Begriffserläuterung: Captive
Der Begriff Captive bezeichnet im rechtlichen Kontext eine besondere Form von Eigenversicherung, bei der Unternehmen eine konzerneigene Versicherungsgesellschaft gründen, um Risiken innerhalb des eigenen Unternehmensverbundes oder einer Unternehmensgruppe selbst zu versichern. Diese Versicherungsmodelle werden vor allem von größeren Industrieunternehmen zur Risikoreduzierung, Kostenkontrolle und Optimierung ihres Risikomanagements genutzt.
Captives finden sich vornehmlich im Versicherungsrecht, aber auch im internationalen Steuerrecht, Gesellschaftsrecht, Aufsichtsrecht und teilweise im Insolvenzrecht. Die rechtliche Ausgestaltung und die regulatorische Behandlung hängen sowohl von nationalen als auch internationalen Rahmenbedingungen ab.
Formen der Captive
Reine Captive (Pure Captive)
Die reine Captive (Pure Captive) ist vollständig im Besitz eines Mutterunternehmens oder einer Unternehmensgruppe und versichert ausschließlich Risiken der Muttergesellschaft sowie eng verbundener Tochtergesellschaften. Externe Risiken werden in der Regel nicht übernommen.
Rent-a-Captive
Eine sogenannte Rent-a-Captive ist ein Versicherer, der von verschiedenen Unternehmen gegen Entgelt genutzt werden kann, ohne dass diese Eigentumsrechte an der Captive besitzen. Ein Unternehmen mietet sich in eine bestehende Captive ein und teilt sich die Vorteile der Eigenversicherung mit anderen Nutzern.
Group Captive
Die Group Captive wird von mehreren unabhängigen Unternehmen gemeinsam gegründet und finanziert, um kollektive Risiken abzusichern, wobei die beteiligten Unternehmen Anteile an der Captive halten.
Rechtsrahmen und regulatorische Anforderungen
Versicherungsaufsichtsrecht
Captive-Versicherungsgesellschaften unterliegen in den meisten Ländern dem Versicherungsaufsichtsrecht, müssen also eine Zulassung als Versicherungsunternehmen besitzen und die kapital- sowie aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllen. In der Europäischen Union gelten hierfür insbesondere die Vorgaben der Solvency II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG), die speziell Regelungen für Captives enthält, etwa hinsichtlich der Eigenkapitalanforderungen und der Governance.
Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen
Die Gründung einer Captive erfordert die Wahl einer geeigneten Rechtsform, meist Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder Äquivalente im angelsächsischen Rechtsraum (z. B. Limited). Das Mutterunternehmen muss mindestens die Mehrheit der Anteile halten. Die Satzung und das Gesellschaftskapital unterliegen den gesetzlichen Vorgaben des Ansässigkeitsstaates. Die Sitzwahl erfolgt häufig in Staaten mit günstigen regulatorischen Rahmenbedingungen, sogenannten Captive-Domiciles wie Luxemburg, Bermuda, Guernsey oder Irland.
Steuerrechtliche Aspekte
Im internationalen Steuerrecht werden Captives besonders geprüft, da sie Einfluss auf die Gewinnverlagerung innerhalb eines Konzerns haben können. Von Bedeutung sind insbesondere die Regelungen zu:
- Verrechnungspreisen: Die Versicherungsprämien zwischen Mutterunternehmen und Captive müssen dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen, um Anerkennung als Betriebsausgabe zu finden.
- Transparenzvorschriften: Offenlegungspflichten und Meldepflichten gegenüber Finanzbehörden, insbesondere im Rahmen der Anti-BEPS-Initiativen (Base Erosion and Profit Shifting).
- Ertragsteuerliche Behandlung: Die Besteuerung der Captive und die steuerliche Anerkennung von Rückstellungen spielen eine wesentliche Rolle.
Zivil- und Haftungsrecht
Im Haftungsrecht gelten Captives als selbständige juristische Einheiten. Ansprüche gegen das Mutterunternehmen und gegen die Captive sind rechtlich zu trennen. Der Versicherungsschutz durch die Captive ersetzt die Deckung durch einen externen Versicherer, so dass die rechtlichen Grundlagen sich nach dem zwischen der Captive und dem versicherten Unternehmen geschlossenen Versicherungsvertrag richten.
