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Devolutiveffekt


Devolutiveffekt: Definition und rechtliche Grundlagen

Der Devolutiveffekt ist ein zentraler Begriff im Verfahrensrecht und bezeichnet die Verlagerung der Entscheidungsbefugnis von einer Instanz auf eine höhere Instanz infolge der Einlegung eines Rechtsmittels. Der Effekt spielt insbesondere im Zivilprozessrecht, aber auch im Verwaltungsverfahrensrecht und Strafprozessrecht eine bedeutende Rolle. Im Kontext rechtlicher Verfahren beschreibt der Devolutiveffekt die Konsequenz, dass mit der zulässigen Einlegung eines Rechtsmittels das Gericht der nächsten Instanz die Zuständigkeit für die Sachentscheidung erhält.


Bedeutung und Anwendungsbereiche des Devolutiveffekts

Zivilprozessrecht

Im deutschen Zivilprozessrecht tritt der Devolutiveffekt vor allem im Rahmen der ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmittel (Berufung, Revision) auf. Die Einlegung der Berufung etwa führt dazu, dass das nächsthöhere Gericht (Berufungsgericht) anstelle des erstinstanzlichen Gerichts über den Streitgegenstand entscheidet. Die erstinstanzliche Entscheidung wird dadurch nicht vollstreckbar, solange das Berufungsverfahren andauert, es sei denn, die Entscheidung ist für vorläufig vollstreckbar erklärt worden.

Beispiel:
Legt eine Partei gegen ein Urteil des Amtsgerichts (erste Instanz) Berufung ein, zieht dieser Schritt die Urteilsprüfung durch das Landgericht (zweite Instanz) nach sich. Mit dem Eingang der Berufung beim Berufungsgericht erhält dieses die Entscheidungsgewalt über den Rechtsstreit.

Verwaltungsverfahrensrecht

Auch im Verwaltungsverfahren entfaltet der Devolutiveffekt erhebliche Relevanz. Legt beispielsweise ein Beteiligter Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt ein, wird das Berufungsverfahren in vielen Fällen von der nächsthöheren Behörde bearbeitet. Damit geht die Entscheidungszuständigkeit kraft Gesetzes auf diese Instanz über.

Beispiel:
Ist gegen einen Bescheid einer unteren Verwaltungsbehörde Widerspruch zulässig, wird das Verfahren an die nächsthöhere Widerspruchsbehörde weitergeleitet. Diese prüft den Bescheid und entscheidet abschließend über den Widerspruch.

Strafprozessrecht

Im strafprozessualen Verfahren wirkt der Devolutiveffekt ebenso mit. Rechtsmittel wie Berufung oder Revision bewirken, dass das Verfahren mitsamt der Entscheidungsbefugnis an das hierfür zuständige Gericht der höheren Instanz übergeht. Die vorherige Instanz verliert die Befugnis, Sachentscheidungen in der betreffenden Sache zu treffen.


Abgrenzung zum Suspensiveffekt

Der Devolutiveffekt ist klar vom Suspensiveffekt abzugrenzen. Während der Devolutiveffekt die Verlagerung der Entscheidungszuständigkeit beschreibt, bedeutet der Suspensiveffekt, dass die Wirkung des angefochtenen Urteils oder Bescheids bis zur Entscheidung durch die höhere Instanz ausgesetzt wird.

Nicht jedes Rechtsmittel hat automatisch beide Effekte. Insbesondere im Eilrechtsschutz oder bei besonders geregelten Instanzzügen kann der Devolutiveffekt auch ohne Suspensiveffekt eintreten, sodass das ursprüngliche Urteil trotz Devolutiveffekt vorläufig vollstreckbar bleibt.


Rechtsquelle und Kodifikation des Devolutiveffekts

Die gesetzliche Grundlage des Devolutiveffekts findet sich in verschiedenen Prozessordnungen:

  • Zivilprozessordnung (ZPO): (§§ 511 ff. ZPO zur Berufung)
  • Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO): (Rechtsmittelregelungen zu Berufung und Revision)
  • Strafprozessordnung (StPO): (Rechtsmittelvorschriften § 312 StPO ff.)

In diesen Regelungen wird jeweils normiert, dass im Falle eines statthaften und zulässigen Rechtsmittels die Entscheidungszuständigkeit auf ein höheres Gericht übergeht.


Rechtsmittel und Devolutiveffekt

Unterschieden werden können Rechtsmittel mit und ohne Devolutiveffekt:

Rechtsmittel mit Devolutiveffekt

  • Berufung: Übertragung der gesamten Rechtssache an die nächste Instanz, erneute vollständige Entscheidung möglich.
  • Revision: Übertragung der rechtlichen Überprüfung des Urteils.

Rechtsbehelfe ohne Devolutiveffekt

Einige Rechtsbehelfe entfalten keinen Devolutiveffekt, sondern werden in der gleichen Instanz geprüft:

  • Einspruch: Wird beispielsweise gegen einen Strafbefehl eingelegt und bleibt beim Ausgangsgericht.
  • Erinnerung: Sie verbleibt in der Regel bei der Stelle, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat.

