Chancen-Aufenthaltsrecht
Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist ein migrationsrechtliches Instrument, das im deutschen Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verankert wurde. Ziel dieser Regelung ist es, Ausländerinnen und Ausländern, die sich über einen längeren Zeitraum ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland aufhalten, unter bestimmten Voraussetzungen eine Bleibeperspektive und die Möglichkeit eines langfristigen Aufenthalts zu eröffnen. Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen, Voraussetzungen, Rechtsfolgen sowie praktische Aspekte des Chancen-Aufenthaltsrechts umfassend dargestellt.
Gesetzliche Grundlage
Einführung und Rechtsrahmen
Das Chancen-Aufenthaltsrecht wurde mit dem Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts vom 30. Dezember 2022 eingeführt und in § 104c des Aufenthaltsgesetzes geregelt. Die Einführung dieses Instruments erfolgte vor dem Hintergrund humanitärer und integrationspolitischer Überlegungen, um langjährig Geduldeten eine Perspektive auf Aufenthalt und Integration zu ermöglichen.
Verhältnis zu anderen Aufenthaltstiteln
Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist rechtlich abzugrenzen von anderen Aufenthaltsformen wie der Duldung nach § 60a AufenthG und anderen Aufenthaltserlaubnissen auf humanitärer Basis (z. B. § 25a, § 25b AufenthG). Es stellt eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis dar, die zeitlich befristet und an strikte Bedingungen geknüpft ist.
Voraussetzungen des Chancen-Aufenthaltsrechts
Begünstigter Personenkreis
Vom Chancen-Aufenthaltsrecht können Menschen profitieren, die sich am Stichtag 31. Oktober 2022 ununterbrochen seit mindestens fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltsgewährung in Deutschland aufgehalten haben. Maßgeblich ist dabei, dass die Antragstellenden keinen gültigen Aufenthaltstitel besitzen, sondern lediglich geduldet sind.
Ausschlussgründe
Bestimmte Personengruppen sind von der Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts ausgeschlossen. Dazu zählen insbesondere:
- Personen, die wiederholt vorsätzlich die Ausreisepflicht verhindert oder erschwert haben,
- Personen, die wegen erheblicher Straftaten verurteilt wurden,
- Personen, die ihre Identität und Staatsangehörigkeit nicht klargestellt haben, sofern dies ihnen zumutbar war.
Integrationsvoraussetzungen und Mitwirkungspflichten
Für die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts ist die Mitwirkung bei der Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit unabdingbar. Die Bereitschaft zur Integration, insbesondere zur Teilnahme an Integrations- sowie Deutschsprachkursen und zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts, kann im Verlauf der anschließenden Aufenthaltserlaubnisse weiter relevant werden.
Verfahren zur Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts
Antragstellung und behördliche Prüfung
Der Antrag ist bei der jeweils zuständigen Ausländerbehörde zu stellen. Im Antragsverfahren prüft die Behörde insbesondere die ununterbrochene Aufenthaltsdauer, das Vorliegen der Ausschlussgründe und die Mitwirkungspflichten. Ein Anspruch auf Erteilung besteht, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Rechtsmittel und Rechtsschutz
Wird der Antrag auf Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts abgelehnt, stehen den Betroffenen reguläre Rechtsbehelfe nach dem Verwaltungsverfahrensrecht offen. Insbesondere kann durch Widerspruch oder Klage die gerichtliche Überprüfung der behördlichen Entscheidung beantragt werden.
Inhalt und Rechtsfolgen des Chancen-Aufenthaltsrechts
Befristung und Geltungsdauer
Das Chancen-Aufenthaltsrecht wird für eine Dauer von zunächst 18 Monaten erteilt. Während dieser Zeit erhalten die Inhaberinnen und Inhaber einen gesicherten Aufenthaltstitel, der sie vor einer Abschiebung schützt und den Zugang zu Arbeitsmarkt, Ausbildung und Integrationsmaßnahmen eröffnet.
Wechsel in einen dauerhaftes Aufenthaltsrecht
Ziel des Chancen-Aufenthaltsrechts ist es, den Wechsel in einen dauerhaften Aufenthaltstitel, beispielsweise nach § 25a (Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende) oder § 25b AufenthG (Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration), zu ermöglichen. Innerhalb der Geltungsdauer müssen die hierfür erforderlichen Voraussetzungen – insbesondere Identitätsnachweis, eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und Nachweis von Integrationsfortschritten – erfüllt werden.
Nebenbestimmungen und Arbeitsmarktzugang
Die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts ist grundsätzlich mit einer uneingeschränkten Erwerbstätigkeitserlaubnis verbunden. Dies fördert die Integration in den Arbeitsmarkt und unterstützt die Erfüllung der Voraussetzungen für einen anschließenden Aufenthaltsstatus.
Besonderheiten und Abgrenzungen
Unterschied zum Bleiberecht
Im Unterschied zum klassischen Bleiberecht nach § 25a und § 25b AufenthG setzt das Chancen-Aufenthaltsrecht keine bereits erfolgte gelungene Integration voraus, sondern gewährt eine befristete Aufenthaltsmöglichkeit zur Schaffung der erforderlichen Integrationsvoraussetzungen.
Ende und Widerruf
Das Chancen-Aufenthaltsrecht endet mit Ablauf der gewählten Frist, spätestens nach 18 Monaten. Ein Widerruf oder eine Rücknahme ist möglich, wenn die Voraussetzungen nachträglich entfallen, insbesondere bei Identitätstäuschung oder strafrechtlichen Verurteilungen.
Statistik und praktische Bedeutung
Anzahl der Berechtigten
Unterschiedlichen Schätzungen zufolge können deutschlandweit mehrere Zehntausend Menschen von der Neuregelung profitieren. Die praktische Bedeutung liegt vor allem in der Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe und Integration bisher perspektivlos Geduldeter.
Herausforderungen in der Anwendung
Die Feststellung der ununterbrochenen Aufenthaltszeit, die Identitätsklärung und der Nachweis von Integrationsleistungen stellen in der Praxis Herausforderungen für die Betroffenen und die beteiligten Behörden dar.
Fazit
Das Chancen-Aufenthaltsrecht stellt ein wichtiges Instrument im deutschen Migrationsrecht dar, das langjährig Geduldeten eine Perspektive auf Teilhabe und Integration eröffnet. Die sorgfältige Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen sowie der gesetzlichen Fristen ist für eine erfolgreiche Antragstellung und den anschließenden Wechsel in eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis unerlässlich.
Literatur und weiterführende Links
- Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts (BGBl. 2022 I S. 2847)
- Aufenthaltsgesetz (AufenthG), insbesondere § 104c
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Informationen zum Chancen-Aufenthaltsrecht
Dieser Artikel bietet eine umfassende rechtliche Übersicht zum Chancen-Aufenthaltsrecht und dient der schnellen, sachlichen Information im Kontext des deutschen Migrationsrechts.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um das Chancen-Aufenthaltsrecht zu erhalten?
Um das Chancen-Aufenthaltsrecht (nach § 104c AufenthG) in Anspruch nehmen zu können, müssen Ausländer mehrere gesetzlich geregelte Voraussetzungen kumulativ erfüllen. Zunächst müssen sie sich am Stichtag 31. Oktober 2022 ununterbrochen seit mindestens fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben. Kurzzeitige Unterbrechungen wie Aufenthalte im Ausland (maximal ein Monat im Kalenderjahr bzw. bis zu zwei Monaten bei besonders gelagerten Fällen z.B. bei Erkrankung) können gegebenenfalls unschädlich sein, dürfen jedoch nicht zu einer generellen Unterbrechung führen. Darüber hinaus darf kein Bezug zur organisierten Kriminalität bestehen, ebenso wenig dürfen erhebliche Straftaten vorliegen; Bagatelldelikte sind nicht zwingend ausschlussrelevant, jedoch wird ab einer Gesamtfreiheitsstrafe von über 50 Tagessätzen oder bei Mehrfachtäterschaft der Aufenthaltstitel regelmäßig versagt. Eine nachweislich bestehende Identität, durch Vorlage von Reisepass oder sonstigen Identitätsdokumenten, ist ebenfalls erforderlich. Das Chancen-Aufenthaltsrecht kann grundsätzlich nur einmalig erteilt werden.
Besteht während des Chancen-Aufenthaltsrechts ein Anspruch auf Erwerbstätigkeit?
Während der Gültigkeit des Chancen-Aufenthaltsrechts nach § 104c AufenthG besteht ein umfassendes Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Deutschland. Dies umfasst sowohl selbständige als auch nichtselbständige Tätigkeiten, sofern keine gesetzlichen Ausnahmeregelungen z.B. aus sicherheitsrechtlichen Gründen entgegenstehen. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit wird explizit in der Aufenthaltserlaubnis vermerkt. Arbeitgeber benötigen keine gesonderte Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit für die Beschäftigung von Inhabern des Chancen-Aufenthaltsrechts. Auch die Aufnahme von Ausbildungsplätzen ist gestattet.
Was passiert nach Ablauf des Chancen-Aufenthaltsrechts?
Das Chancen-Aufenthaltsrecht wird für maximal 18 Monate erteilt. Innerhalb dieses Zeitraums soll der Inhaber die Möglichkeit erhalten, die Voraussetzungen für ein reguläres Bleiberecht zu erfüllen, namentlich die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b oder § 25a AufenthG. Dazu gehören insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts (i.d.R. ohne Inanspruchnahme öffentlicher Sozialleistungen), Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen (mindestens Niveau A2) und Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung. Bei erfolgreicher Erfüllung dieser Kriterien kann ein Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis nach vorgenannten Vorschriften erfolgen. Werden sie nicht erreicht, ist die Chance auf eine weitere Aufenthaltserlaubnis nach Ablauf des § 104c AufenthG ausgeschlossen; eine erneute Duldung ist jedoch grundsätzlich möglich, sofern Abschiebungshindernisse bestehen.
Unter welchen Umständen kann das Chancen-Aufenthaltsrecht widerrufen oder zurückgenommen werden?
Behörden können das Chancen-Aufenthaltsrecht gemäß § 52 AufenthG widerrufen oder zurücknehmen, wenn nach seiner Erteilung Tatsachen bekannt werden, welche die Erteilung von vornherein ausgeschlossen hätten – wie etwa die strafrechtliche Verurteilung nach dem maßgeblichen Stichtag oder die bewusste Täuschung über Identitäts- oder Staatsangehörigkeitsangaben. Ein Widerruf kommt zudem in Betracht, wenn die mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht verbundenen Auflagen und gesetzlichen Mitwirkungspflichten grob verletzt werden, insbesondere die Pflicht zur Mitwirkung an der Identitätsfeststellung bzw. Passbeschaffung. Auch sicherheitsrechtliche Erkenntnisse, die nach der Erteilung erlangt werden, können zum Widerruf führen.
Dürfen Familienangehörige nachgezogen werden während der Laufzeit des Chancen-Aufenthaltsrechts?
Während der Geltungsdauer des Chancen-Aufenthaltsrechts besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Familiennachzug nach §§ 29 ff. AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 104c gilt als sogenannter temporärer Aufenthaltstitel und begründet kein Recht auf Nachzug der Kernfamilie (Ehegatten, minderjährige Kinder). Erst mit Wechsel in eine reguläre Aufenthaltserlaubnis, insbesondere nach §§ 25a oder 25b AufenthG, entsteht nach gesetzlichen Maßgaben ein Anspruch auf oder zumindest die Möglichkeit zum Familiennachzug.
Können auch Minderjährige das Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten?
Das Chancen-Aufenthaltsrecht steht grundsätzlich nur volljährigen Ausländern offen. Minderjährige (unter 18 Jahren) können es nicht eigenständig beantragen, da das Gesetz auf die Befähigung zur eigenständigen Lebensführung – insbesondere zur Erwerbstätigkeit und Erfüllung integrationsbezogener Verpflichtungen – abstellt. Minderjährige können während der Zeit einer eigenen oder familiären Duldung jedoch weiterhin besonderen Schutz nach §§ 25a und 25b AufenthG beim Übergang in ein Bleiberecht genießen; der Übergang erfolgt jedoch nach anderen Maßgaben.
Welche Dokumente müssen für den Antrag vorgelegt werden?
Für die Beantragung des Chancen-Aufenthaltsrechts verlangt die Ausländerbehörde im Regelfall: einen gültigen (bzw. soweit möglich zu beschaffenden) Pass oder Passersatz, Nachweise über den bisherigen ununterbrochenen Aufenthalt (z.B. alte Duldungen, Aufenthaltsgestattungen, Aufenthaltserlaubnisse, Meldebescheinigungen), ggf. Unterlagen zu Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnissen und Nachweise über den Hauptwohnsitz. Soweit relevante Straftaten im Raum stehen könnten, kann die Vorlage eines Führungszeugnisses verlangt werden. Ggf. sind auch Nachweise über die Bemühungen zur Passbeschaffung oder Identitätsklärung erforderlich. Die Behörde prüft im Einzelfall, welche Nachweise zur Glaubhaftmachung der Voraussetzungen erforderlich sind.