Begriff und rechtliche Einordnung von Climate Change Litigation
Climate Change Litigation (deutsch: Klimaklage oder Klimastreitigkeit) bezeichnet Verfahren vor nationalen oder internationalen Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden, in denen klimabezogene Rechtsfragen maßgeblich verhandelt werden. Der Begriff umfasst sämtliche gerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Verfahren, die das Ziel verfolgen, Verantwortlichkeiten für den Klimawandel festzustellen, Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen oder staatliches Handeln beziehungsweise Unterlassen in Bezug auf Klima- und Umweltschutz zu überprüfen.
Climate Change Litigation hat sich in den vergangenen Jahren zu einem dynamischen Rechtsgebiet entwickelt und gewinnt sowohl auf innerstaatlicher als auch auf globaler Ebene zunehmend an Bedeutung. Die damit verbundenen Verfahren berühren unterschiedlichste Rechtsbereiche wie das Umweltrecht, das Privatrecht, das öffentliche Recht und das Völkerrecht.
Historische Entwicklung und internationale Bedeutung
Ursprünge und Entwicklungen
Die ersten Verfahren mit Bezug zum Klimawandel entstanden ab den 1980er- und 1990er-Jahren insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo Kläger versuchten, Emissionen von Treibhausgasen auf dem zivilrechtlichen Weg einzudämmen oder Entschädigungen zu erstreiten. Mit der fortschreitenden rechtlichen Verankerung internationaler Klimaschutzziele, insbesondere im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention, des Kyoto-Protokolls und später des Pariser Abkommens, erfuhr Climate Change Litigation eine erhebliche Zunahme an Zahl und Bedeutung.
Globale Verbreitung und Praxis
Während der ursprünglich größte Anteil dieser Verfahren in den USA stattfand, steigen die Fallzahlen weltweit. Insbesondere in Europa, Australien, Südamerika, Südafrika und Asien wurden innovative klimaschutzbezogene Klagewege entwickelt, häufig auch unter Berufung auf Menschenrechte und nationale Klimagesetze.
Rechtsquellen und Rechtsgrundlagen
Nationales Recht
Climate Change Litigation stützt sich vielfach auf nationale Gesetze, insbesondere solche zum Umwelt- und Immissionsschutz, Verwaltungsrecht oder Verfassungsrecht. Relevante nationale Regelungen können beispielsweise sein:
- Klimaschutzgesetzgebungen (z. B. deutsches Klimaschutzgesetz)
- Emissionshandelsgesetze
- Regelungen zum Zugang zu Umweltinformationen
Internationales Recht und Menschenrechte
Klimaklagen berufen sich zunehmend auf völkerrechtliche Instrumente, darunter:
- Pariser Abkommen (insbesondere Art. 2 und Art. 4)
- UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC)
- Internationale Menschenrechtskonventionen (z. B. Europäische Menschenrechtskonvention, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte)
Zudem werden Inhalte aus Soft Law (z. B. Empfehlungen internationaler Organisationen) im Rahmen von Climate Change Litigation aufgegriffen, um die rechtliche Argumentation zu untermauern.
Typen und Konstellationen von Climate Change Litigation
Staat gegen Staat
In wenigen Fällen ziehen Staaten selbst gegen andere Staaten vor internationale Gerichte (z. B. den Internationalen Gerichtshof), wenn sie Verletzungen internationaler Umweltabkommen oder des Völkergewohnheitsrechts im Zusammenhang mit Klimaschutz geltend machen.
Einzelpersonen und Zivilgesellschaft gegen Staaten
Eine der häufigsten Konstellationen ist die Klage von Einzelpersonen, Gruppen oder Umweltorganisationen gegen Staaten, Behörden oder staatliche Unternehmen, etwa um ambitioniertere Klimaschutzziele oder Maßnahmen einzufordern („Klimaklagen“, z. B. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimaschutzgesetz 2021).
