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Dispache

Begriff und Bedeutung der Dispache

Die Dispache ist die rechnerische und rechtliche Abrechnung eines Seeereignisses, bei dem außergewöhnliche Aufwendungen oder bewusste Opfer zum Schutz von Schiff, Fracht und Befrachtung gemeinschaftlich gemacht wurden. Sie dient dazu, diese Belastungen sachgerecht auf alle Beteiligten der gemeinsamen Seereise zu verteilen. In der Praxis ist die Dispache das zentrale Dokument, das festhält, welche Positionen als gemeinschaftlich anzusehen sind, wie hoch die anrechenbaren Werte der Beteiligten sind und in welcher Quote Beiträge zu leisten oder Erstattungen zu gewähren sind.

Die Dispache ist kein Gerichtsurteil, sondern ein strukturiertes Rechen- und Begründungswerk. Sie hat erhebliche Bedeutung für die Durchsetzung von Ansprüchen zwischen Reeder, Ladungsbeteiligten und Versicherern und bildet häufig die Grundlage für Zahlungen und Freigaben von Gütern nach einem Seeunfall.

Rechtsnatur und Einordnung

Rechtlich ist die Dispache ein privat erstelltes Abrechnungsdokument mit normativer Anbindung an anerkannte Regeln des Seehandels und an vertragliche Abreden der Transportbeteiligten. Ihre Bindungswirkung ergibt sich entweder aus entsprechender Vereinbarung (etwa in Konnossementen oder Charterpartien), aus der ausdrücklichen Annahme durch die Beteiligten oder aus der im Handelsverkehr üblichen Anerkennung. Ohne solche Grundlage stellt sie eine sachverständige Grundlage für spätere Einigung oder gerichtliche Klärung dar.

Die Dispache weist regelmäßig Beweisfunktion über die tatsächlichen Abläufe und die wirtschaftliche Bewertung auf, soweit diese nachvollziehbar dokumentiert sind. Sie ersetzt jedoch nicht die richterliche Prüfung im Streitfall.

Entstehungskontext: Allgemeine Haverei (Große Haverei)

Ausgangslage

Eine Dispache entsteht typischerweise im Zusammenhang mit der sogenannten Allgemeinen Haverei. Dieser Begriff erfasst Konstellationen, in denen im Interesse der gemeinsamen Sicherheit des Seeunternehmens bewusst außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden, die einzelne Vermögensgüter belasten, aber das Ganze schützen sollen.

Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit

Vorausgesetzt wird ein gemeinsames Seeabenteuer, eine bewusste Entscheidung zur Gefahrenabwehr und die Angemessenheit der Maßnahme in der konkreten Notlage. Nur dann werden Opfer und Aufwendungen gemeinschaftlich verteilt.

Typische Maßnahmen

Zu den häufigen Fällen gehören das Überbordwerfen von Ladung zur Stabilisierung, Schäden durch Löscharbeiten, Kosten für Nothafenaufenthalte, Schleppeinsätze in der Notlage oder bergungstypische Aufwendungen, soweit sie der gemeinsamen Rettung dienen.

Abgrenzung

Besondere Haverei (Einzelschaden)

Schäden, die ausschließlich ein einzelnes Interesse betreffen und nicht der gemeinsamen Rettung dienen, fallen nicht in die Dispache. Sie werden gesondert als Einzelschaden behandelt.

Bergung und Assistenz

Bergungsvergütungen können ganz oder teilweise in die Dispache einfließen, wenn sie der gemeinsamen Sicherheit dienten. Je nach Konstellation werden sie vollständig als gemeinschaftliche Aufwendung berücksichtigt oder nur anteilig.

Schadensdurchschnitt vs. Dispache

Der Begriff „Durchschnitt“ im historischen Sinne bezeichnet die Verteilung von Schäden und Aufwendungen; die Dispache ist das konkrete Rechenwerk, das diese Verteilung im Einzelfall vornimmt.

Ablauf des Dispacheverfahrens

Erklärung der Allgemeinen Haverei

Nach einem relevanten Seeereignis erklärt der Schiffsführer oder der Reeder die Allgemeine Haverei. Diese Erklärung setzt den Prozess der Sicherung, Ermittlung und Abrechnung in Gang.

Bestellung des Dispacheurs

Mit der Erstellung der Dispache wird ein Dispacheur beauftragt. Dabei handelt es sich um eine fachkundige, häufig öffentlich bestellte und vereidigte Person, die unabhängig bewertet und abrechnet.

