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DDR-Straftaten


Begriff und Rechtsnatur der DDR-Straftaten

Der Begriff DDR-Straftaten bezeichnet Straftaten, die während der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 im Geltungsbereich der DDR verübt wurden und unter deren spezifischem Strafrecht standen. Die rechtliche Aufarbeitung dieser Taten gewann nach der Wiedervereinigung Deutschlands erhebliche Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit des DDR-Rechts mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und die nachträgliche strafrechtliche Verfolgung bestimmter Verhaltensweisen.

Historische Entwicklung und Rechtssystem der DDR

Strafrechtliche Grundlagen in der DDR

Das Strafrecht der DDR war maßgeblich durch sozialistische Prinzipien geprägt und unterschied sich in wesentlichen Teilen vom westdeutschen Recht. Die wichtigsten Rechtsquellen waren das Strafgesetzbuch der DDR (StGB-DDR) von 1968, das Strafprozessrecht sowie zahlreiche Nebengesetze und Rechtsverordnungen. Staatsschutzdelikte, Grenzverletzungen, politische oder ideologische „Vergehen“ und wirtschaftsrechtliche Delikte nahmen hierbei eine besondere Stellung ein.

Typische Straftatbestände

Zu den häufig verfolgten DDR-Straftaten zählten:

  • Versuche der Republikflucht (§ 213 StGB-DDR)
  • Staatsverleumdung (§ 220 StGB-DDR)
  • Ungesetzlicher Grenzübertritt (§ 213 StGB-DDR)
  • Staatsfeindliche Hetze (§ 106 StGB-DDR)
  • Schädigung der Volkswirtschaft (§ 249 StGB-DDR)
  • Spionage und „Feindkontakt“

Diese Straftaten wurden mit zum Teil erheblichen Freiheitsstrafen und anderen Sanktionen verfolgt. Die strafrechtliche Repression zielte oftmals darauf ab, Regimekritiker und Oppositionelle einzuschüchtern oder auszuschalten.

Rechtsaufarbeitung nach der Wiedervereinigung

Verfassungs- und Völkerrechtskonforme Überprüfung

Nach der deutschen Wiedervereinigung beschäftigten sich Gerichte und Gesetzgeber umfassend mit der Frage, inwieweit in der DDR begangene Handlungen auch nach bundesdeutschem Recht strafbar oder von der Strafverfolgung ausgenommen sind. Maßgeblich war hierbei Artikel 315 EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch) sowie die Bestimmungen des Einigungsvertrages.

Es erfolgte eine differenzierte Nachprüfung insbesondere im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) und das Prinzip des „Nulla poena sine lege“ (Keine Strafe ohne Gesetz). Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof entwickelten dazu grundlegende Maßstäbe, um einerseits die strafrechtliche Verantwortlichkeit für gravierende Menschenrechtsverletzungen (z. B. Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze) zu gewährleisten und andererseits nachträgliche Strafbarkeitsausweitung zu vermeiden.

Wesentliche Grundsätze der Rechtsaufarbeitung

  • Taten, die nach DDR-Recht strafbar waren, jedoch elementaren rechtsstaatlichen Prinzipien widersprachen oder Menschenrechte verletzten, wurden häufig nachträglich revidiert.
  • Straftaten, die sowohl nach DDR-Recht als auch nach westdeutschem Strafrecht strafbar und mit rechtsstaatlichen Mindeststandards vereinbar waren, konnten auch nach der Wiedervereinigung verfolgt werden.
  • Taten, die politisch motivierte Justizunrechtstatbestände darstellten, wie die Bestrafung von Ausreiseversuchen, wurden in der Regel als Unrecht angesehen und die entsprechenden Urteile vielfach aufgehoben.

Strafrechtliche Verfolgung und politische sowie individuelle Verantwortung

Strafverfahren gegen Funktionsträger und Grenzsoldaten

Im Mittelpunkt zahlreicher Strafverfahren nach 1990 standen Angehörige des SED-Staates, insbesondere Politiker, Funktionsträger, Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und Grenztruppen. Hauptsächlicher Anklagepunkt bildeten die sogenannten Mauerschützen-Prozesse, in denen die Anwendung tödlicher Gewalt an der innerdeutschen Grenze und Befehlsgeber bis hin zur Staatsspitze strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden.

