Begriff und rechtliche Stellung der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU)
Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ist eine selbständige und unabhängige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Aufgabe besteht in der Untersuchung von Unfällen und schweren Störungen im zivilen Luftverkehr nach deutschem Recht, um deren Ursachen zu ermitteln und Empfehlungen zur Erhöhung der Flugsicherheit abzugeben. Die rechtliche Grundlage der BFU ist das Gesetz über die Untersuchung von Unfällen und Störungen bei dem Betrieb von zivilen Luftfahrzeugen (Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz, FlUUG).
Rechtliche Grundlagen
Gesetzliche Verankerung
Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung ist durch das Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz (FlUUG) vom 26. August 1998 (BGBl. I S. 2432), zuletzt geändert durch Artikel 330 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474), gesetzlich geregelt. Ergänzend greifen Vorgaben aus dem Luftverkehrsgesetz (LuftVG), aus europäischen Rechtsakten, insbesondere der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt sowie internationalen Abkommen wie dem Chicagoer Abkommen (Annex 13).
Rechtsstellung und Unabhängigkeit
Gemäß § 2 FlUUG (§ 5 Verordnung (EU) Nr. 996/2010) nimmt die BFU ihre Aufgaben unabhängig von administrativen, regulierenden oder flugbetrieblichen Einflüssen wahr. Damit ist die Unabhängigkeit der Untersuchungsbehörde zentraler Bestandteil ihrer Einrichtung und Arbeitsweise. Die Leitung der BFU erfolgt durch einen Direktor, der als Bundesbeamter besonderen Status genießt.
Aufgaben und Zuständigkeiten
Umfang der Untersuchungen
Die BFU ist zuständig für:
- Die Untersuchung von Unfällen und schweren Störungen bei dem Betrieb ziviler Luftfahrzeuge innerhalb des deutschen Hoheitsgebiets (§ 2 Abs. 2 FlUUG).
- Die Untersuchung von Vorfällen deutscher Luftfahrzeuge im Ausland, soweit das Untersuchungsrecht der Bundesrepublik betroffen oder im internationalen Kompetenzzuschnitt übertragbar ist.
- Die Unterscheidung zwischen der rein aufklärenden Untersuchungstätigkeit der BFU und etwaigen strafrechtlichen oder haftungsrechtlichen Ermittlungen, die von anderen Behörden geführt werden.
Begriffsdefinitionen
Gemäß § 4 FlUUG sowie Anhang 13 zum Chicagoer Abkommen werden zentrale Begriffe wie „Unfall“, „schwere Störung“ und „Störung“ präzise definiert. Hierbei ist insbesondere die Schwelle zu einer „ernsthaften Verletzung“ oder einem „erheblichen Schaden“ an Luftfahrzeugen maßgeblich für die Einleitung einer BFU-Untersuchung.
Ablauf eines Untersuchungsverfahrens
Einleitung und Meldepflichten
Laut § 6 FlUUG besteht für jede Person, insbesondere für Mitglieder der Flugbesatzung, Halter, Betreiber, Hersteller oder Wartungsunternehmen, die Kenntnis von einem Unfall oder einer schweren Störung im Luftverkehr erlangen, eine gesetzliche Meldepflicht gegenüber der BFU.
Untersuchungsmaßnahmen
Nach Eingang einer Meldung prüft die BFU zunächst, ob eine Untersuchung im Sinne der gesetzlichen Vorgaben einzuleiten ist. Die Behörde ist befugt, an der Unfallstelle
- Personen,
- Luftfahrzeuge,
- Teile,
- Wrack, Aufzeichnungen und Dokumentation sicherzustellen und zu untersuchen (§ 10 FlUUG).
Sie erhält Zugang zu Beweismitteln, kann Zeugen befragen und Daten aus Flugschreibern und Cockpit-Voice-Recordern auswerten. Die Rechte und Pflichten der BFU erstrecken sich auch auf eingreifende Maßnahmen vor Ort in Abstimmung mit Gefahrenabwehrbehörden und der Staatsanwaltschaft.
Abschluss der Untersuchung
Am Ende des Untersuchungsverfahrens erstellt die BFU einen Abschlussbericht (§ 18 FlUUG), der die Ursachen des Unfalls oder der Störung benennt und Empfehlungen zur Verbesserung der Luftfahrtsicherheit enthält. Ziel ist nicht die Feststellung von Schuld oder Haftung, sondern die Prävention künftiger Ereignisse.
