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Dienst nach Vorschrift


Dienst nach Vorschrift – Rechtliche Einordnung, Bedeutung und Grundlagen

Definition und begriffliche Abgrenzung

Dienst nach Vorschrift bezeichnet das arbeitsrechtliche Verhalten von Beschäftigten, bei dem ausschließlich die im Arbeitsvertrag oder in Dienstanweisungen festgelegten Aufgaben und Pflichten erbracht werden, ohne jegliches freiwilliges oder darüber hinausgehendes Engagement. Im Gegensatz zur Arbeitsverweigerung bleibt die Tätigkeit innerhalb des Rahmens der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, verzichtet jedoch bewusst auf jegliche betriebliche Flexibilität, Eigeninitiative oder Übererfüllung.

Rechtliche Grundlagen

Arbeitsvertragliche Haupt- und Nebenpflichten

Die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer:innen ergeben sich primär aus dem Arbeitsvertrag und einschlägigen Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und gesetzlichen Regelungen, insbesondere §§ 611a ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Hauptpflicht der Arbeitnehmer:innen besteht in der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung. Soweit die Pflichten klar, eindeutig und abschließend geregelt sind, erbringen Beschäftigte beim Dienst nach Vorschrift exakt die vertraglich geschuldete Leistung, ohne darüber hinauszugehen.

Nebenpflichten wie etwa Kollegialität, Unterstützung der betrieblichen Abläufe und die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB bleiben grundsätzlich bestehen, allerdings werden sie beim Dienst nach Vorschrift auf ein Minimum reduziert.

Direktionsrecht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber hat nach § 106 Gewerbeordnung (GewO) das Recht, Art, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen, soweit dies nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag ausgeschlossen ist. Dienst nach Vorschrift setzt voraus, dass Beschäftigte die Weisungen im Rahmen der arbeitsvertraglichen Regelungen erfüllen, aber keine darüber hinausgehenden Tätigkeiten ausführen.

Abgrenzung zu anderen arbeitsrechtlich relevanten Verhaltensweisen

Arbeitsverweigerung

Im Gegensatz zur Arbeitsverweigerung, bei der Beschäftigte ihre geschuldeten Pflichten nicht oder nur unvollständig erfüllen, verbleibt der Dienst nach Vorschrift innerhalb der geschuldeten Vertragspflichten. Eine Sanktionierung wie Abmahnung oder Kündigung ist daher regelmäßig nicht zulässig, sofern die vertraglichen Pflichten genau eingehalten werden.

Bummelei und Arbeitsverlangsamung

Bummelei (Minderung der Arbeitsintensität ohne Unterschreitung vertraglicher Pflichten) und aktive Arbeitsverlangsamung (arbeitnehmerseitige Aktionen, die die Produktivität gezielt und planvoll senken, etwa als Mittel des Arbeitskampfes) unterscheiden sich vom Dienst nach Vorschrift dadurch, dass sie regelmäßig Pflichtenverletzungen darstellen und gegebenenfalls arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.

Dienst nach Vorschrift als Mittel des Arbeitskampfes

Kollektive Dimension und rechtliche Bewertung

Wird Dienst nach Vorschrift als koordinierte Maßnahme von Beschäftigten eingesetzt, um auf Missstände aufmerksam zu machen oder Forderungen durchzusetzen, steht das Verhalten an der Schnittstelle zwischen individualrechtlichem Verhalten und kollektivem Arbeitskampfmittel.

Klassische Arbeitskampfmaßnahmen – wie Streik oder Aussperrung – sind im deutschen Recht über das grundgesetzlich geschützte Koalitionsrecht (Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz) und die dazugehörige Arbeitskampfrechtsprechung geregelt. Dienst nach Vorschrift bleibt jedoch regelmäßig unterhalb der Schwelle des rechtlichen Arbeitskampfes, solange keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt werden.

