Legal Lexikon

Clearing


Begriffsbestimmung und Grundzüge des Clearings

Clearing ist ein zentraler Begriff des Wirtschafts- und Finanzrechts, der die Verrechnung und Abwicklung gegenseitiger Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen Vertragspartnern, häufig im Rahmen von Finanztransaktionen, beschreibt. Das Clearing dient der Reduzierung des Abwicklungsrisikos bei Zahlungs-, Wertpapier- oder Warengeschäften und ist insbesondere bei multilateralen Transaktionen von hoher Bedeutung. Clearingprozesse sind sowohl in bilateralen als auch in multilateralen Handelsbeziehungen relevant und werden von spezialisierten Stellen, sogenannten Clearingstellen oder Clearinghäusern, durchgeführt.

Rechtliche Grundlagen des Clearingprozesses

Vertragsrechtliche Einordnung

Im rechtlichen Sinne stellt das Clearing ein mehrstufiges Verfahren dar, das verschiedene vertragsrechtliche Elemente umfasst. Am Anfang steht der Abschluss eines Handelsgeschäfts, für das die Vertragsparteien die Abwicklung auf einen bestimmten festgelegten Zeitpunkt verschieben. Die Clearingabrede – oft Bestandteil von Rahmenverträgen – führt dazu, dass einzelne Anspruchspositionen durch Aufrechnung oder Verrechnung zusammengefasst und ein Saldo gebildet wird.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Europäische Union

In der Europäischen Union ist das Clearing insbesondere durch die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (European Market Infrastructure Regulation, EMIR) geregelt. Ziel der EMIR ist, systemische Risiken im Zusammenhang mit außerbörslichen Derivaten zu vermindern. Die Verordnung verpflichtet Marktteilnehmer, bestimmte Derivategeschäfte zentral zu clearen und stellt Anforderungen an das Risikomanagement von Gegenparteien und Clearinghäusern (Central Counterparties, CCPs).

Deutschland

In Deutschland finden sich Regelungen zum Clearing hauptsächlich im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), im Kreditwesengesetz (KWG) und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). National bedeutende Clearingsysteme – wie die der Deutsche Börse Group (Clearing über Eurex Clearing AG und Clearstream Banking AG) – unterliegen der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie der Deutschen Bundesbank.

Systematik und Formen des Clearings

Bilaterales und multilaterales Clearing

  • Bilaterales Clearing: Die Verrechnung erfolgt ausschließlich zwischen zwei Geschäftspartnern; es werden gegenseitige Forderungen aufgerechnet, um einen Restbetrag (Nettoposition) festzulegen.
  • Multilaterales Clearing: Diese Form betrifft mehrere Parteien und führt zur Aufrechnung aller gegenseitigen Forderungen innerhalb eines Netzes (sog. multilateral netting), typischerweise gesteuert durch ein Clearinghaus, das als zentrale Gegenpartei (Central Counterparty) auftritt.

Zentrales Clearing durch Clearinghäuser

Clearinghäuser übernehmen eine zentrale Rolle bei der Abwicklung und Sicherung von Transaktionen in organisierten Märkten. Sie stehen zwischen Käufer und Verkäufer, sorgen für die Erfüllung der Geschäfte und reduzieren somit das Kontrahentenrisiko erheblich. Die rechtliche Hauptfunktion eines Clearinghauses besteht in der Novation des Geschäfts: Die ursprünglichen vertraglichen Verpflichtungen zwischen Käufer und Verkäufer werden ersetzt durch Verpflichtungen der jeweiligen Parteien gegenüber dem Clearinghaus.

Rechtsfolgen der Novation

Die Novation beim Clearing (im Sinne des § 241 BGB bzw. Art. 1271 ff. BGB analog) führt dazu, dass das Clearinghaus die Position des Vertragspartners einnimmt. So entstehen getrennte Rechtsverhältnisse, die separat erfüllt werden. Dies ermöglicht eine effiziente Risikostreuung und einen effektiveren Schutz vor Zahlungsausfällen.

