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clausula rebus sic stantibus


Definition und Bedeutung der Clausula rebus sic stantibus

Die clausula rebus sic stantibus ist ein grundlegend bedeutendes Rechtsprinzip, das seinen Ursprung im römischen Recht hat und in zahlreichen modernen Rechtssystemen eine wichtige Rolle spielt. Es handelt sich dabei um eine Regelung mit der Wirkung, dass Verträge grundsätzlich nur so lange verbindlich sind, wie die bei Vertragsschluss bestehenden, maßgeblichen Umstände unverändert fortbestehen. Ergeben sich nach Abschluss eines Vertrages grundlegende Änderungen der Verhältnisse, kann die Bindung an den Vertrag aufgehoben oder dessen Inhalte angepasst werden.

Im deutschen Sprachgebrauch wird die clausula rebus sic stantibus häufig als das „Wegfallen der Geschäftsgrundlage“ beschrieben. Dieses Prinzip ist vor allem im Zivilrecht von Bedeutung, hat aber auch völkerrechtliche und historisch-rechtliche Relevanz.


Historische Entwicklung der Clausula rebus sic stantibus

Ursprung im römischen Recht

Die clausula rebus sic stantibus lässt sich auf das römische Recht zurückführen, in dem das Grundprinzip der Pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten) stets galt, solange sich die grundlegenden Umstände nicht wesentlich änderten. Schon im römischen Vertragsrecht, besonders in der Lehre von der impossibilitas (Unmöglichkeit), finden sich erste Vorformen dieses Prinzips.

Entwicklung im Mittelalter und der Neuzeit

Im Mittelalter wurde das Prinzip vor allem durch Theologen und spätere Naturrechtler weiterentwickelt, um eine Korrektur starker Verfestigung des Wortlauts von Verträgen bei grundlegenden Wandelungen zu ermöglichen. In der Neuzeit wurde die clausula rebus sic stantibus zunehmend im internationalen Vertragsrecht bedeutsam, fand aber auch Einzug in nationale Kodifikationen.


Rechtsdogmatische Grundlagen

Verhältnis zu Pacta sunt servanda

Die clausula rebus sic stantibus steht im Spannungsverhältnis zur Regel Pacta sunt servanda, dem Grundsatz, dass Verträge grundsätzlich bindend sind. Während Pacta sunt servanda ein striktes Festhalten am Vertrag verlangt, ermöglicht die clausula rebus sic stantibus die Berücksichtigung veränderter, unvorhergesehener Umstände, die das Gleichgewicht oder die Grundlage des Vertrages nachhaltig erschüttern. Sie gilt daher als Korrektiv zur Vertragstreue.

Inhalt und Umfang

Das Prinzip besagt, dass eine Anpassung oder Auflösung eines Vertrages möglich ist, wenn:

  • Nach Vertragsschluss wesentliche, unvorhersehbare Veränderungen der Umstände eintreten,
  • Die Parteien diese Veränderung bei Kenntnis des späteren Sachverhalts nicht akzeptiert hätten bzw. den Vertrag in der bestehenden Form nicht geschlossen hätten,
  • Ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar wäre.

Hierbei handelt es sich jedoch um Ausnahmefälle; regelmäßig ist eine erhebliche Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses erforderlich.


Anwendung der clausula rebus sic stantibus im Zivilrecht

Deutschland

Im deutschen Recht ist das Prinzip der clausula rebus sic stantibus insbesondere in § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) kodifiziert. Danach kann eine Anpassung des Vertrags verlangt oder der Vertrag gelöst werden, wenn sich die Geschäftsgrundlage schwerwiegend verändert hat und den Parteien das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Voraussetzungen nach § 313 BGB

  1. Schwerwiegende Veränderung der Umstände nach Vertragsschluss
  2. Gemeinsame Vorstellung (Geschäftsgrundlage) der Parteien hat sich als falsch erwiesen oder ist entfallen
  3. Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag

Die Bestimmung fordert zudem, dass das Risiko der Veränderung nicht vertraglich einer Partei zugewiesen wurde.

Österreich

Im österreichischen Recht entspricht dem die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage. Gesetzlich ist das Prinzip nicht ausdrücklich geregelt, jedoch anerkennt die Rechtsprechung vergleichbare Grundsätze entsprechend dem ABGB.

Schweiz

Das schweizerische Zivilrecht regelt das verwandte Prinzip in Art. 119 OR (Unmöglichkeit) und in Art. 97 ff. OR (Vertragsstörungen), wobei insbesondere der Grundsatz der Vertragsanpassung bei unvorhersehbaren und außergewöhnlichen Umständen im Vordergrund steht.


Anwendung der clausula rebus sic stantibus im Völkerrecht

Grundlagen im Vertragsvölkerrecht

Im Völkerrecht bezeichnet die clausula rebus sic stantibus eine Ausnahmeregel vom Prinzip Pacta sunt servanda. Sie erlaubt Staaten, sich unter bestimmten Bedingungen aus völkerrechtlichen Verträgen zu lösen oder Anpassungen zu verlangen, sofern sich die grundlegenden Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wurde, wesentlich und unerwartet geändert haben.

