Begriff und Bedeutung der Dekartellierung
Dekartellierung bezeichnet im Recht die staatlich veranlasste oder gerichtlich angeordnete Auflösung kartellähnlicher Strukturen, insbesondere von Unternehmen oder Unternehmenszusammenschlüssen, die zu einer unerwünschten marktbeherrschenden Stellung geführt haben. Ziel der Dekartellierung ist es, den Wettbewerb zu fördern, Marktzutrittsschranken abzubauen und Konzentrationsprozesse innerhalb einer Branche rückgängig zu machen. Das Vorgehen der Dekartellierung kann sich sowohl gegen horizontale als auch vertikale Zusammenschlüsse richten und betrifft insbesondere Fälle, in denen Zusammenschlüsse zu einer erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs führen können.
Rechtliche Grundlagen der Dekartellierung
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Die rechtliche Basis für die Dekartellierung bildet im Wesentlichen das nationale und europäische Kartellrecht. In Deutschland sind die maßgeblichen Vorschriften im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthalten. Auf europäischer Ebene regelt insbesondere die Fusionskontrollverordnung (VO (EG) Nr. 139/2004) den Umgang mit wettbewerbsbeschränkenden Zusammenschlüssen und deren Folgen.
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Nach § 1 GWB sind Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Wettbewerbsbeschränkung zum Ziel oder zur Folge haben, grundsätzlich verboten. Das Gesetz eröffnet den Kartellbehörden im Rahmen des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt die Möglichkeit, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu ahnden. Ein besonders einschneidendes Instrumentarium stellt dabei die sogenannte Entflechtung (§ 39a GWB) dar: Hier können strukturelle Maßnahmen zur wettbewerblichen Neuordnung – also Dekartellierung – angeordnet werden, wenn milderen Mitteln keine Abhilfe geschaffen werden kann.
Europäisches Kartellrecht
Das europäische Kartellrecht, insbesondere die Artikel 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), untersagt Absprachen sowie den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung unionsweit. In Ausnahmefällen kann die Europäische Kommission auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 der Fusionskontrollverordnung die Rückabwicklung rechtswidriger Zusammenschlüsse anordnen oder sonstige zur Wiederherstellung des Wettbewerbs erforderliche Maßnahmen ergreifen.
Formen und Instrumente der Dekartellierung
Aufspaltung von Unternehmen
Eine zentrale Form der Dekartellierung ist die Aufspaltung marktbeherrschender Unternehmen in selbständige Einheiten. Dies betrifft insbesondere horizontale Zusammenschlüsse (Unternehmen der gleichen Produktionsstufe), die zu Monopol- oder Oligopolstrukturen geführt haben. Die Aufspaltung soll die bisher infrastrukturell, wirtschaftlich oder organisatorisch verbundenen Teilbereiche entflechten und reale Wettbewerbsverhältnisse herstellen.
Veräußerung von Unternehmensteilen
Im Rahmen der Dekartellierung kann die Veräußerung von Unternehmensteilen, Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten an nicht verbundene Dritte angeordnet werden. Hierdurch soll verhindert werden, dass ehemals verbundene Unternehmen weiterhin abgestimmte Marktstrategien verfolgen.
Verpflichtungszusagen und Verhaltensmaßregeln
Statt einer vollständigen Aufspaltung kommt auch die Möglichkeit der Abgabe von Verpflichtungszusagen durch die betroffenen Unternehmen in Betracht. Solche Zusagen werden besonders bei Verfahren nach der Fusionskontrolle akzeptiert, wenn sie dazu geeignet sind, die aus dem Zusammenschluss resultierende Wettbewerbsbeeinträchtigung zu beseitigen.
Verfahren und Durchsetzung der Dekartellierung
Ermittlungs- und Feststellungsverfahren
Die Durchführung einer Dekartellierung setzt in der Regel ein behördliches Ermittlungsverfahren voraus. In Deutschland obliegt das Verfahren dem Bundeskartellamt. Nach Feststellung einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung leitet die Behörde ein Entflechtungsverfahren ein, in dessen Verlauf die betroffenen Unternehmen sowie Wettbewerber und Verbraucherverbände angehört werden.