Internationale Einbettung
Zusammenarbeit und Zuständigkeit im internationalen Kontext
Die internationale Zusammenarbeit ist über das Chicagoer Abkommen und Verordnungen der Europäischen Union (z.B. (EU) Nr. 996/2010) geregelt. Die Bundesrepublik hat sich der internationalen Rechtsordnung verpflichtet, die Zusammenarbeit zwischen Untersuchungsbehörden verschiedener Staaten – etwa durch Unterstützung, Datenaustausch oder gegenseitige Beteiligung bei Untersuchungen – sicherzustellen.
Beteiligung an multinationalen Untersuchungen
Die BFU kann im Rahmen der internationalen Regelwerke, insbesondere nach Annex 13 zum Chicagoer Abkommen, eigenständig oder in Koordination mit anderen nationalen Stellen Untersuchungen durchführen. Dies betrifft z.B. Unfälle deutscher Luftfahrzeuge im Ausland oder internationale Vorfälle mit deutschem Beteiligungsinteresse.
Verfahrensrechte und Datenschutz
Rechte betroffener Personen
Beteiligte Personen und Unternehmen erhalten nach § 17 FlUUG Akteneinsichtsrechte in die Ermittlungsergebnisse, soweit berechtigte Interessen gewahrt bleiben. Der Datenschutz und die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sind gemäß § 18 Abs. 2 FlUUG sowie der DSGVO zu sichern.
Schutz sensibler Daten
Insbesondere Aufzeichnungen von Flugschreibern, Cockpit-Voice-Recordern und Personendaten unterliegen strenger Vertraulichkeit. Die BFU darf personenbezogene Informationen und sensible Betriebsdaten nur in dem für die Untersuchung erforderlichen Umfang verwenden und veröffentlichen.
Abgrenzung zu anderen Behörden und Verfahren
Die Aufgaben der BFU sind strikt von der Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden, Gerichte, Versicherer und Luftfahrtbehörden zu trennen (§ 3 FlUUG). Die Untersuchungen der BFU erfolgen ausschließlich zur Prävention von Unfällen, nicht zur Feststellung straf- oder zivilrechtlicher Verantwortlichkeit.
Verlautbarung und Veröffentlichungspflichten
Nach Abschluss einer Untersuchung besteht eine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes (§ 18 FlUUG). Empfohlene sicherheitsrelevante Maßnahmen werden an Luftfahrtbehörden, internationale Organisationen und die Öffentlichkeit kommuniziert. Abweichende Bewertungen oder besondere Maßnahmen können in begründeten Fällen entsprechend ergänzt werden.
Weiterführende Literatur und Rechtstexte
Für eine vertiefte rechtliche Auseinandersetzung sind folgende Quellen relevant:
- Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz (FlUUG)
- Verordnung (EU) Nr. 996/2010
- Chicagoer Abkommen, Annex 13
- Luftverkehrsgesetz (LuftVG)
- Veröffentlichungen der BFU unter www.bfu-web.de
Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung bildet mit ihrer speziellen gesetzlichen Grundlage, umfangreichen Verfahrensregeln und internationalen Einbettung ein zentrales Element der deutschen und europäischen Luftfahrtsicherheit. Die rechtlichen Rahmenbedingungen gewährleisten die Unabhängigkeit, Sachorientierung und Effektivität der sicherheitsorientierten Unfall- und Störungsuntersuchung im zivilen Luftverkehr.
Häufig gestellte Fragen
In welchen Fällen ist die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) rechtlich verpflichtet, eine Untersuchung einzuleiten?
Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ist gemäß § 3a Abs. 1 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) sowie den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 verpflichtet, eine Untersuchung einzuleiten, sobald sie Kenntnis von einem Unfall oder einer schweren Störung beim Betrieb eines Luftfahrzeugs erhält, der/die sich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ereignet hat. Ein Unfall liegt nach der einschlägigen Definition der ICAO und der EU-Verordnung dann vor, wenn sich eine Person an Bord des Luftfahrzeugs befindet und dabei getötet oder schwer verletzt wird, das Luftfahrzeug erhebliche Schäden erleidet, oder das Luftfahrzeug als verloren gilt oder nicht zugänglich ist. Eine schwere Störung ist jedes andere Vorkommnis, das die Sicherheit des Luftverkehrs gefährden könnte. Die Verpflichtung umfasst dabei nicht nur Ereignisse mit zivilen Flugzeugen, sondern auch gewerbliche und privat genutzte Flüge, sofern keine expliziten Ausnahmen (z.B. militärische Luftfahrzeuge) greifen. Die Einleitung der Untersuchung ist eine staatliche Aufgabe, die nicht im Ermessen der BFU steht, sondern gesetzlich vorgeschrieben ist.
Welche rechtlichen Befugnisse hat die BFU bei der Durchführung von Flugunfalluntersuchungen?
Im Rahmen der Untersuchung sind der BFU nach § 7 Absatz 2 LuftVG in Verbindung mit Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 umfassende rechtliche Befugnisse eingeräumt. Dazu zählt insbesondere das Recht auf ungehinderten Zugang zum Unfallort sowie zu den Trümmern und Wrackteilen des Luftfahrzeugs. Die BFU kann sämtliche Dokumente, Unterlagen oder elektronische Aufzeichnungen der am Unfall beteiligten Parteien anfordern, beschlagnahmen und auswerten. Ebenso hat sie das Recht, Zeugen zu befragen und Sachverständige hinzuzuziehen. Ihr steht auch das Recht zu, Untersuchungen an Luftfahrzeugen, Triebwerken, Bauteilen sowie relevanten Einrichtungen und Ausrüstungen durchzuführen oder anzuordnen. Die BFU darf auch Ausschnitte aus den Flugschreibern (Flight Data Recorder und Cockpit Voice Recorder) auslesen und sichern. Diese Maßnahmen erfolgen unabhängig von polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, mit denen die BFU gemäß § 3a Abs. 5 LuftVG und Art. 12 der EU-Verordnung zusammenzuarbeiten, aber eigenständig zu agieren hat.
Wie ist die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Organisationen rechtlich geregelt?
Die BFU ist rechtlich verpflichtet, im Rahmen von Unfalluntersuchungen mit anderen Behörden wie Polizei, Staatsanwaltschaft, Justiz, der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA), dem Luftfahrtbundesamt (LBA), aber auch internationalen Stellen zusammenzuarbeiten. Grundsätzlich erfolgt die Zusammenarbeit nach dem Grundsatz der Unabhängigkeit (§ 3a Abs. 3 LuftVG und Art. 4 der EU-Verordnung), sodass die Untersuchungsautonomie der BFU gewahrt bleibt. Allerdings besteht eine Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung und zum Informationsaustausch, insbesondere wenn Erkenntnisse zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder zur Gefahrenabwehr notwendig sind. Liegen Hinweise auf Straftaten oder ordnungswidrige Handlungen vor, sind diese gemäß den Strafprozessordnungen weiterzugeben, sofern dadurch die Unabhängigkeit und der Hauptzweck der Untersuchung – die Verhütung künftiger Unfälle – nicht beeinträchtigt wird.
Welche rechtlichen Verpflichtungen bestehen für andere Parteien im Rahmen einer Untersuchung?
Alle Parteien, die im Zusammenhang mit einem Flugunfall oder einer schweren Störung stehen – dazu zählen Piloten, Luftfahrtunternehmen, Hersteller, Wartungsbetriebe, Flugsicherungsorganisationen sowie Zeugen – haben nach § 7 Abs. 3 LuftVG sowie Art. 14 der EU-Verordnung umfassende Mitwirkungspflichten. Sie müssen der BFU den Zutritt zu relevanten Einrichtungen gewähren, auf Anfrage sämtliche verlangten Unterlagen, Daten und Informationen aushändigen und bei der Aufklärung uneingeschränkt mitwirken. Das umfasst insbesondere die Bereitstellung von Dokumentationen, Wartungs- und Flugdatensätzen und personale Auskünfte im Rahmen der Befragung. Die Rechtsgrundlagen sehen zudem vor, dass diese Akteure Informationen nicht zurückhalten dürfen und sich dem Zugang zu Untersuchungsorten oder -gegenständen nicht widersetzen können; dies ist notfalls durch behördliche Zwangsmaßnahmen durchsetzbar.
