Begriff und Grundidee der Dauerstraftat
Eine Dauerstraftat ist eine Form der strafbaren Handlung, bei der ein rechtswidriger Zustand nicht nur herbeigeführt, sondern über eine gewisse Zeit aufrechterhalten wird. Nicht der einmalige Moment der Tat steht im Vordergrund, sondern die fortdauernde Aufrechterhaltung des Unrechts. Dadurch bildet sich eine einheitliche Tat, die sich über einen Zeitraum erstreckt.
Wesenskern
Der charakteristische Kern der Dauerstraftat liegt darin, dass die andauernde Unterbindung, Beeinträchtigung oder Verletzung eines geschützten Rechtsguts tatbestandlich mitumfasst ist. Die Handlung ist nicht mit dem ersten Tatmoment abgeschlossen, sondern dauert an, solange der rechtswidrige Zustand besteht und vom Täter aufrechterhalten wird.
Abgrenzung zu anderen Deliktsformen
Dauerstraftat vs. Zustandsdelikt
Bei einem Zustandsdelikt tritt zwar ebenfalls ein Zustand ein, der fortbestehen kann; dieser Fortbestand gehört aber nicht zur eigentlichen Tatbestandsverwirklichung. Das Unrecht ist mit der Herbeiführung abgeschlossen. Bei der Dauerstraftat hingegen ist gerade die fortdauernde Aufrechterhaltung Teil der Tat.
Dauerstraftat vs. mehrere selbständige Taten
Eine Abfolge gleichartiger Handlungen über einen Zeitraum hinweg begründet nicht automatisch eine Dauerstraftat. Mehrere voneinander abgrenzbare Tathandlungen führen zu mehreren selbständigen Taten. Eine Dauerstraftat liegt vor, wenn ein einheitlicher rechtswidriger Zustand erzeugt und durchgehend aufrechterhalten wird.
Dauerstraftat und gleichzeitige Verwirklichung anderer Straftatbestände
Die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands kann mit anderen Straftatbeständen zusammentreffen. Rechtlich ist dann zu prüfen, ob eine einheitliche Tat mehrere Strafnormen erfüllt oder ob mehrere Taten nebeneinander stehen. Maßgeblich sind dabei Umfang, Richtung und zeitliche Überschneidung des Tatgeschehens.
Tatbestandliche Merkmale
Herstellung und Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustands
Die Dauerstraftat beginnt mit der erstmaligen Herbeiführung des tatbestandlich relevanten Zustands. Der Täter setzt anschließend Handlungen oder Unterlassungen fort, die diesen Zustand bestehen lassen. Beide Phasen – Herbeiführen und Fortdauernlassen – gehören zur einheitlichen Tat.
Vollendung und Beendigung
Die Tat gilt als vollendet, sobald der rechtswidrige Zustand erstmals hergestellt ist. Beendet ist sie erst, wenn dieser Zustand nicht mehr besteht, also wenn die Aufrechterhaltung endet. Für viele Rechtsfolgen ist die Unterscheidung zwischen Vollendung und Beendigung bedeutsam, weil die Tat rechtlich bis zur Beendigung andauert.
Typische Anwendungsfälle
Freiheitsberaubung
Das fortgesetzte Festhalten einer Person gegen ihren Willen ist ein klassisches Beispiel einer Dauerstraftat. Die Tat dauert an, solange die Person der Fortbewegungsfreiheit beraubt bleibt und dieser Zustand vom Täter aufrechterhalten wird.
Unerlaubter Besitz verbotener Gegenstände
Wer verbotene Gegenstände in seiner Verfügungsgewalt hält, hält damit regelmäßig einen rechtswidrigen Zustand aufrecht. Die Tat dauert an, solange der Besitz besteht und die tatsächliche Verfügungsmacht aufrechterhalten wird.
Hausfriedensbruch durch Verweilen
Wer unbefugt in einem geschützten Raum verweilt, kann durch das fortgesetzte Bleiben den rechtswidrigen Zustand aufrechterhalten. Die Tat endet, wenn der Bereich verlassen wird oder eine Berechtigung geschaffen wird.
Rechtsfolgen der Einordnung als Dauerstraftat
Beginn der Verjährung
Bei einer Dauerstraftat beginnt die Verjährungsfrist grundsätzlich erst mit der Beendigung, also mit dem Ende des rechtswidrigen Zustands. Der Zeitraum vor der Beendigung ist Teil derselben Tat.
