Legal Lexikon

Chancenkarte


Begriff und Einführung: Die Chancenkarte im deutschen Aufenthaltsrecht

Die Chancenkarte ist ein rechtliches Instrument des deutschen Aufenthaltsrechts, das mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (Fortentwicklung) vom 18. August 2023 eingeführt wurde. Mit ihr verfolgt der deutsche Gesetzgeber das Ziel, qualifizierten Arbeitskräften aus Drittstaaten den gezielten und gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Chancenkarte ist in erster Linie als befristeter Aufenthaltstitel ausgestaltet, der eine befristete Jobsuche in Deutschland mit eingeschränktem Arbeitsmarktzugang regelt. Die gesetzlichen Grundlagen finden sich vor allem im Aufenthaltsgesetz (AufenthG), namentlich § 20a und den zugehörigen Ausführungsbestimmungen.


Gesetzliche Grundlagen und Rechtsnatur

Aufenthaltsgesetz (AufenthG) – Regelung der Chancenkarte

Die Chancenkarte ist ein eigenständiger Aufenthaltstitel nach § 20a AufenthG. Sie ermöglicht es Drittstaatsangehörigen mit ausreichender Qualifikation, zur Arbeitssuche nach Deutschland einzureisen und sich dort befristet aufzuhalten. Die Chancenkarte ist kein eigenständiger Erlaubniszweck zur Beschäftigung, sondern dient ausschließlich dem Zweck der Arbeitsplatzsuche mit Möglichkeit zur Nebenbeschäftigung.

Voraussetzungen für die Erteilung

Die Voraussetzungen zur Erteilung der Chancenkarte sind in § 20a Abs. 1-12 AufenthG abschließend geregelt. Sie umfassen insbesondere:

  • Qualifikationsnachweis: Anerkennung eines ausländischen Abschlusses, der mit mindestens einer deutschen Berufsqualifikation oder Hochschulabschluss vergleichbar ist, oder Teilanerkennung im Rahmen des Punktesystems.
  • Punktesystem: Alternativ kann die Chancenkarte durch ein Punktesystem beantragt werden, bei dem Punkte für Faktoren wie Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter und Deutschlandbezug vergeben werden.
  • Sicherung des Lebensunterhalts: Die Antragsteller müssen den Lebensunterhalt für die Dauer des Aufenthalts eigenständig sichern (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).
  • Keine Ablehnung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung: Straftaten oder andere gravierende Gründe können zur Ablehnung führen.

Rechtsstellung und Wirkungen

Mit der Chancenkarte wird eine Aufenthaltsdauer von bis zu einem Jahr eingeräumt, mit der Option auf Verlängerung um weitere zwei Jahre unter bestimmten Voraussetzungen. Binnen dieser Zeit darf eine Nebenbeschäftigung von maximal zwanzig Wochenstunden ausgeübt werden und Probearbeiten in Vollzeit sind zulässig. Wird eine qualifizierte Beschäftigung gefunden, besteht die Möglichkeit, die Chancenkarte in eine reguläre Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit umzuwandeln.


Antrags- und Genehmigungsverfahren

Antragstellung und Behördenzuständigkeit

Der Antrag auf Erteilung der Chancenkarte ist in der Regel vor der Einreise bei der für das jeweilige Herkunftsland zuständigen Auslandsvertretung (Botschaft oder Konsulat) zu stellen. Innerhalb Deutschlands ist die jeweils zuständige Ausländerbehörde für die Bearbeitung und Entscheidung zuständig.

Erforderliche Unterlagen

Dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung der Chancenkarte sind verschiedene Unterlagen beizufügen:

  • Nachweise der Qualifikationen (Zeugnisse, Urkunden, ggf. Anerkennungsbescheide)
  • Dokumentation zum Punktesystem (beispielweise Sprachzertifikate)
  • Nachweis über Sicherung des Lebensunterhalts (meist durch Sperrkonto oder Verpflichtungserklärung)
  • Gültiger Pass und gegebenenfalls bereits bestehender Aufenthaltstitel

Entscheidungsfristen und Rechtsmittel

Die zuständige Behörde hat den Antrag zu prüfen und innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden. Im Falle einer Ablehnung bestehen die üblichen Rechtsmittel gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sowie der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).


Systematik und Verhältnis zu anderen Aufenthaltstiteln

Abgrenzung zu anderen Aufenthaltserlaubnissen

Im Unterschied zur klassischen Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche für Hochqualifizierte (§ 18c Abs. 3 AufenthG) oder zur Blauen Karte EU (§ 18g AufenthG) eröffnet die Chancenkarte einen zusätzlichen, flexibleren Zugangsweg insbesondere für Personen, deren Qualifikation oder Berufserfahrung nicht unmittelbar bzw. vollständig anerkannt sind, die aber das Punktesystem erfüllen.

Aufenthaltstitel nach nationalem Recht und Unionsrecht

Die Chancenkarte ist ausschließlich ein nationaler Aufenthaltstitel und vermittelt keine Rechte aus unionsrechtlichen Vorschriften, etwa zur Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG.


Pflichten während des Aufenthalts und Folgen eines Verstoßes

Verpflichtungen des Inhabers einer Chancenkarte

Wer eine Chancenkarte innehat, ist verpflichtet,

  • einen gesicherten Lebensunterhalt während des gesamten Aufenthalts nachzuweisen,
  • unverzüglich jede Änderung in den persönlichen Lebensverhältnissen (z.B. Wechsel der Wohnadresse, Änderung des Tätigkeitstatus) mitzuteilen,
  • die gesetzlichen und behördlichen Vorgaben einzuhalten.

Folgen des Missbrauchs oder Verstoßes

Ein Verstoß gegen die Bedingungen zur Aufenthaltsberechtigung (z.B. Überschreitung der zulässigen Wochenarbeitsstunden oder fehlende Sicherung des Lebensunterhalts) kann zum Widerruf der Chancenkarte und einer Ausreisepflicht führen. In gravierenden Fällen kommen zudem strafrechtliche Sanktionen in Betracht.


Verlängerung und Statuswechsel

Möglichkeiten der Verlängerung

Eine Verlängerung der Chancenkarte ist möglich, sofern die Voraussetzungen nach wie vor erfüllt sind und keine Ausschlussgründe entgegenstehen. Unter Umständen kann sich die Höchstaufenthaltsdauer von insgesamt drei Jahren ergeben.

Statuswechsel durch Arbeitsaufnahme

Bei erfolgreicher Arbeitsplatzsuche kann der Inhaber der Chancenkarte einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel zum Zweck der qualifizierten Beschäftigung stellen. Die Chancenkarte selbst begründet hierfür kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, erleichtert aber den Zugang zur Erwerbstätigkeit.


Rechtsfolgen und Bedeutung im Zuwanderungsrecht

Die Einführung der Chancenkarte stellt eine erhebliche Entwicklung im deutschen Zuwanderungsrecht dar. Sie ergänzt das bestehende System um eine weitere Möglichkeit zur gesteuerten Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte und soll die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Einwanderungsland stärken. Gleichzeitig werden durch die gesetzlichen Regelungen Schutzmechanismen eingebaut, um einen geregelten und missbrauchsfreien Zugang zu gewährleisten.

Die Chancenkarte ist somit ein zentrales Element der Steuerung und Kontrolle von Migration und Arbeitsmarktintegration im Rahmen des Aufenthaltsrechts.


Literatur und Rechtsquellen

  • Aufenthaltsgesetz (AufenthG), insbesondere §§ 20a ff.
  • Fachkräfteeinwanderungsgesetz (Fortentwicklung) vom 18. August 2023 (BGBl. I Nr. 203)
  • Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AVwV)
  • Regierungsdokumente und Gesetzesbegründungen zur Modernisierung des Einwanderungsrechts

Hinweis: Die vorstehenden Informationen stellen einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Dimensionen der Chancenkarte dar und dienen der Übersicht im Kontext eines Rechtslexikons. Die Angaben erfolgen nach dem Stand der Gesetzgebung im Jahr 2024.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Beantragung der Chancenkarte erfüllt sein?

Um eine Chancenkarte beantragen zu können, müssen Antragstellende eine Reihe gesetzlich festgelegter Voraussetzungen erfüllen. Grundsätzlich richtet sich die Vergabe nach dem neuen § 20a AufenthG, der durch das Gesetz zur Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes geschaffen wurde. Zunächst ist ein Nachweis über die Identität und Staatsangehörigkeit zu erbringen. Es ist erforderlich, dass die Antragstellerin oder der Antragsteller aus einem sogenannten Drittstaat stammt, also aus einem Land außerhalb der Europäischen Union (EU), des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder der Schweiz. Weiterhin müssen ausreichende deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) oder alternativ ausreichende Englischkenntnisse (mindestens B2) nachgewiesen werden. Eine anerkannte oder zumindest teilweise anerkannte ausländische Berufs- oder Hochschulqualifikation ist ebenfalls erforderlich, wobei die Anerkennung nach den Vorgaben des Bundesverwaltungsamts oder anderer zuständiger Anerkennungsstellen erfolgen muss. Darüber hinaus muss der Lebensunterhalt während des Aufenthalts durch Eigenmittel gesichert sein, was regelmäßig durch den Nachweis eines festen Betrags auf einem Sperrkonto oder durch eine entsprechende Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG nachzuweisen ist. Schließlich ist die Beantragung der Chancenkarte grundsätzlich nur aus dem Ausland möglich, wobei es hiervon eng begrenzte Ausnahmen für bereits in Deutschland befindliche Ausländer gibt.

Inwiefern unterscheiden sich die rechtlichen Regelungen für die Chancenkarte von anderen Aufenthaltstiteln?

Der rechtliche Rahmen der Chancenkarte unterscheidet sich insbesondere hinsichtlich ihrer Ausgestaltung als Punktesystem, das verschiedene individuelle Kriterien (wie Qualifikation, Berufserfahrung, Alter, Sprachkenntnisse und Verbindung zu Deutschland) berücksichtigt. Im Gegensatz zu klassischen Aufenthaltstiteln, die spezifisch an einen Arbeitsplatz (§ 18a, § 18b AufenthG) oder an konkrete Ausbildungs- oder Studienzwecke (§ 16b AufenthG) gebunden sind, gewährt die Chancenkarte einen auf ein Jahr befristeten Aufenthalt zur Arbeitssuche, der auch Nebenbeschäftigungen (bis zu 20 Stunden pro Woche) und Probebeschäftigungen erlaubt. Die Voraussetzungen sind zudem flexibler, da keine konkrete Arbeitsplatz- oder Ausbildungsplatzbindung besteht. Die auf Basis eines Punktesystems vergebenen Karten sind im Gesetz ausdrücklich geregelt (§ 20a Abs. 4 AufenthG), was etwaige Ermessensspielräume der Ausländerbehörden einschränkt. Außerdem unterliegt der Aufenthalt mit der Chancenkarte speziellen Einschränkungen, wie der Pflicht, den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern, was bei anderen Aufenthaltstiteln nicht immer so streng vorgeschrieben ist.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, eine Verlängerung der Chancenkarte zu beantragen?

Die Chancenkarte ist grundsätzlich auf maximal ein Jahr befristet und dient ausschließlich der gezielten Arbeitssuche in Deutschland. Eine Verlängerung ist nach der aktuellen Rechtslage nur in Ausnahmefällen möglich, beispielsweise wenn während des Aufenthalts zwingende Gründe (wie Krankheit oder unverschuldete Verzögerungen im Anerkennungsverfahren) eine Ausreise verhindern. Im Vergleich zu anderen Aufenthaltstiteln ist die Verlängerung also gesetzlich stark eingeschränkt oder ausgeschlossen, um den temporären Charakter der Chancenkarte zu wahren. Sollte im Laufe des Aufenthalts eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden und deren entsprechender Arbeitsvertrag vorgelegt werden, kann ein Wechsel in einen langfristigen Aufenthaltstitel (wie die Blaue Karte EU oder einen Aufenthaltstitel für Fachkräfte) beantragt werden. Dies setzt jedoch die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen für den neuen Aufenthaltstitel voraus und ist nicht als einfache Verlängerung der Chancenkarte zu verstehen.

Welche rechtlichen Anforderungen gelten bezüglich des Nachweises finanzieller Mittel für die Erteilung der Chancenkarte?

Für die Erteilung der Chancenkarte ist gemäß § 20a Abs. 5 AufenthG zwingend nachzuweisen, dass der Lebensunterhalt eigenständig durch ausreichende finanzielle Mittel gesichert ist. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Antragstellende einen Nachweis über die Höhe und Verfügbarkeit der eigenen Mittel erbringen müssen. Häufig akzeptieren Ausländerbehörden hierfür einen Nachweis eines Sperrkontos mit einem gesetzlich festgelegten Mindestbetrag (analog zu den Regelungen für andere Aufenthaltstitel, z.B. etwa 1.027 Euro monatlich, Stand 2024). Alternativ kann auch eine förmliche Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG vorgelegt werden, bei der eine dritte Person für alle Kosten des Aufenthalts haftet. Der Nachweis muss regelmäßig für die gesamte geplante Aufenthaltsdauer geführt werden und bezieht sich ausdrücklich auf alle Lebenshaltungskosten einschließlich Krankenversicherung. Fehlen diese Nachweise oder kann die Finanzierung nicht glaubhaft gemacht werden, wird die Chancenkarte nicht erteilt.

Welche rechtlichen Pflichten bestehen während des Aufenthalts mit der Chancenkarte?

Während des Aufenthalts mit der Chancenkarte sind Inhaberinnen und Inhaber verpflichtet, eigenverantwortlich für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und dürfen nur in dem gesetzlich definierten Umfang arbeiten – maximal 20 Stunden pro Woche in Nebenbeschäftigungen sowie in Probebeschäftigungen von bis zu zwei Wochen. Der Besuch von Integrationskursen oder ähnlichen Maßnahmen bleibt freiwillig. Der Aufenthaltstitel verpflichtet außerdem dazu, Deutschland wieder zu verlassen, sollte innerhalb des Jahres keine qualifizierte Beschäftigung aufgenommen oder keine Umwandlung in einen anderen Aufenthaltstitel erfolgen. Bei Verstößen gegen die auferlegten Bedingungen, insbesondere bei Überschreiten der erlaubten Wochenarbeitszeit oder unzureichender Sicherung des Lebensunterhalts, droht im schlimmsten Fall der Widerruf der Chancenkarte sowie die Ausreiseverpflichtung. Schließlich sind die allgemeinen gesetzlichen Pflichten aus dem Aufenthaltsgesetz, wie Ausweispflicht, Meldepflicht und Mitwirkungspflicht bei behördlichen Maßnahmen, vollumfänglich einzuhalten.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen gegen eine Ablehnung des Antrags auf eine Chancenkarte?

Wird der Antrag auf Erteilung einer Chancenkarte durch die zuständige Ausländerbehörde abgelehnt, besteht gemäß Verwaltungsverfahrensrecht die Möglichkeit, binnen eines Monats nach Zustellung des Ablehnungsbescheids Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch ist grundsätzlich an die Stelle zu richten, die die negative Entscheidung getroffen hat. Sollte auch durch das Widerspruchsverfahren keine positive Entscheidung erzielt werden, so kann innerhalb eines Monats nach Erhalt des Widerspruchsbescheids Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht werden. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wird vor allem überprüft, ob die Ausländerbehörde die gesetzlichen Vorschriften korrekt angewendet hat und ob die Ablehnung rechtmäßig war. Eventuelle Härtefallregelungen können im Einzelfall relevant werden, sind aber bei der Chancenkarte aufgrund deren temporären und klar umrissenen Charakters eher selten von Bedeutung. In jedem Fall empfiehlt es sich, bei einem ablehnenden Bescheid rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen.