Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ist das höchste deutsche Gericht der Arbeitsgerichtsbarkeit. Es entscheidet über Revisionen und Rechtsbeschwerden in Streitigkeiten aus dem Arbeitsrecht. Das BAG spielt eine zentrale Rolle für die Entwicklung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung im deutschen Arbeitsrechtssystem. Die Institution stellt ein wesentlicher Pfeiler der deutschen Justiz dar und leistet einen erheblichen Beitrag zum sozialen Rechtsstaat.
Geschichte und Entwicklung
Die Gründung des Bundesarbeitsgerichts erfolgte am 1. April 1954 auf Grundlage des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) vom 3. September 1953. Zu den wesentlichen historischen Meilensteinen gehört die Entscheidung, das Gericht zunächst in Kassel und später, ab 1999, in Erfurt anzusiedeln. Mit der Neuordnung der Arbeitsgerichtsbarkeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Struktur der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung auf Bundes- und Landesebene neu konzipiert, wobei das BAG eine Leitfunktion übernahm.
Zuständigkeit und Aufgaben
Sachliche Zuständigkeit
Das Bundesarbeitsgericht ist die letzte Instanz innerhalb der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit. Es entscheidet insbesondere über:
- Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 ArbGG)
- Rechtsfälle aus dem Tarifvertragsgesetz (TVG)
- Angelegenheiten der Betriebsverfassung (BetrVG) und Mitbestimmung
- Rechtsfragen aus dem Personalvertretungsrecht
Das BAG ist ausschließlich für Revisionen und Beschwerden gegen Urteile der Landesarbeitsgerichte zuständig. In wenigen Ausnahmefällen, etwa bei Grundsatzfragen, kann es auch im Rahmen der sogenannten Sprungrevision tätig werden.
Funktion innerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit
Die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut:
- Arbeitsgerichte (erste Instanz)
- Landesarbeitsgerichte (zweite Instanz)
- Bundesarbeitsgericht (dritte Instanz)
Das BAG entscheidet dabei nicht über Tatsachen, sondern überprüft die rechtliche Würdigung durch die unteren Instanzen. Seine Entscheidungen beeinflussen maßgeblich die Auslegung arbeitsrechtlicher Vorschriften und sind für die nachgeordneten Gerichte bindend.
Organisation und Aufbau
Senate
Das Bundesarbeitsgericht besteht aus mehreren Senaten (§ 40 ArbGG). Jeder Senat ist für spezifische Themen zuständig, zum Beispiel:
- Kündigungsschutzrecht
- Tarifrecht
- Betriebsverfassungsrecht
- Arbeitnehmerüberlassung
Jeder Senat setzt sich aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern zusammen, welche paritätisch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite stammen.
Richterinnen und Richter
Die Richter am Bundesarbeitsgericht werden im Einvernehmen der Bundesregierung und des Richterwahlausschusses ernannt (§ 41 ArbGG, § 3 DRiG). Sie verfügen über besondere Erfahrungen und Kenntnisse im Arbeitsrecht. Die ehrenamtlichen Richter werden aus den Reihen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber berufen, was die besondere Sozialbindung des Arbeitsrechts unterstreicht.
Präsident und Verwaltung
Dem Bundesarbeitsgericht steht eine Präsidentin oder ein Präsident vor, der zugleich das Gericht leitet und repräsentiert. Die Verwaltung ist eigenständig organisiert und koordiniert die Geschäftsverteilung, den Haushalt sowie Personalangelegenheiten.
Verfahrensrechtliche Besonderheiten
Revisionsverfahren
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist an strenge Voraussetzungen geknüpft (§§ 72 ff. ArbGG). Sie setzt voraus, dass das Landesarbeitsgericht die Revision zugelassen hat oder eine Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hatte. Die Revision kann sich ausschließlich auf Rechtsfragen beziehen, neue Tatsachen können nicht vorgetragen werden.
Rechtsbeschwerde
Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren entscheidet das BAG auch über Rechtsbeschwerden, beispielsweise in Angelegenheiten der Betriebsverfassung. Die Rechtsbeschwerde ist ein Rechtsbehelf, mit dem Rechtsverstöße aus dem Verfahren geltend gemacht werden.
Bedeutung für die Rechtsentwicklung
Das Bundesarbeitsgericht prägt durch seine Entscheidungen maßgeblich das deutsche Arbeitsrecht. Seine Urteile dienen den unteren Instanzen als Leitlinie und beeinflussen auch die rechtswissenschaftliche Diskussion. Zentrale Begriffe, wie etwa „betriebliche Übung“ oder „sozial gerechtfertigte Kündigung“, wurden maßgeblich durch das BAG ausgestaltet.