Zivilrechtliche Klagen gegen Unternehmen
Unternehmen, insbesondere aus den Bereichen Energie, Industrie oder Landwirtschaft, werden im Rahmen von Climate Change Litigation mit Schadensersatz- oder Unterlassungsforderungen konfrontiert. Im Mittelpunkt stehen dabei häufig die in der Vergangenheit oder gegenwärtig verursachten Treibhausgasemissionen (z. B. der Fall Lliuya gegen RWE vor dem OLG Hamm).
Behördenverfahren und Verwaltungsstreitigkeiten
Klimabezogene Auseinandersetzungen finden auch in Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung, der Genehmigung oder Versagung von Infrastrukturprojekten (z. B. Kraftwerke, Pipelines) statt.
Rechtsfragen und Streitpunkte
Zurechnung und Kausalität
Ein zentrales rechtliches Problem in Klimastreitigkeiten ist der Nachweis des Ursachenzusammenhangs (Kausalität) zwischen einer konkreten Emissionsquelle oder Maßnahme und einem spezifischen Klimaschaden. Neue wissenschaftliche Methoden, wie die sogenannte „Attributionswissenschaft“, spielen hier eine zunehmend wichtige Rolle.
Haftung und Verantwortlichkeit
Die Frage, ob und in welchem Umfang Staaten oder private Akteure für direkte oder mittelbare Schäden des Klimawandels haftbar gemacht werden können, wird je nach Rechtsordnung und Verfahrensart unterschiedlich beurteilt.
Rechtschutzsysteme und Klagerechte
Climate Change Litigation wirft Fragen zur Klagebefugnis und dem Zugang zu Gerichten auf. In vielen Ländern setzt das Umweltrecht hierbei spezielle Regelungen für Verbandsklagen ein, die es Umweltorganisationen ermöglichen, im öffentlichen Interesse Rechtsschutz zu ersuchen.
Grundrechte und Menschenrechte
Climatic Change Litigation berührt häufig grundlegende Menschenrechte, etwa das Recht auf Leben, Gesundheit, Eigentum oder das Recht auf eine saubere Umwelt. Die Berufung auf Menschenrechte im Klimaschutz erhält insbesondere durch Entscheidungen wie die des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (2023, Klimaseniorinnen vs. Schweiz) zunehmende Bedeutung.
Wichtige Präzedenzfälle
- Urgenda Foundation v. Niederlande (2015 – 2019): Niederländische Regierung wurde zur Einhaltung strengerer Emissionsreduktionen verpflichtet.
- Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Urteil vom 29. April 2021: Weitergehende gesetzliche Verpflichtungen zum Schutz künftiger Generationen.
- Lliuya gegen RWE (Deutschland): Prüfung der Haftung eines Energieversorgers für klimaspezifische Folgeschäden im Ausland.
Bedeutung und Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft
Climate Change Litigation wirkt als Instrument, um die Umsetzung und Durchsetzung von Klimaschutzzielen und Umweltstandards zu beschleunigen. Urteile können Regierungen und Unternehmen zu weitreichenden Maßnahmen verpflichten und die Entwicklung nationaler wie internationaler Klimaschutzregime maßgeblich beeinflussen.
Zudem trägt Climate Change Litigation zur Fortentwicklung des Umwelt-, Völker- und Verfassungsrechts und zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die rechtlichen Aspekte des Klimawandels bei.
Fazit
Climate Change Litigation umfasst ein komplexes Bündel unterschiedlicher Verfahren, die in verschiedenen Rechtsgebieten angesiedelt sind und maßgeblichen Einfluss auf die Rechtsprechung und die Umsetzung globaler Klimaschutzziele haben. Die Bandbreite reicht von zivilrechtlichen Schadensersatzklagen über verwaltungs- und verfassungsrechtliche Streitigkeiten bis hin zu völkerrechtlichen Verfahren. Zentrale Herausforderungen stellen dabei Fragen der Zurechenbarkeit, Haftung und des effektiven Rechtsschutzes dar, während grundlegende Rechte und internationale Verpflichtungen zunehmend in den Mittelpunkt rücken.