Rechtsprechung

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung differenziert klar zwischen bloßer Erfüllung der Vertragspflichten („Dienst nach Vorschrift“) und der Verletzung von Arbeits- oder Nebenpflichten (z. B. Bummelstreik). Die Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit ohne Zusatzleistungen ist regelmäßig zulässig und begründet kein arbeitsvertragliches Fehlverhalten (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6.2.2008 – 7 Sa 276/07). Überschreitet die Maßnahme jedoch das zulässige Maß und beeinträchtigt betriebliche Abläufe erheblich, kann eine kollektive Arbeitsniederlegung nach § 823 BGB oder als Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten bewertet werden.

Pflichten und Grenzen für Arbeitnehmer:innen

Mitwirkungspflichten und Treuepflicht

Während Arbeitnehmer:innen grundsätzlich berechtigt sind, ihre Pflichten formal zu erfüllen, können Mitwirkungspflichten oder besondere Treuepflichten einzelvertraglich, tarifvertraglich oder gesetzlich weiter ausgestaltet sein. Diese können im Einzelfall dazu führen, dass Dienst nach Vorschrift – beispielsweise bei bestehenden betrieblichen Notlagen – gegen arbeitnehmerseitige Nebenpflichten verstößt.

Weisungsbindung und Leistungsbestimmungsrecht

Im Rahmen des arbeitsrechtlichen Weisungsrechts kann der Arbeitgeber verbindlich und eindeutig konkrete Handlungsweisen festlegen. Dienst nach Vorschrift ist dann zulässig, wenn alle Weisungen befolgt werden, solange sie rechtmäßig sind und dem Arbeitsvertrag entsprechen.

Arbeitgeberinteressen und betriebliche Auswirkungen

Wirtschaftliche Bedeutung

Dienst nach Vorschrift kann die wirtschaftlichen Interessen von Arbeitgebern empfindlich beeinträchtigen, da betriebliche Flexibilität, freiwilliges Engagement und Eigeninitiative wichtige Erfolgsfaktoren für viele Unternehmen darstellen. Maßgebliche Einschränkungen, etwa im Servicebereich, bei Lieferzeiten oder im Innovationsverhalten, sind als typische Folgen zu beobachten.

Disziplinarrechtliche Maßnahmen

Reagieren Arbeitgeber auf Dienst nach Vorschrift mit arbeitsrechtlichen Schritten, wie Abmahnung oder Kündigung, ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich eine Pflichtverletzung vorliegt. Liegt lediglich die genaue, aber vollständige Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten vor, ist eine disziplinarrechtliche Maßnahme nicht gerechtfertigt.

Praktische Hinweise und Gestaltungsmöglichkeiten

Formulierung von Arbeitsverträgen

Arbeitgeber können durch präzise Formulierung von Arbeitsverträgen, Stellenbeschreibungen und Arbeitsanweisungen dem Risiko von Dienst nach Vorschrift vorbeugen. Je klarer Pflichten definiert sind und Flexibilität vertraglich vereinbart wird, desto weniger Raum bleibt für eine ausschließlich formale Aufgabenerfüllung.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Sollen Maßnahmen im Betrieb eingeführt werden, um Dienst nach Vorschrift zu begegnen oder Vorbeugungen zu treffen, sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beachten, insbesondere bei Fragen der Arbeitszeit, der Leistungsüberwachung und des betrieblichen Ordnungsverhaltens.

Zusammenfassung

Dienst nach Vorschrift ist die streng formale Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten ohne jede betriebliche Initiative oder freiwilige Zusatzleistung. Arbeitsrechtlich ist dieses Verhalten in der Regel zulässig, solange keine weiteren vertraglichen, gesetzlichen oder tariflichen Pflichten verletzt werden. Arbeitgeber sollten präzise Regelungen treffen und die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen beachten, um dem Phänomen im Betrieb konstruktiv zu begegnen.

Quellen:

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Gewerbeordnung (GewO)
  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
  • Grundgesetz (GG), insbesondere Art. 9 Abs. 3
  • Rechtsprechung zu „Dienst nach Vorschrift“
  • Kommentarliteratur zum Arbeitsrecht

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen kann der Dienst nach Vorschrift für Arbeitnehmer haben?