Sicherheitsleistung und Zurückbehaltungsrecht

Zur Absicherung der späteren Beiträge werden von Ladungsbeteiligten Sicherheiten verlangt. Typisch sind Verpflichtungserklärungen (Average Bond) und Garantien eines Versicherers (Average Guarantee) oder angemessene Kautionen. Bis zum Stellen dieser Sicherheiten kann ein Zurückbehaltungsrecht an der Ladung ausgeübt werden.

Ermittlung der Bemessungsgrundlagen

Der Dispacheur erhebt die Tatsachen und prüft die Unterlagen: Schiffswert, Frachtinteressen, Ladungswerte, Opfer und Aufwendungen, den Zeitpunkt und die Kausalkette. Er ermittelt die beitragspflichtigen Werte (Contributory Values) und die ersatzfähigen Positionen.

Erstellung und Versand der Dispache

Die Dispache enthält die rechtlich-sachliche Würdigung, die Bewertungsansätze, Umrechnungen, Quoten und die daraus resultierenden Forderungs- und Erstattungsbeträge. Sie wird den Beteiligten zur Kenntnis gebracht.

Einwendungen und Korrekturen

Beteiligte können innerhalb angemessener Frist Einwendungen erheben, insbesondere gegen Tatsachenfeststellungen, Bewertungen und die Zurechnung einzelner Positionen. Der Dispacheur kann daraufhin Ergänzungen oder Berichtigungen vornehmen.

Inhalt und Aufbau der Dispache

Tatsachen- und Begründungsteil

Darstellung des Hergangs, der Gefahrenlage und der getroffenen Maßnahmen, einschließlich Dokumentenverweisen. Erläuterung, weshalb bestimmte Positionen gemeinschaftlich berücksichtigt wurden.

Bewertung und Verteilung

Festlegung der beitragspflichtigen Werte für Schiff, Ladung und Fracht; Ansatz der anerkannten Opfer und Aufwendungen; Berechnung der Beiträge in Prozent und absolut; Zu- und Abschläge je nach Zustand der Güter und ihrer Marktbewertung.

Zinsen, Umrechnung, Gebühren

Darstellung der Zinsansprüche ab einem bestimmten Zeitpunkt, der verwendeten Währungen und Umrechnungskurse sowie der Abrechnungs- und Bearbeitungsgebühren im Zusammenhang mit der Dispache.

Beteiligte und ihre Rollen

Reeder/Verfrachter

Initiieren häufig die Allgemeine Haverei, koordinieren die Sicherheiten und sind beitragspflichtig mit Schiff und Frachtinteressen.

Ladungsbeteiligte

Tragen Beiträge entsprechend dem Wert ihrer geretteten Güter und erhalten gegebenenfalls Erstattungen für geopferte oder beschädigte Güter, soweit sie der gemeinsamen Rettung dienten.

Versicherer

Transport- und Kaskoversicherer übernehmen je nach Versicherungsumfang Beiträge oder Erstattungen und geben Garantien zur Sicherstellung der Freigabe von Ladung.

Dispacheur

Ermittelt, bewertet und verteilt die Positionen unabhängig, dokumentiert die Grundlagen und erstellt die Dispache als verbindliches Abrechnungsdokument im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen.

Sicherheiten und Durchsetzung

Average Bond und Average Guarantee

Der Average Bond ist die Verpflichtung eines Ladungsbeteiligten, die sich aus der Dispache ergebende Quote zu zahlen. Die Average Guarantee ist eine Drittgarantie, meist eines Versicherers, zur Absicherung dieser Verpflichtung. Beide Instrumente ermöglichen die Freigabe der Ladung, bevor die Dispache endgültig vorliegt.

Klauseln in Transportdokumenten

In Konnossementen oder Charterpartien finden sich oft Klauseln, die das Verfahren, das anwendbare Regelwerk sowie den Ort der Erstellung festlegen. Diese Klauseln können auch die Bindungswirkung der Dispache regeln.

Freigabe und Zwangsmittel

Ohne Sicherheitsleistung kann eine Freigabe der Ladung verweigert werden. Nach Erstellung der Dispache dienen die festgestellten Beträge als Grundlage für Zahlungsabwicklungen; zur Durchsetzung kommen die im Einzelfall einschlägigen zivilrechtlichen Wege in Betracht.

