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Bundesgerichte

Begriff und Stellung der Bundesgerichte

Bundesgerichte sind Gerichte des Bundes mit überregionaler Zuständigkeit. Sie bilden in den meisten Rechtsgebieten die oberste Instanz innerhalb des gerichtlichen Instanzenzuges und sorgen für die einheitliche Anwendung und Fortentwicklung des Rechts im gesamten Bundesgebiet. In der Regel prüfen sie als Rechtsmittelgerichte, ob die nachgeordneten Gerichte das Recht fehlerfrei angewendet haben. Die tatsächliche Sachverhaltsaufklärung steht dabei selten im Vordergrund; maßgeblich ist die rechtliche Bewertung.

Bundesgerichte sind organisatorisch vom Gesetzgeber des Bundes geschaffen und institutionell vom Bund finanziert. Sie sind unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden. Ihre Entscheidungen prägen die Rechtsordnung weit über den Einzelfall hinaus, indem sie Leitlinien für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und die Systematik des Rechts vorgeben.

System der Gerichtsbarkeiten auf Bundesebene

Allgemeine Gerichtsbarkeit: Bundesgerichtshof (BGH)

Der Bundesgerichtshof ist das oberste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Er entscheidet insbesondere über Revisionen und Rechtsbeschwerden aus Zivil- und Strafverfahren. Seine Aufgabe ist es, eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern und das Recht fortzuentwickeln. Er wirkt zudem mit spezialisierten Senaten in besonderen Materien, etwa im Kartell- oder Notarrecht.

Verwaltungsgerichtsbarkeit: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Das Bundesverwaltungsgericht ist das oberste Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es überprüft Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe im öffentlichen Recht, etwa in Bereichen wie Baurecht, Beamtenrecht, Ausländerrecht oder Polizei- und Ordnungsrecht. Für bestimmte militärische Angelegenheiten bestehen gesonderte Senate für Wehrdienstsachen.

Finanzgerichtsbarkeit: Bundesfinanzhof (BFH)

Der Bundesfinanzhof ist das oberste Gericht für Steuer- und Zollsachen. Er entscheidet über Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden gegen Urteile der Finanzgerichte. Seine Rechtsprechung strukturiert die Auslegung des Steuerrechts und gewährleistet bundesweit einheitliche Maßstäbe in Abgabenangelegenheiten.

Arbeitsgerichtsbarkeit: Bundesarbeitsgericht (BAG)

Das Bundesarbeitsgericht ist das oberste Gericht für Arbeitsrecht. Es überprüft Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte, vor allem zu Kündigungsschutz, Tarifrecht, Betriebsverfassungsrecht und individuellen Arbeitsverhältnissen. Es wirkt maßgeblich an der Fortbildung des kollektiven und individuellen Arbeitsrechts mit.

Sozialgerichtsbarkeit: Bundessozialgericht (BSG)

Das Bundessozialgericht ist das oberste Gericht für soziale Sicherungssysteme. Es entscheidet über Revisionen gegen Urteile der Landessozialgerichte, unter anderem in Renten-, Kranken-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung sowie in Angelegenheiten der Grundsicherung.

Weitere Bundesgerichte und Spruchkörper

Bundespatentgericht (BPatG)

Das Bundespatentgericht ist ein spezialisiertes Bundesgericht für gewerblichen Rechtsschutz. Es entscheidet unter anderem über Beschwerden gegen Entscheidungen des Patent- und Markenamts sowie über Patentnichtigkeitsklagen. Oberstes Gericht der betreffenden Materien ist in zivilrechtlichen Patent- und Markensachen der Bundesgerichtshof, das Bundespatentgericht ist jedoch eigenständiges Bundesgericht erster Instanz für zahlreiche patent- und markenrechtliche Verfahren.

Bundesverfassungsgericht als eigenständiges Verfassungsorgan

Das Bundesverfassungsgericht ist kein Teil der Fachgerichtsbarkeiten, sondern ein eigenständiges Verfassungsorgan. Es prüft die Vereinbarkeit staatlichen Handelns mit der Verfassung und steht nicht über den anderen Bundesgerichten als allgemeine Superrevisionsinstanz. Seine Entscheidungen sind für alle Verfassungsorgane und Behörden bindend.

Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes

Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung besteht der Gemeinsame Senat. Er entscheidet, wenn die obersten Gerichtshöfe des Bundes in einer Rechtsfrage voneinander abweichen und eine Klärung erforderlich ist. Dadurch wird verhindert, dass sich unterschiedliche Rechtsauffassungen dauerhaft verfestigen.