Kodifizierung

Dieses Prinzip ist insbesondere in Artikel 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 (WVK) kodifiziert:

  • Es muss eine grundlegende Änderung der Umstände nach Vertragsschluss eingetreten sein,
  • Die Änderung muss unvorhersehbar gewesen sein,
  • Die ursprünglichen Umstände müssen einen wesentlichen Bestandteil für die Vertragsschließung dargestellt haben,
  • Die Änderung darf nicht Ergebnis eines Vertragsbruchs der betroffenen Partei selbst sein.

Anwendungsfälle und Einschränkungen

Im Völkerrecht wird die Berufung auf die clausula rebus sic stantibus restriktiv gehandhabt, um eine Aufweichung der Vertragstreue zu verhindern und die Stabilität internationaler Abkommen zu erhalten. Nur in Ausnahmefällen wird eine Anpassung oder Auflösung völkerrechtlicher Verträge auf dieser Grundlage zugelassen.


Weitere Rechtsgebiete

Arbeitsrecht, Mietrecht und andere Zivilrechtsbereiche

Auch in anderen zivilrechtlichen Bereichen ist die clausula rebus sic stantibus von Bedeutung, insbesondere dort, wo langfristige Vertragsverhältnisse bestehen (z.B. Arbeitsverträge, Mietverträge, Leasingverträge). Hier dient das Prinzip als Ausgleich bei tiefgreifenden Veränderungen der äußeren Umstände, wie z.B. wirtschaftliche Notlagen oder strukturelle Veränderungen.


Verfahren und Rechtsfolgen

Anspruch auf Anpassung oder Beendigung

Stellt ein Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus fest, stehen grundsätzlich zwei Rechtsfolgen zur Verfügung:

  1. Anpassung des Vertrags an die veränderten Umstände, sofern dies den Parteien zugemutet werden kann.
  2. Beendigung (Kündigung, Rücktritt oder Aufhebung) des Vertrags, wenn eine Anpassung nicht sinnvoll oder zumutbar ist.

Die Wahl der Rechtsfolge richtet sich nach Zumutbarkeit und Art der Störung.

Beweislast

Die Partei, die sich auf die clausula rebus sic stantibus beruft, trägt die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt sind.


Grenzen und Risikoallokation

Die Anwendung des Prinzips ist begrenzt. Vertragsparteien können das Risiko veränderter Umstände ausdrücklich regeln und abweichende Vereinbarungen treffen (z.B. Force-Majeure-Klauseln, Preisgleitklauseln). In solchen Fällen ist die clausula rebus sic stantibus regelmäßig ausgeschlossen.


Bedeutung und Praxisrelevanz

Die praktische Relevanz der clausula rebus sic stantibus steigt besonders in Zeiten wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Krisen, wie zum Beispiel während der Corona-Pandemie. Unternehmen sowie Privatpersonen können durch Berufung auf dieses Prinzip Rechtschutz bei schwerwiegenden, unverschuldeten Veränderungen der Verhältnisse suchen und eine Anpassung langfristiger Verträge erreichen.


Zusammenfassung

Die clausula rebus sic stantibus stellt ein elementares Korrektiv zum Grundsatz der Vertragstreue dar. Sie schützt vor der ungebremsten Bindung an Verträge, wenn diese durch schwerwiegende, nicht vorhersehbare Veränderungen der Umstände ihre Basis verlieren. Ihre Anwendung ist an enge Voraussetzungen geknüpft und dient dem Ausgleich widerstreitender Interessen im Vertragsrecht. In verschiedenen Rechtsordnungen und im Völkerrecht ist das Prinzip als begrenztes Ausnahmerecht anerkannt.


Weiterführende Literatur und Rechtsquellen:

  • § 313 BGB (Deutschland)
  • Artikel 62 Wiener Vertragsrechtskonvention (Völkerrecht)
  • Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB, Österreich)
  • Schweizerisches Obligationenrecht (OR)

Diese Informationsvielfalt soll eine umfassende Orientierung bieten und das Spektrum der clausula rebus sic stantibus aus verschiedensten rechtlichen Blickwinkeln beleuchten.

Häufig gestellte Fragen

In welchen Fallkonstellationen wird die clausula rebus sic stantibus im deutschen Recht relevant?

Die clausula rebus sic stantibus gewinnt im deutschen Recht insbesondere bei langfristigen Vertragsverhältnissen an Bedeutung, wenn sich nach Vertragsschluss Umstände wesentlich ändern, die für die vertragliche Grundlage maßgeblich waren. Typische Fallkonstellationen umfassen etwa gravierende wirtschaftliche Veränderungen, unerwartete gesetzgeberische Eingriffe, Naturkatastrophen oder internationale Krisen, die die Äquivalenz der vertraglichen Leistungen tiefgreifend stören. Die Rechtsprechung prüft dabei insbesondere, ob das Festhalten am ursprünglich vereinbarten Vertrag für eine Partei unzumutbar geworden ist und inwieweit der Grundsatz pacta sunt servanda dem sorgt. Praktische Anwendungsfälle sind etwa Preisgleitklauseln in Lieferverträgen, Störungen durch Kriegsausbruch oder massive Inflationsentwicklungen. Außerdem kann sie eine Rolle bei öffentlich-rechtlichen Verträgen spielen, wenn Verwaltungsakte von erheblichen und unvorhersehbaren Änderungen betroffen sind.