Praktische Auswirkungen des Devolutiveffekts

Die praktische Bedeutung des Devolutiveffekts liegt in der Kontrolle der Ausgangsentscheidung durch eine übergeordnete Instanz. Es wird eine umfassende Überprüfung gewährleistet, daneben werden etwaige Verfahrensfehler, neue Tatsachen oder geänderte Rechtsauffassungen berücksichtigt. Der Devolutiveffekt dient somit der Rechtsfortbildung, Förderung materieller Gerechtigkeit und zur Fehlervermeidung.

Mit dem Eintritt des Devolutiveffekts verlieren sowohl die untere Behörde als auch das erstinstanzliche Gericht die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der angefochtenen Entscheidung.


Grenzen und Ausnahmen des Devolutiveffekts

Der Devolutiveffekt tritt nur dann ein, wenn das Rechtsmittel statthaft und fristgerecht eingelegt wurde. Bei unzulässigen oder verspäteten Rechtsmitteln entfaltet dieser Effekt keine Wirkung. Darüber hinaus gibt es im Gesetz abschließend geregelte Fälle, in denen kein Devolutiveffekt vorgesehen ist, wie beim Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) oder bei der Gegenvorstellung.


Literatur und weiterführende Quellen

Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Devolutiveffekt wird auf die gängigen Kommentare und Lehrbücher zum Zivilprozessrecht sowie die einschlägigen Gesetze verwiesen:

  • Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung (Kommentar)
  • Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Kommentar)
  • Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung (Kommentar)

Zusammenfassung

Der Devolutiveffekt stellt im deutschen Verfahrensrecht einen maßgeblichen Mechanismus zur Überprüfung und Korrektur gerichtlicher oder behördlicher Entscheidungen dar. Durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf eine höhere Instanz trägt der Devolutiveffekt erheblich zur Qualitätssicherung und Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei. Seine genaue Kenntnis ist im Bereich Rechtspflege und Rechtsdurchsetzung unverzichtbar.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat der Devolutiveffekt im rechtlichen Instanzenzug?

Der Devolutiveffekt beschreibt die grundlegende Rechtsfolge einer statthaften und form- sowie fristgerecht eingelegten Rechtsmittelentscheidung: Mit Einlegung des Rechtsmittels geht die Entscheidungsbefugnis vollständig oder teilweise auf das nächsthöhere Gericht (Instanz) über. Im Instanzenzug bedeutet dies, dass das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, seine Entscheidungszuständigkeit grundsätzlich verliert. Die Überprüfung und ggf. Neuentscheidung des Falles obliegt dann dem Rechtsmittelgericht. Die Erstreckung des Devolutiveffekts bewirkt so, dass Verfahrenshandlungen, Bewertungen und etwaige Fehler in dem zur Überprüfung anstehenden Urteil vom Rechtsmittelgericht eigenständig geprüft werden können. Jedoch betrifft dieser Effekt lediglich die Rechtsmittel und nicht etwa die Rechtsbehelfe, die keine Entscheidungskompetenz auf ein anderes Gericht übertragen (z.B. die Gegenvorstellung). Der Devolutiveffekt dient somit dem Zweck, die Rechtssache einer weiteren richterlichen Kontrolle in der Hierarchie der Gerichte zu unterstellen, was insbesondere in Fällen von Fehlern oder Streitigkeiten essentiell für den Schutz der Prozessbeteiligten ist.

In welchen Gerichtsverfahren kommt der Devolutiveffekt typischerweise zur Anwendung?

Der Devolutiveffekt tritt primär in Verfahren auf, die eine mehrstufige Gerichtsstruktur vorsehen. Dazu gehören insbesondere das Zivilprozessrecht, das Verwaltungsprozessrecht, das Sozialprozessrecht sowie das Strafprozessrecht. Im deutschen Zivilprozess beispielsweise wird durch die Berufung (gegen Urteile des Amtsgerichts zum Landgericht) oder Revision (gegen Berufungsurteile zum Oberlandesgericht bzw. Bundesgerichtshof) der Devolutiveffekt ausgelöst. Ebenso kennt das Verwaltungsprozessrecht im Berufungs- und Revisionsverfahren diesen Effekt. In sozialgerichtlichen Verfahren geht auf ähnliche Weise die Entscheidungsbefugnis im Falle von Rechtsmittelerhebung auf das nächsthöhere Gericht über. Auch im Strafprozess wird mit der Einlegung eines zulässigen und begründeten Rechtsmittels (z.B. Berufung oder Revision) die Rechtssache „devolviert“. Bemerkenswert ist, dass nicht alle Rechtsmittel einen vollständigen Devolutiveffekt entfalten – dieser kann durch gesetzliche Regelungen, wie etwa Beschränkungen im Umfang der Berufung oder die Bindung an bestimmte Prüfungspunkte (z.B. im Revisionsverfahren), modifiziert werden.

Führt jeder Rechtsbehelf automatisch zum Devolutiveffekt?

Nicht jeder Rechtsbehelf zieht den Devolutiveffekt nach sich. Grundsätzlich ist zwischen Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen zu unterscheiden. Der Devolutiveffekt ist ein spezifisches Merkmal von Rechtsmitteln, zu denen insbesondere die Berufung, Revision und die Beschwerde gehören, sofern sie die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf eine höhere Instanz vorsehen. Dagegen verbleiben bei Rechtsbehelfen wie der Gegenvorstellung oder dem Wiederaufgreifen des Verfahrens die Entscheidungsbefugnisse beim ursprünglich entscheidenden Gericht; sie sind nicht devolutiv, sondern sind auf Korrektur durch dasselbe Gericht angelegt (sog. „remonstrative Rechtsbehelfe“). Deshalb muss bei Prüfung der Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe stets analysiert werden, ob ein Devolutiveffekt gesetzlich vorgesehen ist und ob sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt wurden.

Welche Rechtsfolgen hat der Devolutiveffekt für das erstinstanzliche Gericht?

Der Devolutiveffekt führt dazu, dass das erstinstanzliche Gericht nach Einlegung eines zulässigen Rechtsmittels grundsätzlich seine Entscheidungszuständigkeit hinsichtlich des mit dem Rechtsmittel angefochtenen Teils verliert und daher keine inhaltliche Entscheidung mehr in der Sache treffen kann. Allerdings bleibt dem Erstgericht häufig weiterhin die Zuständigkeit für bestimmte prozessleitende Maßnahmen oder zur Vorbereitung des Rechtsmittelverfahrens, beispielsweise für die Erstellung einer Rechtsmittelbegründungsschrift oder die Übersendung der Akten. Zudem kann das Gericht in spezifischen gesetzlichen Ausnahmefällen, wie beispielsweise einer Abhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren (§ 572 Abs. 1 ZPO), selbst tätig werden. Die Hauptwirkung bleibt jedoch die Überführung der Sache zur umfassenden oder eingeschränkten Überprüfung an das Rechtsmittelgericht.

Kann der Devolutiveffekt durch das Verhalten der Parteien eingeschränkt werden?

Ja, der Devolutiveffekt kann hinsichtlich seines Umfangs durch das prozessuale Verhalten der Parteien beeinflusst werden. Beispielsweise kann der Anfechtungsgegenstand, also der Umfang des Rechtsmittels, auf bestimmte Streitpunkte, Anspruchsteile oder Entscheidungen (sogenannte „Teilanfechtung“) beschränkt werden. In der Folge besteht der Devolutiveffekt – also die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf das Rechtsmittelgericht – nur in Bezug auf die vom Rechtsmittel erfassten Streitfragen. Andere, nicht angefochtene Sachverhalte/Urteilsteile bleiben beim erstinstanzlichen Urteil und sind von dem Devolutiveffekt nicht betroffen. Zudem kann ein Rechtsmittel auch wieder zurückgenommen werden, was zur Folge hat, dass der Devolutiveffekt von Anfang an als nicht eingetreten gilt und die Ausgangsentscheidung endgültig wird.

Welche Bedeutung hat der Devolutiveffekt für die Überprüfung von Tatsachen und Rechtsfragen im Berufungsverfahren?

Im Berufungsverfahren bewirkt der Devolutiveffekt, dass das gesamte Verfahren oder der angefochtene Teil dem Rechtsmittelgericht zur erneuten Überprüfung vorgelegt wird. Das Berufungsgericht ist – soweit keine Beschränkungen gemäß den jeweiligen Verfahrensordnungen bestehen – grundsätzlich befugt, sowohl Tatsachenfeststellungen als auch Rechtsfragen eigenständig zu prüfen. Dies wird auch als „volle zweite Instanz“ bezeichnet. Das Rechtsmittelgericht nimmt also nicht bloß eine Kontrollfunktion ein, sondern kann tatsächlich neue Beweiserhebungen veranlassen und Sachurteile treffen. In anderen Instanzen, wie dem Revisionsverfahren, ist die Überprüfungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts von Gesetzes wegen auf bestimmte Rechtsfehler beschränkt; dies schränkt auch den praktischen Umfang des Devolutiveffekts entsprechend ein.

Welche Auswirkungen hat der Devolutiveffekt auf die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung?

Mit Eintritt des Devolutiveffekts wird die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung für den vom Rechtsmittel erfassten Teil gehemmt. Das bedeutet, dass das Urteil oder die Entscheidung nicht endgültig verbindlich wird, solange das Rechtsmittelverfahren andauert. Erst mit Abschluss des Rechtsmittelverfahrens, entweder durch eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts oder durch anderweitige Erledigung, tritt Rechtskraft bezüglich der endgültigen Entscheidung ein. Im nicht von der Anfechtung erfassten Umfang erlangt das Ausgangsurteil bereits Rechtskraft. Der Devolutiveffekt ist daher ein wesentlicher Mechanismus zur Wahrung der Rechtssicherheit und des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, indem er das Verfahren dem Zugriff einer zweiten richterlichen Instanz eröffnet und die Bindungswirkung der Ausgangsentscheidung temporär suspendiert.