Aufgaben und Funktionen

Rechtsfortbildung und Einheitlichkeit der Rechtsprechung

Bundesgerichte schaffen durch ihre Entscheidungen Leitlinien für die Auslegung des Rechts. Sie entwickeln Rechtsinstitute weiter, schließen Regelungslücken im Rahmen zulässiger Auslegung und vereinheitlichen divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte. Innerhalb eines Bundesgerichts sorgt ein Großer Senat oder Vereinigte Senate dafür, abweichende Rechtsauffassungen einzelner Senate zu klären.

Rechtsmittelinstanzen: Revision, Rechtsbeschwerde und Beschwerde

Typischerweise prüfen Bundesgerichte im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren, ob das Recht korrekt angewandt wurde. Neue Tatsachen werden grundsätzlich nicht ermittelt. Die Zulassung von Rechtsmitteln hängt von rechtlichen Kriterien ab, etwa der grundsätzlichen Bedeutung oder der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Wird ein Rechtsfehler festgestellt, heben die Bundesgerichte das angefochtene Urteil meist auf und verweisen die Sache an die Vorinstanz zurück.

Vorlagefragen und Abgrenzung zum Bundesverfassungsgericht

Bundesgerichte legen Fragen des Unionsrechts dem Gerichtshof der Europäischen Union vor, wenn die Auslegung des Unionsrechts zweifelhaft ist und entscheidungserheblich sein kann. Verfassungsrechtliche Fragen entscheiden die Fachgerichte nicht selbst; sie können aber Verfahren aussetzen und eine verfassungsrechtliche Prüfung anstoßen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft Gesetze und gerichtliche Entscheidungen ausschließlich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten.

Organisation und Besetzung

Senate, Kammern und Besetzung

Bundesgerichte sind in Senate oder Vergleichbares gegliedert, die thematisch spezialisiert sind. Die Spruchkörper sind regelmäßig mit mehreren Mitgliedern besetzt; in bestimmten Konstellationen entscheiden Einzelmitglieder oder kleinere Besetzungen über Verfahrensfragen. Innerhalb eines Gerichts sorgt die Geschäftsverteilung für die Zuweisung der Verfahren.

Berufung und Auswahl der Richterinnen und Richter

Die Mitglieder der Bundesgerichte werden in einem strukturierten Verfahren auf Bundesebene ausgewählt und ernannt. Ziel ist die Sicherung fachlicher Eignung, Unabhängigkeit und Erfahrung. Präsidentinnen und Präsidenten leiten die Gerichte organisatorisch und repräsentativ; die richterliche Unabhängigkeit bleibt unangetastet.

Veröffentlichung und Wirkung von Entscheidungen

Entscheidungen der Bundesgerichte werden in der Regel veröffentlicht, häufig mit Leitsätzen. Diese Leitsätze fassen die Kernaussagen zusammen. Eine formale Bindung anderer Gerichte an die Begründung besteht nicht, gleichwohl entfalten die Entscheidungen erhebliche Leitwirkung für die Rechtsanwendung.

Verfahren vor Bundesgerichten

Zulassung und Zugang

Der Zugang erfolgt überwiegend über die Zulassung eines Rechtsmittels durch die Vorinstanz oder das Bundesgericht selbst. Die Zulassung setzt rechtliche Kriterien voraus, die eine höchstrichterliche Klärung oder die Sicherung einheitlicher Rechtsprechung erfordern. Ohne Zulassung bleibt das Urteil der Vorinstanz bestehen.

Mündliche Verhandlung, Beratung und Entscheidung

Bundesgerichte verhandeln mündlich, wenn dies vorgesehen ist oder angezeigt erscheint. Im Übrigen sind Entscheidungen nach Aktenlage möglich. Nach Beratung im Spruchkörper ergeht eine Entscheidung, die mit Gründen versehen ist. Diese Gründe enthalten die maßgeblichen rechtlichen Erwägungen und bilden die Grundlage für die Leitwirkung.

Rechtskraft, Bindungswirkung und Verweisung

Entscheidungen der Bundesgerichte wirken in erster Linie im konkreten Verfahren. Wird eine Sache zurückverwiesen, hat die Vorinstanz die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Mit Eintritt der Rechtskraft ist der Streit rechtsverbindlich entschieden. Darüber hinaus haben die Entscheidungen Orientierungsfunktion für andere Verfahren.