Mit der wachsenden Bedeutung des Klimawandels und der internationalen Rechtsentwicklung wird erwartet, dass klimabezogene gerichtliche Verfahren weiter an Anzahl, Komplexität und gesellschaftlicher Strahlkraft zunehmen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen spielen bei Climate Change Litigation eine zentrale Rolle?
Im Rahmen von Climate Change Litigation sind nationale und internationale Rechtsgrundlagen von entscheidender Bedeutung. Im nationalen Kontext sind dies häufig Verfassungsrecht (insbesondere Grundrechte wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), Umweltschutzgesetze, Regelungen zum Emissionshandel sowie zivilrechtliche Haftungsnormen. Auf internationaler Ebene sind das Pariser Abkommen von 2015, die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und europaweit insbesondere die EU-Klimaschutzverordnungen und Richtlinien zu nennen. Die Justiziabilität bestimmter Normen, etwa spezifischer Zielvorgaben zur Minderung von Treibhausgasen, wird vor allem an deren Normqualität und an der Bindungswirkung gegenüber Privaten oder dem Staat gemessen. Gerichte prüfen häufig, ob und inwieweit diese Normen justiziabel und individuell einklagbar sind oder lediglich programmatischen Charakter haben. Die Schnittstellen zwischen Verwaltungsrecht, Zivilrecht und Verfassungsrecht spielen daher regelmäßig eine besondere Rolle.
Wer kann in Deutschland oder auf europäischer Ebene Klima-Klagen erheben?
Grundsätzlich sind Klima-Klagen sowohl von Einzelpersonen als auch von Verbänden möglich, sofern sie von einer eigenen, unmittelbaren Betroffenheit ausgehen können oder entsprechende Klagerechte besitzen. Auf nationaler Ebene in Deutschland sehen etwa das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) und das Verbandsklagerecht nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vor, dass anerkannte Umweltverbände unter bestimmten Voraussetzungen klagen dürfen. Im Zivilrecht können Privatpersonen aus deliktischer Haftung (§§ 823 ff. BGB) gegen staatliche oder private Emittenten vorgehen, wenn sie eine Rechtsverletzung konkret begründen können. Auf europäischer Ebene können Klagen unter Bezugnahme auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder die EU-Grundrechtecharta (insbesondere Art. 2 und 8 GRCh) von Individuen oder NGOs erhoben werden, etwa beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Klagebefugnis hängt von den jeweiligen Prozessordnungen und der konkreten Betroffenheit ab.
Welche Kausalitätsanforderungen stellen Gerichte bei klimainduzierter Haftung?
Gerichte stellen grundsätzlich hohe Anforderungen an die Kausalität zwischen Handlung (bzw. Unterlassung) des Beklagten und dem geltend gemachten Klimaschaden. Im zivilrechtlichen Kontext wird dabei meist die sogenannte „conditio sine qua non“-Formel (Äquivalenztheorie) angewendet, wobei zusätzlich eine rechtlich relevante Zurechnung unter Heranziehung der Adäquanztheorie erforderlich ist. Im Bereich der Climate Change Litigation sind jedoch naturwissenschaftlich-statistische Unsicherheiten und die globale Komplexität klimatischer Zusammenhänge zu beachten. Daher spielt der Ansatz der „contribution to harm“ (Mitverursachung eines Schadens durch Emissionen in relevantem Umfang) eine immer bedeutendere Rolle. Die deutschen Gerichte orientieren sich an den Grundsätzen des Zivilrechts, einzelne Verfahren – wie etwa das „Saubere Luft für Lima“-Urteil oder das OVG Berlin-Brandenburg zum Klimaschutzgesetz – berücksichtigen aber zunehmend auch wissenschaftliche Gutachten und internationale Standards zur Kausalitätsbeurteilung.
Welche Rolle spielen Grundrechte in Klimaschutz-Prozessen?
