B. Reeder, Befrachter, Eigentümer der verschiedenen Ladungen) über die Kostenverteilung erreicht wird und eine objektive, unparteiische Feststellung der Beitragspflichten erforderlich ist. Im Regelfall muss der Reeder spätestens mit Abschluss der Reise einen Dispacheur bestimmen, dessen Aufgabe es ist, auf Antrag eines Begünstigten oder eines Belasteten die Dispache (Abrechnung bzw. Verteilungsrechnung) anzufertigen. Unterbleibt die Aufstellung einer Dispache, kann jeder Beteiligte über das Gericht deren Erstellung erzwingen. Die obligatorische Beteiligung eines Dispacheurs dient auch der Rechtssicherheit, indem alle Ansprüche und Gegenansprüche dokumentiert und mit Begründung versehen aufgeschlüsselt werden, sodass eine gerichtliche Überprüfung und ggf. Vollstreckung der Dispache möglich ist.

Welche Qualifikationen und Pflichten hat ein Dispacheur nach deutschem Recht?

Ein Dispacheur ist nach deutschem Recht eine neutrale und unabhängige Person, die zumeist eine spezielle Ausbildung im Bereich des Seehandelsrechts und der Schadensregulierung besitzt. Zwar definiert das Gesetz keine spezifischen berufsrechtlichen Anforderungen an einen Dispacheur, jedoch hat sich in der Praxis aufgrund der Komplexität des Seehandels eine entsprechende Fachkunde durchgesetzt. Seine Hauptpflicht liegt darin, die gesetzlichen Vorgaben objektiv und unparteiisch zur Schadensteilung nach den Regeln der Großen Haverei anzuwenden, insbesondere gem. §§ 588-611 HGB sowie nach den international anerkannten York-Antwerp Rules, sofern diese wirksam einbezogen wurden. Der Dispacheur ist außerdem zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Ermittlung aller relevanten Tatsachen verpflichtet und muss seine Berechnungen nachvollziehbar, begründet und prüffähig dokumentieren, damit sie von den Beteiligten und gegebenenfalls durch Gerichte überprüft werden können. Besteht der Verdacht einer Befangenheit, kann seine Abberufung durch gerichtliche Entscheidung verlangt werden.

Wie verbindlich ist die Entscheidung (Dispache) des Dispacheurs für die Beteiligten?

Die von einem Dispacheur erstellte Dispache besitzt grundsätzlich keine unmittelbare Gesetzeskraft, sondern entfaltet ihre Bindungswirkung aus dem Willen der Parteien, eine neutrale Feststellung der Schadensteilung herbeizuführen. Sie ist für die Parteien solange verbindlich, bis sie nicht fristgerecht und formgerecht gemäß § 595 HGB vor dem zuständigen Gericht (in der Regel Landgericht am Sitz des Reederbetriebes) angefochten wird. Wird die Dispache nicht innerhalb eines Jahres nach Mitteilung an die Beteiligten gerichtlich angegriffen, erlangt sie Rechtskraft und ihre Feststellungen sind für die Parteien verbindlich. Erfolgt eine Anfechtung rechtzeitig, überprüft das Gericht die Dispache sachlich und rechtlich vollständig und kann diese aufheben oder abändern. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung bleibt die Zahlungsverpflichtung der Beteiligten für die in der Dispache ausgewiesenen Beträge jedoch suspendiert.

Welche rechtlichen Möglichkeiten haben die Beteiligten, gegen eine vom Dispacheur erstellte Dispache vorzugehen?

Nach § 595 HGB haben die Beteiligten die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres nach Erhalt der Dispache beim zuständigen Landgericht Klage auf Berichtigung oder Aufhebung der Dispache zu erheben. Die Klage kann sich gegen die Höhe der angesetzten Kosten, die Verteilungsschlüssel oder sonstige Feststellungen innerhalb der Dispache richten. Maßgeblich ist hierbei, dass die Klage frist- und formgerecht eingereicht wird und alle Rügen substantiiert vorgetragen werden, da sonst die Dispache ihre Bindungswirkung entfaltet. Das Gericht nimmt eine vollumfängliche Überprüfung der rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen der Dispache vor und ist nicht an deren Bewertungen gebunden. Darüber hinaus bestehen, soweit eine unzureichende Ermittlung des Sachverhalts oder eine offensichtliche Fehlauslegung der maßgebenden Vorschriften vorliegt, Klagemöglichkeiten über die allgemeinen zivilprozessualen Wege.

Wie ist die Vergütung des Dispacheurs geregelt und wer trägt diese Kosten rechtlich?

Die Vergütung des Dispacheurs richtet sich grundsätzlich nach den vertraglichen Vereinbarungen oder den branchenüblichen Sätzen, für die es keine gesetzlich festgelegten Tarife gibt. Häufig findet eine Abrechnung aufwandsbezogen nach Zeitaufwand oder Pauschalen statt. Rechtlich sind die Kosten der Dispache gemäß § 592 HGB Teil der Havereikosten und werden daher, wie die übrigen Kosten der Großen Haverei, gemeinschaftlich von allen beitragspflichtigen Beteiligten nach Maßgabe ihres jeweiligen Hafungsanteils getragen. Zumeist streckt der Reeder die Kosten für die Erstellung der Dispache vor, nimmt dann aber im Rahmen der Schadensverteilung die anteilige Kostenerstattung bei den übrigen Beteiligten vor. Strittig ist die Kostenfrage primär, wenn keine Havereigemeinschaft festzustellen ist oder wenn einzelne Beteiligte versuchen, ihre Beitragspflicht anzufechten, sodann entscheidet darüber das zuständige Gericht.

Unterliegt der Dispacheur einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht?

Der Dispacheur unterliegt kraft Gesetzes keiner ausdrücklichen, spezialgesetzlichen Verschwiegenheitspflicht, wie sie etwa für Anwälte oder Notare besteht. Allerdings ergibt sich aus dem allgemeinen Berufsverständnis und den für Sachverständige im Rechtsverkehr geltenden allgemeinen Prinzipien eine faktische Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich aller den Beteiligten und den Seesachen betreffenden Angelegenheiten, über die er im Rahmen seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt. Verletzungen dieser Verschwiegenheit können zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach sich ziehen und im Extremfall zur Abberufung führen.

Wann beginnt und wann endet die Tätigkeit des Dispacheurs aus rechtlicher Sicht?

Die Tätigkeit des Dispacheurs beginnt rechtlich mit seiner Bestellung durch den Reeder oder durch Anordnung des Gerichts, insbesondere wenn ein Antrag auf Erstellung einer Dispache im Rahmen der Havarie-grosse vorliegt. Sie umfasst die Ermittlung, Beurteilung und Verteilung aller havereibezogenen Schäden und Kosten bis zur Vorlage der endgültigen Dispache. Das rechtliche Ende seiner Tätigkeit tritt ein, wenn die Dispache allen Beteiligten zugeht und entweder die einjährige Anfechtungsfrist verstreicht oder – im Falle einer gerichtlichen Überprüfung – eine bestandskräftige gerichtliche Entscheidung ergeht. Vorläufig kann der Dispacheur in Ausnahmefällen zur Ergänzung oder Berichtigung seiner Dispache verpflichtet werden, wenn er hierzu durch das Gericht oder die Parteien aufgefordert wird.