Tatzeit, Tatort und Zuständigkeit
Die Tatzeit erstreckt sich über den gesamten Zeitraum der Aufrechterhaltung. Tatort ist jeder Ort, an dem der rechtswidrige Zustand besteht oder aufrechterhalten wird. Das hat Auswirkungen auf die örtliche Zuständigkeit der verfolgenden Behörden und Gerichte.
Konkurrenzen und Abgrenzung bei Mehrfachakten
Solange derselbe rechtswidrige Zustand ohne Unterbrechung fortdauert, wird rechtlich regelmäßig von einer einheitlichen Tat ausgegangen. Wird der Zustand beendet und später erneut hergestellt, können eigenständige Taten vorliegen. Zusätzlich verwirklichte Straftatbestände können neben der Dauerstraftat stehen, wenn sie nicht durch die Dauerstraftat aufgezehrt werden.
Beteiligung Dritter während der Dauer
Beiträge, die während der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands geleistet werden, können rechtlich als Beteiligung an der Tat bewertet werden. Wer sich nachträglich in die Aufrechterhaltung einschaltet, kann in Abhängigkeit von Beitrag und Tatherrschaft als Mitwirkender oder Gehilfe in Betracht kommen.
Gesetzesänderungen während der Dauer
Da die Tat über die Zeit fortdauert, kann es zu Gesetzesänderungen während des Tatzeitraums kommen. In solchen Konstellationen ist entscheidend, welches Recht insgesamt anzuwenden ist. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung, bei der das für die betroffene Person insgesamt mildere Recht ausschlaggebend sein kann.
Beweisfragen und praktische Bedeutung
Feststellung der Dauer und der Beendigung
Für die rechtliche Beurteilung ist wesentlich, ab wann der rechtswidrige Zustand bestand und zu welchem Zeitpunkt er endete. Entsprechende Feststellungen betreffen typische Anknüpfungspunkte wie Beginn der Verfügungsgewalt, Abbruch des Verweilens oder Freilassung von Personen.
Dokumentation von Unterbrechungen
Unterbrechungen können für die Einordnung in eine einheitliche oder mehrere Taten entscheidend sein. Bei einer tatsächlichen Beendigung mit späterem Neubeginn sprechen die Umstände für eigenständige Taten; bei nahtlosem Fortbestand für eine Dauerstraftat.
Häufig gestellte Fragen
Was unterscheidet eine Dauerstraftat von einer Reihe gleichartiger Taten?
Eine Dauerstraftat beruht auf einem einheitlichen, fortdauernden rechtswidrigen Zustand, der aufrechterhalten wird. Eine Reihe gleichartiger Taten besteht aus mehreren abgrenzbaren Handlungen, die jeweils für sich einen Tatbestand erfüllen, auch wenn sie zeitlich nah beieinander liegen.
Wann beginnt und wann endet eine Dauerstraftat?
Sie beginnt mit der erstmaligen Herstellung des rechtswidrigen Zustands und endet mit dessen Beseitigung. Vollendet ist die Tat bereits mit Eintritt des Zustands; beendet ist sie erst mit dessen Aufhebung.
Ab wann läuft die Verjährung bei einer Dauerstraftat?
Die Verjährungsfrist setzt regelmäßig erst mit der Beendigung der Tat ein, also mit dem Ende des aufrechterhaltenen rechtswidrigen Zustands.
Können sich Personen auch später an einer Dauerstraftat beteiligen?
Ja. Beiträge, die während der Aufrechterhaltung des Zustands geleistet werden, können als Beteiligung an der Tat bewertet werden. Je nach Art und Gewicht des Beitrags kommen unterschiedliche Formen der Verantwortlichkeit in Betracht.
Ist der Versuch einer Dauerstraftat möglich?
Ein Versuch kommt in Betracht, wenn Handlungen zur Herstellung des rechtswidrigen Zustands begonnen wurden, der Zustand aber noch nicht eingetreten ist. Ob ein Versuch strafbar ist, hängt vom jeweiligen Straftatbestand ab.
Wie wirken sich Unterbrechungen des Zustands aus?
Wird der rechtswidrige Zustand tatsächlich beendet und später neu hergestellt, sprechen die Umstände für mehrere selbständige Taten. Ein nahtloser Fortbestand spricht dagegen für eine einheitliche Dauerstraftat.
Welche Bedeutung hat eine Gesetzesänderung während der Dauer?
Ändert sich die Rechtslage während der fortdauernden Tat, ist im Ergebnis das Recht maßgeblich, das sich bei Gesamtbetrachtung als das mildere erweist. Dadurch wird der längere Tatzeitraum rechtlich einheitlich bewertet.