Insolvenzrechtliche Implikationen
Im Insolvenzfall des Mutterunternehmens oder der Captive sind Ansprüche gegen die Captive gesondert im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Die rechtliche Eigenständigkeit der Captive bewirkt, dass Gläubiger des Mutterunternehmens grundsätzlich keinen unmittelbaren Zugriff auf das Vermögen der Captive haben.
Zweck und Funktion von Captives
Risikotransfer und Risikomanagement
Primärer Zweck einer Captive ist der unternehmensinterne Risikotransfer. Durch die Gründung einer eigenen Versicherungsgesellschaft kann das Unternehmen Risiken bündeln, retinieren und die Marktprämien externer Versicherer reduzieren. Zudem ermöglicht die Captive maßgeschneiderte Versicherungslösungen und bietet Zugang zu Kapazitäten für schwer versicherbare Risiken.
Kapitalbindung und Optimierung
Durch gezielte Steuerung des Risikomanagements lassen sich Eigenkapitalbindung und Rückstellungen optimieren. Die Captive kann so aufgebaut werden, dass steuerlich anerkannte Rücklagen gebildet werden können, was die Liquiditätsplanung begünstigt.
Rückversicherungsfunktion
Captives treten häufig selbst als Erst- oder Rückversicherer auf. Sie können Risiken an den Rückversicherungsmarkt weitergeben und so den Versicherungsschutz flexibel gestalten.
Internationale Dimensionen und Standortwahl
Captive-Domicile
Eine Vielzahl von Staaten hat eigene regulatorische Rahmenbedingungen für Captives geschaffen – sogenannte „Captive-Domiciles“. Zu den beliebtesten Standorten gehören:
- Bermuda
- Guernsey
- Luxemburg
- Irland
- Barbados
- Vermont (USA)
- Liechtenstein
Diese Standorte bieten oftmals eine effizientere Regulierung, geringere steuerliche Belastungen und spezielle rechtliche Rahmenbedingungen für Eigenversicherungsgesellschaften.
Compliance und Governance
Anforderungen an das Management
Captives unterliegen strengen Anforderungen hinsichtlich ihrer Unternehmensführung. Hierzu zählen Kontrollmechanismen, interne Richtlinien und Compliance-Systeme, die den Handel mit konzernangehörigen Unternehmen transparent und nachvollziehbar gestalten.
Berichtswesen und Offenlegung
Neben den aufsichtsrechtlichen Berichts- und Meldepflichten müssen Captives umfangreiche Offenlegungen hinsichtlich Prämien, Schadenleistungen und Rückstellungen erfüllen. Regelwerke wie Solvency II fordern regelmäßige Berichte zum Risikoprofil, zur Kapitalausstattung und zu Unternehmensstrukturen.
Rechtliche Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven
Die rechtliche Gestaltung von Captives befindet sich im steten Wandel. Regulatorische Vorgaben, internationale Initiativen gegen Steuerflucht, sowie das wachsende Bedürfnis nach Transparenz erhöhen die Anforderungen an das Management und die Strukturierung von Captives. Insbesondere in der Europäischen Union erfolgen regelmäßige Überarbeitungen der aufsichtsrechtlichen Vorschriften, um Risiken im Finanzsystem zu minimieren und marktverzerrende Effekte zu vermeiden.
Zusammenfassung
Captives sind eigenständige Versicherungsunternehmen zur konzerninternen Risikoabsicherung und bieten umfangreiche rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten. Sie unterliegen einem komplexen Zusammenspiel aus Versicherungs-, Gesellschafts-, Steuer-, Insolvenz- und Aufsichtsrecht sowie umfangreichen internationalen Vorgaben. Die Wahl des Domizils, die strukturierte Governance und die Einhaltung nationaler und internationaler Regulierungsvorgaben sind entscheidend für die rechtssichere Einrichtung und den nachhaltigen Betrieb einer Captive.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssen bei der Gründung einer Captive-Versicherung in Deutschland beachtet werden?
