Begriff und rechtliche Einordnung des constitutum possessorium
Das constitutum possessorium ist ein Rechtsinstitut des Sachenrechts und bezeichnet eine besondere Form des Besitzmittlungsverhältnisses. Es handelt sich um einen Modus der Besitzübertragung, bei dem der bisherige unmittelbare Besitzer einer Sache diese im Einvernehmen mit dem Erwerber künftig nicht mehr für sich, sondern für den Erwerber besitzt. Das constitutum possessorium ist insbesondere in § 930 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt und spielt eine zentrale Rolle bei der Übertragung des Besitzes, beispielsweise im Kontext von Sicherungsübereignung, Verkauf unter Eigentumsvorbehalt und Übereignung beweglicher Sachen nach deutschem Recht.
Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen
Gesetzliche Grundlagen
Die zentrale Vorschrift für das constitutum possessorium findet sich in § 930 BGB. Dieser Paragraf erlaubt es den Parteien, den Besitz einer beweglichen Sache nicht durch Übergabe, sondern durch eine Vereinbarung über das Besitzmittlungsverhältnis zu übertragen.
Gesetzestext (Auszug):
„Einig sind sich Veräußerer und Erwerber, dass der Veräußerer den Besitz der Sache künftig nicht mehr als eigener, sondern als Fremdbesitzer für den Erwerber innehat.“
Voraussetzungen
Für die Wirksamkeit eines constitutum possessorium müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
- Bestand des Besitzes: Der Veräußerer muss unmittelbarer Besitzer der betreffenden Sache sein.
- Besitzmittlungswille: Es muss eine Vereinbarung darüber vorliegen, dass der Veräußerer die Sache künftig für den Erwerber besitzt.
- Besitzmittlungsverhältnis: Die Parteien müssen ein konkretes Rechtsverhältnis schaffen, aufgrund dessen der Besitz vermittelt wird, z. B. Leihe, Mietvertrag, Verwahrung oder ein sonstiges Besitzmittlungsverhältnis.
- Bestimmtheit: Die betroffene Sache muss eindeutig bestimmbar sein.
- Einigung: Einigkeit zwischen Veräußerer und Erwerber über den Besitzübergang.
Arten und Anwendungsbereiche
Typische Anwendungsfälle
Das constitutum possessorium findet in verschiedenen Konstellationen Anwendung, vor allem wenn eine tatsächliche Übergabe der Sache nicht möglich oder nicht gewünscht ist. Zu den häufigsten Fällen zählen:
- Sicherungsübereignung: Ein Schuldner überträgt das Eigentum an einer beweglichen Sache zur Sicherung eines Kredits auf den Gläubiger, behält die Sache jedoch weiterhin im Besitz.
- Verkauf unter Eigentumsvorbehalt: Die Sache bleibt zunächst beim Veräußerer bzw. bisherigen Besitzer, bis die vollständige Kaufpreiszahlung erfolgt ist.
- Kommissionsgeschäfte: Der Kommissionär übereignet eine Ware an den Kommittenten, bleibt aber zunächst Besitzmittler.
- Rückübereignungsabrede: Bei Rückübereignungen im Rahmen von Sicherungsgeschäften wird das Besitzmittlungsverhältnis erneut angepasst.
Unzulässige Anwendungsgebiete
Das constitutum possessorium kann ausschließlich hinsichtlich des unmittelbaren Besitzes an beweglichen Sachen verwendet werden. Die Übertragung von Besitz an unbeweglichen Sachen oder die dingliche Übertragung von Rechten durch constitutum possessorium ist im BGB nicht vorgesehen.
Rechtswirkungen und Bedeutung
Besitzübergang
Mit Abschluss der Vereinbarung über das constitutum possessorium wird der Erwerber mittelbarer Besitzer und der bisherige Besitzer Besitzmittler. Obwohl keine tatsächliche Besitzübertragung stattfindet, wird der rechtliche Besitz auf den Erwerber übertragen, sodass dieser insbesondere Schutzrechte gegenüber Dritten geltend machen kann (§ 868 BGB).
