Begriff und Einordnung: Was bedeutet „Captive“?
Eine „Captive“ ist eine rechtlich eigenständige Gesellschaft innerhalb eines Unternehmensverbunds, die vorrangig Funktionen für den eigenen Konzern übernimmt. Am bekanntesten ist die Versicherungs-Captive: eine konzerninterne Versicherung oder Rückversicherung, die Risiken des Mutterunternehmens und seiner verbundenen Unternehmen deckt. Daneben existieren Captives in der Finanzierung (etwa herstellergebundene Banken und Leasinggesellschaften). Der Begriff beschreibt somit keine einzelne Rechtsform, sondern ein organisatorisches Modell der Inhouse-Risikotragung oder -Finanzierung.
Abgrenzung zu verwandten Strukturen
- Selbstbehalt: Das Unternehmen trägt Risiken unmittelbar. Bei einer Captive erfolgt die Risikotragung über eine eigene Gesellschaft mit formellem Versicherungsschutz.
- Externe Versicherung: Risiken werden bei unabhängigen Versicherern gedeckt. Eine Captive ist konzernverbunden und dient primär internen Zwecken.
- Captive Finance/Leasing: Finanzierung von Absatz und Kunden innerhalb eines Konzerns; keine Risikoübernahme im Sinne der Personen- oder Sachversicherung, sondern Kredit- und Leasinggeschäfte.
Typische Erscheinungsformen
- Versicherungs-Captive (direkte Versicherung oder Rückversicherung)
- Reinsurance Captive (Rückversicherungslösung mit Fronting über einen externen Erstversicherer)
- Captive Finance/Leasing (konzerngebundene Finanzierungsgesellschaften)
- Strukturmodelle mit abgeschirmten Zellen (z. B. Protected Cell Companies), je nach Domizilrecht
Rechtsnatur und regulatorischer Rahmen
Gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung
Captives werden regelmäßig als Kapitalgesellschaften gegründet (z. B. Aktien- oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach dem Recht des Domizillands). Sie verfügen über eigene Organe, ein festgelegtes Geschäftszweckportfolio und interne Regelwerke. Im Konzernkontext sind Zuständigkeiten, Weisungsrechte und Interessenkonflikte besonders zu strukturieren, um eine eigenständige und nachvollziehbare Geschäftsführung sicherzustellen.
Aufsichtsrechtliche Anforderungen bei Versicherungs-Captives
Versicherungs- und Rückversicherungscaptives unterliegen der Versicherungsaufsicht des Domizilstaats. Erforderlich sind typischerweise eine Zulassung, laufende Solvenzanforderungen, Berichts- und Governancepflichten sowie Anforderungen an Geschäftsleiter. Je nach Rechtsraum gelten Proportionalitätsgrundsätze, die den Umfang der Pflichten an Größe und Risikoprofil der Captive anpassen können. Grenzüberschreitende Tätigkeiten innerhalb eines Wirtschaftsraums (z. B. EU/EWR) sind in der Regel über Notifikations- oder Passmechanismen geregelt; außerhalb dessen gelten die lokalen Zulassungsbedingungen. Rückversicherungscaptives bedienen sich häufig Fronting-Strukturen, bei denen ein zugelassener Erstversicherer als Schnittstelle zum Risikoort fungiert.
Steuerliche Einordnung
Steuerlich stehen Substanzanforderungen, Verrechnungspreise und die Anerkennung der Versicherungsfunktion im Mittelpunkt. Maßgeblich sind die tatsächliche Geschäftstätigkeit am Domizil, die Funktions- und Risikoübernahme sowie eine fremdübliche Prämienkalkulation. Relevanz haben zudem die Versicherungssteuer bei Erstversicherungsgeschäften, Quellensteuern bei Zahlungen über Grenzen hinweg und die Behandlung im Rahmen der Konzernbesteuerung. Doppelbesteuerungsabkommen, Betriebsstättenthemen und wirtschaftliche Eigentümerschaft beeinflussen die Gesamtbelastung.