Die Gründung einer Captive-Versicherungsgesellschaft in Deutschland unterliegt strengen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) sowie den einschlägigen Verordnungen und Richtlinien der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Zunächst muss die Captive eine Zulassung als Versicherungsunternehmen beantragen. Hierbei sind umfangreiche Unterlagen einzureichen, etwa ein Geschäftsplan, Angaben zur Geschäftsleitung hinsichtlich Zuverlässigkeit und fachlicher Eignung sowie Nachweise über das Anfangskapital, welches den Solvabilitätsanforderungen nach Solvency II entsprechen muss. Die rechtlichen Anforderungen umfassen weiterhin Vorgaben zur Corporate Governance, zur Risikosteuerung und zum internen Kontrollsystem. Auch die Berichtspflichten gegenüber der BaFin, insbesondere hinsichtlich des aufsichtsrechtlichen Meldewesens, müssen von Anfang an beachtet werden. Bei internationalen Strukturen ist zudem zu prüfen, ob weitere Genehmigungen ausländischer Aufsichtsbehörden erforderlich sind. Es gilt darüber hinaus das EU-Versicherungsrecht, was insbesondere für Captives relevant wird, die grenzüberschreitend tätig sind und Dienstleistungen im europäischen Wirtschaftsraum anbieten oder sogenannte Freedom of Service- oder Freedom of Establishment-Rechte in Anspruch nehmen wollen.
Welche Compliance- und Dokumentationspflichten bestehen für Captives im laufenden Geschäftsbetrieb?
Captive-Versicherungen unterliegen denselben Compliance- und Dokumentationspflichten wie andere Versicherungsunternehmen. Dazu zählen insbesondere die Einrichtung eines wirksamen Compliance-Management-Systems, die regelmäßige Durchführung von Geldwäsche-Präventionsmaßnahmen und die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben gemäß DSGVO. Im Versicherungsaufsichtsrecht bestehen umfassende Vorgaben zur fortlaufenden Berichterstattung an die Aufsichtsbehörde, darunter das Einreichen von Jahresabschlüssen, Quartalsberichten und Solvency-II-Meldungen. Darüber hinaus müssen Captives detaillierte Aufzeichnungen zu sämtlichen Versicherungsverträgen, Schadensfällen, Rückstellungen und Kapitalanlagen führen, damit im Falle einer aufsichtsrechtlichen Prüfung sämtliche Geschäftsvorgänge nachvollziehbar sind. Bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten können zusätzliche Meldepflichten, wie FATCA oder CRS (Common Reporting Standard), relevant werden. Besonders hervorzuheben ist die Pflicht, Transaktionen zwischen der Captive und dem Mutterunternehmen auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu dokumentieren, um steuerliche Risiken (insbesondere im Hinblick auf Verrechnungspreise) zu vermeiden.
Inwiefern ist das Versicherungsrecht auf Captives anwendbar und gibt es Besonderheiten bei deren Regulierung?
Grundsätzlich gilt das gesamte Versicherungsaufsichtsrecht uneingeschränkt auch für Captive-Versicherungen. Besonderheiten ergeben sich jedoch häufig aus der Tatsache, dass Captives oft ausschließlich konzernintern tätig sind und daher bestimmte Tätigkeiten, beispielsweise das aktive Versicherungsgeschäft gegenüber Dritten, nicht ausüben. Dies kann zu Erleichterungen etwa bei der Rückstellungspflicht oder im Bereich der Vertriebsvorschriften führen. Nichtsdestotrotz unterliegen Captives sämtlichen Vorschriften zu Solvabilitätskapital, Eigenmittelerfordernissen, Corporate Governance (einschließlich der Anforderungen an das Leitungsorgan), Risikomanagement, Rechnungslegung und Rechnungsprüfung, wie sie das VAG und die zugehörigen europäischen Normen vorsehen. Die BaFin behält sich ausdrücklich vor, im Einzelfall weitere Auflagen zu erlassen, falls durch die Struktur oder das Geschäftsmodell der Captive besondere Risiken für Versicherungsnehmer oder den Markt bestehen könnten. Darüber hinaus sollten Unternehmen bei internationalen Konstellationen prüfen, welche Versicherungsaufsichts-Regime zusätzlich anwendbar sind.
Wie gestaltet sich die steuerliche Behandlung von Captive-Versicherungen in Deutschland?