Gibt es eine gesetzliche Verankerung der clausula rebus sic stantibus im deutschen Zivilrecht?

Im deutschen Zivilrecht ist die clausula rebus sic stantibus als solcher nicht explizit geregelt, jedoch findet sich ihre inhaltliche Umsetzung in § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage). Diese Vorschrift ermöglicht eine Anpassung oder Auflösung des Vertrags, wenn sich Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben und die Parteien den Vertrag unter diesen veränderten Bedingungen nicht oder nur mit unzumutbaren Konsequenzen aufrechterhalten könnten. Historisch stammt das Rechtsinstitut aus der Rechtsprechung und wurde erst durch die Schuldrechtsreform im Jahre 2002 kodifiziert. § 313 BGB ist dabei als Generalklausel ausgestaltet, die sowohl für privatrechtliche als auch für öffentlich-rechtliche Verträge herangezogen werden kann.

Welche Voraussetzungen müssen für die Anwendung der clausula rebus sic stantibus erfüllt sein?

Damit die Rechtsfigur der clausula rebus sic stantibus greift, müssen mehrere anspruchsvolle Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Erstens muss eine nicht vorhersehbare, schwerwiegende Veränderung der tatsächlichen Umstände nach Vertragsschluss eingetreten sein. Zweitens müssen diese Umstände zur sogenannten Geschäftsgrundlage des Vertrags geworden und von mindestens einer Partei nicht verursacht worden sein. Drittens muss das Festhalten am unveränderten Vertrag für die betroffene Partei unzumutbar sein, sodass der Zweck des Vertrags verfehlt oder das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung unerträglich gestört ist. Darüber hinaus setzt die Anwendung voraus, dass keine vertraglichen oder gesetzlichen Anpassungsmechanismen vorrangig einschlägig sind und die Interessenabwägung eindeutig zugunsten der Anpassung oder Aufhebung ausfällt.

Wie unterscheidet sich die clausula rebus sic stantibus vom Wegfall der Geschäftsgrundlage?

Obwohl beide Begriffe oft synonym verwendet werden, markieren sie unterschiedliche rechtliche Ansätze: Die clausula rebus sic stantibus ist ein übergeordnetes, historisches Prinzip, das Verträge stillschweigend unter dem Vorbehalt des unveränderten Fortbestands bestimmter Umstände stellt. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist hingegen die konkretisierte und kodifizierte Rechtsanwendung des Prinzips im deutschen Zivilrecht. Während die clausula rebus sic stantibus auch völker- und öffentlich-rechtliche Verträge erfassen kann, bezieht sich der Wegfall der Geschäftsgrundlage in erster Linie auf vertragliche Vereinbarungen im privaten Recht.

Welche Rechtsfolgen ergeben sich, wenn die Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus vorliegen?

Wird festgestellt, dass die Anwendungsvoraussetzungen gegeben sind, sieht das Gesetz in § 313 Abs. 1 BGB zunächst in der Regel die Anpassung des Vertrags vor, d. h. die Parteien sind verpflichtet, den Vertrag unter Berücksichtigung der veränderten Umstände neu zu verhandeln. Erst wenn eine Anpassung nicht möglich oder für eine Partei unzumutbar wäre, kann gemäß § 313 Abs. 3 BGB eine Vertragsaufhebung erfolgen. Die Entscheidung darüber trifft grundsätzlich das Gericht, wobei es eine Gesamtabwägung aller Interessen der Parteien vornimmt. Sonderfälle können etwa die Aufhebung nur für die Zukunft oder hinsichtlich einzelner Vertragsteile ermöglichen.

Wann ist eine Vertragsbeendigung statt einer Vertragsänderung im Rahmen der clausula rebus sic stantibus geboten?

Eine Vertragsbeendigung anstelle einer Vertragsanpassung wird nur dann in Betracht gezogen, wenn die Anpassung unzumutbar ist oder der Zweck des Vertrags infolge der veränderten Umstände gänzlich entfallen ist. Das ist der Fall, wenn etwa fundamentale Umstände, die beiden Parteien als selbstverständlich galten, weggefallen sind, und keine sinnvolle Fortsetzung des Vertrags mehr möglich erscheint. Nach § 313 Abs. 3 BGB ist in diesen Fällen eine Vertragsauflösung geboten. Die Vertragsbeendigung erfolgt meist durch gerichtliche Entscheidung, es sei denn, die Parteien einigen sich zuvor einvernehmlich auf eine Auflösung.