Dienst nach Vorschrift ist aus rechtlicher Sicht grundsätzlich zulässig, sofern Arbeitnehmer sämtliche vertraglichen und gesetzlichen Pflichten erfüllen. Allerdings kann dies im Einzelfall zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen, wenn Arbeitgeber nachweisen können, dass ein Arbeitnehmer bewusst Arbeitsabläufe behindert, das Betriebsklima sabotiert oder die Arbeitspflicht nur formal, aber nicht inhaltlich erfüllt wird. In solchen Fällen kann der „passive Widerstand“ als Pflichtverletzung bewertet werden. Insbesondere bei öffentlichen Dienstverhältnissen oder verbeamteten Angestellten stehen verstärkte Treuepflichten im Vordergrund; hier kann bereits die bewusste Verzögerung, Unterlassung von Standardaufgaben oder fehlende Eigeninitiative als Dienstvergehen gewertet werden. Im schlimmsten Fall drohen Abmahnung, Versetzung oder, bei wiederholtem Verhalten und schwerwiegenden Folgen, sogar eine verhaltensbedingte Kündigung. Eine wirksame Sanktionierung setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer nachgewiesen werden kann, dass der Dienst nach Vorschrift nicht nur die Einhaltung der Minimalanforderungen war, sondern zu nachweisbaren betrieblichen Nachteilen oder Schäden geführt hat.

Gibt es gesetzliche Regelungen, die Dienst nach Vorschrift explizit untersagen oder erlauben?

Im deutschen Arbeitsrecht findet sich keine explizite gesetzliche Vorschrift, die den Dienst nach Vorschrift als solchen verbietet oder ausdrücklich erlaubt. Die Grundlage bildet stets der Arbeitsvertrag, ergänzt durch einschlägige Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen sowie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 611a BGB (Arbeitsvertrag), wonach Arbeitnehmer zur „versprochenen Dienste“ verpflichtet sind. Diese werden meist durch die Weisungen des Arbeitgebers und das arbeitsvertraglich geschuldete Maß an Sorgfalt und Initiative konkretisiert. Die Arbeitsvertragsparteien können daher detailliertere Regelungen treffen. Tarifverträge, insbesondere im öffentlichen Dienst (TVöD oder TV-L), beinhalten häufig nähere Bestimmungen zu Art, Umfang und Weisungsgebundenheit von Arbeitsleistungen. Letztlich entscheidet der Einzelfall, ob das Verhalten von „Dienst nach Vorschrift“ noch von der arbeitsvertraglichen Pflichterfüllung gedeckt ist oder arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Kann ein Arbeitgeber Dienst nach Vorschrift als Arbeitsverweigerung auslegen?

Ein Arbeitgeber kann das Verhalten des Diensts nach Vorschrift dann als Arbeitsverweigerung auslegen, wenn ein Arbeitnehmer eindeutig mehr schuldet, als das reine Erfüllen minimaler Standards – etwa besondere Eigeninitiative, flexible Aufgabenerfüllung, Mitdenken oder Mitgestalten, wie es in manchen Arbeitsverträgen direkt oder über Zielvereinbarungen eingeschlossen ist. Insbesondere leitende Angestellte oder Arbeitnehmer mit spezifischen Verantwortungsbereichen (z. B. Projektleiter, Betriebsräte mit Aufgaben zur Mitwirkung) sind oftmals mehr in der Pflicht, als nur vertraglich geregelte Einzelleistungen zu erbringen. Besteht eindeutig arbeitsvertraglich oder tariflich die Verpflichtung zur Teamarbeit, Koordination oder zur bestimmten Qualität der Arbeit, kann das stumpfe Arbeiten nach „Schema F“ trotz formaler Pflichterfüllung als unzulässig angesehen werden. Eine arbeitsrechtliche Sanktion – etwa Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung – ist allerdings stets einzelfallabhängig und setzt eine genaue Dokumentation des jeweiligen Fehlverhaltens voraus.

Inwiefern ist Dienst nach Vorschrift als kollektive Maßnahme rechtlich problematisch?

