Legal Lexikon

Dilatorische Einrede


Begriff und Definition der dilatorischen Einrede

Die dilatorische Einrede ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilprozessrecht und materiellen Zivilrecht. Sie bezeichnet eine besondere Form der Einrede, mit deren Erhebung der Anspruch des Gläubigers zwar nicht dauerhaft, jedoch vorübergehend, das heißt bis zur Beseitigung des Einredegrundes, zurückgewiesen oder gehemmt wird. Der Schuldner kann sich in diesem Fall darauf berufen, dass er zur Leistung gegenwärtig (noch) nicht verpflichtet ist, obwohl der Anspruch dem Grunde nach besteht und durchsetzbar wäre.

Bei der dilatorischen Einrede handelt es sich um einen prozessualen und materiellen Rechtsbehelf, der das Klagerecht oder das Verlangen der unmittelbaren Rechtsdurchsetzung für eine bestimmte Zeit aufschiebt.

Abgrenzung zu anderen Einreden

Unterscheidung zur peremptorischen Einrede

Die dilatorische Einrede ist von der peremptorischen Einrede abzugrenzen. Während die peremptorische Einrede die Durchsetzbarkeit des Anspruchs dauerhaft und endgültig vereitelt (z. B. Verjährungseinrede gemäß § 214 BGB), verschiebt die dilatorische Einrede die Geltendmachung des Anspruchs lediglich auf einen späteren Zeitpunkt.

Einwendung versus Einrede

Einreden sind von Einwendungen zu unterscheiden: Eine Einwendung betrifft die Entstehung oder das Fortbestehen des Anspruchs selbst (z. B. § 275 BGB: Unmöglichkeit). Die Einrede hingegen setzt das Bestehen des Anspruchs zunächst voraus und verhindert lediglich dessen sofortige Durchsetzbarkeit.

Rechtliche Grundlagen

Gesetzliche Dilatorische Einreden

Das deutsche Recht kennt mehrere gesetzlich geregelte dilatorische Einreden. Hierzu zählen unter anderem:

  • Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB): Der Schuldner kann die von ihm geschuldete Leistung verweigern, solange nicht der Gläubiger die ihm gebührende Gegenleistung angeboten hat.
  • Einrede des Zurückbehaltungsrechts (§ 273 BGB): Soweit dem Schuldner gegen den Gläubiger ein fälliger Anspruch zusteht, kann die Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigert werden.
  • Stundung (temporäre Leistungsverweigerungsrechte): Ist die Fälligkeit eines Anspruchs aufgeschoben (z. B. durch Stundungsvereinbarung), kann der Schuldner seine Leistung verweigern, bis der Stundungszeitraum abgelaufen ist.

Voraussetzungen und Wirkungen

Um eine dilatorische Einrede wirksam geltend zu machen, müssen die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Einrede muss in der Regel ausdrücklich erhoben werden (§ 320 Abs. 2 BGB analog), sofern sie nicht von Amts wegen berücksichtigt wird. Ihre Erhebung hat zur Folge, dass die sofortige Durchsetzbarkeit des Anspruchs gehemmt ist. Nach Wegfall des Einredegrundes lebt die Durchsetzbarkeit wieder auf.

Beispiele für dilatorische Einreden

  • § 320 BGB – Einrede des nicht erfüllten Vertrags: Der Käufer kann die Zahlung verweigern, solange der Verkäufer die Ware nicht liefert.
  • § 438 Abs. 4 BGB – Einrede der Nichtabnahme: Der Verkäufer kann die Herausgabe der Kaufsache bis zur Abnahme verweigern, wenn der Käufer seiner Abnahmepflicht nicht nachgekommen ist.

Prozessuale Bedeutung

Wirkung im Zivilprozess

Im Zivilprozess wirkt die dilatorische Einrede als Verteidigungsmittel. Der Schuldner muss sich durch substantiierten Vortrag auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen. Das Gericht prüft sodann, ob der Einredegrund vorliegt, und weist die Klage insoweit ab oder setzt den Rechtsstreit bis zum Wegfall der Einrede aus.

Unterschied zwischen Prozess- und materieller Einrede

Man unterscheidet zwischen materiellrechtlichen Einreden, die sich auf das zugrundeliegende Schuldverhältnis beziehen, und prozessualen Einreden, die auf prozessuale Voraussetzungen abzielen. Dilatorische Einreden treten typischerweise im materiellen Recht auf, können aber auch prozessuale Aspekte berühren (wie etwa die Einrede der Rechtshängigkeit, § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

Rechtsfolgen einer dilatorischen Einrede

Hemmung der Leistungspflicht

Die Ausübung einer dilatorischen Einrede hemmt die Fälligkeit oder Durchsetzbarkeit des Anspruchs, jedoch erlischt dieser nicht. Die Leistungsverweigerung besteht fort, solange der Einredeführer den Einredegrund aufrechterhält und dieser besteht.

