Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung
Rechtliche Grundlagen und Errichtung
Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) ist eine deutsche Bundesoberbehörde, die für die Untersuchung von Seeunfällen und Störungen auf den Seeschifffahrtsstraßen sowie in den deutschen Hoheitsgewässern zuständig ist. Die BSU wurde auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verbesserung der Sicherheit in der Seeschifffahrt (Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetz, SUG)“ vom 16. Juni 2002 ins Leben gerufen. Sie hat ihren Sitz in Hamburg und unterliegt der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV).
Gesetzliche Grundlagen
Die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen für die Tätigkeit der BSU finden sich im Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetz (SUG), das auf internationalen und europäischen Vorgaben basiert, insbesondere auf dem Internationalen Übereinkommen zur Haftung bei Seefallunfällen (SOLAS) und der Richtlinie 2009/18/EG zur Festlegung von Grundsätzen für Untersuchungen von Unfällen im Verkehrssektor. Ziel des Gesetzgebers ist es, durch unabhängige Untersuchungen von Seeunfällen und schweren Vorkommnissen Erkenntnisse zu gewinnen, welche die Verbesserung der Schifffahrtssicherheit und den Schutz des Meeres als öffentliche Aufgabe unterstützen.
Aufgaben und Zuständigkeiten
Ermittlungs- und Untersuchungsauftrag
Die BSU ist verpflichtet, Untersuchungen von seegehenden Schiffen der Bundesflagge sowie von fremden Schiffen in deutschen Hoheitsgewässern durchzuführen, wenn es zu Seeunfällen, nahezu Unfällen oder sonstigen sicherheitsrelevanten Ereignissen kommt. Im Fokus der Untersuchungen stehen insbesondere folgende Aufgaben:
- Sammlung und Auswertung von Beweismitteln
- Ursachenforschung zu Unfällen und Vorkommnissen mit dem Ziel der Prävention
- Erstellung von Untersuchungsberichten, Sicherheitswarnungen und Sicherheitsempfehlungen
- Weitergabe von Erkenntnissen an nationale und internationale Stellen zur Förderung der Schifffahrtssicherheit
Die Untersuchungen der BSU erfolgen unabhängig von strafrechtlichen, zivilrechtlichen, verwaltungsrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Ermittlungen, um Interessenskonflikte zu vermeiden und größtmögliche Objektivität zu gewährleisten.
Geltungsbereich
Der Aufgabenbereich der BSU erstreckt sich auf:
- Schiffe unter deutscher Flagge weltweit
- Fremdflaggige Schiffe in deutschen Küstengewässern und Seeschifffahrtsstraßen
- Seeschiffe in Werften, Hafenanlagen oder auf Fahrwasserwegen im Zuständigkeitsbereich der Bundesrepublik Deutschland
Verfahren und Durchführung der Seeunfalluntersuchung
Einleitung des Untersuchungsverfahrens
Das Untersuchungsverfahren wird in der Regel unverzüglich nach Kenntniserlangung eines Seeunfalls eingeleitet. Zur Informationsgewinnung sind Schiffsführer, Reedereien und andere Beteiligte verpflichtet, relevante Informationen der BSU zu melden und mitzuteilen (Meldepflicht gemäß SUG).
Rechte und Pflichten der Beteiligten
Im Rahmen der Untersuchung hat die BSU weitreichende Befugnisse, wie etwa:
- Zutritt zu Schiffen, Anlagen und Räumlichkeiten
- Einsichtnahme in Dokumente, Aufzeichnungen, Schiffstagebücher und Logbücher
- Befragung von Zeugen und Beteiligten
- Sicherstellung von Beweisen, auch in Form von Datenträgern (insbesondere von Voyage Data Recorder, VDR)
Gleichzeitig bestehen für Betroffene Mitwirkungs- und Duldungspflichten. Die Zusammenarbeit ist gesetzlich normiert, wobei die Rechte auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung bei der Bearbeitung personenbezogener Daten nach der Datenschutz-Grundverordnung gewahrt bleiben.
Abschlussberichte und Empfehlungen
Nach Abschluss der Untersuchung erstellt die BSU einen Abschlussbericht, der die Ergebnisse der Unfalluntersuchung, eine Analyse des Unfallhergangs sowie ggf. Empfehlungen zur Erhöhung der Sicherheit in der Seeschifffahrt enthält. Ziel der Empfehlungen ist eine präventive Wirkung; sie entfalten keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit, dienen jedoch als Handlungsanweisung und Orientierung für Behörden, Unternehmen und die Öffentlichkeit. Der Bericht wird veröffentlicht, soweit dem keine Schutzinteressen entgegenstehen.
