Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Zivilrecht»Corona-Krise und Zivilprozess

Corona-Krise und Zivilprozess


Auswirkungen der Corona-Krise auf den Zivilprozess

Die Corona-Krise (COVID-19-Pandemie), die ab dem Jahr 2020 weltweite Auswirkungen hatte, beeinflusste nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – darunter auch das deutsche Zivilprozessrecht. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, insbesondere Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln, mussten Gerichte, Parteien und Verfahrensbeteiligte sich auf erhebliche Herausforderungen einstellen. Nachfolgend werden die rechtlichen Aspekte und strukturellen Änderungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise und dem Zivilprozess umfassend dargestellt.


1. Gesetzliche Grundlagen und vorübergehende Regelungen

1.1 Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie

Der Gesetzgeber reagierte auf die Auswirkungen der Pandemie mit dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht” (COVID-19-Gesetz), das im März 2020 in Kraft trat. Wesentliche Ziele bestanden darin, Rechtssicherheit zu schaffen, den Zugang zur Justiz zu gewährleisten und pandemiebedingte Härten abzumildern. Das Gesetz modifizierte verschiedene Normen der Zivilprozessordnung (ZPO) und führte befristete Sonderregelungen ein.

1.2 Anpassungen der Zivilprozessordnung (ZPO)

Es wurden insbesondere die Möglichkeiten zur Verschiebung beziehungsweise Aussetzung von mündlichen Verhandlungen, die Durchführung von Videoverhandlungen sowie Erleichterungen für das schriftliche Verfahren geschaffen. Hierdurch sollte die Pandemiegefahr minimiert, aber gleichzeitig die Funktionsfähigkeit der Zivilgerichtsbarkeit erhalten bleiben.


2. Verfahrensrechtliche Besonderheiten während der Pandemie

2.1 Mündliche Verhandlung unter Pandemiebedingungen

Im deutschen Zivilprozess hat die mündliche Verhandlung (§ 128 ZPO) zentrale Bedeutung. Die Pandemie erforderte neue Wege:

2.1.1 Einschränkung und Aussetzung von Verhandlungen

Für Verfahren bestand die Möglichkeit, mündliche Termine aufgrund gesundheitlicher Risiken zu verschieben (§ 227 ZPO). Gleichzeitig wurde die richterliche Verantwortung gestärkt, Abwägungen zwischen Verfahrensförderung und Infektionsschutz zu treffen.

2.1.2 Durchführung per Videokonferenz

Die Nutzung der Videoverhandlung nach § 128a ZPO erlangte eine bis dahin nicht gekannte Bedeutung. Gerichte erhielten die Möglichkeit, Verhandlungen und Beweisaufnahmen vollständig oder teilweise per Videokonferenz durchzuführen. So konnte die Verfahrensbeteiligung sichergestellt und ein zeitnaher Rechtsschutz ermöglicht werden.

2.1.3 Schriftliches Verfahren

Zur Minimierung persönlicher Kontakte wurde verstärkt auf das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO zurückgegriffen. Hierbei entfällt eine mündliche Verhandlung; die Parteien tragen ihre Standpunkte schriftlich vor. Typische Anwendungsfälle betrafen unstreitige oder vergleichsweise einfache Sachverhalte, aber auch diejenigen, bei denen eine persönliche Anhörung nicht zwingend geboten war.

2.2 Zugang zu Gerichten und prozessuale Fristen

2.2.1 Erreichbarkeit der Gerichte

Gerichte mussten ihre Zugänglichkeit pandemiebedingt durch organisatorische Anpassungen aufrechterhalten. Dazu zählten etwa eingeschränkte Publikumszeiten, besondere Hygienemaßnahmen und Abstandsregelungen im Sitzungssaal, Zugangsbeschränkungen und digitale Alternativen.