Wird Dienst nach Vorschrift als bewusst abgestimmte Kollektivmaßnahme durchgeführt, kann dies rechtlich als sogenannter „wilder Streik“ oder unzulässige Arbeitsniederlegung bewertet werden. Das deutsche Arbeitskampfrecht gestattet Arbeitskampfmaßnahmen (Streik, Arbeitsniederlegung) grundsätzlich nur innerhalb bestimmter rechtlicher Rahmenbedingungen, etwa nach Scheitern der Tarifverhandlungen und durch die zuständigen Gewerkschaften organisiert. Ein Dienst nach Vorschrift, der von einer Belegschaft koordiniert und mit dem Ziel der Arbeitskampfmaßnahme durchgeführt wird, fällt nicht unter den Schutz legitimer Arbeitskampfmaßnahmen, sondern kann arbeitsrechtliche Sanktionen wie Abmahnungen oder Schadensersatzforderungen nach sich ziehen. Einzelne Arbeitnehmer riskieren Disziplinarmaßnahmen, wenn eine solche Aktion nachweislich abgesprochen und nicht individuell motiviert war.

Wie verhält sich Dienst nach Vorschrift zu bestehenden Zielvereinbarungen?

Insbesondere im Zusammenhang mit Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht ist Dienst nach Vorschrift problematisch. Zielvereinbarungen sind individualvertragliche Abmachungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die in der Regel ein bestimmtes, über das Minimum hinausgehendes Ergebnis oder Verhalten abfordern. Wer trotz bestehender Zielvereinbarungen nur noch die Minimalleistung erbringt, erfüllt möglicherweise seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht vollständig. Dies kann Auswirkungen auf variable Gehaltsbestandteile, Boni oder Prämien haben und im Extremfall auch arbeitsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen, sofern ein Ziel deutlich verfehlt wird. Es besteht jedoch keine Verpflichtung, sich dauerhaft überobligatorisch einzubringen; allerdings kann das systematische Unterbieten von Zielvereinbarungen durch Dienst nach Vorschrift ein Anhaltspunkt für Leistungsvereigerung sein und zu einer Abmahnung führen.

Ist der Dienst nach Vorschrift im Beamtenrecht zulässig?

Im Beamtenrecht gelten, vor allem nach den Maßstäben des Bundesbeamtengesetzes und der Beamtengesetze der Länder, erhöhte Anforderungen hinsichtlich der Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf (§ 61 BBG) und der Erfüllung der anvertrauten Aufgaben. Dienst nach Vorschrift ist im Beamtenverhältnis daher weitaus problematischer als im Arbeitsverhältnis der Privatwirtschaft. Hier kann bereits die Arbeitsweise nach streng eingegrenzten Vorschriften – sofern ein höherer Einsatz erforderlich ist – als Dienstpflichtverletzung geahndet werden. Beamte sind rechtlich verpflichtet, im Rahmen des „Bestmöglichen“, d.h. mit Engagement und Eigeninitiative, ihrem Amt nachzugehen. Bei systematischem Dienst nach Vorschrift kann daher ein Disziplinarverfahren folgen, das im schlimmsten Fall zu Gehaltskürzungen oder Entlassung führen kann.

Können betroffene Kollegen oder Vorgesetzte konkret gegen Dienst nach Vorschrift vorgehen?

Während Kollegen keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen direkt einleiten können, steht Vorgesetzten und Arbeitgebern die Möglichkeit offen, bei Dienst nach Vorschrift zu intervenieren. Grundlage dafür bietet das Direktionsrecht (§ 106 GewO), wonach Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung bestimmen dürfen. Zeigt sich ein Arbeitnehmer insbesondere durch systematisches Dienst nach Vorschrift unkooperativ, können Führungskräfte dies dokumentieren und mit dem Beschäftigten im Rahmen von Feedbackgesprächen thematisieren. Kommt es zu nachweisbaren Leistungseinbußen oder Störungen des Betriebsablaufs, können formelle Abmahnungen folgen. Bei wiederholtem Fehlverhalten nach Abmahnung ist auch eine Kündigung möglich, wobei stets eine umfassende Einzelfallprüfung erfolgen muss.