Schutzwirkungen
Der mittelbare Besitz verschafft dem Erwerber die Möglichkeit, Besitzschutzansprüche geltend zu machen. Hierzu zählt insbesondere der Besitzschutz nach §§ 859 ff. BGB, wobei zu beachten ist, dass der mittelbare Besitz einen geringeren Schutz genießt als der unmittelbare.
Wirkung im Insolvenzfall
Im Insolvenzverfahren spielt das constitutum possessorium eine wichtige Rolle. Besteht ein wirksames Besitzmittlungsverhältnis, kann das Eigentum der Sache bei Insolvenz des Besitzmittlers dem Erwerber zustehen. Fehlt das Besitzmittlungsverhältnis, spricht man vom sogenannten „leeren constitutum possessorium“ – in diesen Fällen bleibt die Wirksamkeit der Eigentumsübertragung fraglich.
Abgrenzungen zu anderen Besitzübertragungsarten
Traditionsprinzip
Das deutsche Sachenrecht basiert grundsätzlich auf dem Traditionsprinzip, wonach grundsätzlich eine tatsächliche Besitzverschaffung notwendig ist. Das constitutum possessorium stellt eine Ausnahme dar, bei der keine physische Übergabe stattfindet.
Vereinbarung nach § 929 Satz 1 BGB
Hierbei handelt es sich um die klassische Übereignung durch Einigung und Übergabe. Die Besitzverschaffung erfolgt grundsätzlich durch Herausgabe der Sache. Im Unterschied dazu genügt beim constitutum possessorium die Besitzmittlungsvereinbarung.
Übergabesurrogat (§ 931 BGB)
Das Übergabesurrogat nach § 931 BGB ermöglicht die Besitzübertragung durch Abtretung eines Herausgabeanspruchs, wenn sich die Sache im Besitz eines Dritten befindet. Beim constitutum possessorium bleibt die Sache hingegen im Besitz des bisherigen Eigentümers, der in Gleichklang mit dem Erwerber Besitzmittler wird.
Kritik und rechtliche Problematiken
Missbrauchsgefahr
In der Literatur wird das constitutum possessorium gelegentlich als missbrauchsanfällig kritisiert, da die Sache im tatsächlichen Besitz des Veräußerers verbleibt. Dies kann zu Beweisschwierigkeiten sowie zu Problemen in Insolvenz- und Zwangsvollstreckungssituationen führen.
Leeres constitutum possessorium
Ein sog. „leeres constitutum possessorium“ liegt vor, wenn kein tatsächlicher Besitz mehr beim Besitzmittler besteht – beispielsweise, weil dieser die Sache an einen Dritten weitergegeben hat. In solchen Fällen ist die Besitzübertragung unwirksam, da sie allein auf dem Papier besteht und keinen realen Besitzfluss darstellt.
Begriffsgeschichte und internationale Vergleiche
Historischer Hintergrund
Das constitutum possessorium geht auf das römische Recht zurück und wurde ins deutsche Sachenrecht übernommen. Es ermöglichte bereits in der Antike die rechtliche Besitzübertragung ohne Übergabe der Sache an den Erwerber.
Rechtsvergleich
Auch in anderen Rechtsordnungen existieren vergleichbare Regelungen zur Besitzmittlungsverhältnisvereinbarung, etwa das englische Recht mit dem „Attornment“ oder das französische Recht mit der „constitut possessoire“. Die Ausgestaltung und Reichweite unterscheiden sich jedoch.
Zusammenfassung
Das constitutum possessorium ist eine wesentliche Möglichkeit, Besitz an beweglichen Sachen ohne tatsächliche Besitzverschaffung rechtlich wirksam zu übertragen. Es bildet einen wichtigen Bestandteil des deutschen Sachenrechts und wird besonders bei Sicherungsgeschäften, Kommissionsgeschäften und Eigentumsvorbehalt genutzt. Die Anwendung setzt ein bestehendes Besitzmittlungsverhältnis voraus und bedarf strikter rechtlicher Voraussetzungen. Das constitutum possessorium steht häufig im Fokus rechtlicher Diskussionen, insbesondere im Hinblick auf seine Missbrauchsanfälligkeit und die Problematik des „leeren constitutum possessorium“. Seine Bedeutung bleibt allerdings aufgrund der Flexibilität im Wirtschaftsverkehr und bei Kreditgeschäften unbestritten.