2.2.2 Verlängerte Fristen und Wiedereinsetzung

Fristenregelungen blieben unverändert, jedoch konnten pandemiebedingte Hindernisse einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) rechtfertigen, etwa bei Quarantäne oder plötzlicher Erkrankung. Die Gerichte beurteilten die Hindernisse unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und der individuellen Auswirkungen der Pandemie.


3. Auswirkungen auf Beweisaufnahme und Parteianhörung

3.1 Durchführung von Beweisaufnahmen

Die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen erschwerten insbesondere persönliche Beweisaufnahmen, beispielsweise Zeugenvernehmungen oder Begutachtungen. Mittels § 128a ZPO war auch die Durchführung dieser Verfahrensschritte per Videokonferenz möglich, sofern die technischen Voraussetzungen vorlagen und das rechtliche Gehör aller Beteiligten gewahrt war.

3.2 Anhörung der Parteien

Die Partei kann gemäß § 141 ZPO auch per Videokonferenz angehört werden. Diese Möglichkeit, die vor der Pandemie selten genutzt wurde, etablierte sich als praxisnahes Instrument, um Verfahren trotz Kontaktbeschränkungen weiterhin durchzuführen.


4. Auswirkungen auf Vergleich, Säumnis und Kosten

4.1 Abschluss von Vergleichen

Die Möglichkeit, gerichtliche Vergleiche auch außerhalb der mündlichen Verhandlung im schriftlichen Verfahren (§ 278 Abs. 6 ZPO) abzuschließen, gewann an Bedeutung. Dadurch konnten Parteien zu flexiblen, kontaktarmen Lösungen gelangen.

4.2 Säumnis und Abwesenheit

Pandemiebedingte Krankheit oder Quarantäne konnten dazu führen, dass Parteien oder ihre Vertretungen zu Verhandlungsterminen nicht erscheinen konnten. In diesen Fällen hatte das Gericht sorgfältig zu prüfen, ob ein erheblicher Grund im Sinne von § 227 ZPO vorliegt und der Termin zu verlegen oder auszusetzen war.

4.3 Kostentragung

Grundsätzlich änderten sich die Regeln zur Kostentragung im Zivilprozess (§§ 91 ff. ZPO) nicht. Allerdings konnte sich im Einzelfall etwa bei Terminverschiebungen oder Säumnisfragen eine andere Bewertung der Kostenhaftung ergeben, insbesondere wenn das Nichterscheinen in Folge nachweisbar pandemiebedingter Einschränkungen erfolgte.


5. Dauerhafte Veränderungen und Digitalisierung

5.1 Nachhaltige Digitalisierungsschübe

Die Corona-Krise führte zu einem erheblichen Schub in der Digitalisierung der Justiz. Die gesteigerte Akzeptanz von Videoverhandlungen, elektronischem Rechtsverkehr und der elektronischen Akte wird als nachhaltige Entwicklung gesehen, die auch nach dem Ende der pandemiebedingten Sonderregelungen fortbesteht und den Zivilprozess weiter prägt.

5.2 Ausblick

Viele der während der Corona-Krise etablierten digitalen Werkzeuge und flexiblen Gestaltungen im Verfahrensrecht werden weiterhin genutzt und teilweise weiterentwickelt. Ziel bleibt, die Verfahrenseffizienz dauerhaft zu erhöhen, den Zugang zur Justiz zu erleichtern und eine moderne, bürgernahe Justiz zu fördern.


Literatur und weiterführende Informationen

  • Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht
  • Deutsche Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere §§ 128, 128a, 227, 233, 278
  • Bundesministerium der Justiz, Übersicht: Justiz in der Corona-Krise
  • Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte zu pandemiebedingten Prozessfragen

Fazit:
Die Corona-Krise führte zu grundlegenden Veränderungen im deutschen Zivilprozess. Durch flexible Handhabung der Prozessordnung, Einführung digitaler Verfahren und pandemiegerechter Ausgestaltung des gerichtlichen Alltags blieb die Justiz leistungsfähig. Viele der entstandenen Regelungen werden auch über die Pandemie hinaus Bedeutung haben und das Verfahrensrecht in Deutschland weiterentwickeln.