Aus steuerlicher Sicht werden Captive-Versicherungen in Deutschland wie eigenständige Versicherungsunternehmen behandelt. Das bedeutet, sie unterliegen der Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer und der Versicherungssteuer, sofern das Versicherungsgeschäft im Inland betrieben wird. Die steuerliche Anerkennung der von der Captive vereinnahmten Prämien als Betriebsausgaben im Mutterkonzern ist stets am Fremdvergleichsgrundsatz auszurichten. Das heißt, die Prämienbedingungen und der Versicherungsschutz müssen den Bedingungen standhalten, wie sie bei einer Drittversicherung üblich wären. Hier sind umfassende Transfer-Pricing-Dokumentationen und Begründungen für die Angemessenheit der Prämien erforderlich. Andernfalls können die Betriebsprüfungsbehörden diese Zahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen einstufen, was zu Steuernachforderungen führen kann. Zudem können bei internationalen Strukturen die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG) relevant werden, beispielsweise wenn die Captive in einem Niedrigsteuerland ansässig ist.
Welche Anforderungen bestehen an Solvabilität und Kapitalausstattung bei Captives?
Captive-Versicherer sind verpflichtet, jederzeit über ausreichende Eigenmittel zur Bedeckung der Solvabilitätskapitalanforderung (SCR) und der Mindestkapitalanforderung (MCR) im Sinne von Solvency II zu verfügen. Die Höhe der erforderlichen Eigenmittel richtet sich nach dem versicherungstechnischen Risiko, dem Marktrisiko, dem Kreditrisiko und operativen Risiken, welche die Captive eingeht. Besonders zu beachten ist, dass die Kapitalanforderungen proportional zum Umfang und zur Komplexität des Versicherungsgeschäfts festgelegt werden. Die Berechnung wird entweder mit einem Standardmodell oder – nach Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde – mit einem internen Modell durchgeführt. Darüber hinaus müssen geeignete Maßnahmen zur laufenden Überwachung und Steuerung des Kapitals eingerichtet werden. Die regelmäßige Berichterstattung an die BaFin zur Solvabilitäts- und Finanzlage ist verpflichtend und Abweichungen oder Unterschreitungen der Kapitalanforderungen müssen unverzüglich gemeldet und durch Sanierungsmaßnahmen adressiert werden.
Welche Berichtspflichten und Offenlegungspflichten gelten für Captive-Versicherungen?
Captive-Versicherungsgesellschaften sind verpflichtet, eine Vielzahl von Berichten sowohl der BaFin als auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Neben der jährlichen Veröffentlichung des Solvabilitäts- und Finanzberichts (SFCR, Solvency and Financial Condition Report) und des Berichts an die Aufsichtsbehörde (RSR, Regular Supervisory Report) müssen regelmäßige Meldungen zu Eigenmitteln, versicherungstechnischen Rückstellungen, Prämieneinnahmen und Schadensstatistiken erfolgen. Darüber hinaus bestehen besondere Offenlegungsvorgaben bezüglich der aufsichtsrechtlichen Kapitalausstattung und Risikosituation der Gesellschaft. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße oder Komplexitätsstufe sind zudem nichtfinanzielle Erklärungen mit Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten einzureichen. Die Pflicht zur Einhaltung von Melde- und Berichtsfristen ist streng zu beachten, da Versäumnisse oder Unvollständigkeiten zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen bis hin zum Entzug der Erlaubnis führen können.
Welche aufsichtsrechtlichen Besonderheiten bestehen bei internationalen Captive-Strukturen?
Internationale Captive-Strukturen müssen in allen betroffenen Jurisdiktionen die lokalen aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllen. Dies betrifft z.B. die Wahl des Domizils der Captive, die jeweils geltenden aufsichtsrechtlichen Genehmigungsprozesse, Mindestkapitalanforderungen, Berichts- und Prüfungsanforderungen sowie Steuerpflichten. In europäischen Kontexten greifen neben der deutschen auch die europäische Versicherungsregulierung (z.B. Solvency II) sowie das Passporting-Regime, welches unter bestimmten Bedingungen die Geschäftstätigkeit in anderen EU-Staaten erlaubt. Bei Non-EU-Captives ist besonders zu prüfen, ob nach deutschem Recht ein Erlaubnisvorbehalt besteht, wenn die Captive auch in Deutschland Risiken deckt oder Prämien erhebt. In solchen Fällen kann eine zusätzliche Zulassung oder Registrierung bei der BaFin erforderlich werden. Steuerliche Aspekte wie Doppelbesteuerungsabkommen, CFC-Rules (Controlled Foreign Corporation-Regelungen) und Quellenbesteuern bei grenzüberschreitenden Zahlungen müssen in der Strukturierung beachtet werden.