Siehe auch:
- Besitz und Eigentum
- Sicherungsübereignung
- Übergabesurrogate
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Wirkungen hat das constitutum possessorium im deutschen Sachenrecht?
Das constitutum possessorium ermöglicht die Besitzübertragung an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache, ohne dass der unmittelbare Besitz tatsächlich übergeben werden muss. Im rechtlichen Kontext wird diese besondere Form der Besitzkonstitut gemäß § 930 BGB angewendet, indem der bisherige Besitzer mit dem Erwerber einen Besitzmittlungsverhältnis vereinbart. Der bisherige Besitzer bleibt dabei unmittelbarer Besitzer, jedoch nunmehr als Besitzmittler für den neuen, mittelbaren Besitzer. Entscheidend ist, dass dadurch der Erwerber, trotz fehlender Übergabe, mittelbaren Besitz erhält und dadurch insbesondere bei Sicherungsübereignungen oder Eigentumsvorbehalten die dingliche Rechtslage modifiziert werden kann. Dies dient etwa der Absicherung von Gläubigerinteressen im Rahmen von Finanzierungsgeschäften und findet Anwendung, wenn bei wirtschaftlichen Abläufen keine sofortige Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft möglich oder gewünscht ist. Es ist bedeutsam, dass sämtliche Voraussetzungen des § 930 BGB, insbesondere die klare Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses, eingehalten werden müssen, um rechtliche Wirksamkeit zu entfalten.
In welchen Situationen wird das constitutum possessorium typischerweise angewendet?
Typische Anwendungsbereiche des constitutum possessorium sind Fälle, in denen eine Sache übereignet werden soll, der Erwerber aber die Sache zunächst nicht in seinen unmittelbaren Besitz nehmen will oder kann. Praktische Bedeutung hat dies vor allem bei Sicherungsübereignungen, Leasingverträgen oder im Rahmen der Eigentumssicherung bei Unternehmensveräußerungen. Beispielsweise kann ein Unternehmen seine Warenlager als Sicherheit an eine Bank übereignen, aber weiterhin Zugriff darauf benötigen, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Ähnliches gilt für Maschinen, Fahrzeuge oder andere betriebsnotwendige Gegenstände. Die Nutzung des constitutum possessorium bietet dabei die Möglichkeit, Rechtsänderungen – insbesondere an Eigentum oder Sicherungsrechten – vorzunehmen, ohne dass massive betriebliche Einschränkungen durch die sofortige Weggabe der Sachen erfolgen müssen.
Welche Formerfordernisse sind beim constitutum possessorium zu beachten?
Das Gesetz schreibt grundsätzlich keine besondere Form für das constitutum possessorium vor, das heißt, es kann auch mündlich oder konkludent erfolgen. Jedoch empfiehlt sich in der Praxis und insbesondere aus Beweisgründen dringend die Schriftform. Der Besitzkonstitut als solches muss eine eindeutige und klare Regelung über das Besitzmittlungsverhältnis enthalten, aus dem hervorgeht, dass der bisherige Besitzer von nun an den unmittelbaren Besitz für den Erwerber als neuen mittelbaren Besitzer ausübt. Besondere Formerfordernisse bestehen bei Grundstücken, wo gemäß § 925 BGB die Eintragung im Grundbuch erforderlich ist. Auch bei Sicherungsübereignungen verlangen Banken in der Regel umfangreiche schriftliche Dokumentationen, um sowohl die rechtlichen Voraussetzungen als auch die internen Anforderungen zu erfüllen.
Welches Verhältnis besteht zwischen dem constitutum possessorium und dem Eigentumserwerb nach § 929 BGB?
