Begriff und Ursprung des Dieselskandals
Der Begriff „Dieselskandal“ bezeichnet eine Reihe von aufgedeckten Manipulationen im Fahrzeugsektor, bei denen insbesondere Automobilhersteller Stickoxid-Emissionswerte von Dieselfahrzeugen mithilfe von unzulässigen Abschalteinrichtungen manipulierten. Ziel war es, die gesetzlichen Abgasnormen zu umgehen und Fahrzeuge als umweltfreundlicher und regelkonformer darzustellen, als sie tatsächlich waren. Die Enthüllungen begannen 2015 mit Ermittlungen gegen den Volkswagen-Konzern, wobei im weiteren Verlauf auch zahlreiche andere Hersteller betroffen waren.
Rechtlicher Rahmen
Europarechtliche Grundlagen
Richtlinien und Verordnungen
Für die Zulassung von Kraftfahrzeugen und die Begrenzung von Schadstoffemissionen bestehen innerhalb der Europäischen Union verbindliche Regelungen, insbesondere:
- VO (EG) Nr. 715/2007: Diese Verordnung regelt die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen in Bezug auf Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen.
- Richtlinie 2007/46/EG: Legt den Rahmen für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen, einschließlich Anforderungen zur Einhaltung von Emissionsgrenzen, fest.
Prüfstand und Emissionstests
Vorgeschrieben werden standardisierte Emissionstests, die unter Laborbedingungen durchgeführt werden. Die Fahrzeuge mussten dabei bestimmte Werte für Stickoxide (NOx), Kohlenmonoxid (CO) und weitere Stoffe einhalten.
Nationale Umsetzung im deutschen Recht
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO)
Die StVZO übernimmt die europäischen Vorschriften in nationales Recht und normiert die Zulassungsvoraussetzungen für Fahrzeuge, die Einhaltung von Emissionsgrenzwerten, die Sanktionierung bei Verstößen und die Rolle des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) als zuständige Genehmigungsbehörde.
Bedeutung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Volkswagen und andere Hersteller entwickelten Software, die erkannte, ob das Fahrzeug sich auf dem Prüfstand befand oder im normalen Fahrbetrieb war. Nur auf dem Prüfstand wurden die Emissionen vorschriftsgemäß reduziert – im Straßenbetrieb überschritten sie jedoch häufig die zulässigen Grenzwerte deutlich. Der Einsatz derartiger Abschalteinrichtungen (Defeat Devices) ist nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 grundsätzlich verboten.
Zivilrechtliche Aspekte
Schadensersatzansprüche von Käufern
Vertragsrechtliche Ansprüche
Käufer betroffener Fahrzeuge konnten Ansprüche wegen Sachmängeln nach deutschem Kaufrecht (§§ 434 ff. BGB) geltend machen, insbesondere Rückabwicklung oder Minderung des Kaufpreises sowie Schadensersatz. Maßgeblich ist hierbei, inwiefern das jeweilige Fahrzeug zum Zeitpunkt des Erwerbs die zugesicherten Eigenschaften (z.B. Einhaltung der Emissionswerte) nicht erfüllt hat.
Deliktsrechtliche Ansprüche
Neben kaufrechtlichen Grundlagen haben sich Ansprüche aus Deliktsrecht (§ 826 BGB, Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung) etabliert. Die höchstrichterliche Rechtsprechung (insbesondere BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19) hat bestätigt, dass das Inverkehrbringen von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Abgassteuerung eine sittenwidrige Schädigung des Käufers darstellt.
Leasingverträge und Finanzierungen
Im Kontext von Leasing- und Finanzierungsverträgen wurde geprüft, inwiefern die Entdeckung der Manipulationen ein außerordentliches Kündigungsrecht oder Rechte auf Vertragsrückabwicklung begründen kann. Banken und Leasinggesellschaften beziehen sich hier maßgeblich auf die rechtliche Bewertung des zugrunde liegenden Kaufvertrages und etwaiger Sachmängel.