Anordnung und Vollstreckung
Die Dekartellierung wird durch einen entsprechenden behördlichen Verwaltungsakt angeordnet. Die Anordnung ist regelmäßig darauf gerichtet, konkrete Umstrukturierungen innerhalb des betroffenen Unternehmens vorzunehmen. Werden die Anordnungen nicht freiwillig umgesetzt, kann die Behörde die Aufspaltung oder Veräußerung durch einen Zwangsvollstreckungsakt durchsetzen.
Nachkontrolle und Überwachung
Im Anschluss an eine Dekartellierung erfolgt regelmäßig eine nachträgliche Kontrolle der Wirksamkeit der Maßnahmen durch die zuständige Wettbewerbsbehörde, um einen Fortbestand wettbewerbswidriger Strukturen zu verhindern und die Umsetzung sicherzustellen.
Dekartellierung in ausgewählten Rechtsordnungen
Deutschland
In Deutschland wurde die rechtliche Grundlage zur unmittelbaren Dekartellierung erst durch eine Gesetzesänderung im Zuge der sechsten GWB-Novelle geschaffen. Hierdurch erhielt das Bundeskartellamt die Möglichkeit, Unternehmen auch nach bereits vollzogenen Zusammenschlüssen aufzulösen, sofern sich deren wettbewerbswidrige Auswirkungen erst nachträglich zeigen.
Europäische Union
Auf europäischer Ebene ist die Europäische Kommission befugt, bei Verletzungen des Wettbewerbsrechts Maßnahmen bis hin zur Rückgängigmachung von Zusammenschlüssen anzuordnen („unwinding“). Maßgebliches Instrument ist hierbei die Wettbewerbsaufsicht nach der Fusionskontrollverordnung.
Vereinigte Staaten
Das US-amerikanische Kartellrecht kennt seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Dekartellierung als Mittel zur Durchsetzung des Sherman Antitrust Act. Bedeutende Präzedenzfälle wie die Zerschlagung von Standard Oil Co. (1911) belegen die praktische Anwendung dieser Sanktionsform auf dem US-Markt.
Voraussetzungen und Grenzen der Dekartellierung
Voraussetzungen
Maßgebliche Voraussetzung für eine Dekartellierung ist das Vorliegen einer erheblichen Wettbewerbsbeschränkung, insbesondere das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung und ein Mangel an milderen Mitteln zur Wiederherstellung des Wettbewerbs. Die Maßnahme muss verhältnismäßig sein und an die konkrete Marktsituation angepasst werden.
Grenzen und Schutzrechte
Die Dekartellierung darf nicht gegen grundlegende verfassungsrechtliche Garantien wie etwa Eigentumsschutz oder Berufsfreiheit verstoßen. Darüber hinaus unterliegen Eingriffe in bestehende Unternehmensstrukturen einer strengen gerichtlichen Kontrolle. In der Praxis spielen auch unionsrechtliche und völkerrechtliche Vorgaben, etwa im Bereich des Investitionsschutzes, eine bedeutende Rolle.
Bedeutung der Dekartellierung für die Wirtschaft
Förderung des Wettbewerbs
Dekartellierung trägt unmittelbar zur Förderung des Wettbewerbs bei, indem marktbeherrschende Strukturen aufgebrochen und Marktchancen für kleinere oder neue Wettbewerber eröffnet werden. In Netzindustrien oder bei Versorgungsunternehmen nimmt die Dekartellierung eine besondere Rolle zur Sicherung des Wettbewerbs ein.
Verbraucherschutz und Innovation
Durch Wiederherstellung fairer Marktverhältnisse profitieren Verbraucherinnen und Verbraucher von einer größeren Angebotsvielfalt und besseren Preisen. Zudem fördert Dekartellierung die Innovationsdynamik, da der Wettbewerbsdruck einen Anreiz zur Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen bietet.