Kosten und Lastenverteilung

In Rechtsmittelverfahren vor Bundesgerichten gelten Kostenregelungen, die sich typischerweise an dem Erfolg oder Misserfolg des Rechtsmittels orientieren. Gebühren und Auslagen richten sich nach einheitlichen Maßstäben, die für alle Verfahren auf Bundesebene gelten.

Verhältnis zu europäischen Gerichten

Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union

Ist die Auslegung von Unionsrecht entscheidungserheblich, rufen Bundesgerichte den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an. Die Antwort bindet das vorlegende Gericht und ist für vergleichbare Konstellationen richtungsweisend. So wird die einheitliche Anwendung des Unionsrechts im gesamten Binnenmarkt gewährleistet.

Grundrechtsschutz und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Entscheidungen deutscher Gerichte können mittelbar durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beeinflusst werden. Bundesgerichte berücksichtigen die dort entwickelten Maßstäbe im Rahmen der Auslegung, um die Grund- und Menschenrechte effektiv zu schützen.

Sitzorte und organisatorische Verteilung

Die Bundesgerichte haben fest zugewiesene Sitze: Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht sitzen in Karlsruhe, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, der Bundesfinanzhof und das Bundespatentgericht in München, das Bundesarbeitsgericht in Erfurt sowie das Bundessozialgericht in Kassel. Diese Verteilung spiegelt eine föderale Balance und historische Entwicklungen wider.

Historische Entwicklung und Einordnung

Die heutigen Bundesgerichte entstanden nach den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts und wurden im Laufe der Zeit ausgebaut und neu geordnet. Ihre Struktur folgt dem Prinzip der Gewaltenteilung, dem Föderalismus und dem Erfordernis einheitlicher Rechtsanwendung. Mit zunehmender Spezialisierung des Rechts wuchsen Anforderungen an Organisation, Spezialisierung der Senate und Koordination zwischen den Gerichtsbarkeiten.

Häufig gestellte Fragen

Was sind Bundesgerichte und wie unterscheiden sie sich von Landesgerichten?

Bundesgerichte sind Gerichte des Bundes mit bundesweiter Zuständigkeit, die überwiegend als oberste Instanzen tätig sind. Landesgerichte gehören den jeweiligen Bundesländern an und entscheiden primär in den unteren Instanzen. Bundesgerichte sichern die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung, während Landesgerichte den Großteil der Verfahren erstinstanzlich und in den mittleren Instanzen bearbeiten.

Welche Bundesgerichte gibt es in Deutschland?

Es gibt den Bundesgerichtshof (ordentliche Gerichtsbarkeit), das Bundesverwaltungsgericht, den Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht, das Bundessozialgericht sowie das Bundespatentgericht als spezialisiertes Bundesgericht. Das Bundesverfassungsgericht ist ein eigenständiges Verfassungsorgan und nicht Teil der genannten Fachgerichtsbarkeiten.

Welche Fälle entscheiden Bundesgerichte typischerweise?

Bundesgerichte entscheiden in der Regel über Revisionen, Rechtsbeschwerden oder Beschwerden gegen Entscheidungen der oberen Instanzgerichte. Sie klären Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, sichern die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und korrigieren Rechtsfehler. Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen werden nur eingeschränkt überprüft.

Ist das Bundesverfassungsgericht Teil der Bundesgerichte im Instanzenzug?

Nein. Das Bundesverfassungsgericht ist kein Teil des fachgerichtlichen Instanzenzuges. Es überprüft staatliches Handeln an der Verfassung, steht aber nicht als allgemeine Superrevisionsinstanz über den anderen Bundesgerichten.

Wie beeinflussen Entscheidungen der Bundesgerichte andere Gerichte?

Die Entscheidungen binden unmittelbar im konkreten Verfahren. Darüber hinaus entfalten sie Leitwirkung: Untere Gerichte orientieren sich an den rechtlichen Maßstäben der Bundesgerichte, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten. Eine formale Präzedenzbindung besteht im Regelfall nicht.

Wie gelangt ein Verfahren zu einem Bundesgericht?

Ein Verfahren gelangt üblicherweise über die Zulassung eines Rechtsmittels durch die Vorinstanz oder das Bundesgericht selbst in die Bundesinstanz. Voraussetzungen sind regelmäßig eine grundsätzliche Bedeutung, die Notwendigkeit der Rechtsfortbildung oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.

Welche Aufgabe hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes?

Er klärt Rechtsfragen, wenn die obersten Gerichtshöfe in derselben Rechtsfrage voneinander abweichen und eine einheitliche Entscheidung erforderlich ist. Dadurch wird eine divergierende Rechtsentwicklung zwischen den Gerichtsbarkeiten verhindert.

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