Grundrechte spielen insbesondere in verfassungsrechtlichen Verfahren eine maßgebliche Rolle. In Deutschland haben das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und die Verwaltungsgerichte in diversen Leitentscheidungen festgestellt, dass staatliche Untätigkeit beim Klimaschutz grundrechtliche Schutzpflichten verletzen kann, insbesondere Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) sowie das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG). Die Prüfung erfolgt vor allem im Rahmen der sogenannten Schutzpflichten-Dogmatik, bei der der Staat verpflichtet ist, effektive Maßnahmen zum Schutz vor den Folgen des Klimawandels zu ergreifen. Auch in internationalen Kontexten, etwa beim EGMR, werden Grundrechte wie Art. 2 und 8 EMRK (Recht auf Leben, Achtung des Privat- und Familienlebens) zunehmend für Klima-Klagen herangezogen.
Welche prozessualen Besonderheiten gelten für Klima-Klagen?
Klima-Klagen sind oft durch besondere Vorschriften im Verfahrens- und Prozessrecht gekennzeichnet. In Deutschland ist insbesondere das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) von Bedeutung, das NGOs und anerkannten Verbänden unter bestimmten Voraussetzungen eine erweiterte Klagebefugnis gewährt. Daneben bestehen Besonderheiten hinsichtlich der Beweislastverteilung – bei kumulativen Schadensursachen gilt mitunter eine erleichterte Beweisführung („Anscheinsbeweis“), sofern dem Kläger die vollständige Darlegung der Kausalität objektiv nicht möglich ist. Im Verwaltungsprozess finden sich erweiterte Beteiligungsrechte für Umweltverbände, und in internationalen Verfahren werden spezifische Zulässigkeitsvoraussetzungen geprüft (zum Beispiel Erschöpfung des nationalen Rechtswegs beim EGMR).
Nach welchen internationalen Leitsätzen orientieren sich Gerichte bei Climate Change Litigation?
Internationale Gerichte und Instanzen orientieren sich zunehmend an juristischen Leitlinien, etwa den Oslo Principles on Global Climate Change Obligations, welche gerichtlich durchsetzbare Mindestanforderungen an Staaten und große Unternehmen im Klimaschutz vorgeben. Zudem werden häufig auch die sogenannten Maastricht Principles zu den extraterritorialen Pflichten von Staaten im Menschenrechtsschutz herangezogen. Das Pariser Abkommen und die jeweils nationalen Klimaschutzziele spielen bei der Auslegung von Handlungspflichten eine maßgebliche Rolle; auch das Vorsorgeprinzip und das Verursacherprinzip sind etablierte Leitmaximen in der internationalen klima- und umweltrechtlichen Judikatur.
Welche Erfolgsaussichten bestehen aktuell für Climate Change Litigation?
Die Erfolgsaussichten von Klima-Klagen variieren stark je nach Rechtsordnung, Einzelfall und Klageart. In Deutschland werden inzwischen Klagen gegen unzureichende Klimaschutzmaßnahmen des Gesetzgebers zunehmend anerkannt, sofern Grundrechtsverstöße substantiiert dargelegt werden können (z.B. BVerfG-Beschluss vom 24. März 2021). Klagen gegen Unternehmen auf Basis privatrechtlicher Haftung scheitern hingegen häufig an der nachzuweisenden Kausalität und der individuellen Rechtsverletzung. Auf internationaler Ebene gibt es erste richtungsweisende Entscheidungen (etwa Urgenda-Urteil in den Niederlanden oder EGMR-Urteil zur Schweizer Klima-Seniorinnen), die dem Klimaschutz weitreichende Bedeutung beimessen und den Staaten weitgehende Handlungspflichten auferlegen. Insgesamt nimmt die Tendenz zu erfolgreichen klima-rechtlichen Strategien global zu, wobei Verfahrensstrategien und die jeweils geltende Rechtslage eine zentrale Rolle spielen.