Rechtsstellung und Unabhängigkeit
Weisungsfreiheit im Ermittlungsverfahren
Die BSU nimmt ihre Aufgaben unabhängig und weissungsfrei wahr. Im Ermittlungsverfahren unterliegt sie keinen externen Vorgaben oder politischen Weisungen, um eine objektive, sachgerechte Aufklärung von Unfällen zu garantieren. Diese Unabhängigkeit entspricht internationalen Maßgaben, insbesondere der IMO (International Maritime Organization).
Verhältnis zu anderen Verfahren
Die Unfalluntersuchung der BSU ist grundsätzlich nicht Bestandteil eines straf-, zivil- oder verwaltungsrechtlichen Verfahrens. Ergebnisse, Erkenntnisse und Beweismittel der Untersuchungen unterliegen einer besonderen Vertraulichkeit und dürfen nur unter den Voraussetzungen des SUG an Ermittlungsbehörden oder Gerichte übermittelt werden.
Internationale Zusammenarbeit
Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung arbeitet eng mit internationalen und europäischen Stellen, wie der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO), zusammen. Sie beteiligt sich an internationalen Untersuchungen und Informationsaustausch, insbesondere bei Unfällen mit mehreren betroffenen Staaten oder multinationaler Besetzung der Besatzung.
Bedeutung für Schifffahrt, Recht und Sicherheit
Der rechtliche Rahmen und die Arbeit der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung leisten einen wesentlichen Beitrag zur objektiven und praxisnahen Verbesserung der Sicherheit in der Seeschifffahrt. Sie trägt zur Erfüllung nationaler und internationaler Verpflichtungen Deutschlands bei und fördert die Entwicklung verbindlicher statt nur freiwilliger Sicherheitsstandards. Die Veröffentlichungen und Empfehlungen der BSU bieten Entscheidungsträgern in Verwaltung, Wirtschaft und Politik, aber auch der Öffentlichkeit, eine verlässliche Grundlage für sicherheitsrelevante Maßnahmen.
Literatur und weiterführende Informationen:
- Gesetz über die Untersuchung von Seeunfällen und sonstigen Vorkommnissen (SUG)
- Internationale Übereinkommen und Leitlinien (IMO, EMSA, SOLAS)
- Veröffentlichungen der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (www.bsu-bund.de)
Häufig gestellte Fragen
Wann ist eine Meldung eines Seeunfalls an die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung nach deutschem Recht verpflichtend?
Nach § 4 des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen und Störungen im Seeverkehr (SUG) ist jede Person, die dienstlich mit Aufgaben in der Seeschifffahrt betraut ist oder als unmittelbarer Beteiligter an einem Seeunfall oder einer schwerwiegenden Störung beteiligt war, verpflichtet, unverzüglich der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) den Vorfall zu melden. Diese Meldepflicht umfasst sowohl Unfälle deutscher Schiffe an jedem Ort als auch Unfälle ausländischer Schiffe in deutschen Hoheitsgewässern oder im deutschen Hafenbereich. Darüber hinaus sind auch Hafenverwaltungen, die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes sowie die Berufsgenossenschaft Verkehr verpflichtet, relevante Vorfälle an die BSU zu melden. Ein Verstoß gegen diese Meldepflicht kann als Ordnungswidrigkeit gemäß § 17 SUG geahndet werden.
Welche rechtlichen Befugnisse hat die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung im Rahmen der Unfalluntersuchung?
Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung verfügt nach § 5 und § 6 SUG über weitreichende Ermittlungs- und Zugriffsbefugnisse, die sie berechtigen, alle notwendigen Maßnahmen zur Untersuchung eines Seeunfalls oder einer Störung im Seeverkehr durchzuführen. Dazu gehören insbesondere das Betreten von Schiffen, Hafenanlagen und Betriebsräumen sowie die Sicherstellung von Beweismaterial, einschließlich der Schiffspapiere, elektronischer Aufzeichnungen (z. B. Daten aus dem Voyage Data Recorder) und Funksprüche. Die BSU kann Personen befragen, Zeugen vernehmen, Sachverständige hinzuziehen und Gutachten einholen. Für die Durchführung ihrer Untersuchungen kann sie von anderen Behörden Amtshilfe verlangen. Die Betroffenen sind zur Duldung und Mitwirkung verpflichtet, so weit dies zum Zweck der Aufklärung erforderlich ist.