Aufrechnungs- und Verrechnungsmechanismen

Durch das Clearing werden Forderungen und Verbindlichkeiten durch die Mechanismen der Verrechnung (Netting) reduziert. Folgende Netting-Mechanismen sind rechtlich bedeutsam:

  • Payment Netting: Verrechnung gleichartiger Forderungen mit der Folge, dass nur noch ein Zahlbetrag zu leisten ist.
  • Settlement Netting: Zusammenfassung aller zu erfüllenden Geschäfte zu einem geschuldeten Nettosaldo am Abrechnungstag.
  • Close-out Netting: Verrechnung aller ausstehenden Geschäfte im Fall bestimmter Ereignisse (z. B. Insolvenz) auf Grundlage ihres Marktwertes zum Stichtag.

Clearing in Sonderrechtsbereichen

Clearing im Bank- und Zahlungsverkehr

Im Bankenumfeld hat das Clearing große Bedeutung beim Massenzahlungsverkehr und Interbankenhandel. Hier nutzen Zahlungsdienstleister zentrale Clearingsysteme zur effizienten, sicheren Abwicklung von Transaktionen zwischen Banken und sonstigen Finanzakteuren. Rechtliche Grundlage stellen u. a. das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) und die Regelwerke der Deutschen Bundesbank dar.

Börsen- und Wertpapierclearing

Wertpapiergeschäfte an Börsen werden spätestens beim Settlement in Clearingsystemen verarbeitet. Die Einbindung von Zentralverwahrern (Central Securities Depositories, CSDs) und die Koppelung an zentrale Clearingstellen setzt eine Vielzahl aufsichts- und zivilrechtlicher Normen in Kraft. Insbesondere die Abwicklung (Settlement) und die Verwahrung (Safekeeping) sind eng mit den jeweiligen Clearingregeln verzahnt.

Clearing bei Energielieferungen und Rohstoffen

Im Bereich der Energiewirtschaft schreiben Marktregulierungen u. a. gemäß dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) den Einsatz von Clearingmechanismen vor, um Liefer- und Zahlungsströme marktübergreifend zu koordinieren und Risiken zu reduzieren. Auf internationalen Märkten kommen spezialisierte Clearinghäuser für Rohstoffgeschäfte (z. B. ICE Clear Europe) zum Einsatz, deren rechtliche Rolle und Anforderungen in der jeweiligen Handelsordnung und in regulatorischen Vorgaben fixiert sind.

Risiken und Insolvenzschutz

Clearing reduziert systemische Risiken durch zentrale Abwicklung und fortlaufende Risikobewertung (sog. Margining und Sicherheitenstellung). Im Insolvenzfall greifen besondere Vorschriften, um die privilegierte Behandlung netzgestützter Aufrechnungsrechte sicherzustellen. In Deutschland schützen §§ 104 ff. Insolvenzordnung (InsO) sowie die Umsetzung der EU-Finanzsicherheitenrichtlinie (Gesetz über Finanzsicherheiten, FSG) die Aufrechnungen aus dem Clearingverfahren vor Rückforderungen der Insolvenzmasse.

Internationales Clearing und Rechtskonflikte

Aufgrund der grenzüberschreitenden Natur vieler Finanztransaktionen ist das Clearing häufig mit internationalen Sachverhalten verknüpft. Relevant sind Fragen des anwendbaren Rechts, der Zuständigkeit von Gerichten sowie der internationalen Anerkennung von Sicherungs- und Nettingabreden. Internationale Standards, etwa durch das International Swaps and Derivatives Association (ISDA) Master Agreement, spielen eine zentrale Rolle in der Rechtsanwendung.

Zusammenfassung

Clearing stellt ein zentrales Element moderner Finanz- und Warenmärkte dar. Es dient der rechtssicheren, risikominimierenden Verrechnung und Erfüllung gegenseitiger Forderungen. Die rechtlichen Regelungen erstrecken sich von privatrechtlichen Rahmenverträgen über nationale Gesetze bis zu internationalen Verordnungen und Standards. Kernfragen betreffen die Abwicklung, das Aufrechnungs- und Sicherheitenrecht, den Insolvenzschutz sowie die Einbindung in beaufsichtigte Systeme. Clearinghäuser bilden die institutionelle Grundlage für die effektive und rechtssichere Durchführung dieser Prozesse.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für das Clearing in Deutschland?

Das Clearing in Deutschland unterliegt einer Vielzahl rechtlicher Rahmenbedingungen, die sich sowohl aus nationalem als auch aus europäischem Recht ergeben. Zentrale Vorschriften bildet das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sowie das Kreditwesengesetz (KWG), welche insbesondere Anforderungen an die Finanzmarktinfrastruktur stellen. Daneben ist die Europäische Marktinfrastrukturverordnung (EMIR) von elementarer Bedeutung, die detaillierte Vorgaben für das zentrale Clearing von Derivaten macht. Sie regelt beispielsweise die Zulassung und Aufsicht von zentralen Gegenparteien (Central Counterparties, CCPs), Risikominderungstechniken und Meldepflichten. Hinzu kommen weitere regulatorische Anforderungen, etwa durch die Verordnung über Zentralverwahrer (Central Securities Depositories Regulation, CSDR) und bestimmte EU-Richtlinien, wie beispielsweise MiFID II (Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente). Im Ergebnis ergibt sich ein komplexes, mehrschichtiges Regelungsgefüge, das insbesondere auf die Stabilität und Integrität der Finanzmärkte sowie auf den Anlegerschutz abzielt. Nationale Regelungen dürfen nur insoweit erlassen werden, wie sie dem höherrangigen europäischen Recht nicht entgegenstehen.

Welche Pflichten treffen Marktteilnehmer beim Clearing aus rechtlicher Sicht?

Marktteilnehmer, die am Clearing-Prozess beteiligt sind, unterliegen verschiedenen Pflichten, um die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Zunächst besteht eine Pflicht zur Absicherung und Risikosteuerung, insbesondere zur Hinterlegung von Sicherheiten (Margins) bei der CCP, um ein Gegenseitigkeitsrisiko zu minimieren. Darüber hinaus trifft sie gemäß EMIR eine Meldepflicht für sämtliche derivative Geschäfte, damit Transparenz und Überwachung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden gewährleistet werden. Marktteilnehmer haben zudem die Pflicht, ihre internen Risikomanagement-Systeme ständig an die geltenden Standards anzupassen sowie Compliance-Mechanismen zu implementieren, um sowohl geldwäscherechtlichen als auch aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen. Im Falle von Verstößen drohen empfindliche Sanktionen sowohl aufsichts- als auch zivilrechtlicher Natur.

Welche Rolle spielen zentrale Gegenparteien (CCPs) aus rechtlicher Sicht beim Clearing?

Zentrale Gegenparteien (CCPs) nehmen beim Clearing eine wesentliche Funktion als Intermediäre zwischen Käufer und Verkäufer ein. Aus rechtlicher Sicht übernehmen sie das sogenannte Novationsprinzip, bei dem Vertragsbeziehungen mit dem ursprünglichen Handelspartner nach der Abwicklung durch die CCP ersetzt werden. Die CCP wird selbst Vertragspartner und trägt damit das Ausfallrisiko. Um diese risikoreiche Stellung zu rechtfertigen, sind sie durch EMIR und weitere nationale Gesetze streng reguliert. Sie müssen Zugangsvoraussetzungen erfüllen, Transparenzpflichten befolgen sowie umfassende Risikominderungsmaßnahmen einführen und überwachen. Dazu gehören insbesondere die Bildung von garantierten Sicherheitenfonds und laufende Stresstests zur Gewährleistung der Systemstabilität. Die Aufsicht über CCPs erfolgt in Deutschland primär durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank und – auf europäischer Ebene – der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA).

Welche rechtlichen Haftungsrisiken bestehen beim Clearing?