Die Rechtsprechung des BAG trägt zur Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht bei und sorgt für Einheitlichkeit der Gesetzesanwendung. In der Praxis spielen Grundsatzentscheidungen insbesondere bei sozialpolitisch relevanten Fragen eine wichtige Rolle.
Veröffentlichungen und Transparenz
Die Urteile und Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts werden regelmäßig veröffentlicht, unter anderem im Internet und in juristischen Fachzeitschriften. Diese Transparenz fördert die Nachvollziehbarkeit und Einheitlichkeit der Rechtsprechung sowie die Akzeptanz der Entscheidungen.
Sitz und Organisation
Der Sitz des Bundesarbeitsgerichts befindet sich seit 1999 in Erfurt (Thüringen). Es ist organisatorisch unabhängig und unterliegt keiner Fachaufsicht, sondern lediglich der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums der Justiz.
Bibliothek und Forschung
Das BAG unterhält eine umfangreiche Bibliothek, die vorrangig für die innergerichtliche Arbeit, aber auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Bibliothek bietet eine breite Auswahl an arbeitsrechtlichen Publikationen und Rechtsprechungssammlungen.
Internationaler Kontext
Das Bundesarbeitsgericht kooperiert mit internationalen Institutionen, etwa mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), insbesondere zur Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften im deutschen Arbeitsrecht. Entscheidungen des EuGH fließen regelmäßig in die Rechtsprechung des BAG ein.
Bedeutung in Staat und Gesellschaft
Im Rahmen des Sozialstaatsprinzips nimmt das Bundesarbeitsgericht eine bedeutende gesellschaftliche Funktion wahr. Durch seine Urteile trägt es zur sozialen Sicherung der Arbeitsverhältnisse bei und gewährleistet eine effiziente Streitbeilegung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Literatur und weiterführende Links
- Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
- Tarifvertragsgesetz (TVG)
- Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
- Offizielle Webseite des Bundesarbeitsgerichts: www.bundesarbeitsgericht.de
Siehe auch: Arbeitsgerichtsbarkeit, Landesarbeitsgericht, Arbeitsrecht in Deutschland
Hinweis: Dieser Artikel dient der umfassenden Information über das Bundesarbeitsgericht und dessen rechtliche Bedeutung im deutschen Arbeitsrecht.
Häufig gestellte Fragen
Welche Instanzenwege müssen vor einer Klage beim Bundesarbeitsgericht durchlaufen werden?
Vor einer Klage beim Bundesarbeitsgericht (BAG) müssen üblicherweise zunächst die Vorinstanzen durchlaufen werden. Rechtsstreitigkeiten im Arbeitsrecht beginnen grundsätzlich beim Arbeitsgericht (erste Instanz). Sollte eine Partei mit dem Urteil des Arbeitsgerichts nicht einverstanden sein, kann sie Berufung beim Landesarbeitsgericht (zweite Instanz) einlegen. Erst nach Abschluss dieser beiden Instanzen ist der Weg zum Bundesarbeitsgericht (dritte Instanz) eröffnet. Allerdings ist eine Revision zum BAG nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, beispielsweise wenn das Landesarbeitsgericht die Revision ausdrücklich zulässt oder das BAG auf Beschwerde einer Partei die Revision nachträglich zulässt. Die Zulassung hängt maßgeblich davon ab, ob der Fall grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des BAG abweicht oder ein Verfahrensmangel vorliegt, der entscheidungserheblich ist. Revisionsklagen, die ohne vorherigen Instanzenweg eingereicht werden, sind grundsätzlich unzulässig.
In welchen Fällen ist eine Revision zum Bundesarbeitsgericht statthaft?
Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht ist im deutschen Arbeitsrecht ausschließlich gegen Urteile der Landesarbeitsgerichte möglich und auch nur dann, wenn das erstinstanzliche Verfahren bei einem Arbeitsgericht begonnen hat. Der Revisionsgrund muss in der Regel eine entscheidungserhebliche Verletzung materiellen oder prozessualen Rechts sein (§§ 72 bis 73 ArbGG). In der Praxis ist die Revision statthaft, wenn das Landesarbeitsgericht sie im Urteil ausdrücklich zugelassen hat, vor allem bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Sollte das Landesarbeitsgericht die Revision nicht zulassen, steht der Partei das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde offen, über deren Erfolg das BAG wiederum entscheidet. Die Revision ist nicht statthaft bei geringen Streitwerten, etwa in Beschlussverfahren über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten aus Tendenzbetrieben (§ 74 Abs. 1 ArbGG) sowie bei bestimmten arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten mit geringem Streitwert.