Wiederaufleben des Anspruchs

Mit Beseitigung des Einredegrundes – zum Beispiel mit Bewirkung der Gegenleistung – kann der Gläubiger seinen Anspruch erneut durchsetzen. Die dilatorische Einrede wirkt demnach zeitlich begrenzt und verhilft dem Schuldner zu einer temporären Verteidigung gegen die Geltendmachung des Anspruchs.

Praxisrelevanz und Bedeutung

Dilatorische Einreden dienen in vielen Fallkonstellationen der Absicherung des Schuldners und der Durchsetzung von Interessenlagen wie Synallagma, Zug um Zug-Leistungen oder zeitlicher Verschiebung vertraglicher Verpflichtungen. Sie bilden einen bedeutenden Bestandteil der Rechtsbehelfe im Schuldrecht und im Prozessrecht.

Zusammenfassung

Die dilatorische Einrede ist ein zentrales Institut des deutschen Schuldrechts und Zivilprozessrechts. Sie ermöglicht es dem Schuldner, einen bestehenden Anspruch vorübergehend abzuwehren, indem sie dessen sofortige Durchsetzbarkeit hemmt. Die Dilatorik der Einrede bewirkt dabei keine dauerhafte Vereitelung, sondern lediglich eine zeitlich begrenzte Leistungsverweigerung. Sie trägt wesentlich zur Wahrung des Gleichgewichts gerichtlicher und außergerichtlicher Interessen zwischen Gläubiger und Schuldner bei. Wettbewerbsrechtlich und schuldrechtlich besitzt sie große praktische Bedeutung, insbesondere im Bereich gegenseitiger Verträge, Sicherungsrechte und Verhandlungsinstrumente.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Erhebung einer dilatorischen Einrede im Zivilprozess erfüllt sein?

Für die Erhebung einer dilatorischen Einrede im Zivilprozess müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss das Gesetz überhaupt eine entsprechende Einrede zulassen, das heißt, es muss im jeweiligen materiellen Recht eine Norm bestehen, die dem Schuldner ein zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht gewährt (z.B. § 273 BGB, Zurückbehaltungsrecht, oder § 320 BGB, Einrede des nicht erfüllten Vertrages). Des Weiteren muss das Einredeverhältnis sowohl tatsächlich als auch rechtlich gegeben sein; dies umfasst das Bestehen einer Gegenforderung oder eines zurückzuhaltenden Rechtsguts. Die Einrede muss im Prozess ausdrücklich geltend gemacht werden, da sie keine von Amts wegen zu berücksichtigende Tatsache darstellt (grundsätzlich Dispositionsprinzip, vgl. § 296 ZPO). Schließlich muss der Zeitpunkt der Einredeerhebung beachtet werden: Sie ist regelmäßig spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vorzubringen (§ 296 Abs. 1 ZPO), ansonsten kann Präklusion eintreten.

Welche Folgen hat die Geltendmachung einer dilatorischen Einrede für das Gerichtsverfahren?

Die Geltendmachung einer dilatorischen Einrede führt dazu, dass das Gericht zwar grundsätzlich das Bestehen des Hauptanspruchs prüft, jedoch aufgrund des vorübergehend entgegenstehenden Leistungsverweigerungsrechts dem Klageanspruch vorläufig nicht stattgibt. Die Klage wird in der Regel als zurzeit unbegründet abgewiesen, nicht endgültig. Das bedeutet, dass der Gläubiger den Anspruch erneut geltend machen kann, sobald das Einredehindernis weggefallen ist, etwa weil die Leistung des Gläubigers nachgeholt wurde oder das Leistungsverweigerungsrecht anderweitig entfällt. Prozessual führt dies nicht zur endgültigen Rechtskraft hinsichtlich des Anspruchs selbst (vgl. § 322 Abs. 1 BGB), sondern lediglich zu einer temporären Klageabweisung.

Inwiefern unterscheidet sich die dilatorische Einrede von der peremtorischen Einrede aus prozessualer Sicht?