Rechtliche Würdigung und internationale Beurteilung

Die strafrechtliche Bewertung von DDR-Straftaten berührte auch Fragen des Völkerrechts, insbesondere hinsichtlich der Strafbarkeit von Menschenrechtsverletzungen, der Individual- und Kollektivschuld sowie der Beachtung von Amnestiebestimmungen.

Rehabilitierung und Wiedergutmachung für Opfer

Gesetzliche Regelungen zur Rehabilitierung

Der Gesetzgeber schuf spezifische Grundlagen zur Aufhebung von DDR-Justizunrecht und zur Entschädigung von Opfern. Wichtige Regelungen wurden im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), im Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) sowie im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) geschaffen. Betroffene konnten auf Antrag die Aufhebung von Urteilen, die Rückzahlung von Zwangsabgaben oder eine Entschädigung für Freiheitsentzug erreichen.

Ansprüche auf Wiedergutmachung

Neben strafrechtlichen Rehabilitierungen wurden Haftentschädigungen, Berufsschädenausgleich und weitere finanzielle, soziale sowie berufliche Hilfen für Betroffene eingeführt. Zahlreiche Institutionen und Stiftungen wirken an der Aufarbeitung und Unterstützung mit.

Bedeutung im heutigen Rechtssystem und aktuelle Rechtslage

DDR-Straftaten und ihre Aufarbeitung sind bis heute ein bedeutendes Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte und Aufarbeitung politischer Unrechtsregime. Die Rechtsprechung und Gesetzgebung hierzu setzt Standards im Umgang mit nachträglicher Gerechtigkeit, Aufarbeitung von Staatssanktionen und der Rehabilitierung Unrecht Betroffener. Die intensive Auseinandersetzung mit dieser Materie trägt zum Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten im wiedervereinigten Deutschland maßgeblich bei.


Literaturhinweise und weiterführende Quellen

  • Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB)
  • Strafgesetzbuch der DDR
  • Bundesverfassungsgericht, Grundsatzurteile zu DDR-Unrecht
  • Bundesministerium der Justiz: Informationen zur strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung

Siehe auch:

  • Mauerschützen-Prozesse
  • SED-Unrecht
  • Opferhilfegesetze und Gedenkstätten zur DDR-Vergangenheit

Häufig gestellte Fragen

Wie wurden Straftaten in der DDR rechtlich verfolgt?

In der DDR orientierte sich die Strafverfolgung an den Vorschriften des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik (StGB-DDR) und an weiteren spezifischen Regelwerken. Die Ermittlungsverfahren wurden in der Regel durch die Deutsche Volkspolizei, die Staatssicherheit (MfS) oder die Staatsanwaltschaft eingeleitet. Es galten andere rechtliche Standards als in der Bundesrepublik Deutschland: Das Verfahren war stark von politischen Motiven beeinflusst, wobei Angelegenheiten, die als „staatsfeindlich“ eingestuft wurden, unter besonderer Geheimhaltung und häufig ohne rechtsstaatliche Schutzmechanismen behandelt wurden. Der Zugang zum Verteidiger war mitunter massiv eingeschränkt, und es gab keine unabhängige Justiz im heutigen Sinne. Die Rechtsprechung wurde direkt oder indirekt durch Partei- und Sicherheitsorgane gelenkt. Dies führte dazu, dass viele Urteile aus heutiger Sicht als Unrechtsurteile bewertet werden.

Welche typischen Delikte galten in der DDR als Straftaten mit politischem Bezug?

Politisch motivierte Straftaten nahmen in der DDR eine Sonderstellung ein. Dazu gehörten Delikte wie „Staatsfeindliche Hetze“ (§ 106 StGB-DDR), „Ungesetzlicher Grenzübertritt“ (§ 213 StGB-DDR), „Zusammenrottung“, „Republikflucht“ (also der Versuch, das Land zu verlassen), „Verbreitung von Verleumdungen gegen den Staat“ sowie Spionage und Sabotage. Diese Delikte wurden mit besonders harten Strafen verfolgt. Viele dieser Straftatbestände dienten primär der Aufrechterhaltung der politischen Kontrolle und der Bekämpfung von Dissidenz und Demokratisierungsbestrebungen.