Internationale Bezüge und anwendbare Regelwerke

Die Dispache stützt sich häufig auf international anerkannte Regelwerke zur Verteilung von Aufwendungen und Opfern in der Seeschifffahrt. Zusätzlich wirken nationale Rechtsordnungen und vertragliche Rechtswahl- sowie Gerichtsstandsklauseln. Dadurch kann sich der Prüfungsmaßstab je nach Fahrtgebiet, Flagge, Transportdokument und vereinbartem Ort der Dispacheerstellung unterscheiden.

Beweis und Dokumentation

Wesentlich sind Logbücher, Berichte des Schiffes, Schadens- und Vermessungsprotokolle, Rechnungen und Quittungen, Stau- und Ladelisten sowie Korrespondenz über Notmaßnahmen. Die Nachvollziehbarkeit dieser Unterlagen ist entscheidend für die Anerkennung einzelner Positionen.

Versicherungsrechtliche Bezüge

Versicherungen spielen eine zentrale Rolle: Kaskoversicherungen betreffen typischerweise Schiff und Frachtinteressen des Reeders, Transportversicherungen die Güter. Je nach Versicherungsbedingungen werden Beiträge zur Allgemeinen Haverei getragen oder Opfer erstattet. Nach Zahlung können Versicherer in bestehende Ansprüche der Versicherten eintreten.

Anfechtung, Überprüfung und Verjährung

Die Dispache kann angefochten werden, wenn Tatsachenfeststellungen, Bewertungen oder Zurechnungen beanstandet werden. Die Überprüfung erfolgt vertraglich vorgesehen durch ein festgelegtes Forum oder durch die allgemeinen Zivilgerichte. Für Ansprüche aus Allgemeiner Haverei bestehen regelmäßige Fristen; deren Lauf und Dauer ergeben sich aus anwendbarem Recht und den getroffenen Abreden.

Digitale und praktische Aspekte

Heutige Dispachen werden vielfach digital erstellt und übermittelt. Sprachen, Währungen und internationale Zuständigkeiten spielen eine Rolle, insbesondere bei globalen Lieferketten. Transparenz der Berechnung, Nachvollziehbarkeit der Unterlagen und klare Kommunikation zwischen den Beteiligten sind prägend für die Akzeptanz der Dispache.

Häufig gestellte Fragen

Was ist eine Dispache im Kern?

Sie ist die detaillierte Abrechnung eines Seeereignisses, in der außergewöhnliche Opfer und Aufwendungen, die zur gemeinsamen Rettung dienten, ermittelt, bewertet und auf Schiff, Ladung und Frachtinteressen verteilt werden.

Wann wird eine Dispache erstellt?

Sie wird erstellt, wenn während einer gemeinsamen Seereise bewusst Maßnahmen zur Abwendung einer Gefahr ergriffen wurden und dadurch Aufwendungen oder Schäden entstanden sind, die nach anerkannten Grundsätzen gemeinschaftlich zu tragen sind.

Wer erstellt die Dispache?

Ein Dispacheur wird damit betraut. Diese unabhängige, häufig öffentlich bestellte und vereidigte Person erhebt die Fakten, nimmt die Bewertungen vor und legt die Verteilung in einem strukturierten Dokument dar.

Ist eine Dispache verbindlich?

Ihre Bindungswirkung ergibt sich aus vertraglichen Abreden, aus der Annahme durch die Beteiligten oder aus handelsüblichen Gepflogenheiten. Ohne solche Grundlage bleibt sie ein maßgebliches, aber anfechtbares Abrechnungswerk.

Welche Rolle spielen Versicherungen in der Dispache?

Versicherer stellen oft Sicherheiten zur Freigabe der Ladung und übernehmen je nach Versicherungsumfang Beiträge oder Erstattungen. Nach Regulierung können sie in entsprechende Ansprüche eintreten.

Wie werden Sicherheiten behandelt?

Üblich sind Verpflichtungserklärungen und Garantien, die die spätere Beitragszahlung absichern. Bis zur Stellung solcher Sicherheiten kann die Herausgabe der Ladung zurückgehalten werden.

Wie kann eine Dispache angefochten werden?

Beanstandungen betreffen meist Tatsachen, Bewertungen oder die rechtliche Einordnung einzelner Positionen. Die Überprüfung erfolgt nach den vereinbarten Verfahrensregeln oder vor den zuständigen Zivilgerichten.

Gibt es Fristen im Zusammenhang mit der Dispache?

Für Ansprüche aus der Allgemeinen Haverei gelten Fristen. Deren Beginn, Dauer und Hemmung richten sich nach dem anwendbaren Recht und den einschlägigen vertraglichen Vereinbarungen.