Häufig gestellte Fragen

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf laufende Zivilprozesse in Bezug auf Gerichtstermine?

Die Corona-Krise hat zu erheblichen Anpassungen im Ablauf laufender Zivilprozesse geführt. Insbesondere Gerichtstermine, wie mündliche Verhandlungen, wurden häufig verschoben, aufgehoben oder in Form von Video- oder Telefonkonferenzen durchgeführt. Grundsätzlich obliegt es den Gerichten, gemäß § 128a ZPO, über die Durchführung von Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung zu entscheiden. Das Ziel ist, die Verfahrensbeteiligten sowie Gerichtspersonal vor Ansteckungsrisiken zu schützen, ohne den Zugang zum Recht und die rechtstaatlichen Anforderungen an faires Verfahren einzuschränken. Dies führte zu einem gestärkten Einsatz technischer Mittel, während Gerichte ihre Sitzungssäle mit Abstandsvorgaben und Hygienekonzepten ausstatteten. Gleichzeitig wurden richterliche Hinweise auf die Möglichkeit schriftlicher Verfahren verstärkt erteilt, etwa nach § 128 Abs. 2 ZPO. In Einzelfällen haben Gerichte Termine auch von Amts wegen aufgehoben oder auf unbestimmte Zeit vertagt, vor allem bei nachgewiesener Quarantäne oder Erkrankung relevanter Prozessbeteiligter.

Wie wirken sich pandemiebedingte Verzögerungen auf die Verfahrensdauer und deren rechtliche Bewertung aus?

Die pandemiebedingten Einschränkungen führten nicht selten zu erheblichen Verzögerungen in der Durchführung zivilgerichtlicher Verfahren. Dabei ist zu beachten, dass das Grundrecht auf Zugang zu einem effektiven Rechtsschutz, wie aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG folgt, auch in Krisenzeiten gewahrt bleiben muss. Die Rechtsprechung sieht pandemiebedingte Verzögerungen grundsätzlich als „dem Staat nicht zurechenbare Umstände” an, mit Blick auf etwaige Haftungsfragen wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 GVG, wird jedoch stets im Einzelfall geprüft, ob und inwieweit Verzögerungen tatsächlich und unvermeidbar auf die Corona-Krise zurückzuführen sind. Gerichte räumen häufig auch längere Schriftsatzfristen ein, berücksichtigen dabei aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das berechtigte Interesse beider Parteien an einer zügigen Verfahrensführung.

Können pandemiebedingte Umstände als rechtlicher Verzögerungsgrund für Beweiserhebungen wie Zeugenvernehmungen oder Gutachten angeführt werden?

Ja, pandemiebedingte Umstände können bei der Durchführung von Beweisaufnahmen eine wesentliche Rolle spielen. Beispielsweise sind persönliche Anhörungen von Parteien oder Zeugen oft schwierig zu terminieren, wenn Quarantänepflichten oder Gesundheitsrisiken bestehen. Auch die Erstellung von Gutachten durch Sachverständige kann verzögert sein, wenn soziale Kontaktbeschränkungen und Lockdown-Maßnahmen einen Zugang zu relevanten Unterlagen oder Begehungen erschweren. Rechtlich betrachtet muss das Gericht im Rahmen seiner Prozessleitung (§ 273 ZPO) abwägen, ob der Verfahrensfortgang dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes genügt und ob eine Verschiebung tatsächlich unvermeidlich war. Daher werden Fristverlängerungen und Termine zur Beweisaufnahme während der Pandemie tendenziell großzügiger bemessen, solange dies unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung erfolgt.

Welche Rolle spielen Hygienemaßnahmen und Zugangsregelungen zu Gerichtssälen während der Pandemie und wie werden diese rechtlich begründet?