Welche Verfahrensarten werden vor dem Bundesarbeitsgericht behandelt?
Das Bundesarbeitsgericht entscheidet im Wesentlichen in zwei unterschiedlichen Verfahrensarten: dem Urteilsverfahren und dem Beschlussverfahren. Das Urteilsverfahren betrifft zumeist Individualstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, wie etwa Kündigungsschutzklagen, Lohnklagen oder Fragen zur Eingruppierung. Das Beschlussverfahren beschäftigt sich vor allem mit kollektivrechtlichen Streitigkeiten, beispielsweise mit betriebsverfassungsrechtlichen Fragestellungen, Tarifrecht oder Mitbestimmung. Die Entscheidungen ergehen grundsätzlich als sog. Leitentscheidungen, die Bindungswirkung auf die Instanzgerichte entfalten und maßgeblich zur Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht beitragen.
Wie läuft das Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ab?
Das Revisionsverfahren beginnt mit der Einreichung einer Revisionsschrift, in der die rechtlichen Gründe, die die Vorinstanz nach Ansicht der Revision führenden Partei verletzt haben soll, umfassend dargelegt werden müssen. Das BAG überprüft daraufhin ausschließlich die Anwendung des Rechts durch das Landesarbeitsgericht, während eine Überprüfung der Tatsachenfeststellungen nur möglich ist, wenn insoweit Verfahrensmängel gerügt werden. Die Entscheidung im BAG erfolgt regelmäßig nach mündlicher Verhandlung, kann aber auch im schriftlichen Verfahren ergehen, sofern die Parteien zustimmen. Im Revisionsverfahren herrscht Anwaltszwang (§ 11 ArbGG), das bedeutet, die Parteien müssen sich durch einen beim Bundesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Die Entscheidung des Gerichts kann entweder in einem Urteil oder, im Falle eines Nichtannahmebeschlusses, in Beschlussform erfolgen.
Können vor dem Bundesarbeitsgericht neue Tatsachen vorgebracht werden?
Im Regelfall ist das Vorbringen neuer Tatsachen vor dem Bundesarbeitsgericht ausgeschlossen. Das BAG überprüft im Rahmen einer Revision ausschließlich das angefochtene Urteil auf Rechtsfehler, während es an die Feststellungen der Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht gebunden ist (§ 559 ZPO i.V.m. § 74 Abs. 2 ArbGG). Ausgenommen hiervon sind Fälle, in denen ein substantiierter Verfahrensfehler geltend gemacht wird, der für die Nichtberücksichtigung bestimmter Tatsachen ursächlich war. Dann kann das BAG die Entscheidung aufheben und an die Vorinstanz zur erneuten Entscheidung zurückverweisen. Das Verfahren vor dem BAG dient somit primär der Wahrung der Einheit und Fortentwicklung des Rechts, nicht aber der vollständigen Wiederholung der Tatsacheninstanzen.
Wer trägt die Kosten im Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht?
Die Kostenverteilung im Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der arbeitsprozessualen Kostentragungspflicht. Im Urteilsverfahren trägt grundsätzlich die unterlegene Partei die Gerichtskosten sowie die Anwaltskosten der obsiegenden Partei. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster Instanz trägt jedoch jede Partei ihre Kosten selbst, während sich im Revisionsverfahren vor dem BAG die Kostentragung nach dem Obsiegen oder Unterliegen richtet (§ 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 91 ff. ZPO). In Beschlussverfahren, wie etwa bei betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten, werden Gerichtskosten nach dem GKG berechnet, während die außergerichtlichen Kosten jeweils von den Beteiligten selbst getragen werden (§ 2 Abs. 2 GKG, § 40 ArbGG). Bei besonderer Bedürftigkeit kann Prozesskostenhilfe beantragt werden.
Gibt es eine Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts?
Gegen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ist grundsätzlich keine weitere ordentliche Revision möglich. Es besteht jedoch, sofern ein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht verletzt wurde und keine anderweitige Möglichkeit der Abhilfe besteht, die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einzulegen. Diese Verfassungsbeschwerde ist jedoch an enge formale und inhaltliche Voraussetzungen geknüpft: Es muss insbesondere dargelegt werden, dass das Bundesarbeitsgericht ein Grundrecht verletzt und keine andere rechtliche Möglichkeit zur Korrektur der Entscheidung mehr offensteht. Das BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerden jedoch nur in Ausnahmefällen zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde ist kein weiteres Rechtsmittel im arbeitsgerichtlichen Instanzenzug, sondern ein außerordentliches Rechtsbehelf zur Sicherung des Grundrechtsschutzes.