Wie werden die Ergebnisse der Seeunfalluntersuchung rechtlich veröffentlicht und welche Bedeutung haben sie?
Die rechtlichen Grundlagen zur Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse sind in § 12 SUG geregelt. Die BSU erstellt nach Abschluss ihrer Untersuchungen einen detaillierten Untersuchungsbericht, der auf der Website der Behörde veröffentlicht wird. Der Bericht enthält die wesentlichen Tatsachenfeststellungen, eine Analyse der Unfallursachen sowie, soweit möglich, sicherheitsbezogene Empfehlungen zur Verhütung ähnlicher Ereignisse. Die Berichte dienen ausschließlich der Verbesserung der Sicherheit im Seeverkehr und dürfen ausdrücklich nicht zur Feststellung von Schuld oder zur Haftungszuweisung verwendet werden-sie sind damit nicht rechtsverbindlich in einem zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren. Damit wird der sogenannte „just culture“-Gedanke befolgt, der eine reine Sicherheitsuntersuchung vom klassischen Ermittlungsverfahren trennt.
Gibt es Mitwirkungspflichten für Betroffene oder Zeugen in der Untersuchung durch die BSU?
Betroffene und Zeugen sind nach §§ 6, 8 SUG verpflichtet, der BSU im Umfang des Ermittlungsauftrags Auskünfte zu erteilen, Unterlagen herauszugeben und ansonsten an der Untersuchung mitzuwirken. Jedoch bestehen auch rechtliche Grenzen, insbesondere das Recht zur Verweigerung der Aussage, wenn sich die betreffende Person oder deren Angehörige durch ihre Aussage einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verdächtigen könnten (§ 55 StPO analog). Alle erhobenen Informationen werden ausschließlich zum Zwecke der Unfalluntersuchung verwendet und unterliegen einer besonderen Zweckbindung im Sinne der Datenschutzregelungen.
Wie ist das Verhältnis der Seeunfalluntersuchung zu laufenden strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Verfahren ausgestaltet?
Die Untersuchungen der BSU sind nach § 1 Abs. 2 SUG rein administrativer Art und dienen ausschließlich der Verbesserung der maritimen Sicherheit. Ergebnisse und Aussagen dürfen daher gemäß § 14 SUG nicht ohne Weiteres in Straf- oder Zivilverfahren verwendet werden. Bei parallelen strafrechtlichen Ermittlungen besteht eine gesetzliche Pflicht zur Kooperation zwischen den jeweiligen Behörden – insbesondere werden Sicherstellungsmaßnahmen sorgfältig koordiniert, um sowohl die unfallanalytischen als auch die strafprozessualen Interessen zu wahren. Die BSU-Kollegen sind zur Vertraulichkeit verpflichtet und die Ergebnisse ihrer Untersuchung genießen eine Sperrwirkung gegenüber anderen Verfahren.
Welche Rechtsmittel stehen gegen Maßnahmen oder Ergebnisse der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung zur Verfügung?
Gegen Verwaltungsakte der BSU, wie etwa behördliche Anordnungen im Zuge der Ermittlungen, stehen den Betroffenen die regulären Rechtsmittel nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) und der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu. Dies umfasst vor allem die Möglichkeit der Einlegung von Widerspruch und gegebenenfalls die Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten. Zu beachten ist jedoch, dass die Veröffentlichungen der Untersuchungsberichte keine Verwaltungsakte, sondern informatorische Handlungen darstellen und daher grundsätzlich nicht isoliert anfechtbar sind.
Inwiefern ist die BSU zur Zusammenarbeit mit europäischen und internationalen Stellen verpflichtet?
Die BSU ist nach geltendem Recht verpflichtet, eng mit internationalen und europäischen Untersuchungseinrichtungen zusammenzuarbeiten, insbesondere im Rahmen der EU-Richtlinie 2009/18/EG und internationalen Übereinkommen wie dem IMO-Code für die Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See. Dies betrifft unter anderem das Teilen von Informationen, die Koordination von Untersuchungen im Falle grenzüberschreitender Seeunfälle sowie die Übermittlung sicherheitsrelevanter Daten an die Europäische Kommission oder die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO). Ziel ist es, einheitliche hohe Standards bei der Aufklärung und Prävention von Seeunfällen sicherzustellen.