Öffentliche-rechtliche Reaktion und behördliche Verfahren
Rolle des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA)
Das KBA ist befugt, Typgenehmigungen zu erteilen, zu widerrufen oder Fahrzeuggenehmigungen im Falle von Verstößen aufzuheben (§ 25 EG-FGV, Fahrzeug-GenehmigungsVO). Im Rahmen des Dieselskandals wurden zehntausende Fahrzeuge zurückgerufen, Software-Updates angeordnet und bei Nichtbefolgung Stilllegungen angedroht.
Verwaltungsrechtliche Konsequenzen
Verwaltungsbehörden sprachen Zwangsmaßnahmen, beispielsweise Stilllegungsverfügungen oder Zwangsgelder, gegen Fahrzeughalter aus, wenn erforderliche Nachrüstungen nicht innerhalb der gesetzten Fristen vorgenommen wurden.
Umweltrechtliche und strafrechtliche Dimension
Umweltrechtliche Vorschriften
Verstöße gegen geltende Emissionsgrenzwerte verletzen umweltrechtliche Normen. Insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und darauf gestützte Rechtsverordnungen (z.B. 35. BImSchV) regeln die Einhaltung von Emissionsstandards.
Strafrechtliche Ermittlungs- und Gerichtsverfahren
Straftatbestände
Im Zusammenhang mit dem Dieselskandal wurden Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Betruges (§ 263 StGB), unlauterer Werbung (§ 16 UWG), strafbarer Produktfälschung (§ 11 ProdSG) und wegen unerlaubten Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) geführt.
Bußgeldverfahren und Strafzahlungen
Mehrere beteiligte Unternehmen mussten in Folge der behördlichen Verfahren hohe Bußgelder zahlen. Insbesondere in Deutschland und den Vereinigten Staaten wurden Milliardenbeträge an Bußgeldern und Entschädigungen verhängt.
Internationale Dimension und Sammelklagen
Verfahren in den USA
In den Vereinigten Staaten waren insbesondere die Umweltbehörde EPA und das Justizministerium federführend an der Aufklärung beteiligt. Es wurden umfangreiche Sammelklagen (Class Actions) zugelassen, welche zu milliardenschweren Vergleichen und Zahlungen führten.
Europäische Sammelklagen und Musterverfahren
In verschiedenen europäischen Staaten – darunter Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich – wurden Gruppenklagen und Musterfeststellungsklagen ermöglicht und durchgeführt, um Ansprüche betroffener Fahrzeughalter zu bündeln. In Deutschland wurde im November 2018 die erste Musterfeststellungsklage nach dem neuen Gesetz § 606 ZPO gegen Volkswagen eingereicht.
Auswirkungen und aktuelle Entwicklungen
Rechtsprechung im Wandel
Die nationale und europäische Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen, Verbraucherrechte und Schadenersatz entwickelt sich fortlaufend weiter. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrfach betont, dass die gesetzlichen Ausnahmen für Abschalteinrichtungen sehr eng auszulegen sind. Die Haftung der Hersteller und eventueller Schadensersatz für Fahrzeugkäufer wurden mehrfach bejaht.
Politische und gesellschaftliche Folgen
Der Dieselskandal führte zu einer umfassenden Debatte über die Regulierung von Fahrzeugemissionen, die Kontrolle von Automobilherstellern und die Förderung alternativer Antriebstechnologien. Rechtlich gesehen werden die Konsequenzen noch auf Jahre hinaus in Form von laufenden Gerichtsverfahren, Gesetzesänderungen und Strukturreformen im Automobilsektor spürbar bleiben.
Literatur und weiterführende Quellen
- Verordnung (EG) Nr. 715/2007
- Gesetz über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (StVG)
- Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)
- BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19
- EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18 (Abschalteinrichtungen)
- Kraftfahrt-Bundesamt (KBA): Informationen zu Rückrufen und Typgenehmigungen
Der Dieselskandal ist ein komplexes, facettenreiches Thema, das zahlreiche Bereiche des deutschen und europäischen Rechts berührt und weitreichende Folgen für Verbraucher, Umwelt und die Automobilindustrie hat. Die rechtlichen Entwicklungen werden durch die fortlaufende Rechtsprechung und regulatorische Maßnahmen geprägt und sollten weiterhin beobachtet werden.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Ansprüche haben Dieselbesitzer im Zusammenhang mit dem Dieselskandal?