Beim Clearing ergeben sich für alle beteiligten Parteien diverse Haftungsrisiken. Im Vordergrund steht das Gegenparteiausfallrisiko, das jedoch durch Einbeziehung einer CCP weitgehend mitigiert wird. Dennoch verbleiben Haftungsrisiken für Fehler im Clearing-Prozess, beispielsweise bei verspäteter, fehlerhafter oder gar unterlassener Durchführung der Transaktion. In solchen Fällen haften Clearing-Mitglieder oder die CCP zivilrechtlich für entstandene Schäden. Ferner können Aufsichtsbehörden bei nachgewiesenen Verstößen gegen die geltenden Regelungen Bußgelder bis hin zum Entzug der Zulassung verhängen. Compliance-Verstöße wie Nichtbeachtung der Meldepflichten gemäß EMIR oder Missachtung interner Sicherungsmechanismen können zudem zu strafrechtlicher und/oder aufsichtsrechtlicher Haftung der handelnden Organe führen. Daher ist die Einrichtung eines funktionierenden internen Kontrollsystems aus rechtlicher Sicht unabdingbar.

Wie werden Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Clearing rechtlich geregelt?

Streitigkeiten, die im Rahmen von Clearing-Prozessen entstehen, werden in erster Linie auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Marktteilnehmern und der jeweiligen CCP gelöst. Diese Verträge enthalten in der Regel detaillierte Schlichtungs- und Gerichtsstandsklauseln, um mögliche Auseinandersetzungen effizient beizulegen. Wenn keine Einigung erzielt wird, können deutsche Zivilgerichte angerufen werden. Im internationalen Kontext besteht zudem die Möglichkeit, auf Schiedsgerichte zurückzugreifen, sofern dies vertraglich vereinbart wurde. Möglich sind daneben aufsichtsrechtliche Verfahren durch BaFin und ESMA, die im Streitfall eingreifen können, insbesondere, wenn systemische Risiken oder Verstöße gegen EMIR oder sonstige aufsichtsrechtliche Vorgaben festgestellt werden. Die Einbeziehung sachkundiger Rechtsberatung ist in komplexen Fällen ratsam.

Welche Meldepflichten und Dokumentationsanforderungen bestehen beim Clearing aus rechtlicher Sicht?

Clearing-relevante Geschäfte unterliegen strengen Meldepflichten, insbesondere nach europäischer EMIR-Verordnung. Sämtliche Derivategeschäfte müssen von den Marktteilnehmern an ein Transaktionsregister gemeldet werden, um Transparenz im Markt und eine wirksame Aufsicht zu ermöglichen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Geschäfte über eine CCP zentral gecleart werden oder nicht. Daneben bestehen umfassende Dokumentationsanforderungen sowohl gegenüber der CCP als auch gegenüber den zuständigen Behörden. Marktteilnehmer sind verpflichtet, sämtliche relevante Unterlagen, inklusive Sicherheitenvereinbarungen, Abrechnungsnachweise und Transaktionsdaten, über Jahre vorzuhalten. Verstöße gegen Dokumentations- und Meldepflichten werden von den zuständigen Aufsichtsbehörden streng geahndet.

Welche Sanktionen drohen bei Verstößen gegen die clearingbezogenen rechtlichen Vorschriften?

Verstöße gegen die clearingbezogenen rechtlichen Vorschriften können weitreichende Sanktionen sowohl verwaltungsrechtlicher, zivilrechtlicher als auch strafrechtlicher Natur nach sich ziehen. Aufsichtsbehörden wie die BaFin und die ESMA sind ermächtigt, bei Verstößen Bußgelder in erheblicher Höhe zu verhängen, Zulassungen zu widerrufen und individuelle oder institutionelle Handelssperren auszusprechen. Zivilrechtlich können Ersatzansprüche wegen Schäden durch fehlerhafte oder verspätete Abwicklung entstehen. In besonders schweren Fällen, etwa bei vorsätzlichen Verstößen gegen zentrale Melde- oder Compliance-Pflichten, kommen auch strafrechtliche Sanktionen in Betracht, zum Beispiel wegen Marktmanipulation oder Insiderhandel. Zur Minimierung solcher Risiken sind ein gut implementiertes Compliance-Management und regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter rechtlich angeraten.