Kam es bei DDR-Straftaten zu öffentlichen Gerichtsverfahren?

Öffentliche Gerichtsverfahren waren bei politisch relevanten Straftaten in der DDR die Ausnahme. In vielen Fällen fanden sogenannte „nichtöffentliche“ oder „geheime“ Prozesse statt, insbesondere, wenn eine Gefahr der öffentlichen Unruhe vermutet wurde oder das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) involviert war. Die Urteile wurden teilweise erst nach Abschluss des Verfahrens veröffentlicht oder ganz geheim gehalten. Bei weniger bedeutenden, nicht-politischen Straftaten hingegen fanden reguläre Gerichtsverhandlungen statt, wobei auch hier der Einfluss der SED-Partei auf die Urteile oft spürbar war.

Wie wurden Urteile über DDR-Straftaten nach der Wiedervereinigung bewertet?

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands erfolgte eine differenzierte juristische Aufarbeitung der DDR-Strafjustiz. Viele Urteile, insbesondere solche mit klar erkennbaren politischen Motiven oder solche, die unter Missachtung von Mindeststandards eines fairen Verfahrens ergangen waren, wurden später für unwirksam oder nichtig erklärt. Es konnten Rehabilitierungsanträge eingereicht werden, um die Aufhebung solcher Urteile zu erreichen. In Ausnahmefällen – besonders bei schweren Menschenrechtsverletzungen durch DDR-Funktionäre – kam es zu strafrechtlichen Nachverfahren in der Bundesrepublik Deutschland. Maßgeblich war dabei die Anwendung des Prinzips „Gerechtigkeit vor Rechtssicherheit“, um den Opfern von DDR-Unrecht eine Wiedergutmachung zu ermöglichen.

Welche besonderen Verjährungsfristen galten für Straftaten aus der DDR?

Für bestimmte Straftaten, die in der DDR begangen wurden, gab und gibt es spezielle Regeln zur Verjährung. Besonders schwerwiegende Verbrechen – etwa Tötungsdelikte an der innerdeutschen Grenze – unterliegen in der Regel keiner Verjährung. Für viele andere Delikte werden Fristen ab der deutschen Wiedervereinigung berechnet, sofern diese Taten im Wendejahr noch nicht verjährt waren oder neue Ermittlungen nach der Wiedervereinigung möglich wurden. Das dient dazu, die nachträgliche Verfolgung und Aufarbeitung von geschehenem Unrecht rechtlich zu ermöglichen.

Welche Bedeutung hatte das Ministerium für Staatssicherheit bei der Strafverfolgung in der DDR?

Das Ministerium für Staatssicherheit, kurz MfS oder auch Stasi, war zentraler Akteur bei der Überwachung, Aufdeckung und Verfolgung politischer Straftaten in der DDR. Es sammelte Beweise, führte eigene Ermittlungen durch und wirkte teils direkt auf die Anklageerhebung und die Urteilsfindung hin. Die Staatssicherheit arbeitete eng mit den Gerichten und der Staatsanwaltschaft zusammen, wobei vielfach die Inhalte der Ermittlungsakten und Zeugenaussagen von MfS-Mitarbeitern maßgeblich für die Verurteilung waren. Dies führte zu einer Justizpraxis, in der Geheimdienstinteressen und politische Vorgaben über rechtsstaatliche Verfahren gestellt wurden.

Gibt es Entschädigungsansprüche für Opfer von DDR-Strafverfolgung?

Ja. Im Rahmen der sogenannten strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetze (StrRehaG) bestehen für Betroffene von politisch motivierter Strafverfolgung in der DDR Ansprüche auf Aufhebung der Urteile, Schadenersatz und Entschädigungsleistungen. Die betroffenen Personen können unter bestimmten Voraussetzungen, wie zum Beispiel nachgewiesener Haft oder sonstigen Freiheitseinschränkungen, finanzielle Wiedergutmachung beantragen. Grundlage hierfür ist die Anerkennung des Unrechts der damaligen Strafverfolgung durch die Bundesrepublik Deutschland und die Übernahme sozialstaatlicher Verantwortung gegenüber den Opfern der SED-Diktatur.