Begriff und Wesen der Dauerstraftat
Die Dauerstraftat ist ein Begriff aus dem Strafrecht und bezeichnet eine besondere Form der Straftat, bei der das tatbestandliche Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg aufrechterhalten wird. Im Gegensatz zu einfachen Einzelakten, wie etwa Diebstahl oder Betrug, besteht die Strafbarkeit bei einer Dauerstraftat nicht bereits mit der ersten Handlung, sondern erst durch das fortwährende Unterlassen oder wiederholtes aktives Verhalten, das den Straftatbestand erfüllt. Charakteristisch für Dauerstraftaten ist daher das Fortbestehen eines rechtswidrigen Zustands über eine gewisse Zeitdauer hinweg.
Abgrenzung zu anderen Tatbegehungsformen
Deliktsarten im Überblick
Im Strafrecht wird zwischen verschiedenen Tatbegehungsformen unterschieden:
- Einzelaktdelikt: Eine einmalige Handlung oder ein Unterlassen reicht für die Vollendung der Tat (z.B. Diebstahl § 242 StGB).
- Gesamthandlungsdelikt: Hierbei setzen mehrere Einzelakte sich zu einer Tat zusammen (z.B. fortgesetzter Betrug nach alter Rechtslage).
- Dauerdelikt (Dauerstraftat): Das tatbestandliche Verhalten besteht in einem andauernden rechtswidrigen Zustand, der bewusst vom Täter aufrechterhalten wird.
Dauerstraftat vs. Zustandsdelikt
Das Zustandsdelikt verwirklicht den Straftatbestand durch einmaliges Herbeiführen eines rechtswidrigen Zustands (z.B. Sachbeschädigung, § 303 StGB). Die Dauerstraftat erfordert dagegen die Aufrechterhaltung dieses Zustands (z.B. Freiheitsberaubung, § 239 StGB).
Rechtliche Merkmale der Dauerstraftat
Wesensmerkmale
Für die rechtliche Qualifizierung als Dauerstraftat sind insbesondere folgende Merkmale wesentlich:
- Fortdauerndes tatbestandsmäßiges Verhalten: Der Täter erfüllt den Tatbestand nicht durch einmaliges Tun oder Unterlassen, sondern hält dauerhaft einen strafbaren Zustand aufrecht.
- Dauerhafte Verletzung des geschützten Rechtsguts: Das Rechtsgut wird für die gesamte Dauer der Tat beeinträchtigt.
- Beendigung durch ein bestimmtes Verhalten: Die Strafbarkeit endet, sobald der Täter den rechtswidrigen Zustand aufgibt.
Typische Beispiele für Dauerstraftaten
- Freiheitsberaubung (§ 239 StGB): Das Einsperren einer Person stellt eine Dauerstraftat dar, solange der Freiheitsentzug andauert.
- Hausfriedensbruch (§ 123 StGB): Wer sich unbefugt in einem geschützten Raum aufhält, begeht solange eine Dauerstraftat, bis er den Raum wieder verlässt.
- Verstoß gegen Unterlassungsgebote: Wer z.B. trotz Fahrverbots weiterhin ein Kraftfahrzeug führt, verletzt fortwährend die rechtliche Pflicht zur Unterlassung.
Strafrechtliche Besonderheiten der Dauerstraftat
Tatbeendigung und Verjährung
Zeitpunkt der Tatbeendigung
Die Dauerstraftat gilt erst als beendet, wenn der Täter das tatbestandsmäßige Verhalten aufgibt und der rechtswidrige Zustand beendet ist. Diese „Tatbeendigung“ ist rechtlich entscheidend, da erst ab diesem Zeitpunkt die strafrechtliche Verjährung (§ 78a StGB) beginnt. Während des bestehenden Dauerzustands läuft die Verjährungsfrist nicht an.
Strafzumessung und Konkurrenzen
Solange die Dauerstraftat besteht, gilt sie strafrechtlich als einheitliche Tat. Erst mit der Aufgabe des rechtswidrigen Zustands beginnt eine neue Tathandlung, falls erneut eine Dauerstraftat verwirklicht wird. Für die Konkurrenzregelung (§ 52 StGB) bedeutet dies, dass mehrere Handlungen innerhalb des Zeitraums einer Dauerstraftat als eine einzige Straftat angesehen werden.
Versuch, Beihilfe und Mittäterschaft
- Versuch: Ein Versuch einer Dauerstraftat ist möglich, wenn der Täter bereits die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten hat, der strafbare Zustand jedoch noch nicht eingetreten ist.
