COTIF – Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr
Einführung und Definition
Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (französisch: Convention relative aux transports internationaux ferroviaires, kurz COTIF) ist ein völkerrechtlicher Vertrag zur Harmonisierung und Rechtsvereinheitlichung des grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrs. Das COTIF regelt zentrale Aspekte des internationalen Transports von Personen und Gütern auf der Schiene und legt verbindliche Grundregeln für dessen Durchführung fest. Das Übereinkommen wurde 1980 in Bern unterzeichnet und bildet die zentrale Rechtsgrundlage für die Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen (OTIF).
Geltungsbereich und Anwendungsbereich
Sachlicher Geltungsbereich
Das COTIF gilt für alle Eisenbahngesellschaften, die sich im System des internationalen Eisenbahnverkehrs bewegen und ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der OTIF haben. Der sachliche Umfang erfasst insbesondere
- internationalen Personenverkehr (CIV-System),
- internationalen Güterverkehr (CIM-System),
- den Transport gefährlicher Güter (RID-System),
- internationale Eisenbahnfahrzeuge (CUV),
- Infrastruktur und technische Interoperabilität (APTU und ATMF).
Räumlicher Geltungsbereich
Das COTIF bindet alle derzeitigen Mitgliedstaaten der OTIF. Es gilt für alle Eisenbahnverkehre, bei denen Ausgangs- oder Zielort in einem Mitgliedstaat liegt. Das Übereinkommen kann auch auf Drittländer Anwendung finden, sofern entsprechende bilaterale oder multilaterale Abkommen bestehen.
Struktur und Systematik des COTIF
Vertragsaufbau
Das COTIF ist als Rahmenübereinkommen mit diversen angefügten Anhängen konzipiert. Die wichtigsten Anhänge umfassen:
- Anhang A – Einheitliches Recht für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen (CIV)
- Anhang B – Einheitliches Recht für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM)
- Anhang C – Ordnung für den internationalen Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID)
- Anhang D – Einheitliches Recht über die Verwendung von Eisenbahnfahrzeugen im internationalen Verkehr (CUV)
- Anhang E – Einheitliches Recht für Verträge über die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (CUI)
- Anhang F – Einheitliches Recht für technische Vorschriften über Eisenbahnmaterial (APTU)
- Anhang G – Einheitliches Recht für die technische Zulassung von Eisenbahnfahrzeugen (ATMF)
Organe und Überwachungsmechanismen
Das COTIF etabliert die Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen (OTIF) mit Sitz in Bern als zentrales Organ. Zu den wesentlichen Strukturen gehören:
- Generalsekretariat (Verwaltungsorgan),
- Generalversammlung (oberstes Beschlussorgan),
- Gemischte Ausschüsse und ständige Ausschüsse für die einzelnen Rechtseinheiten.
Die Überwachung und Durchsetzung der Vorschriften erfolgt über länderspezifische Überwachungsstellen und die OTIF-Gremien.
Rechtliche Regelungsbereiche des COTIF
Einheitliche Regeln für Personenbeförderung (CIV)
Der Anhang A (CIV) bietet einheitliche Bestimmungen für die grenzüberschreitende Beförderung von Personen samt Gepäck. Er regelt insbesondere:
- Abschluss und Inhalt des Beförderungsvertrags,
- Rechte und Pflichten der Beförderer und Reisenden,
- Haftung bei Personen- und Sachschäden,
- Schadensersatzansprüche und Haftungsausschlüsse.
Einheitliche Regeln für Güterbeförderung (CIM)
Anhang B (CIM) umfasst die Regelung des internationalen Gütertransports. Darin sind Fragen des Frachtbriefs, der Haftung wegen Verlust, Beschädigung oder Verspätung, sowie Sonderregelungen etwa für Tiere, lebende Tiere und verderbliche Güter geregelt.
Gefahrguttransport (RID)
Anhang C (RID) regelt die Anforderungen für den internationalen Transport gefährlicher Güter auf der Schiene, einschließlich Klassifizierung, Kennzeichnung, Verpackung, Begleitdokumentation und technischer Standards von Behältnissen und Fahrzeugen.