Grenzüberschreitende Aspekte
Die Wahl des Domizils prägt die Aufsicht, die erforderlichen Eigenmittel, die Berichtswege und die Anerkennung innerhalb anderer Rechtsräume. Integrierte Märkte bieten meist vereinfachte grenzüberschreitende Tätigkeitsmöglichkeiten. Bei Drittstaaten sind Äquivalenzfragen, lokales Vertriebsrecht und die Notwendigkeit von Fronting-Partnern zu beachten. Eine Verlegung des Sitzes oder eine Portfoliotransaktion unterliegt jeweils den Genehmigungen der betroffenen Aufsichten.
Vertrags- und Leistungsbeziehungen
Versicherungspolicen im Konzern
Captives schließen Verträge mit dem Mutterunternehmen und verbundenen Gesellschaften. Die Policen definieren Risikoumfang, Ausschlüsse, Selbstbehalte, Prämien und Schadenprozesse. Eine fachlich nachvollziehbare Zeichnungspolitik und Dokumentation ist wesentlich, um die Versicherungsfunktion abzugrenzen und interne Verrechnungen rechtlich belastbar zu gestalten.
Fronting und Rückversicherung
Wenn eine Captive nicht direkt am Risikoort tätig werden kann, nutzen Unternehmen Fronting-Modelle: Ein zugelassener Erstversicherer zeichnet die Risiken und zediert diese ganz oder teilweise an die Captive. Diese Struktur berührt aufsichtsrechtliche, vertragliche und steuerliche Fragen, insbesondere zur Risikotragung, Sicherheitstellungen, Kollateralvereinbarungen und zur Anerkennung der Rückversicherung.
Dienstleistungsverträge und Auslagerungen
Captives greifen häufig auf externe Managementgesellschaften, Aktuare, Schadendienstleister oder IT-Anbieter zurück. Auslagerungen bedürfen klarer Verträge, die Leistung, Verantwortlichkeiten, Kontrollrechte, Datenschutz und Informationssicherheit regeln. Aufsichtsbehörden verlangen nachvollziehbare Steuerung, Risikoanalysen und Dokumentation der ausgelagerten Funktionen.
Corporate Governance und Compliance
Organstruktur und Verantwortlichkeiten
Die Leitung der Captive muss fachlich geeignet und zuverlässig sein. Unabhängige Schlüsselfunktionen (z. B. Risikomanagement, Compliance, Interne Revision) sind vorzuhalten, deren Ausgestaltung proportional zum Risikoprofil erfolgt. Interessenkonflikte zwischen Konzerninteressen und Solvenzschutz der Captive sind durch klare Richtlinien, Protokolle und Berichterstattung zu adressieren.
Risikomanagement und Berichterstattung
Erforderlich sind ein konsistentes Risikorahmenwerk, Limitsysteme, Stresstests und regelmäßige Berichte an Leitung und Aufsicht. Besondere Aufmerksamkeit gilt Kumulrisiken, Konzentrationen im Konzern, operationellen Risiken und Liquidität. Dokumente wie Geschäftspläne, Rückversicherungsstrategien und eigene Risikobeurteilungen bilden die Grundlage für fortlaufende Aufsichtskommunikation.
Geldwäscheprävention und Sanktionen
Je nach Geschäftsmodell unterliegen Captives Pflichten zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Dazu zählen Identifizierungspflichten, Risikobewertungen, Monitoring und Sanktionslistenprüfungen, insbesondere bei grenzüberschreitenden Geldflüssen, Reinsurance-Kollateralen und Zahlungen an Dienstleister.
Wettbewerbs- und beihilferechtliche Aspekte
Beihilferecht
Vorteile aus staatlichen Maßnahmen oder aus Konzernstrukturen können beihilferechtliche Fragestellungen aufwerfen, wenn sie selektiv sind und den Wettbewerb verfälschen. Marktkonforme Prämien, besicherte Transaktionen und angemessene Vergütung von Dienstleistungen sind für die Einordnung bedeutsam.