- Beihilfe/Mittäterschaft: Wer an einer Dauerstraftat teilnimmt, haftet für seine Beteiligung während der gesamten Phase des rechtswidrigen Zustands. Tritt eine Person während des Tatzeitraums hinzu, wird sie als Mittäter oder Gehilfe ab diesem Moment strafrechtlich erfasst.
Dauerstraftat im Ordnungswidrigkeitenrecht
Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht gibt es Dauerordnungswidrigkeiten, etwa wenn ein gesetzeswidriger Zustand fortbesteht, wie bei baurechtswidriger Nutzung einer Immobilie. Die Verfolgungsverjährung beginnt hier in der Regel erst mit Beendigung des ordnungswidrigen Verhaltens.
Praxisrelevanz und Abgrenzungsfragen
Bedeutung in der Strafverfolgung
Insbesondere für die Strafverfolgung und Strafzumessung ist die Bestimmung als Dauerstraftat entscheidend. Beispielsweise beeinflusst sie, wie Tatserien abzugrenzen sind und ab wann die Verjährung einsetzt.
Grenzfälle und Streitfragen
In der Rechtsprechung treten regelmäßig Abgrenzungsprobleme zu den fortgesetzten Delikten (Ketten- oder Serienstraftaten) und zu zusammengesetzten Delikten auf. Maßgeblich ist dabei immer die Frage, ob ein (alt-)bewirkter Zustand fortdauert und vom Täter weiter kontrolliert wird.
Zusammenfassung
Die Dauerstraftat bildet im Strafrecht eine zentrale Kategorie eigenständiger Deliktsformen. Sie zeichnet sich durch das andauernde Aufrechterhalten eines rechtswidrigen Zustands aus und bringt erhebliche Besonderheiten für die strafrechtliche Bewertung, die Frage der Tatbeendigung und die Verjährung mit sich. Die genaue Abgrenzung zum Zustandsdelikt, zur fortgesetzten Tat und zur Serie ist im Einzelfall entscheidend für die sachgerechte Ahndung und prozessuale Behandlung. Die Kenntnis dieser Unterschiede ist für die korrekte Anwendung des Strafrechts von erheblicher Bedeutung.
Siehe auch:
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt eine Dauerstraftat im rechtlichen Sinne vor?
Eine Dauerstraftat liegt im rechtlichen Sinne immer dann vor, wenn der Täter einen gesetzlich umschriebenen rechtswidrigen Zustand willentlich und über eine gewisse Zeit aufrechterhält oder fortsetzt. Im Gegensatz zu einem Dauerdelikt, das einen Zustand beschreibt, für dessen strafrechtliche Ahndung allein die Existenz dieses Zustandes reicht, liegt bei der Dauerstraftat ein aktives, fortdauerndes pflichtwidriges Verhalten vor. Wesentlich ist, dass nicht mehrere Einzelakte vorliegen, sondern eine einheitliche Verletzungshandlung über einen längeren Zeitraum. Der Tathandlung kommt erst dann ein strafrechtlich relevanter Abschluss zu, wenn der Täter den rechtswidrigen Zustand beendet oder gezwungen wird, ihn zu beenden. Beispiele sind die fortwährende Unterschlagung einer Sache oder die fortgesetzte, pflichtwidrige Vernachlässigung eines Schutzbefohlenen.
Welche strafprozessualen Besonderheiten gelten bei der Dauerstraftat?
Bei der Dauerstraftat ergeben sich insbesondere im Ermittlungs- und Anklageverfahren Besonderheiten: So beginnt beispielsweise erst mit der Beendigung der Dauerstraftat die Verjährungsfrist (§ 78a StGB). Für die Anklage bedeutet dies, dass der Tatzeitraum genau eingegrenzt werden muss – es reicht nicht, vage Zeiträume zu nennen. Hinsichtlich der Zuständigkeit des Gerichts kann die Dauerstraftat an jedem Ort verfolgt werden, an dem der Zustand fortbestanden hat. Auch bei mehreren Beteiligten ist abzugrenzen, ob eine einheitliche Tat vorliegt oder ob mehrere selbständige Dauerstraftaten gegeben sind, was Auswirkungen auf die Strafzumessung und den Rechtsmittelzug haben kann.
Wie unterscheidet sich die Dauerstraftat von der fortgesetzten Tat und von Dauerdelikten?