Zur Eindämmung der Pandemie wurden Maßnahmen wie Maskenpflicht, Abstandsgebote und Zugangsbeschränkungen zu Gerichtsgebäuden eingeführt. Rechtliche Grundlage hierfür bildet neben dem Hausrecht der Gerichte auch das jeweilige Landesrecht, wie Corona-Verordnungen etwa nach § 28 Infektionsschutzgesetz. Gerichte sind berechtigt, diese Maßnahmen durch sitzungspolizeiliche Anordnungen (§ 176 GVG) zu exekutieren und können beispielsweise Zuschauer auf ein Minimum beschränken, ohne die Öffentlichkeit des Verfahrens grundsätzlich auszuschließen. Die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen wird regelmäßig geprüft mit Blick darauf, dass sie dem Ziel des Infektionsschutzes dienen und zugleich den Grundsatz des fairen Verfahrens sowie das Öffentlichkeitsprinzip wahren müssen.

Wie wurden Fristen während der Corona-Pandemie behandelt, insbesondere im Zusammenhang mit bestehenden gesetzlichen Regelungen?

Das Zivilprozessrecht sieht grundsätzlich keine globale Verlängerung von Fristen bei pandemiebedingten Schwierigkeiten vor. Vielmehr müssen Anträge auf Fristverlängerung im Einzelfall gemäß § 224 ZPO gestellt und ausreichend begründet werden – etwa wegen Quarantäne, Krankheit oder Beschränkungen im Geschäftsbetrieb. Die Gerichte zeigen größeres Verständnis für solche Anträge, behalten jedoch eine Einzelfallprüfung bei. Auch gerichtliche Fristen können nach pflichtgemäßem Ermessen verlängert werden, während gesetzliche Fristen, wie Berufungs- oder Revisionsfristen, als zwingende Fristen angesehen werden, bei deren Versäumung grundsätzlich die Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) möglich ist, sofern die Partei kein Verschulden trifft und ein pandemiebedingtes Hindernis glaubhaft gemacht wird.

Inwieweit beeinflusst die Corona-Krise die Veröffentlichung und Zugänglichkeit von Urteilen im Zivilprozess?

Die pandemiebedingten Einschränkungen haben die Veröffentlichung von Urteilen nicht grundlegend verändert. Allerdings kann es unter Umständen länger dauern, bis erstinstanzliche Entscheidungen rechtskräftig werden, da Zustellungen, Rechtsmitteleinlegungen und Beurkundungen von Verzögerungen betroffen sein können. Die schriftliche Ausfertigung und Zustellung von Urteilen erfolgt unter Berücksichtigung der Vorgaben zur Arbeit im Homeoffice und den Hygienemaßnahmen, was die Abläufe planungsintensiver gestaltet. Die Einsichtnahme in Akten wird restriktiver gehandhabt, teilweise durch Bestellung digitaler Auszüge oder Akteneinsicht nach vorheriger Anmeldung und unter Einhaltung besonderer Schutzmaßnahmen.

Wie wurden Schlichtungs- und Güteverfahren während der Pandemie durchgeführt und rechtlich gehandhabt?

Auch außergerichtliche Streitschlichtung, wie Schlichtungs- und Güteverfahren, sah sich pandemiebedingt Herausforderungen gegenüber. Viele Stellen haben ihre Verfahren auf kontaktlose Kommunikation – etwa durch Video- oder Telefonkonferenzen – umgestellt. Grundlage für solche Anpassungen sind Regelwerke der Schlichtungsstellen und, im gerichtlichen Bereich, § 278a ZPO. Wichtig ist hierbei, dass die Einhaltung von Verfahrensgrundsätzen wie Transparenz, Freiwilligkeit und Fairness trotz digitaler Durchführung stets gewährleistet bleibt. Wo persönliche Termine weiterhin unumgänglich waren, erfolgten diese unter strengen Hygienevorschriften. Pandemic-bedingte Verzögerungen werden ähnlich wie bei gerichtlichen Verfahren behandelt, wobei die Teilnahmebereitschaft der Parteien unter Berücksichtigung gesundheitlicher Risiken besonders gewürdigt wird.