Nutzung und Zulassung von Fahrzeugen und Infrastruktur (CUV / CUI / APTU / ATMF)
Die Anhänge D, E, F und G enthalten Vorschriften zur Verwendung von Eisenbahnfahrzeugen, Infrastrukturverträgen sowie zur technischen Zulassung und Überwachung von Fahrzeugen und Material. Diese Vorschriften sichern eine hohe Interoperabilität und Gefahrensicherheit im internationalen Schienenverkehr.
Beziehungen des COTIF zu anderen Rechtsquellen
Das COTIF steht in engem Zusammenhang mit anderen internationalen Verkehrsübereinkommen, etwa den CMR für Straßentransporte oder dem Warschauer Abkommen für den Luftverkehr. Vorrangregelungen und Kollisionsnormen sind zugunsten des COTIF gestaltet, sofern Sachverhalte eindeutig dem eisenbahnspezifischen internationalen Verkehrssystem unterliegen.
Rechtsdurchsetzung und Streitbeilegung
Das Übereinkommen sieht Schiedsverfahren vor, falls es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien kommt. Das Verfahren orientiert sich an völkerrechtlichen Regeln sowie an Schiedsgerichtsvereinbarungen, die im OTIF-Rahmen entwickelt wurden.
Weiterentwicklung und Reformen
Seit seiner Inkraftsetzung 1985 wurde das COTIF mehrfach überarbeitet, um mit den Entwicklungen des Eisenbahnsektors und technischen Neuerungen Schritt zu halten. Bedeutende Reformen betreffen vor allem die technische Harmonisierung, die Anpassung an Sicherheitsnormen der EU und die Erweiterung des Geltungsbereichs auf weitere Rechtskreise (z. B. Nordafrika und Mittlerer Osten).
Fazit
Das COTIF bildet die umfassende völkerrechtliche Grundlage zur Vereinheitlichung des internationalen Eisenbahnverkehrsrechts. Seine komplexe Systematik, die Vielzahl an Anhängen und die Festlegung detaillierter Regelungen gewährleisten Rechtssicherheit und fördern die reibungslose Abwicklung von grenzüberschreitenden Schienenverkehren. Durch die Einbindung zahlreicher Staaten und die fortwährende Weiterentwicklung der Vertragswerke bleibt COTIF das wesentliche Instrument zur Steuerung der internationalen Bahntransporte.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Verpflichtungen ergeben sich für Vertragsstaaten aus dem COTIF?
Vertragsstaaten des COTIF (Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr) sind verpflichtet, die von der Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen (OTIF) erlassenen Standards, Normen und Vorschriften in nationales Recht zu überführen und deren Umsetzung im Hoheitsgebiet sicherzustellen. Dazu gehören insbesondere die Annahme und Anwendung der Anhänge wie CIM (Über den internationalen Eisenbahnfrachtverkehr), CIV (über den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr) sowie die Durchführung technischer Interoperabilitätsanforderungen. Darüber hinaus haben sie Berichterstattungs- und Mitwirkungspflichten gegenüber der OTIF, etwa durch Meldung nationaler Umsetzungsmaßnahmen, Benennung von zuständigen Behörden und aktive Mitwirkung an der Weiterentwicklung der Regelwerke im Rahmen der Generalversammlung und der Ausschüsse. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen kann sowohl innerstaatliche als auch völkerrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Wie ist das Verhältnis zwischen COTIF und nationalem Recht geregelt?
COTIF ist für die Vertragsstaaten völkerrechtlich bindend. Die Vertragsstaaten müssen das Übereinkommen und dessen Anhänge, je nach ihrer verfassungsrechtlichen Praxis, entweder direkt anwendbar machen oder in nationales Recht transformieren. In vielen Ländern geschieht dies durch entsprechende Umsetzungsgesetze oder Verordnungen, wobei COTIF und seine Anhänge einen Vorrang gegenüber nationalen Regelungen genießen, falls Konflikte auftreten. Das bedeutet, dass im Falle widersprüchlicher nationaler Bestimmungen stets die Vorschriften des COTIF angewendet werden müssen. Die konkrete Umsetzung und Geltung ist jedoch von der Rechtstradition des jeweiligen Staates abhängig (Monismus oder Dualismus).