Die Dauerstraftat ist begrifflich und dogmatisch von der sogenannten fortgesetzten Tat und dem Dauerdelikt zu trennen. Während bei der Dauerstraftat ein einmal hergestellter rechtswidriger Zustand willentlich aufrechterhalten wird, sind bei der fortgesetzten Tat – ein Begriff, der in der Rechtsprechung weitgehend überholt ist – mehrere rechtlich selbstständige, aber durch einen einheitlichen Willen verbundene Einzelakte zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasst. Demgegenüber liegt beim Dauerdelikt ein gesetzlich als solches ausgestalteter Zustand vor, der durch seine bloße Existenz bereits den Straftatbestand erfüllt, wie beispielsweise beim Delikt des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB, welches bereits durch das andauernde Verweilen im fremden Haus verwirklicht wird. Bei der Dauerstraftat hingegen beruht die Strafbarkeit auf fortwährendem aktiven Verhalten oder Unterlassen.
Welche Bedeutung hat die Dauerstraftat für die Strafverfolgung und Vollstreckungsverjährung?
Für die Strafverfolgung ist bedeutsam, dass die Verfolgungsverjährung erst mit der Beendigung der Dauerstraftat beginnt. Dies wirkt sich günstig für die Strafverfolgungsbehörden aus, weil auch Taten, die ihren Ursprung längere Zeit zurück aufweisen, noch verfolgt werden können, solange der rechtswidrige Zustand fortbesteht. Die Vollstreckungsverjährung hingegen ist davon unabhängig und beginnt erst mit Rechtskraft des Urteils. Praktisch relevant ist dies zum Beispiel bei Unterlassung der Kindesfürsorge über einen längeren Zeitraum, sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines dauerhaften Abhängigkeitsverhältnisses oder anhaltender Untreue im Amt.
Wie wirkt sich die Dauerstraftat auf die Strafzumessung aus?
Bei der Strafzumessung wird die Dauer der Tat regelmäßig strafschärfend berücksichtigt. Ein länger andauerndes pflichtwidriges Verhalten indiziert eine höhere kriminelle Energie und damit eine erhöht tätereigene Schuld. Allerdings sind auch mindernde Umstände denkbar, insbesondere wenn der Täter unter besonderen Zwängen oder Notlagen den Zustand aufrechterhalten hat. Die konkreten Einzelumstände, wie die Intensität des Unrechtsgehalts, die Auswirkungen auf das Opfer sowie das Nachtatverhalten, werden berücksichtigt. Insgesamt zeigen sich hinsichtlich der Strafzumessung bei Dauerstraftaten größere Beurteilungsspielräume für die Gerichte.
Welche prozessualen Anforderungen bestehen hinsichtlich der Tatbeschreibung bei einer Dauerstraftat?
Die Tatbeschreibung im Strafprozess (§ 200 Abs. 1 StPO) verlangt, dass Zeit, Ort und Umstände der Dauerstraftat so präzise wie möglich benannt werden. Da sich Dauerstraftaten häufig über längere Zeiträume erstrecken, müssen Beginn und Ende des rechtswidrigen Zustands zumindest annähernd bestimmt werden. Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, den Zeitraum des Delikts möglichst konkret darzulegen. Der Tatvorwurf muss für den Angeklagten eindeutig und nachvollziehbar sein, um seine Verteidigung nicht unzumutbar zu erschweren. Bei Unbestimmtheiten droht ein Verfahrenshindernis. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat hierzu hohe Anforderungen entwickelt, um den Anforderungen an ein faires Verfahren gerecht zu werden.
Ist eine Versuchsstrafbarkeit bei einer Dauerstraftat möglich?
Im Falle der Dauerstraftat ist eine Versuchsstrafbarkeit grundsätzlich möglich, sofern das zugrundeliegende Delikt als solches eine Versuchsstrafbarkeit vorsieht. Allerdings ist der Versuch bei Dauerstraftaten häufig dogmatisch schwierig zu konstruieren, da sich der Versuchsbeginn auf den Zeitpunkt der Einleitung des pflichtwidrigen Zustands bezieht. Versucht ein Täter, einen rechtswidrigen Zustand herbeizuführen, der jedoch aus außertatbestandlichen Gründen nicht in Gänze eintritt, spricht man von einem (untauglichen) Versuch der Dauerstraftat. Die Rechtsprechung unterscheidet genau zwischen fehlgeschlagenem und beendeten Versuch, wobei die Anforderungen an die Feststellung des Versuchs regelmäßig erhöht sind, da der Taterfolg nicht in einem einzelnen Akt, sondern im Fortdauern eines Zustands besteht.