Literatur und weiterführende Quellen
- Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
- Fusionskontrollverordnung (VO (EG) Nr. 139/2004)
- Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere Artt. 101, 102
- Europäische Kommission – Wettbewerbspolitik
- Bundeskartellamt – Aufgaben und Verfahren
- Sherman Antitrust Act (USA)
Fazit:
Dekartellierung stellt ein zentrales Instrument der Wettbewerbssicherung dar, das weitreichende Auswirkungen auf die Marktstruktur, Unternehmensorganisation und Verbraucherrechte mit sich bringt. Die rechtlichen Grundlagen und praktischen Anwendungen der Dekartellierung sind in Deutschland, auf europäischer und internationaler Ebene normativ ausgestaltet und unterliegen strengen materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Dekartellierung vorliegen?
Für eine Dekartellierung müssen zunächst kartellrechtliche Verstöße nachgewiesen werden, beispielsweise eine Marktbeherrschung oder die Bildung wettbewerbswidriger Kartelle, wie sie insbesondere in den §§ 1 ff. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt sind. Die Dekartellierung kann als Mittel zur Wiederherstellung wirksamen Wettbewerbs in Betracht gezogen werden, wenn mildere Maßnahmen wie Bußgelder, Verpflichtungszusagen oder die Untersagung bestimmter Geschäftspraktiken nicht ausreichen. Nach § 32 Abs. 2 GWB kann die zuständige Wettbewerbsbehörde im Falle einer kartellrechtswidrigen Unternehmenszusammenschlusses oder missbräuchlicher Verhaltensweisen eine Entflechtung oder Aufspaltung einzelner Unternehmensbereiche anordnen. Voraussetzung ist stets eine umfassende Beweisaufnahme und eine Interessenabwägung hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen und Markt. Eine Dekartellierung kann sowohl ex-anteregulatorisch als auch ex-post-gerichtlich erfolgen, wobei letzteres häufig die juristische Durchsetzung über Verwaltungs- oder Zivilgerichte umfasst. Die Einhaltung unionsrechtlicher Vorgaben, insbesondere der Art. 101 und 102 AEUV, ist zusätzlich zu berücksichtigen.
Welche Rechtsgrundlagen gelten für Dekartellierungsmaßnahmen in Deutschland und auf EU-Ebene?
Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen fußen im deutschen Recht auf dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere den §§ 32 ff., die die Eingriffsbefugnisse der Wettbewerbsbehörden detaillieren. Für Fälle von Dekartellierung, speziell die Auflösung oder die Einschränkung der wirtschaftlichen Einheit, ist § 32 Abs. 2 GWB zentral. Auf europäischer Ebene bilden Art. 101 und 102 AEUV die Kernvorschriften gegen Kartellabsprachen und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Die Durchsetzung erfolgt durch nationale Wettbewerbsbehörden und die Europäische Kommission, jeweils gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1/2003, welche die Verfahrensweise für die Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln regelt. Für die Anordnung von Dekartellierungsmaßnahmen ist eine entsprechend gerichtsfeste Feststellung des Verstoßes verbunden mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unerlässlich.
Wie läuft ein rechtliches Dekartellierungsverfahren ab?
Ein Dekartellierungsverfahren beginnt mit einer umfassenden Untersuchung durch die zuständige Wettbewerbsbehörde, meist ausgelöst durch Hinweise von Marktteilnehmern, Wettbewerbern oder durch die eigens vorgenommene Marktbeobachtung. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens werden relevante Unterlagen sichergestellt, Zeugen befragt und ggf. Hausdurchsuchungen durchgeführt. Nach Abschluss der Sachverhaltsermittlung und Feststellung eines Kartellverstoßes oder Marktmachtmissbrauchs wird dem betroffenen Unternehmen eine Verfügung zugestellt, die den geplanten Eingriff – bis hin zur Dekartellierung – rechtlich begründet und regelmäßig mit einer Umsetzungsfrist versieht. Die betroffenen Unternehmen haben das Recht, im Rahmen einer Anhörung Stellung zu nehmen. Gegen behördliche Auflösungsanweisungen kann Widerspruch eingelegt und ggf. der Rechtsweg zu den Verwaltungs- bzw. Kartellgerichten beschritten werden. Der Rechtsschutz hat aufschiebende Wirkung, soweit nicht eine sofortige Vollziehung wegen besonderer Eilbedürftigkeit angeordnet wurde.
Welche Schutzmechanismen bestehen für Unternehmen im Dekartellierungsverfahren?
