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Digital Markets Act


Digital Markets Act (DMA): Überblick und Rechtsgrundlagen

Der Digital Markets Act (DMA, deutsch: Gesetz über digitale Märkte) ist eine Verordnung der Europäischen Union, die darauf abzielt, faire Wettbewerbsbedingungen auf digitalen Märkten sicherzustellen und die Marktmacht sogenannter Gatekeeper im digitalen Sektor zu begrenzen. Rechtlich bildet die Verordnung (EU) 2022/1925 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2022 die Grundlage für den DMA. Die Verordnung ist in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar und entfaltet daher unmittelbare Rechtswirkung ohne vorherige Umsetzung in nationales Recht.

Zielsetzung und Anwendungsbereich des Digital Markets Act

Zielsetzung

Der Digital Markets Act verfolgt das Ziel, die Funktionsfähigkeit der Binnenmarktes im Bereich digitaler Dienstleistungen zu stärken. Insbesondere soll eine ausgewogene Marktstellung zwischen großen digitalen Plattformen (sogenannte Gatekeeper) und anderen Markteilnehmenden, darunter Unternehmen sowie Endverbrauchende, gewährleistet werden. Die Regulierung richtet sich an eine kleine, konkret bestimmbare Gruppe besonders marktbeherrschender digitaler Plattformbetreiber, die für zahlreiche andere digitale Dienstleistungen eine zentrale Vermittlerrolle einnehmen.

Anwendungsbereich

Der DMA bezieht sich ausschließlich auf Anbieter von „Kernplattformdiensten“, die bestimmte Schwellenwerte hinsichtlich Umsatz, Marktdurchdringung und Nutzerzahl überschreiten. Zu den Kernplattformdiensten zählen unter anderem:

  • Online-Vermittlungsdienste
  • Online-Suchmaschinen
  • Soziale Netzwerke
  • Cloud-Computing-Dienste
  • Werbeplattformen

Gatekeeper-Definition und Ernennung

Gatekeeper-Eigenschaft

Ein Unternehmen gilt nach Art. 3 DMA als Gatekeeper, wenn es drei Kriterien kumulativ erfüllt:

  1. Es hat einen erheblichen Einfluss auf den Binnenmarkt.
  2. Es betreibt einen oder mehrere zentrale Plattformdienste, die eine Verbindung zwischen einer großen Zahl von gewerblichen Nutzenden und Endnutzenden herstellen.
  3. Es verfügt über eine gefestigte und dauerhafte Position auf dem Binnenmarkt (regelmäßig zwei bis drei Geschäftsjahre).

Die Entscheidung darüber, ob ein Unternehmen als Gatekeeper gilt, trifft die Europäische Kommission anhand objektiver Kriterien und unter Einbeziehung formaler Verfahren.

Verpflichtungen und Verbotstatbestände für Gatekeeper

Für als Gatekeeper eingestufte Unternehmen sieht der DMA besondere Verpflichtungen und Verbote vor. Unter anderem dürfen sie:

  • Ihre eigenen Angebote nicht systematisch bevorzugen (Selbstbevorzugungsverbot),
  • Dritten den Zugang zu Daten und Schnittstellen nicht unlauter verweigern,
  • Die Interoperabilität der eigenen Dienste mit konkurrierenden Diensten nicht unangemessen einschränken,
  • Keine missbräuchlichen Beschränkungen gegenüber gewerblichen Nutzenden oder Endnutzenden vornehmen, z. B. durch Knebelverträge oder weitreichende Lock-in-Effekte.

Verstöße gegen diese Verpflichtungen können von der Kommission mit erheblichen Bußgeldern (bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes, im Wiederholungsfall bis zu 20 %) geahndet werden.

Verfahren und Durchsetzung

Ermittlungs- und Sanktionsverfahren

Die Überwachung und Durchsetzung des DMA liegt ausschließlich bei der Europäischen Kommission, die umfangreiche Ermittlungsbefugnisse erhält, einschließlich:

  • Auskunftsrechte
  • Inspektionsrecht („Dawn Raids“)
  • Befragungen und Anordnung umfassender Auskunftserteilungen

Kommt ein Gatekeeper den Verpflichtungen nach dem DMA nicht nach, kann die Kommission nicht nur Bußgelder verhängen, sondern auch Abhilfemaßnahmen anordnen, einschließlich struktureller Maßnahmen wie die Veräußerung von Unternehmensteilen im Falle von „systematischen Verstößen“.

Kooperation mit nationalen Behörden

Obwohl die Durchsetzungsbefugnis primär bei der Europäischen Kommission liegt, sieht der DMA die Zusammenarbeit mit den nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten vor, um eine kohärente Anwendung der Verordnung zu gewährleisten.