Dieselbesitzer, deren Fahrzeuge vom Dieselskandal betroffen sind, können verschiedene rechtliche Ansprüche geltend machen. In erster Linie besteht häufig ein Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Fahrzeughersteller (§ 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung), sofern nachweisbar ist, dass eine illegale Abschalteinrichtung verbaut wurde. Daneben kann gegebenenfalls auch eine sogenannte Rückabwicklung des Kaufvertrags nach § 437 Nr. 2 BGB (Rücktritt wegen Sachmangels) verlangt werden, wenn das Fahrzeug mangelhaft ist und der Käufer dem Verkäufer eine erfolglose Frist zur Nachbesserung gesetzt hat – dies betrifft insbesondere Ansprüche gegen Händler. Weiterhin kommen Minderungsansprüche nach § 441 BGB in Betracht, bei denen ein Teil des Kaufpreises zurückverlangt werden kann, sofern der Mangel nicht vollständig behoben werden konnte oder ein Nachbesserungsversuch fehlgeschlagen ist. Zuletzt können sich auch Ansprüche im Rahmen von Sammelklagen (wie Musterfeststellungsklagen nach § 606 ZPO) ergeben, durch die die Rechte vieler Betroffener gebündelt und gerichtlich festgestellt werden.
Welche Verjährungsfristen müssen bei Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal beachtet werden?
Die Verjährungsfristen variieren je nach geltend gemachtem Anspruch. Für Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung (§ 826 BGB) gilt grundsätzlich eine dreijährige Verjährungsfrist, die mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Geschädigte von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schädigers Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Für Ansprüche aus Mängelgewährleistung (z.B. Rücktritt oder Minderung) beträgt die Verjährungsfrist bei Neuwagen regelmäßig zwei Jahre ab Ablieferung des Fahrzeugs, bei Gebrauchtwagen kann diese auf ein Jahr verkürzt werden. Es ist dabei ratsam, rechtzeitig rechtliche Schritte einzuleiten oder verjährungshemmende Maßnahmen (wie Klageerhebung oder Mahnbescheid) zu treffen, um den Verlust der Ansprüche zu vermeiden.
Gegen wen können rechtliche Ansprüche im Dieselskandal geltend gemacht werden?
Rechtliche Ansprüche können sich sowohl gegen den Fahrzeughersteller als auch gegen den Händler richten, von dem das Fahrzeug erworben wurde. Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung richten sich typischerweise gegen den Hersteller, wenn dieser eine illegale Abschalteinrichtung installiert und den Fahrzeugerwerber dadurch geschädigt hat. Ansprüche aus Kaufrecht, wie Rücktritt oder Minderung wegen eines Mangels, bestehen regelmäßig gegenüber dem Händler oder Vertragspartner des Kaufvertrags. In bestimmten Fällen können auch Leasinggesellschaften oder Banken betroffen sein, etwa wenn das Fahrzeug durch Leasing erworben oder finanziert wurde.
Wie ist die aktuelle Rechtsprechung zum Dieselskandal in Deutschland und auf EU-Ebene?
Die Rechtsprechung zum Dieselskandal entwickelt sich stetig weiter und wird sowohl durch deutsche Instanzgerichte als auch durch den Bundesgerichtshof (BGH) sowie den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geprägt. Der BGH hat in mehreren Grundsatzurteilen (z.B. Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19) die Hersteller grundsätzlich zum Schadensersatz verurteilt, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wurde und ein sittenwidriges Handeln vorliegt. Der EuGH hat mit Urteilen vom 17.12.2020 (C-693/18) und weiteren Entscheidungen die Rechte der Verbraucher sowie die Auslegung europarechtlicher Vorschriften zum Emissionsschutz gestärkt und die Anforderungen an die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen konkretisiert. Diese höchstrichterliche Rechtsprechung bildet den Maßstab für die laufenden und kommenden Verfahren in den deutschen Instanzgerichten.