Kartell- und Wettbewerbsrecht
Bei der Kooperation mit externen Versicherern, Rückversicherern oder Dienstleistern sind Vorgaben zu Informationsaustausch, Exklusivitätsbindungen und Marktauftritt zu berücksichtigen. Konzerninterne Preisbildung unterliegt der Fremdvergleichsgrundlage, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Datenschutz und Informationssicherheit
Personenbezogene Daten
Captives verarbeiten häufig personenbezogene Daten, etwa von Mitarbeitenden im Rahmen von Benefit-Programmen oder von Kundinnen und Kunden konzerngebundener Produkte. Rechtmäßigkeit, Zweckbindung, Datensparsamkeit, Betroffenenrechte und technische sowie organisatorische Maßnahmen sind zu gewährleisten.
Internationale Datenübermittlungen
Übermittlungen in Drittstaaten bedürfen geeigneter Garantien. Bei Auslagerungen sind klare Rollen als Verantwortlicher oder Auftragsverarbeiter zu bestimmen und vertraglich auszugestalten, einschließlich Kontroll- und Auditrechten.
Schadenregulierung und Streitbeilegung
Schadensabwicklung
Verfahren zur Schadenmeldung, Prüfung, Reservierung und Auszahlung sind in den Policen und Dienstleistungsverträgen zu regeln. Transparente Kriterien zur Deckungsprüfung und Fristen helfen, Leistungsstörungen und Interessenkonflikte zu vermeiden.
Gerichtsstand und anwendbares Recht
Verträge benennen regelmäßig anwendbares Recht und Gerichtsstände oder Schiedsforen. In grenzüberschreitenden Konstellationen sind zwingende Verbraucherschutz- und Aufsichtsregeln des Risikoorts zu beachten, sofern einschlägig.
Aufsichtsrechtliche Verfahren
Maßnahmen der Aufsicht, etwa zu Kapitalanforderungen oder Geschäftsplänen, können formelle Verfahren nach sich ziehen. Transparente Dokumentation und rechtzeitige Kommunikation sind für die Klärung maßgeblich.
Lebenszyklus einer Captive
Gründung und Genehmigung
Die Gründung umfasst Kapitalisierung, Geschäftsplan, Governance-Rahmen, Personal- oder Outsourcingkonzepte und gegebenenfalls eine Zulassung. Die Aufsicht prüft Tragfähigkeit, Qualifikation der Leitung und Risikosteuerung.
Laufender Betrieb und Änderungen
Wesentliche Veränderungen, etwa Kapitalmaßnahmen, neue Sparten oder geänderte Rückversicherungsprogramme, sind genehmigungs- oder anzeigepflichtig. Regelmäßige Berichte und Prüfungen belegen die fortlaufende Erfüllung der Anforderungen.
Run-off und Abwicklung
Bei Einstellung des Neugeschäfts erfolgt häufig ein Run-off des Bestands. Alternativ kommen Portfolioübertragungen oder Liquidationen in Betracht. In jedem Fall sind Solvenzschutz, Gläubigerinteressen und aufsichtsrechtliche Verfahren maßgeblich.
Sonderformen und Alternativen
Rückversicherungs-Captives
Diese übernehmen Risiken über Zessionen von Erstversicherern. Sie sind verbreitet, wenn die direkte Zeichnung am Risikoort regulatorisch nicht möglich oder wirtschaftlich unzweckmäßig ist.
Protected Cell Companies und ähnliche Modelle
Einige Domizile erlauben Gesellschaftsformen mit abgeschirmten Zellen. Vermögenswerte und Verbindlichkeiten werden zellbezogen getrennt. Die rechtliche Wirksamkeit der Abschirmung hängt vom Domizilrecht und der Anerkennung im Ausland ab.