Aus prozessualer Sicht unterscheidet sich die dilatorische Einrede wesentlich von der peremtorischen Einrede. Während die peremtorische Einrede (z.B. Verjährung, Einrede der Rechtskraft, § 214 BGB) das Durchsetzungsrecht des Gläubigers dauerhaft beseitigt und zur endgültigen Klageabweisung führt, räumt die dilatorische Einrede dem Schuldner nur ein zeitlich begrenztes Leistungsverweigerungsrecht ein. Das Gericht weist die Klage nur ab, soweit und solange das Einredehindernis besteht. Dadurch bleibt die Möglichkeit einer späteren erneuten gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs erhalten. Dilatorische Einreden wirken also ausschließlich temporär und sind aufschiebende Einreden, während peremtorische Einreden dauerhafte Ausschlussgründe bilden.

Muss die dilatorische Einrede ausdrücklich erhoben werden, oder kann sie auch stillschweigend wirken?

Im Prozessrecht gilt der Grundsatz der Subsidiarität richterlichen Eingreifens, d.h. das Gericht berücksichtigt eine dilatorische Einrede grundsätzlich nur, wenn sie vom Beklagten ausdrücklich erhoben wird (§ 296 ZPO). Anders als materiell-rechtlich mögliche automatische Einreden („Einreden, die nicht ausdrücklich geltend gemacht werden müssen“), bildet das deutsche Zivilprozessrecht das System der sog. „Einlassungspräklusion“ und verlangt das klare Vorbringen der Einrede. Eine stillschweigende Geltendmachung reicht nur dann aus, wenn sich aus dem Vortrag des Beklagten hinreichend eindeutig die Berufung auf eine dilatorische Einrede ergibt (z.B. ausdrückliche Geltendmachung des Nichtleistens des Klägers bei der Einrede nach § 320 BGB).

Welche Rolle spielt die dilatorische Einrede bei gegenseitigen Verträgen nach dem BGB?

Bei gegenseitigen Verträgen kommt der dilatorischen Einrede, konkret der Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB), eine zentrale Bedeutung zu. Bei einem synallagmatischen Verhältnis kann jede Partei die ihr obliegende Leistung so lange verweigern, bis die andere Partei ihre Gegenleistung anbietet oder erbringt. Dieses Leistungsverweigerungsrecht ist grds. dilatorisch, d.h. es schiebt die Erfüllbarkeit der klägerischen Forderung hinaus, solange die geschuldete Leistung des Klägers aussteht. Erst mit Bewirkung oder ordnungsgemäßem Angebot der Gegenleistung entfällt diese Einrede, sodass der Anspruch durchsetzbar wird. Die dilatorische Einrede dient damit dem Schutz vor Vorleistung und der Wahrung des Äquivalenzinteresses der Vertragsparteien.

Wie wirkt sich der Wegfall des Einredefaktors auf die Wirksamkeit einer bereits abgewiesenen Klage aus?

Wird eine Klage allein aufgrund der Erhebung einer dilatorischen Einrede abgewiesen und entfällt später der Grund der Einrede (z.B. Zahlung oder Erbringung der geschuldeten Vorleistung), kann der Kläger den Anspruch erneut gerichtlich geltend machen. Der rechtskräftige Abweisungsbeschluss in der ersten Instanz wirkt insoweit nicht als materielle Rechtskraft, sondern lediglich in Bezug auf die damaligen Prozessvoraussetzungen (dilatorischer Charakter). Bei einer neuen Klage kommt keine Einwendung der Rechtskraft der früheren Abweisung zum Tragen, da das Hindernis der dilatorischen Einrede nicht mehr besteht und der Hauptanspruch erneut justiziabel wird. Die Möglichkeit einer erneuten Klageerhebung bleibt daher gewahrt.

Welche besonderen dilatorischen Einreden sind im deutschen Recht zu beachten?

Im deutschen Zivilrecht existieren zahlreiche speziell geregelte dilatorische Einreden. Besonders praxisrelevant sind neben dem Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB und der Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB) unter anderem das Leistungsverweigerungsrecht des Vorkaufsberechtigten (§ 463 S. 2 BGB), die Einrede des nichterfüllten Bürgschaftsvertrags (§ 770 BGB) sowie das Leistungsverweigerungsrecht wegen einer Stundung (§ 205 BGB). Darüber hinaus gibt es spezialgesetzliche Regelungen, etwa im Mietrecht (§ 556b Abs. 2 BGB – Einrede bei Nebenkostenvorauszahlungen) oder im Werkvertragsrecht (§ 641 Abs. 3 BGB – Einrede bei wesentlichen Mängeln). Für jede Einredeart sind stets die jeweiligen gesetzlichen Bedingungen und die unmittelbare Wirkung auf das Leistungsverhältnis zu beachten.