Welche Rolle spielt die Eintragung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei der rechtlichen Bewertung?
Die Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung ist ein zentrales Element im Dieselskandal, da davon abhängt, ob das Fahrzeug die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte im normalen Fahrbetrieb einhält. Wird eine solche Einrichtung nachgewiesen oder ist vom Hersteller bereits eingeräumt worden (beispielsweise durch Rückrufaktionen des Kraftfahrt-Bundesamtes), liegen regelmäßig ein Sachmangel des Fahrzeugs und/oder eine unerlaubte Handlung vor. Dies bildet die Grundlage für Ansprüche der Geschädigten. In Zivilverfahren hat der Kläger darzulegen, dass sein Fahrzeug betroffen ist; im Regelfall genügt hierfür der Nachweis, dass das dem Skandal zuzuordnende Modell mit einer betroffenen Motorvariante ausgestattet ist.
Welche Bedeutung hat die Musterfeststellungsklage im Dieselskandal?
Die Musterfeststellungsklage ist ein Instrument des kollektiven Rechtsschutzes, das es einer Vielzahl von Geschädigten ermöglicht, ihre Ansprüche in einer einzigen Klage gebündelt feststellen zu lassen. Im Falle des Dieselskandals wurde dieses Instrument erstmals in großem Umfang gegen die Volkswagen AG eingesetzt. Hierbei bindet das Feststellungsurteil das jeweilige Unternehmen, während die individuelle Bezifferung und Durchsetzung des konkreten Schadens in einem anschließenden Individualverfahren erfolgt. Die Musterfeststellungsklage bietet insbesondere für Verbraucher mit vergleichsweise geringem Streitwert eine kostengünstige Möglichkeit, ihre Rechte geltend zu machen, ohne das Risiko eines Einzelprozesses auf sich nehmen zu müssen.
Wie ist die Beweislast in Verfahren zum Dieselskandal verteilt?
Im Grundsatz trägt der Kläger, der Schadensersatz oder andere Ansprüche geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sein Fahrzeug von einer illegalen Abschalteinrichtung betroffen ist und daraus ein Schaden entstanden ist. Die Rechtsprechung hat das Maß an Darlegung jedoch zum Teil abgesenkt: Es kann genügen darzulegen, dass das eigene Fahrzeug zu einer vom Skandal betroffenen Baureihe gehört; dann trifft den Hersteller eine sekundäre Darlegungslast, die konkret bestreiten und im Zweifel auch den Nachweis führen muss, dass im Einzelfall keine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist. Für den Nachweis eines Schadens genügt es häufig, den Eintritt eines merkantilen Minderwerts darzutun. Der konkrete Schaden wird in der Regel mittels Schätzung ermittelt.
Welche relevanten Unterschiede gibt es zwischen Ansprüchen bei Neuwagen und Gebrauchtwagen im Dieselskandal?
Die rechtliche Behandlung von Ansprüchen im Zusammenhang mit Neuwagen unterscheidet sich insbesondere hinsichtlich der Gewährleistungsrechte gegenüber dem Händler und der Verjährung. Bei Neuwagen beträgt die gesetzliche Gewährleistungsfrist mindestens zwei Jahre, während sie bei Gebrauchtwagen vertraglich auf ein Jahr reduziert werden kann. Zudem kann bei Neuwagen der Nachweis, dass die Abschalteinrichtung bereits beim Erwerb vorhanden war, leichter geführt werden. Gleichsam sind Ansprüche gegen den Hersteller auf Schadensersatz bei beiden Erwerbsarten grundsätzlich möglich, jedoch kann bei Gebrauchtwagen die Anspruchsdurchsetzung durch zwischenzeitliche Weiterveräußerung und verschiedene Vorbesitzer erschwert werden. Zudem sind insbesondere bei älteren Gebrauchtwagen Verjährungsprobleme häufiger anzutreffen.