Während § 929 BGB in seiner Grundform die Übergabe der Sache zur Eigentumsübertragung verlangt, stellt § 930 BGB (constitutum possessorium) eine Ausnahme dar, bei der eine Besitzübertragung durch ein rechtsgeschäftliches Besitzmittlungsverhältnis ersetzt wird. Juristisch gesehen ist das constitutum possessorium ein Besitzkonstitut, das die nach § 929 BGB erforderliche Übergabe substituiert. Die Übereignung gemäß § 930 BGB ist also eine spezielle Erscheinungsform und Erweiterung der Eigentumsübertragung, die in bestimmten Konstellationen (z.B. Sicherungsübereignung, Eigentumsvorbehaltsfälle) relevant wird. Allerdings ist zu beachten, dass alle übrigen Voraussetzungen des Eigentumserwerbs, insbesondere Einigung und Berechtigung des Veräußerers, weiterhin gelten und das Besitzmittlungsverhältnis wirksam vereinbart sein muss.
Welche Risiken und Rechtsunsicherheiten bestehen beim constitutum possessorium?
Das constitutum possessorium ist mit spezifischen Risiken für beide Parteien verbunden. Für den Erwerber besteht insbesondere das Risiko, dass das Besitzmittlungsverhältnis nicht wirksam vereinbart wurde oder dass der bisherige Besitzer die Sache unberechtigt weiterveräußert oder verfügt. In solchen Fällen können, insbesondere bei beweglichen Sachen, Dritte unter Umständen gutgläubig Eigentum erwerben (§§ 932 ff. BGB), wodurch die Rechtsposition des ursprünglichen Erwerbers geschwächt werden kann. Umgekehrt kann der Besitzmittler durch Untergang, Beschädigung oder mangelnde Obhutspflichtungen haften. Ferner ist bei Insolvenz des Besitzmittlers zu beachten, dass Gläubigerzugriffe aus der Insolvenzmasse zu Komplikationen führen können, wenn das Besitzmittlungsverhältnis nicht ausreichend dokumentiert ist. Schließlich besteht das Risiko, dass das Besitzmittlungsverhältnis von den Gerichten nicht als ausreichend klar erachtet wird, sodass der konstitutive Akt der Besitzübertragung als unwirksam eingestuft werden könnte.
Gibt es Besonderheiten beim Einsatz des constitutum possessorium bei Grundstücken?
Bei Grundstücken findet das constitutum possessorium nur eingeschränkt Anwendung, da die Übertragung des Eigentums an Grundstücken gemäß § 873 BGB grundsätzlich die Einigung und Eintragung ins Grundbuch voraussetzt (§ 925 BGB). Allerdings können auch an Grundstücken Besitzverhältnisse mittels Besitzkonstituten geregelt werden, etwa, wenn nach der Eigentumsübertragung der bisherige Eigentümer das Grundstück weiterhin als Mieter nutzt. Die tatsächliche Besitzlage bleibt erhalten, die rechtliche Besitzlage wird jedoch geändert. Hierbei ist zu beachten, dass Vereinbarungen über das Besitzmittlungsverhältnis der Form des § 311b BGB unterliegen können (schriftlich, notariell), insbesondere wenn sie den künftigen Eigentumserwerb vorbereiten.
Wie wirkt sich das constitutum possessorium auf Sicherungsrechte und Gläubigerzugriffe aus?
Das constitutum possessorium ist ein gängiges Instrument zur Begründung von Sicherungsübereignungen, bei denen der Sicherungsgeber weiterhin tatsächlichen Besitz an der Sache behält, aber der Sicherungsnehmer (meist eine Bank) als mittelbarer Besitzer auftritt. Im Insolvenzfall kann der Umstand, ob ein wirksames Besitzmittlungsverhältnis besteht und korrekt dokumentiert ist, entscheidend darüber sein, ob die Sache insolvenzfest gesichert ist oder ob sie zur Insolvenzmasse gehört. Der Besitzkonstitut wird von Gerichten und Insolvenzverwaltern regelmäßig auf seine Wirksamkeit und Ernsthaftigkeit überprüft. Unklare, widersprüchliche oder formal fehlerhafte Vereinbarungen können dazu führen, dass kein wirksamer Besitzkonstitut angenommen wird und der Sicherungsnehmer seinen Anspruch auf Aussonderung oder Absonderung verliert. Ebenso muss die Möglichkeit des gesicherten Gläubigers auf die Sache zugreifen zu können, im Besitzmittlungsverhältnis klar geregelt sein, um umfassenden Schutz zu bieten.