Welche Rolle spielen internationale Verträge innerhalb des COTIF-Systems?
Internationale Verträge, die innerhalb des COTIF-Rahmens geschlossen werden, beispielsweise bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen zu bestimmten Eisenbahnstrecken oder -transporten, müssen im Einklang mit den Bestimmungen des COTIF stehen. Dies sichert die Harmonisierung und Vermeidung von Rechtsunsicherheiten auf internationaler Ebene. Ausnahmen oder abweichende Regelungen sind grundsätzlich nur insoweit wirksam, als sie im COTIF vorgesehen oder von der OTIF ausdrücklich genehmigt wurden. Die Bekanntgabe solcher Abkommen an die OTIF ist verpflichtend, um eine konsistente Anwendung des Gesamtsystems zu gewährleisten.
Wann kommt es zu Streitigkeiten nach COTIF und wie werden diese gelöst?
Streitigkeiten zwischen Vertragsstaaten oder zwischen Eisenbahnunternehmen und Staaten im Anwendungsbereich des COTIF entstehen meist aus der Auslegung oder Anwendung des Übereinkommens und seiner Anhänge. Das COTIF sieht hierfür vorrangig die gütliche Einigung der Parteien vor, die durch Konsultationen oder Vermittlung unterstützt wird. Sollte keine Einigung erzielt werden, sieht Art. 29 COTIF das Schiedsverfahren vor, bei dem ein internationales Schiedsgericht eingerichtet wird. Schiedsurteile sind bindend und endgültig. Für Streitigkeiten, an denen Privatpersonen beteiligt sind, gelten in der Regel jedoch die nationalen Gerichte gemäß den Verfahrensvorschriften des jeweiligen Staates.
Welche gerichtliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem COTIF für grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten?
Für Streitigkeiten zwischen Beförderern und Fahrgästen oder Frachtberechtigten im Eisenbahnverkehr nach den Anhängen CIV und CIM begründet COTIF eine eigene internationale Zuständigkeitsregelung. So kann der Kläger unter mehreren Gerichten wählen (z.B. Gericht am Abgangs-, Bestimmungs-, Ablieferungs- oder Niederlassungsort). Diese Regelungen sind zwingend und gehen nationalen Vorschriften in Bezug auf Gerichtsstand oder Zuständigkeit vor. Die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen wird dadurch wesentlich vereinfacht. Für andere Streitfälle, wie etwa Verletzungen der Vertragsstaatenpflichten, greifen die Mechanismen nach Art. 29 COTIF (Schiedsgericht).
Wie werden Änderungen des COTIF und seiner Anhänge rechtswirksam?
Änderungen des COTIF und seiner Anhänge erfolgen durch Beschluss der Generalversammlung oder des Revisionausschusses der OTIF. Nach einer festgesetzten Annahmefrist treten die Änderungen für alle Vertragsstaaten in Kraft. Staaten, die Einwände erheben, können nach Maßgabe des Übereinkommens bestimmte Vorbehalte geltend machen oder gegebenenfalls die Anwendung einzelner Bestimmungen aussetzen. Die rechtsverbindliche Geltung ergibt sich nach Ablauf der Widerspruchsfrist und entsprechender Veröffentlichung. Innerstaatlich bedürfen Änderungen gegebenenfalls der gesetzlichen Übernahme, je nach Staatsrecht.
Können Vertragsstaaten Vorbehalte oder Ausnahmen von einzelnen COTIF-Bestimmungen machen?
Das COTIF sieht nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit von Vorbehalten vor, insbesondere im Hinblick auf bestimmte Anhänge oder Regelungen, wobei diese ausdrücklich im Übereinkommen festgelegt sein müssen (z.B. in Art. 42 COTIF für einzelne Staaten). Die Vorbehalte müssen von der Generalversammlung angenommen und offiziell bekanntgemacht werden. Generelle oder einseitige Abweichungen von wesentlichen Bestimmungen sind grundsätzlich ausgeschlossen, um den einheitlichen Rechtsrahmen des internationalen Eisenbahnverkehrs zu sichern. Vorbehalte und Ausnahmen sind daher streng begrenzt und unterliegen der Kontrolle der zuständigen Organe der OTIF.