Captive Finance und Leasing
Hersteller- oder händlergebundene Finanzierungs- und Leasinggesellschaften fördern den Absatz und bündeln Kredit- sowie Restwertrisiken. Sie unterliegen bank- oder finanzaufsichtsrechtlichen Vorgaben, die sich von Versicherungsregeln unterscheiden.
Bedeutung für Konzernsteuerung und Rechnungslegung
Konzernabschluss und Transparenz
Captives werden in der Regel in den Konzernabschluss einbezogen. Bewertungsfragen betreffen versicherungstechnische Rückstellungen, Sicherheiten, interne Rückversicherungen und Ergebnisabführungen. Offenlegungspflichten können je nach Rechtsraum Berichte zu Geschäftsmodell, Risiken und Kapitalausstattung umfassen.
Verrechnungspreise und Substanz
Die Vergütung von Leistungen der Captive, etwa Prämien und Gebühren, muss dem Fremdvergleich standhalten. Eine funktions- und risikoadäquate Substanz am Sitz der Captive ist für die steuerliche Anerkennung von Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Was ist eine Captive im rechtlichen Sinne?
Es handelt sich um eine rechtlich eigenständige, konzernverbundene Gesellschaft, die primär interne Funktionen erfüllt. Bei Versicherungs-Captives übernimmt sie Risiken des Konzerns über formelle Versicherungs- oder Rückversicherungsverträge und unterliegt den jeweiligen aufsichts- und gesellschaftsrechtlichen Regeln des Domizils.
Benötigt eine Versicherungs-Captive eine behördliche Zulassung?
In der Regel ja. Der Betrieb von Versicherungs- oder Rückversicherungsgeschäften ist üblicherweise erlaubnispflichtig. Der Umfang der Anforderungen richtet sich nach dem Domizil und dem Risikoprofil, oft mit proportionaler Ausgestaltung für kleinere, reine Konzern-Captives.
Darf eine Captive Risiken außerhalb des Konzerns zeichnen?
Das hängt von der erteilten Erlaubnis, dem Geschäftsplan und dem geltenden Aufsichtsrecht ab. Viele Captives sind auf konzerninterne Risiken beschränkt; eine Ausweitung auf Dritte kann zusätzliche regulatorische Anforderungen auslösen.
Welche Rolle spielt das Fronting aus rechtlicher Sicht?
Fronting ermöglicht die Deckung am Risikoort über einen zugelassenen Erstversicherer, der die Risiken an die Captive rückversichert. Rechtlich relevant sind die Zulassung des Fronting-Partners, die vertragliche Ausgestaltung der Zession, Sicherheiten, Berichtswege und die Anerkennung der Risikoverlagerung.
Welche steuerlichen Grundsätze sind für Captives maßgeblich?
Wesentlich sind eine eigenständige, substanzielle Geschäftstätigkeit, fremdübliche Prämien- und Gebührenkalkulation sowie die korrekte Behandlung von Versicherungssteuer und grenzüberschreitenden Zahlungen. Doppelbesteuerungsrisiken werden durch Abkommen und eine klare Funktions- und Risikoanalyse adressiert.
Wie werden Governance und Kontrolle in einer Captive sichergestellt?
Erforderlich sind geeignete Organstrukturen, qualifizierte Geschäftsleiter und unabhängige Schlüsselfunktionen. Interne Richtlinien, Risiko- und Compliance-Systeme sowie regelmäßiges Reporting bilden den Rahmen für eine nachvollziehbare Leitung und Aufsichtskommunikation.
Wie erfolgt die Abwicklung oder der Run-off einer Captive?
Bei Einstellung des Neugeschäfts wird der Bestand regulär abgewickelt oder auf Dritte übertragen. Verfahren und Genehmigungen richten sich nach dem Domizilrecht und den aufsichtsrechtlichen Vorgaben, wobei Solvenzschutz und Gläubigerinteressen maßgeblich sind.