Unternehmen sind im Rahmen des Dekartellierungsverfahrens durch verschiedene rechtsstaatliche Garantien geschützt. Sie haben insbesondere ein umfassendes rechtliches Gehör, das Recht auf Akteneinsicht sowie auf anwaltliche Vertretung. Zudem können betroffene Unternehmen gegen jede Verfügung oder Maßnahme der Wettbewerbsbehörde Widerspruch einlegen und vor den zuständigen Gerichten Anfechtungsklage erheben. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, dass Eingriffe, wie eine Dekartellierung, stets das mildeste geeignete Mittel zur Herstellung des Wettbewerbs sein müssen. Die Behörden müssen im engeren Umfang nach Alternativen prüfen und eine detaillierte Interessenabwägung vornehmen. Zudem können betroffene Unternehmen für etwaige Vermögensnachteile oder Schäden, die durch rechtswidrige Dekartellierungsmaßnahmen entstehen, nach Maßgabe der Staatshaftung Ersatz geltend machen.
Können Dekartellierungsmaßnahmen auch präventiv angeordnet werden oder nur nach Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes?
Dekartellierungsmaßnahmen sind in der Regel repressive, also nach einer bereits eingetretenen Wettbewerbsbeeinträchtigung einsetzende Rechtsinstrumente. Nach der Systematik des GWB und auch des europäischen Wettbewerbsrechts können solche strukturellen Eingriffe nur bei nachgewiesenem Kartellverstoß oder Missbrauchsverhalten eingesetzt werden. Eine Präventivmaßnahme ist nicht statthaft, wenn nicht konkrete sowie substantiierte Anhaltspunkte für einen bestehenden oder unmittelbar drohenden Wettbewerbsverstoß vorliegen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Verhältnismäßigkeit und dem in Art. 12 GG verankerten Grundsatz der Berufsfreiheit und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, der vor unverhältnismäßigen Eingriffen schützt.
Gibt es besondere Regelungen oder Ausnahmen für bestimmte Sektoren oder Unternehmensgrößen?
Sowohl das GWB als auch das europäische Wettbewerbsrecht sehen in bestimmten Fällen sektorspezifische Besonderheiten oder Schwellenwerte vor. In besonders regulierten Sektoren wie Energie, Telekommunikation oder Verkehr kann eine Dekartellierung durch spezielle Vorschriften flankiert oder eingeschränkt werden, wenn etwa gesonderte Zuständigkeiten von Fachbehörden bestehen oder besondere Gemeinwohlbelange zu berücksichtigen sind. Zudem gelten für kleine und mittlere Unternehmen oft Bagatellgrenzen, unterhalb derer das Kartellrecht, insbesondere § 2 GWB und Art. 101 Abs. 3 AEUV, gewisse Freistellungen vorsieht. Auch bei der Bemessung verhängter Maßnahmen muss auf die wirtschaftliche Durchhaltefähigkeit der Unternehmen abgestellt werden, sodass Eingriffe wie die Dekartellierung bei kleinen Unternehmen nur in Ausnahmefällen und unter strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung angeordnet werden dürfen.
Wie lange dauert die rechtliche Durchsetzung einer Dekartellierung in der Praxis typischerweise?
Die Dauer eines Dekartellierungsverfahrens hängt von zahlreichen Faktoren ab, darunter der Komplexität des Marktes, dem Umfang des festgestellten Kartellverstoßes und dem Grad der Kooperation der betroffenen Unternehmen. In der Regel kann das Ermittlungs- und Entscheidungsverfahren bei Wettbewerbsbehörden mehrere Monate bis hin zu einigen Jahren in Anspruch nehmen, da detaillierte Marktanalysen, Anhörungen und ggf. gerichtliche Überprüfungen notwendig sind. Wird gegen die Maßnahmen gerichtlich vorgegangen, kann sich die Durchsetzung weiter verzögern, da Beschwerde- und Berufungsverfahren auf Landes- und Bundesebene durchlaufen werden können. Die praktische Umsetzung der Dekartellierung – etwa die Abspaltung von Unternehmensteilen – erfordert zudem häufig eine gesonderte Phase der organisatorischen und gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung, die zusätzliche Zeit beansprucht.