Verhältnis zu anderen Rechtsakten und nationale Gesetzgebung

Verhältnis zum Wettbewerbsrecht (DSGVO, Kartellrecht)

Der DMA agiert grundsätzlich unabhängig von den Vorschriften über das allgemeine Wettbewerbsrecht, insbesondere den Art. 101 und 102 AEUV sowie den nationalen Kartellgesetzen. Er konkretisiert und ergänzt sie bezüglich digitaler Plattformen, ersetzt sie jedoch nicht. Ebenso verbleiben Datenschutzanforderungen gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bestehen.

Verhältnis zu anderen Regulierungen

Der DMA steht in engem Zusammenhang mit anderen EU-Rechtsakten wie dem Digital Services Act (DSA), der die Pflichten digitaler Dienste in Bezug auf Transparenz und Umgang mit illegalen Inhalten betrifft. Eine kumulative Anwendung der Vorschriften ist in der Praxis vorgesehen.

Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Mit dem Inkrafttreten des DMA im Jahr 2023 und dem Beginn der systematischen Regulierung großer Plattformbetreiber im digitalen Binnenmarkt steht die Europäische Union an der Spitze eines international beachteten Regulierungsmodells. Neben operativen Herausforderungen bei Identifikation und Monitoring der Gatekeeper wird darüber hinaus die weitere Auslegung und Anwendung der Vorschriften fortlaufend von der Europäischen Kommission und gegebenenfalls dem Europäischen Gerichtshof präzisiert.

Literatur und weiterführende Links

Der Digital Markets Act stellt einen zentralen Meilenstein der europäischen Plattformregulierung dar und wird maßgeblich die rechtlichen Rahmenbedingungen auf dem europäischen Digitalmarkt prägen. Seine konkrete Wirkung wird weiter durch die Auslegungspraxis der europäischen Institutionen bestimmt.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsfolgen drohen Unternehmen bei Verstößen gegen den Digital Markets Act?

Bei einem Verstoß gegen die Bestimmungen des Digital Markets Act (DMA) können auf „Gatekeeper“-Unternehmen erhebliche rechtliche Konsequenzen zukommen. Die Europäische Kommission ist gemäß DMA befugt, bei Nichteinhaltung der Vorschriften Verwaltungsuntersuchungen einzuleiten und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen anzuordnen. Zunächst kann die Kommission Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des weltweiten Gesamtjahresumsatzes des betreffenden Unternehmens verhängen – bei wiederholtem Verstoß kann die Strafe sogar bis zu 20 % betragen. Darüber hinaus kann die Kommission zwingende Maßnahmen („Verhaltens- oder strukturelle Abhilfemaßnahmen“) anordnen, um sicherzustellen, dass die Einhaltung der Verpflichtungen effektiv durchgesetzt wird. Hierzu zählen beispielsweise die Verpflichtung zur Veräußerung von Unternehmensteilen oder die Umsetzung technischer Veränderungen. Zusätzlich kann die Kommission regelmäßige Zwangsgelder festsetzen, um die Einhaltung kurzfristig zu erzwingen. Unternehmen haben das Recht, gegen Entscheidungen der Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union Rechtsmittel einzulegen; die Klage hat in der Regel jedoch keine aufschiebende Wirkung.

Wie erfolgt die rechtliche Einstufung eines Unternehmens als „Gatekeeper“?

Die Qualifikation eines Unternehmens als „Gatekeeper“ im Sinne des DMA erfolgt nach einem klar definierten, aber komplexen rechtlichen Verfahren. Zunächst sieht der DMA objektive quantitative Schwellenwerte vor, darunter etwa die Erzielung bestimmter Umsatzgrößen (mindestens 7,5 Milliarden Euro Jahresumsatz oder eine Marktkapitalisierung von mindestens 75 Milliarden Euro in den letzten drei Geschäftsjahren) sowie die Bereitstellung einer sogenannten „zentralen Plattformdienstleistung“, die monatlich mindestens 45 Millionen Nutzer:innen und jährlich mehr als 10.000 gewerbliche Nutzer:innen in der EU aufweist. Unternehmen, die diese Schwellenwerte erreichen, sind verpflichtet, sich bei der Europäischen Kommission zu melden. Die Kommission prüft anschließend, ob die Kriterien tatsächlich erfüllt sind, und erlässt nach einer Form- und Sachprüfung einen Beschluss, mit dem das Unternehmen als Gatekeeper benannt wird. Dabei können Unternehmen auch Gegenbeweise vorlegen, um darzulegen, dass die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die Eintragung als Gatekeeper ist rechtlich bindend und unterliegt der gerichtlichen Kontrolle.

Inwiefern beeinflusst der DMA bestehende Wettbewerbsverfahren nach EU-Kartellrecht?