Welche rechtlichen Grenzen bestehen hinsichtlich der Verwendung von Beweismitteln aus der Untersuchung?
Rechtlich ist klar geregelt, dass die im Rahmen einer Untersuchung erhobenen Beweismittel, insbesondere Aufzeichnungen aus Flugschreibern oder Befragungsprotokolle, grundsätzlich ausschließlich zum Zweck der Unfallursachenermittlung und der Verbesserung der Luftfahrtsicherheit verwendet werden dürfen (§ 7 Abs. 4 LuftVG; Art. 14 der EU-Verordnung). Sie dürfen nicht ohne weiteres für Zwecke eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens, disziplinarrechtlicher Maßnahmen oder zivilrechtlicher Haftungsfragen verwendet werden, es sei denn, ein Gericht ordnet die Freigabe einzelner Informationen ausdrücklich an und stellt sicher, dass dadurch die Sicherheitsermittlung nicht gefährdet wird. Diese Regelung dient der Schaffung eines „Just Culture“-Ansatzes, sodass Betroffene offen zur Aufklärung beitragen können, ohne unmittelbare strafrechtliche oder arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Wie ist der rechtliche Status von Untersuchungsberichten und Empfehlungen der BFU?
Die BFU ist nach Abschluss der Untersuchung gesetzlich verpflichtet, einen Untersuchungsbericht zu erstellen und gegebenenfalls sicherheitsrelevante Empfehlungen auszusprechen (§ 3a Abs. 7 LuftVG; Art. 16 und 17 der EU-Verordnung). Der Untersuchungsbericht ist zunächst ein Verwaltungshandeln, das rechtlich keine direkte Bindungswirkung gegenüber Einzelpersonen oder Unternehmen entfaltet. Die darin enthaltenen Sicherheitsempfehlungen sind ebenfalls nicht unmittelbar rechtsverbindlich, sondern dienen als fachliche Grundlage für Maßnahmen der zuständigen Luftfahrtbehörden (z.B. LBA oder EASA). Diese Behörden müssen jedoch gegenüber der BFU darlegen, wie sie mit den Empfehlungen umgehen („Justify or Comply“-Prinzip), und falls Abweichungen erfolgen, dies fachlich begründen.
Gibt es rechtliche Möglichkeiten zur Anfechtung von Maßnahmen oder Berichten der BFU?
Da die BFU als Untersuchungsbehörde im öffentlichen Interesse handelt und ihren Ergebnissen keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber Dritten zukommt, sind die meisten Maßnahmen der BFU – insbesondere Ermittlungsakte und Untersuchungsberichte – nicht selbstständig mit Rechtsmitteln (Widerspruch oder Klage) anfechtbar. Sollte jedoch ein Verwaltungsakt im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen, etwa eine Anordnung zur Herausgabe von Unterlagen oder zur Duldung einer Durchsuchung, steht Betroffenen grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg offen. Prüffähig durch Gerichte sind formelle Fehler, Verfahrensverstöße oder eine Verletzung von Grundrechten im Zusammenhang mit der Vollziehung der Untersuchung. Hinsichtlich der Berichte selbst bleibt Betroffenen allenfalls der Weg einer Gegendarstellung im Rahmen des Berichtsverfahrens, sofern sie in ihren Rechten betroffen sind.
Wie ist die Unabhängigkeit der BFU rechtlich sichergestellt?
Die Unabhängigkeit der BFU ist ein zentrales Element der deutschen und europäischen Rechtslage und ist in § 3a Abs. 2 LuftVG sowie Art. 4 der EU-Verordnung Nr. 996/2010 ausdrücklich geregelt. Sie untersteht zwar dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr, ist bei ihren Untersuchungen, Entscheidungen und Berichten jedoch weder fachlichen noch politischen Weisungen unterworfen. Die personelle, organisatorische und finanzielle Ausstattung muss laut Gesetz so erfolgen, dass Einflüsse von außen ausgeschlossen sind und Interessenkonflikte vermieden werden. Diese Unabhängigkeit ist Voraussetzung für die Anerkennung der durch die BFU durchgeführten Untersuchungen auf nationaler und internationaler Ebene.