Begriff und rechtliche Einordnung des Delistings
Definition des Delistings
Das Delisting (auch Börsenrückzug genannt) bezeichnet den formellen Vorgang der Beendigung der Börsennotierung von Wertpapieren eines Unternehmens an einem oder mehreren organisierten Kapitalmärkten. Mit dem Delisting endet die Möglichkeit, die betreffenden Aktien oder Anleihen reguliert über die Börse zu handeln. Dieser Vorgang kann unterschiedliche Formen annehmen und ist in vielerlei Hinsicht rechtlich geregelt, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Anleger und die Transparenz des Kapitalmarktes.
Rechtsquellen und gesetzliche Grundlage
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Delisting in Deutschland ergeben sich hauptsächlich aus dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), dem Börsengesetz (BörsG), sowie aus Börsenordnungen der jeweiligen Handelsplätze. Weiterhin bestehen einschlägige Regelungen in der Marktmissbrauchsverordnung und im Aktiengesetz (AktG), insbesondere im Hinblick auf etwaige Pflichtangebote an die Aktionäre. Die Konkretisierung der Voraussetzungen und des Verfahrens kann an verschiedenen Börsenplätzen unterschiedlich ausgestaltet sein.
Formen des Delistings
Reguläres Delisting
Das reguläre Delisting verfolgt das Ziel, die Börsennotierung sämtlicher Aktien des Unternehmens vollständig aufzugeben. Damit unterliegt das Unternehmen im Anschluss nicht mehr den umfangreichen Publizitätspflichten und den Vorschriften des Kapitalmarktrechts, die für börsennotierte Gesellschaften gelten.
Downgrading (Segmentwechsel)
Unter einem Downgrading versteht man den Wechsel eines Unternehmens aus einem regulatorisch strenger beaufsichtigten Börsensegment (z.B. Prime Standard) in ein weniger reguliertes Marktsegment (z.B. General Standard oder Freiverkehr). Ein Downgrading stellt rechtlich betrachtet eine Sonderform des Delistings dar, da wesentliche Pflichten für Publizität oder Corporate Governance entfallen.
Squeeze-out und Delisting
Im Zusammenhang mit einem Squeeze-out, also dem Ausschluss von Minderheitsaktionären durch einen Hauptaktionär, erfolgt häufig ein anschließender oder paralleler Börsenrückzug. In diesem Fall greifen besondere Regelungen, die den Minderheitenschutz gewährleisten sollen (vgl. §§ 327a ff. AktG).
Rechtliche Voraussetzungen und Verfahren
Antragstellung und Zustimmung
Das Delisting bedarf regelmäßig eines Antrags des Emittenten (der Gesellschaft) bei der jeweiligen Börse. Insbesondere in Deutschland ist dieser Schritt mit strengen formellen Anforderungen verbunden. Nach der wegweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes („Frosta-Urteil“ und „Telekom Austria-Entscheidung“) sowie der Gesetzesreform 2015 besteht die Verpflichtung zur Durchführung eines öffentlichen Erwerbsangebots an die freien Aktionäre gemäß § 39 WpÜG, wenn die Zulassung der Aktien zum regulierten Markt widerrufen werden soll.
Rechte der Aktionäre
Die Gesellschaft ist verpflichtet, bei einem vollständigen Delisting ein öffentliches Übernahmeangebot zu einem angemessenen Preis zu unterbreiten. Dies dient dem Schutz der freien Aktionäre, deren Aktien nach dem Börsenrückzug in ihrer Handelbarkeit stark eingeschränkt sind. Der Angebotspreis muss gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG und der WpÜG-Angebotsverordnung mindestens dem gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs der letzten sechs Monate entsprechen.
Beschlussfassung und Mitwirkungspflichten
Je nach Ausgestaltung der Satzung kann für das Delisting ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich sein (§ 119 Abs. 1 AktG). Häufig wird dieser Beschluss mit qualifizierter Mehrheit gefordert, um die Rechte der Anteilseigner zu wahren. Die weiteren Verfahrensschritte sind durch die jeweiligen Börsenordnungen geregelt und umfassen insbesondere die offizielle Bekanntmachung des Antrages und die Fristsetzung für den Widerruf.
Widerruf der Zulassung und nachfolgende Rechtswirkungen
Zeitpunkt und Ablauf des Widerrufs
Nach erfolgreichem Abschluss des öffentlichen Erwerbsangebots und Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen widerruft die jeweilige Börse die Zulassung der betreffenden Aktien zum Handel. Das genaue Wirksamwerden kann sich nach den jeweiligen Börsenregeln richten und umfasst Übergangsfristen, um den Aktionären ausreichende Entscheidungsmöglichkeiten einzuräumen.
Auswirkungen auf Publizität und Mitteilungspflichten
Mit dem Delisting entfällt die Pflicht zur Veröffentlichung von Jahres- und Halbjahresfinanzberichten nach HGB oder IFRS, die Ad-hoc-Publizitätspflicht sowie weitere kapitalmarktrechtliche Transparenzvorschriften. Das Unternehmen ist im Anschluss weniger oder gar nicht mehr an Kapitalmarktvorschriften gebunden, was häufig Kosteneinsparungen, jedoch auch geringere Markttransparenz für die Anteilseigner mit sich bringt.
Auswirkungen auf die Handelbarkeit
Nach dem Delisting ist ein geregelter Börsenhandel nicht mehr möglich. Wertpapiere können lediglich außerhalb der Börse (im sogenannten Freiverkehr bzw. außerbörslich) gehandelt werden; die Liquidität und Preisbildung sind dadurch erheblich erschwert, was zu einem Wertverlust führen kann.
Gründe und Motive für ein Delisting
Wirtschaftliche Erwägungen
Das Delisting wird oftmals aus wirtschaftlichen Gründen initiiert. Dazu zählen die Reduzierung laufender Kosten für die Börsennotierung, die Vereinfachung der Unternehmensorganisation oder strategische Anpassungen nach Übernahmen oder Squeeze-outs.
Gesellschaftsrechtliche Motive
Zudem kann es gesellschaftsrechtlich angebracht sein, etwa infolge eines Squeeze-outs oder bei restrukturierten Unternehmensgruppen, die Notierung zu beenden, insbesondere um die Gesellschaft von den regulatorischen Pflichten des Kapitalmarkts zu entlasten.
Delisting im internationalen Kontext
Europa und Vereinigte Staaten
Auch international ist der Vorgang des Delistings rechtlich reguliert. In der Europäischen Union gelten Vorgaben der Marktmissbrauchsverordnung sowie nationale Ausführungsgesetze. Die United States Securities and Exchange Commission (SEC) regelt das Delisting an US-Börsenplätzen durch spezielle Verfahrens- und Informationspflichten (sog. Form 25, Rule 12d2-2 under the Securities Exchange Act).
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Während die grundsätzlichen Anforderungen an Anlegertransparenz und Minderheitenschutz vergleichbar sind, variieren die konkreten Verfahren und die Rechte der Anteilseigner mitunter erheblich zwischen den verschiedenen Jurisdiktionen.
Besonderheiten und Rechtsschutzmöglichkeiten
Rechtsschutz gegen das Delisting
Aktionäre, die sich durch ein Delisting in ihren Rechten beeinträchtigt sehen, haben verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten. Dies umfasst Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse (§ 245 ff. AktG) sowie Schadensersatzforderungen, falls die gesetzlichen Schutzmechanismen nicht eingehalten wurden. Zudem besteht die Möglichkeit, die Angemessenheit des Abfindungsangebots gerichtlich überprüfen zu lassen.
Haftungsfragen
Kommt das Unternehmen seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Delisting nicht nach, können zivilrechtliche Schadensersatzansprüche der betroffenen Anleger entstehen. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass Ordnungswidrigkeiten oder aufsichtsrechtliche Maßnahmen verhängt werden.
Zusammenfassung
Das Delisting bildet einen komplexen rechtlichen Vorgang, der die Beendigung der Börsennotierung von Wertpapieren umfasst und erheblichen rechtlichen Vorgaben unterliegt. Die gesetzlichen Anforderungen dienen primär dem Schutz der Anleger, der Sicherstellung der Transparenz sowie der Wahrung des integrativen Charakters der Kapitalmärkte. Die jeweilige Ausgestaltung eines Delisting-Verfahrens hängt maßgeblich von nationalen und internationalen Rechtsvorschriften, der Art des Börsensegments und den gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten des Emittenten ab. Eine sorgfältige Beachtung der gesetzlichen Rechte und Pflichten ist für alle Beteiligten von zentraler Bedeutung, um Rechtssicherheit und Investitionsschutz zu gewährleisten.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Schritte müssen bei einem Delisting in Deutschland eingehalten werden?
Bei einem Delisting, also dem Rückzug einer Aktiengesellschaft von der Börse, sind in Deutschland umfangreiche gesetzliche Regelungen zu beachten. Grundlegend regeln das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sowie das Börsengesetz (BörsG) das Verfahren. Ein wesentliches Kernelement ist das sog. Regulierungsdelisting, bei dem Aktien vom regulierten Markt genommen werden. Hierzu bedarf es eines entsprechenden Antrags des Emittenten bei der zuständigen Börse. Die Gesellschaft muss die Entscheidung zum Delisting in der Regel durch einen Beschluss des Vorstands und – abhängig von der Satzung – des Aufsichtsrats herbeiführen. Nach § 39 BörsG ist zudem das öffentliche Angebot zur Übernahme bzw. zum Erwerb der betroffenen Aktien an die außenstehenden Aktionäre zu richten (Abfindungsangebot). Das Delisting muss öffentlich bekannt gegeben werden und eine angemessene Frist zur Stellungnahme und Annahme des Angebots gewährt werden. Die Einzelheiten sind durch gerichtliche Rechtsprechung, insbesondere durch das „Frosta-Urteil“ des Bundesgerichtshofs, präzisiert worden, wonach der Schutz der Minderheitsaktionäre und ihre Möglichkeit zur Abgabe ihrer Anteile zu wahren ist. Darüber hinaus sind Publizitäts- und Informationspflichten zu beachten, um Transparenz für alle Marktteilnehmer zu gewährleisten.
Welche Arten des Delistings gibt es aus rechtlicher Sicht?
Rechtlich werden verschiedene Formen des Delistings unterschieden: das reguläre Delisting (Regulierungsdelisting), das segment- oder börsenplatzbezogene Delisting (Segmentwechsel oder Börsenplatzwechsel), sowie das sog. Downlisting (Herabstufung in einen weniger regulierten Marktbereich). Beim regulären Delisting werden die Aktien vollständig vom Handel an allen Börsenplätzen genommen, während beim segmentbezogenen Delisting meist nur ein Börsensegment (wie der Prime Standard) oder ein Handelsplatz betroffen ist. Wichtig ist, dass das reguläre Delisting mit umfassenden Aktionärsschutzmaßnahmen und einem Pflichtangebot verbunden ist, während bei segment- oder börsenplatzbezogenen Änderungen oft geringere Anforderungen gelten. Ein Delisting kann sowohl freiwillig durch das Unternehmen als auch zwangsweise durch Sanktionen der Börse (etwa bei Verstoß gegen Pflichten) erfolgen.
Welche Rechte haben Minderheitsaktionäre im Delisting-Prozess?
Minderheitsaktionäre genießen im Delisting-Prozess vielfachen rechtlichen Schutz. Zentral ist hierbei das Erfordernis eines Pflichtangebots: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und aktuellen gesetzlichen Vorgaben (§ 39 BörsG) muss das Unternehmen den außenstehenden Aktionären ein Abfindungsangebot unterbreiten, das sich am durchschnittlichen Börsenkurs der letzten sechs Monate vor der Ankündigung orientiert. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Aktionäre ihre Anteile zu einem angemessenen Preis verkaufen können. Zudem stehen ihnen weitgehende Informationsrechte zu, beispielsweise bezüglich der Hintergründe des Delistings, der Preisberechnung und der Auswirkungen auf ihre Vermögensinteressen. Aktionäre haben darüber hinaus das Recht, das Angebot rechtlich überprüfen zu lassen und ggf. im Rahmen von Spruchverfahren die Angemessenheit der Abfindung überprüfen zu lassen.
Welche Veröffentlichungspflichten bestehen im Zusammenhang mit einem Delisting?
Im Rahmen eines Delistings sind umfassende Veröffentlichungspflichten zu beachten. Das Unternehmen muss die Absicht zum Delisting gemäß § 39 BörsG ad hoc, also unverzüglich, veröffentlichen. Darüber hinaus ist auch der Beschluss des Vorstands beziehungsweise gegebenenfalls des Aufsichtsrats zu veröffentlichen. Weitere Pflichtveröffentlichungen betreffen das notwendige Übernahmeangebot, dessen Bedingungen und die Möglichkeit zur Stellungnahme durch die Aktionäre sowie die Entscheidung der Börse über den Antrag. Diese Veröffentlichungen müssen nicht nur im Bundesanzeiger, sondern auch auf der Unternehmenswebsite und ggf. in weiteren Medien erfolgen, um größtmögliche Transparenz für Aktionäre und potenzielle Investoren zu gewährleisten. All diese Pflichten dienen insbesondere dem Schutz der Anleger und der Integrität des Kapitalmarkts.
Welche gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten gibt es für Aktionäre im Falle eines Delistings?
Aktionäre haben verschiedene Möglichkeiten, den Delisting-Prozess gerichtlicher Kontrolle zu unterziehen. Insbesondere können sie im Rahmen eines Spruchverfahrens die Angemessenheit des ihnen unterbreiteten Abfindungsangebots überprüfen lassen (§§ 327b ff. AktG in analoger Anwendung). Das Landgericht, an dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, prüft dann, ob der Angebotspreis den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Beschlüsse zum Delisting zivilrechtlich anzugreifen, etwa durch Anfechtungsklagen bei Mängeln im Beschlussprozess (z. B. Fehler bei der Einladung zur Hauptversammlung, unzureichende Information der Aktionäre oder Verletzung von Minderheitsrechten). Ferner ist in Einzelfällen die Überprüfung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen der Börsenaufsicht durch das Verwaltungsgericht zulässig.
Welche Haftungsrisiken bestehen für die Organe einer Gesellschaft beim Delisting-Verfahren?
Vorstand und Aufsichtsrat tragen eine erhebliche Verantwortung im Zusammenhang mit einem Delisting und können bei Pflichtverletzungen grundsätzlich haftbar gemacht werden. Zu den haftungsbegründenden Pflichtverletzungen zählen u.a. die Missachtung der gesetzlichen Verfahrensvorgaben (z. B. fehlendes Pflichtangebot, unzureichende Information der Aktionäre, Verstöße gegen Veröffentlichungspflichten). Wird der Aktionärsschutz verletzt und entsteht den Anteilseignern dadurch ein finanzieller Schaden, können Schadensersatzansprüche gegen die Organe der Gesellschaft begründet sein. Auch eine strafrechtliche Verfolgung ist möglich, etwa bei vorsätzlicher Falschinformation oder Täuschung. Daher empfiehlt sich für Organe die strikte Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben und ggf. die Hinzuziehung externer rechtlicher Beratung.
Wie gestaltet sich die Rolle der Börsenaufsicht beim Delisting?
Die Börsenaufsicht spielt eine zentrale Rolle beim Delisting von Unternehmen. Sie überwacht die Einhaltung der gesetzlichen und börsenrechtlichen Vorgaben sowohl seitens des Emittenten als auch der Börsen. Im Rahmen des Antrags prüft die Börse, ob alle formellen und materiellen Voraussetzungen gegeben sind, insbesondere hinsichtlich Informationspflichten und des Pflichtangebots. Die Aufsicht kann Anträge ablehnen oder mit Auflagen versehen, etwa wenn Bedenken hinsichtlich des Anlegerschutzes bestehen. Darüber hinaus steht sie Aktionären für Auskünfte und Beschwerden zur Verfügung und ist auch für Sanktionen gegen regelwidriges Verhalten zuständig. Ihre Entscheidungsbefugnisse sind in den jeweiligen Börsenordnungen und dem Börsengesetz detailliert normiert.