Der DMA ergänzt das bestehende europäische Wettbewerbsrecht, insbesondere die Art. 101 und 102 AEUV (Kartellrecht und Missbrauchsaufsicht), ohne diese zu ersetzen. Die Vorschriften des DMA eröffnen parallele Durchsetzungsmechanismen, die auf proaktive Regulierung statt nachträglicher Sanktionierung von Marktmissbrauch setzen. Bei Überschneidungen zwischen DMA-Verstößen und Verstößen gegen das Kartellrecht bleibt das Recht der Europäischen Kommission bestehen, auf Grundlage beider Regelwerke Verfahren einzuleiten. Allerdings sieht der DMA spezielle Kooperations- und Koordinationsmechanismen vor, um eine einheitliche Durchsetzung zu gewährleisten und Doppelverfahren zu vermeiden. Zudem gewährt der DMA den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten eine unterstützende Rolle, etwa durch die Möglichkeit, Untersuchungen anzuregen oder Daten beizusteuern. In der Praxis können sich daher DMA- und kartellrechtliche Verfahren überschneiden, wobei der DMA als lex specialis für digitale Gatekeeper angesehen wird.

Welche Rolle spielt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des DMA?

Die Europäische Kommission nimmt im Rahmen des Digital Markets Act eine zentrale Ermittlungs- und Durchsetzungsrolle ein. Sie besitzt weitreichende Prüfungs- und Sanktionsbefugnisse und fungiert als einzige zuständige Durchsetzungsbehörde auf EU-Ebene. Komplexe Untersuchungen, die Verhängung von Geldbußen, die Erlassung von Verpflichtungsbeschlüssen oder Abhilfemaßnahmen sowie die Genehmigung oder Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen, soweit diese Einfluss auf Gatekeeper-Dienste haben könnten, fallen allesamt in die Kompetenz der Kommission. Die Kommission ist zudem verpflichtet, alle Verfahren und Entscheidungen in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und gegebenenfalls anderen EU-Organen durchzuführen. Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen und Kommission werden vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) bzw. dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geführt.

Welche prozessualen Rechte haben Gatekeeper-Unternehmen im DMA-Verfahren?

Gatekeeper-Unternehmen besitzen im Rahmen eines DMA-Verfahrens umfangreiche verfahrensmäßige Rechte. Sie müssen bereits vor einer förmlichen Designation als Gatekeeper angehört werden und haben ein Recht auf rechtliches Gehör, Akteneinsicht sowie das Recht auf anwaltlichen Beistand. Während der Untersuchungs- und Entscheidungsprozesse können sie Stellungnahmen abgeben, Beweisanträge stellen sowie Gegenargumente und entlastende Unterlagen einreichen. Im Falle von Entscheidungen der Kommission, sei es bzgl. Benennung als Gatekeeper, Verhängung von Sanktionen oder Verpflichtungen, steht ihnen das Recht auf gerichtliche Überprüfung zu. Das Verfahren orientiert sich an hohen rechtsstaatlichen Grundsätzen des Unionsrechts, wie die Begründungspflichten der Kommission, Transparenzgebot, Wahrung des fairen Verfahrens und Rechtsschutzgarantie.

Wie ist das Verhältnis des DMA zu nationalem Recht der Mitgliedstaaten geregelt?

Der Digital Markets Act gilt als Verordnung unmittelbar und verbindlich in allen EU-Mitgliedstaaten. Das bedeutet, die Mitgliedstaaten müssen die Regelungen nicht in nationales Recht umsetzen; sie gelten wie nationales Recht und haben einen Anwendungsvorrang gegenüber bestehenden oder abweichenden nationalen Regelungen. Dennoch bleibt ein gewisser Raum für nationale Wettbewerbsgesetze, solange diese nicht mit den Zielen oder Bestimmungen des DMA kollidieren oder die Durchsetzung substantiell erschweren. Regionale oder zusätzliche nationale Regulierungsmaßnahmen bezüglich digitaler Plattformen sind daher nur zulässig, sofern sie mit dem DMA vereinbar sind. Die Mitgliedstaaten überprüfen die Kohärenz in enger Abstimmung mit der Europäischen Kommission.

Gibt es für betroffene Unternehmen Möglichkeiten, Ausnahmen oder Abweichungen vom DMA zu erlangen?

Der DMA sieht unter bestimmten Umständen ausdrücklich Ausnahmemöglichkeiten vor. Gatekeeper können einen Antrag auf Ausnahmeregelung stellen, etwa wenn sie nachweisen können, dass die Durchsetzung bestimmter Verpflichtungen entweder die wirtschaftliche Tragfähigkeit erheblich gefährden oder den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten beeinträchtigen würde. Die Kommission entscheidet auf Antrag und nach eingehender Prüfung, ob eine vollständige oder teilweise Ausnahme gewährt werden kann. Die Gründe für Ausnahmen sind eng begrenzt und müssen nachvollziehbar belegt werden. Darüber hinaus kann die Kommission „technische Abweichungen“ genehmigen, beispielsweise im Falle von Sicherheits-, Datenschutz- oder Integritätsanforderungen. Diese Ausnahmeregelungen sind transparent zu dokumentieren und unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle.