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Chancengleichheit


Begriff und Bedeutung der Chancengleichheit

Chancengleichheit ist ein zentrales Prinzip moderner Rechts- und Gesellschaftsordnungen und bezeichnet das Recht aller Menschen, insbesondere unabhängig von Geschlecht, Abstammung, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität, gleiche Möglichkeiten zur Verwirklichung ihrer individuellen Lebensziele zu haben. Im rechtlichen Kontext umfasst Chancengleichheit verschiedene Aspekte von Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsregelungen bis hin zu Maßnahmen zur tatsächlichen Herstellung von Gleichheit im Bildungs- und Berufsleben.

Chancengleichheit im deutschen Recht

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Art. 3 Grundgesetz (GG)

Die Chancengleichheit ist in Deutschland durch das Grundgesetz abgesichert. Art. 3 Abs. 1 GG formuliert das allgemeine Gleichbehandlungsgebot: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ In den Absätzen 2 und 3 werden besondere Diskriminierungsverbote normiert, etwa wegen Geschlecht, Abstammung, Religion oder Behinderung. Die Chancengleichheit findet somit ihre Basis in der verfassungsrechtlichen Gleichheitssicherung und konkretisiert sich in verschiedenen Lebensbereichen durch weitere Gesetze und gerichtliche Rechtsprechung.

Weitere Normen

Neben Art. 3 GG existieren spezielle Regelungen, wie Art. 33 Abs. 2 GG zur „gleiche Zugang zu jedem öffentlichen Amte nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“, welcher insbesondere im öffentlichen Dienst weitreichende Bedeutung für Fragen der Chancengleichheit besitzt.

Einfachgesetzliche Ausgestaltung

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt umfassend den Schutz vor Diskriminierung im Zivilrecht und Arbeitsrecht. Es verbietet Benachteiligungen aus Gründen wie Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität in Beschäftigung und Beruf sowie beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. Ziel des AGG ist es, den Grundsatz der Chancengleichheit effektiv durchsetzbar zu machen.

Bildungsrechtliche Regelungen

Das Recht auf Chancengleichheit entfaltet besondere Wirkung im Bereich von Schule, Ausbildung und Hochschule. Gerichte haben insbesondere die Pflicht des Staates anerkannt, durch geeignete organisatorische und materielle Vorkehrungen Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche zu verwirklichen. Beispielsweise verlangt die Verfassungsrechtsprechung, dass Prüfungen unter objektiv gleichen Bedingungen stattfinden und Auswahlverfahren im Hochschulzugang diskriminierungsfrei erfolgen müssen.

Beamtenrecht

Im Beamtenrecht gilt das Leistungsprinzip (§ 9 BBG, § 9 BeamtStG) und das Gebot der Bestenauslese im Zusammenhang mit Einstellung und Beförderung. Die Chancengleichheit verlangt, dass objektive, dem Zweck der Auswahl entsprechende Kriterien eingehalten werden und subjektive Diskriminierungen ausgeschlossen sind.

Antidiskriminierungsrecht und Gleichstellungsgebote

Chancengleichheit ist eng mit dem Antidiskriminierungsrecht und dem Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung verbunden. Deutschland hat zahlreiche unionsrechtliche und internationale Vorgaben in nationales Recht umgesetzt:

  • Gleichstellungsgesetze: Spezielle Gleichstellungsgesetze auf Bundes- und Landesebene fördern Chancengleichheit insbesondere für Frauen im öffentlichen Dienst und enthalten Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
  • Behindertengleichstellungsgesetz (BGG): Das BGG garantiert Menschen mit Behinderung die gleichberechtigte Teilhabe und verpflichtet öffentliche Stellen zu Barrierefreiheit und angemessenen Vorkehrungen.

Chancengleichheit im internationalen und supranationalen Recht

Europa- und Völkerrechtliche Grundlagen

Chancengleichheit ist in elementaren europäischen und völkerrechtlichen Dokumenten verankert, etwa:

  • Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK): Art. 14 EMRK schützt vor Diskriminierung bei dem Genuss der in der Konvention garantierten Rechte.
  • Charta der Grundrechte der Europäischen Union: Art. 21 der Charta enthält ein umfassendes Diskriminierungsverbot, Art. 23 schreibt die Gleichstellung von Männern und Frauen ausdrücklich fest.
  • UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK): Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, umfassende Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.

EU-Richtlinien im Antidiskriminierungsrecht

Verschiedene antidiskriminierungsrechtliche Richtlinien der Europäischen Union, wie die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG) und die Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Ansehen der Rasse oder ethnischer Herkunft (RL 2000/43/EG), verpflichten die Mitgliedstaaten, effektive Mechanismen zum Schutz der Chancengleichheit zu implementieren.

Rechtsdogmatische Dimensionsformen der Chancengleichheit

Formelle und materielle Chancengleichheit

In der Rechtswissenschaft wird zwischen formeller Chancengleichheit, also dem gleichen Zugang zu bestimmten Lebensbereichen, und materieller bzw. tatsächlicher Chancengleichheit unterschieden, die eine aktive Förderung und den Ausgleich sozialer Benachteiligungen einschließt. Im deutschen Recht dominiert, insbesondere im Bildungsrecht, die Forderung nach einer zumindest „relativen Chancengleichheit“, nicht jedoch nach einer vollständigen Nivellierung aller Startbedingungen.

Verhältnis zu anderen Gleichheitsgrundsätzen

Das Gebot der Chancengleichheit überschneidet sich inhaltlich mit anderen Gleichheitsgrundsätzen, etwa dem Diskriminierungsverbot oder dem Leistungsprinzip. Es ist jedoch eigenständig als Schutzkonzept, das sich vor allem auf die Zugangsbedingungen zu gesellschaftlich relevanten Positionen und Ressourcen bezieht.

Rechtsprechung und Durchsetzung der Chancengleichheit

Gerichtsentscheidungen

Die Rechtsprechung, vor allem das Bundesverfassungsgericht, hat die Anforderungen an die Chancengleichheit vielfach konkretisiert. Insbesondere werden folgende Grundsätze betont:

  • Gleichstellung im Zugang zu öffentlichen Ämtern
  • Gleichbehandlung bei Prüfungen und Auswahlverfahren
  • Durchsetzung der Gleichstellung auch durch Fristen, Transparenzpflichten und Rechtsbehelfe

Rechtsweg und Schutzmöglichkeiten

Betroffene können gegen Verstöße gegen Chancengleichheit vorgehen, beispielsweise durch Klagen auf Grundlage des AGG oder durch Verfassungsbeschwerden. Organisationen wie Antidiskriminierungsstellen unterstützen die Wahrnehmung der Rechte.

Kritik und Herausforderungen

Trotz der vielfältigen Regelungen bestehen Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung von Chancengleichheit, insbesondere hinsichtlich struktureller und gesellschaftlicher Benachteiligungen, ungleicher Startbedingungen oder unzureichender Fördermaßnahmen. Die Diskussionen betreffen insbesondere das Verhältnis von individueller Freiheit, Leistungsprinzip und staatlicher Eingriffsbefugnis zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit.

Fazit

Chancengleichheit ist ein tragendes Grundprinzip moderner Rechtsordnungen und durchzieht zahlreiche nationale, europäische und internationale Rechtsquellen. Sie soll gewährleisten, dass alle Menschen ihr Potential ohne ungerechtfertigte Benachteiligung entfalten können. Die Durchsetzung erfolgt durch ein differenziertes System aus Grundrechten, einfachgesetzlichen Bestimmungen und gerichtlicher Kontrolle. Herausforderungen bestehen weiterhin bei der tatsächlichen Realisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Häufig gestellte Fragen

Was regelt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Hinblick auf Chancengleichheit?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dient in Deutschland primär dazu, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Es gilt sowohl im Arbeitsleben als auch im alltäglichen Rechtsverkehr. Im arbeitsrechtlichen Kontext verpflichtet das AGG Arbeitgeber, Diskriminierung im Zusammenhang mit Einstellung, Arbeitsbedingungen, Beförderung und Entlassung zu unterbinden. Beschäftigte, die eine Benachteiligung erfahren, haben nach Maßgabe des AGG Anspruch auf Beschwerde, Schadensersatz oder Entschädigung. Das Gesetz sieht zudem vor, dass Benachteiligungen bei öffentlichen Leistungen sowie beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen untersagt werden. Sanktionen und Klagewege sind ebenfalls geregelt; insbesondere tragen Arbeitgeber eine Beweislastumkehr, falls Indizien für eine Diskriminierung vorliegen.

Welche rechtlichen Maßnahmen stehen Betroffenen von Diskriminierung im Bezug auf Chancengleichheit zur Verfügung?

Betroffene von Diskriminierung nach dem Grundsatz der Chancengleichheit können verschiedene rechtliche Schritte einleiten. Zunächst steht ihnen das Beschwerderecht beim Arbeitgeber zu (§ 13 AGG). Kommt keine Einigung zustande, können sie vor Arbeits- oder Zivilgerichten auf Unterlassung, Beseitigung der Benachteiligung, Schadensersatz (§ 15 AGG) oder Entschädigung für immaterielle Schäden klagen. Zum Nachweis genügt zunächst das sogenannte Primafacie-Beweismaß: Das Opfer muss Indizien vorbringen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Die Gegenseite ist dann verpflichtet, eine Benachteiligung zu widerlegen. Daneben bieten außergerichtliche Stellen, etwa die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Beratung und Hilfestellung an. Im Falle staatlicher Stellen kann auch der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Wichtig ist zumeist die Einhaltung von Fristen, z. B. muss ein Anspruch innerhalb von zwei Monaten nach Kenntnis der Benachteiligung geltend gemacht werden.

Wie ist der Begriff der „mittelbaren Diskriminierung“ im rechtlichen Kontext verankert?

Die mittelbare Diskriminierung ist gesetzlich insbesondere im § 3 Abs. 2 AGG geregelt. Sie liegt vor, wenn scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines der genannten Diskriminierungsmerkmale in besonderer Weise benachteiligen, es sei denn, die betreffende Regelung ist durch ein legitimes Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich. Die Beurteilung dieser Voraussetzungen obliegt im Streitfall den Gerichten. Im deutschen Recht, ebenso wie im EU-Recht (RL 2000/43/EG, RL 2000/78/EG), geht es dabei um die Vermeidung versteckter Strukturen der Benachteiligung beispielsweise durch Vorgaben bei Einstellungstests, Zugangsvoraussetzungen oder betriebliche Regelungen, die etwa Frauen, Menschen mit Behinderung oder anderen Gruppen faktisch ausschließen.

Welche Rolle spielt das Grundgesetz für die Chancengleichheit im deutschen Rechtssystem?

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert in Art. 3 die Gleichheit vor dem Gesetz, das Diskriminierungsverbot und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dabei hat Art. 3 Abs. 2 („Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“) eine aktive Förderpflicht des Staates zur Herstellung faktischer Chancengleichheit begründet. Darüber hinaus wurden Maßnahmen wie das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) oder das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) geschaffen, die aus der Grundgesetzvorgabe abgeleitet wurden und spezifische Benachteiligungen adressieren. Die Grundrechte binden alle staatlichen Stellen direkt und können im Einzelfall Grundlage für Verfassungsbeschwerden sein.

Welche Pflichten treffen Arbeitgeber zur Wahrung der Chancengleichheit nach deutschem Recht?

Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, sämtliche arbeitsrechtlichen Entscheidungen diskriminierungsfrei zu treffen. Das betrifft Einstellungen, Beförderungen, Weiterbildungen, Versetzungen sowie Kündigungen. Konkret müssen Arbeitgeber dafür sorgen, dass Arbeitsplätze barrierefrei gestaltet sind, Stellenausschreibungen neutral formuliert werden und innerbetriebliche Verfahren auf Diskriminierungsfreiheit überprüft werden. Sie müssen zudem präventive Maßnahmen ergreifen, wie die Schulung von Führungskräften zur Sensibilisierung und Prävention, und sicherstellen, dass Verstöße geahndet werden. Werden Benachteiligungen festgestellt, sind Arbeitgeber verpflichtet, Maßnahmen zur Beseitigung und zum Schutz der Betroffenen zu ergreifen (z. B. Umsetzungen, Sanktionen gegen diskriminierende Mitarbeitende). Auch die Einrichtung betrieblicher Beschwerdestellen ist gesetzlich vorgesehen.

Gibt es besondere gesetzliche Vorgaben zur Förderung benachteiligter Gruppen im Arbeitsleben?

Ja, besondere Fördermaßnahmen zu Gunsten benachteiligter Gruppen sind ausdrücklich erlaubt und teilweise vorgeschrieben. Dies ergibt sich sowohl aus dem AGG (§ 5 – Positive Maßnahmen) als auch aus Spezialgesetzen wie dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen, dem Bundesgleichstellungsgesetz oder Landesgleichstellungsgesetzen. Solche Maßnahmen können beispielsweise Quotenregelungen für Frauen, Programme zur Re-Integration von langzeitarbeitslosen Personen oder die bevorzugte Einstellung von Menschen mit Behinderung umfassen. Die Maßnahmen dürfen dabei aber nur so weit gehen, wie sie zur Beseitigung bestehender Nachteile erforderlich sind, und müssen regelmäßig überprüft werden.

Wie wird Chancengleichheit im Bereich Bildung rechtlich gewährleistet?

Im Bildungsbereich wird Chancengleichheit durch eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen geregelt. Dazu gehören neben dem AGG insbesondere das Grundgesetz (Art. 3 und Art. 7), das Schulgesetz der Länder sowie spezifische Vorschriften, wie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland geltendes Recht ist. Diese Normen verpflichten insbesondere öffentliche Bildungseinrichtungen zu diskriminierungsfreiem Zugang, zur Bereitstellung von Nachteilsausgleichen (z. B. verlängerte Prüfungszeiten für behinderte Schüler) und zur Förderung sozial benachteiligter Gruppen durch entsprechende Programme. Bei Verstößen können Rechtsmittel wie Widerspruch, Klage vor dem Verwaltungsgericht oder im Einzelfall Verfassungsbeschwerde eingelegt werden.