Bürgerwehr – Rechtlicher Überblick und Einordnung
Definition und historische Entwicklung
Die Bürgerwehr bezeichnet traditionell einen Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern einer Gemeinde oder Stadt, der sich dem Schutz der öffentlichen Ordnung sowie der Verteidigung der Gemeinschaft im Rahmen besonderer Gefährdungslagen widmet. Ursprünglich entstanden Bürgerwehren in Zeiten politischer Instabilität oder unzureichender staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Sie übernahmen – meist befristet oder örtlich begrenzt – Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, etwa als ergänzende Organisation zur Polizei oder in Abwesenheit staatlicher Sicherheitskräfte.
Historisch reichen Bürgerwehren bis ins Mittelalter zurück, etwa in Form von Schützenvereinen, Schutzkompanien oder bürgerlichen Garden. Im 19. Jahrhundert erlangten sie in Deutschland während revolutionärer Unruhen besondere Bedeutung, wurden aber im Zuge moderner Staats- und Polizeiorganisation weitgehend abgeschafft oder durch reguläre Sicherheitsorgane ersetzt.
Bürgerwehr im geltenden Recht
Verfassungsrechtliche Grundlagen
In der Bundesrepublik Deutschland ist das Gewaltmonopol des Staates in Artikel 20 Abs. 2, Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) sowie weiteren Vorschriften grundgelegt. Demnach ist die Ausübung hoheitlicher Gewalt – insbesondere Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Verfolgung von Straftaten – ausschließlich und originär staatlichen Behörden vorbehalten. Privaten Bürgerinnen und Bürgern kommt grundsätzlich keine polizeiliche oder hoheitliche Befugnis zu.
Systematische, organisierte Bürgerwehren, die polizeiähnlich Einsatzaufgaben übernehmen, sind daher mit dem Gewaltmonopol nicht vereinbar. Die Gründung und der Betrieb von Bürgerwehren können sogar straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, sofern sie hoheitliche Aufgaben an sich ziehen oder in eigenem Namen durchsetzen.
Straf- und ordnungsrechtliche Aspekte
Der rechtliche Rahmen ergibt sich primär aus dem Strafgesetzbuch (StGB), dem Waffengesetz (WaffG), dem Vereinsgesetz (VereinsG) und verschiedenen landesrechtlichen Polizeigesetzen:
1. Selbstjustiz und Anmaßung hoheitlicher Befugnisse:
Gemäß § 132 StGB (Amtsanmaßung) macht sich strafbar, wer unbefugt Handlungen vornimmt, die nur von Amtsträgerinnen und Amtsträgern vorgenommen werden dürfen. Eine selbsternannte Bürgerwehr, die beispielsweise Personenkontrollen, Festnahmen oder Durchsuchungen ohne rechtliche Grundlage durchführt, erfüllt regelmäßig diesen Straftatbestand.
2. Recht auf Jedermann-Festnahme (§ 127 Abs. 1 StPO):
Privatpersonen haben im Rahmen des Jedermannrechts nach § 127 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) das Recht, eine auf frischer Tat angetroffene Person vorläufig festzunehmen. Dieses Recht muss sich jedoch auf Einzelfälle beschränken und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bleiben. Ein systematischer Einsatz in Form von Bürgerwehr-Streifen oder Patrouillen überschreitet regelmäßig die Grenzen dieses individuellen Rechts.
3. Bewaffnung und Uniformierung:
Anders als bei staatlichen Sicherheitsorganen unterliegen Bürgerwehren strengen Restriktionen im Hinblick auf das Führen und den Besitz von Waffen (§ 2, 42a WaffG). Auch das Auftreten in Uniformen, die mit hoheitlichen Organen verwechselt werden können, ist nach § 132a StGB (Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen) oder landesrechtlichen Vorschriften untersagt.
4. Vereinsrechtliche Regelungen:
Die Bildung von Bürgerwehren in Form eingetragener Vereine kann nach dem Vereinsgesetz verboten oder aufgelöst werden, sofern die Organisation darauf ausgerichtet ist, Straftaten zu begehen (§ 3 VereinsG), oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung beziehungsweise den Gedanken der Völkerverständigung richtet.
Polizeirechtliche Einbindung von Bürgern
Staatliches Recht sieht punktuell die Mitwirkung von Privatpersonen an der öffentlichen Sicherheit vor (z. B. als Sicherheitswacht in Bayern oder im Gemeindevollzugsdienst). Diese Personen handeln jedoch ausdrücklich im Auftrag und unter Kontrolle staatlicher Behörden und werden speziell ausgebildet und beauftragt. Eine reine Bürgerwehr, die ohne staatliche Legitimation handelt, kann sich nicht auf diese Modelle berufen.
Bürgerwehr in der Rechtsprechung
Gerichte haben sich wiederholt mit den Grenzen bürgerschaftlicher Initiativen im Sicherheitsbereich befasst. Während das Engagement für Nachbarschaftshilfe oder die Meldung von Straftaten ausdrücklich zulässig ist, werden polizeiähnliche Aktivitäten, eigenmächtige Ermittlungen oder Bewaffnung regelmäßig als rechtswidrig eingestuft. In einzelnen Fällen wurden Mitglieder von Bürgerwehren wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Amtsanmaßung oder Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt.
Abgrenzung: Bürgerwehr, Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe
Bürgerwehr vs. Selbsthilfe
Im Unterschied zur Bürgerwehr, die sich als organisierte Formation zur Abwehr von Gefahren oder zur Durchsetzung der öffentlichen Ordnung versteht, ist die Selbsthilfe (vgl. § 229 BGB) ein individuelles, im Zivilrecht geregeltes Recht, eigene Rechte in sehr engen Ausnahmefällen selbst durchzusetzen, etwa bei Gefahr im Verzug. Eine kollektive, systematische Ausübung dieses Rechts im Rahmen einer Bürgerwehr ist nicht zulässig.
Bürgerwehr vs. Nachbarschaftshilfe
Die Nachbarschaftshilfe bezieht sich traditionell auf informelle Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung im Alltag und schließt das Informieren von Polizei und Behörden bei verdächtigen Vorgängen ein. Anders als die Bürgerwehr übernimmt sie keine eigenen hoheitlichen Aufgaben und bleibt im Rahmen des geltenden Rechts.
Bürgerwehr in anderen Rechtsordnungen
Auch international steht die Bürgerwehr vor ähnlichen rechtlichen Grenzen wie in Deutschland. In vielen Staaten bleiben Befugnisse zum Schutz der öffentlichen Sicherheit dem Staat vorbehalten. Privat organisierten Bürgerwehren ist es selten gestattet, polizeiähnliche Aufgaben zu übernehmen. Soweit Mitwirkung der Bevölkerung vorgesehen ist, geschieht dies in klar geregelten und begrenzten Formen (etwa als „Neighborhood Watch“ ohne hoheitliche Befugnisse).
Rechtliche Bewertung und Risiken
Die selbstorganisierte Bürgerwehr ohne staatlichen Auftrag ist im deutschen Recht mit erheblichen Risiken belegt. Neben straf- und ordnungsrechtlichen Konsequenzen für einzelne Mitglieder können die Aktivitäten gesellschaftlich destabilisierend wirken und das Vertrauen in bestehende rechtsstaatliche Institutionen schwächen. Staatlicher Gewaltvorbehalt und eine klare Trennung von hoheitlicher und privater Gefahrenabwehr stellen zentrale Prinzipien des Rechtsstaates dar.
Fazit
Der Begriff Bürgerwehr ist historisch gewachsen, im modernen Rechtsstaat jedoch mit engen rechtlichen Grenzen belegt. Das staatliche Gewaltmonopol schließt privat organisierte, polizeiähnlich handelnde Bürgerwehren ohne explizite staatliche Legitimation grundsätzlich aus. Einzelne Handlungen privater Personen im Bereich von Notwehr, Selbsthilfe oder Jedermann-Festnahme bleiben davon unberührt, dürfen aber nicht systematisiert werden. Bürgerliches Engagement für Sicherheit ist im Rahmen nachbarschaftlicher Kooperation und wachsamem Bürgersinn möglich, solle sich aber auf die Unterstützung, nicht auf die Ersetzung staatlicher Sicherheitsorgane beschränken.
Häufig gestellte Fragen
Ist die Gründung einer Bürgerwehr in Deutschland erlaubt?
Die Gründung einer sogenannten Bürgerwehr ist in Deutschland rechtlich grundsätzlich nicht explizit verboten. Allerdings gibt es strenge gesetzliche Rahmenbedingungen, die beachtet werden müssen. Gruppen von Privatpersonen dürfen nicht eigenmächtig Polizeiaufgaben übernehmen oder das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen. Insbesondere das Grundgesetz, die Landespolizeigesetze und das Versammlungsgesetz regeln, dass hoheitliche Aufgaben – wie Gefahrenabwehr und Strafverfolgung – ausschließlich den staatlichen Organen vorbehalten sind. Tätigkeiten, die über reine Beobachtung, Notruf oder Zeugenfunktion hinausgehen, können sehr schnell als Amtsanmaßung (§ 132 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB) oder gar Bildung einer bewaffneten Gruppe (§ 127 StGB) strafbar sein. Auch das Vereinsrecht (§ 3 VereinsG) sieht Verbotsmöglichkeiten vor, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Bürgerwehr gegen Strafgesetze verstößt oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Somit ist eine legale Aktivität einer Bürgerwehr ausschließlich innerhalb der engen Schranken des geltenden Rechts zulässig.
Dürfen Mitglieder einer Bürgerwehr Waffen tragen?
Das deutsche Waffenrecht ist extrem streng geregelt. Der Besitz und das Führen von Waffen – auch von sogenannten Anscheinswaffen, Hieb-, Stich- oder Schusswaffen – ist nur nach ausdrücklicher behördlicher Erlaubnis (§§ 2 ff. WaffG) gestattet. Bürgerwehren als lose Gruppierungen oder als Vereine haben keinerlei Sonderrechte hinsichtlich des Waffenbesitzes. Das Führen von Waffen „zur Selbstverteidigung“ im öffentlichen Raum ist grundsätzlich untersagt, sofern keine spezielle Erlaubnis vorliegt (wie der kleine Waffenschein für Schreckschusswaffen). Der Zusammenschluss einer Personengruppe mit dem gemeinsamen Ziel, bewaffnet aufzutreten, kann nach § 127 StGB sogar als Bildung bewaffneter Gruppen strafbar sein. Mitglieder von Bürgerwehren müssen sich daher strikt an das Waffengesetz (WaffG) halten und laufen andernfalls Gefahr, sich strafbar zu machen.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei eigenmächtigen „Einsätzen“ einer Bürgerwehr?
Private Personen dürfen im Rahmen des sogenannten Jedermann-Festnahmerechts (§ 127 Abs. 1 StPO) nur dann tätig werden, wenn jemand auf frischer Tat ertappt wird und eine Fluchtgefahr besteht. Das Festhalten oder gar Überwältigen von Verdächtigen ist nur unter diesen engen Voraussetzungen erlaubt. Überschreitet eine Bürgerwehr diese Grenzen – etwa durch Patrouillen, Personenkontrollen, Durchsuchungen, Drohungen oder körperliche Gewalt – drohen strafrechtliche Konsequenzen wie Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB) oder sogar gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB). Zusätzlich besteht ein erhebliches zivilrechtliches Haftungsrisiko für Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen der betroffenen Personen.
Unter welchen Voraussetzungen kann eine Bürgerwehr als Verein eingetragen werden?
Grundsätzlich steht jeder rechtlich unbedenklichen Gruppierung der Weg offen, sich als Verein im Vereinsregister eintragen zu lassen (§§ 21 ff. BGB). Das Vereinsrecht verbietet jedoch eintragungsfähige Vereine, deren Zwecke oder Tätigkeiten strafbar sind oder die gegen die verfassungsmäßige Ordnung (§ 3 VereinsG) verstoßen. Sollte der Vereinszweck der Bürgerwehr also Tätigkeiten beinhalten, die unzulässige Eingriffe in staatliche Befugnisse darstellen, kann eine Eintragung abgelehnt oder der Verein sogar verboten werden. Ferner unterliegen Vereine der Aufsicht und müssen im Rahmen ihrer Satzung handeln, deren Prüfung insbesondere betreffend ordnungs- oder sicherheitsrelevante Aktivitäten besonders streng erfolgt.
Gibt es gesetzliche Mitwirkungspflichten für Bürger oder Bürgerwehren bei der Verbrechensbekämpfung?
Nach deutschem Recht existiert keine allgemeine Pflicht für Bürger, aktiv an der Verbrechensbekämpfung mitzuwirken. Lediglich im Rahmen der sogenannten Hilfeleistungspflicht (§ 323c StGB – Unterlassene Hilfeleistung) kann im Notfall eine Handlungspflicht bestehen. Diese gilt jedoch für den Einzelfall, nicht für organisierte Strukturen wie eine Bürgerwehr. Die Mitwirkung am polizeilichen Ordnungsdienst kann nur über ausdrücklich geregelte Institutionen wie den „freiwilligen Polizeidienst“ bestimmter Bundesländer erfolgen, die einer offiziellen Ausbildung, Ernennung und Aufsicht unterliegen – wozu Bürgerwehren nicht zählen.
Inwieweit dürfen Bürgerwehren beispielsweise „Streife gehen“ oder bestimmte Areale überwachen?
Das öffentliche Raumüberwachungsrecht steht ausschließlich Behörden zu. Private dürfen öffentliche Orte nicht systematisch überwachen oder auf bereitgestellten Bild- und Tonaufnahmen speichern. „Streifengänge“ von Bürgerwehren sind lediglich im Rahmen der eigenen Rechte als Bürger, insbesondere durch die Wahrnehmung des Hausrechts oder als öffentlicher Beobachter, möglich. Jede Form von Kontrolle, Überwachung, Identitätsfeststellung oder Durchsuchung von Personen ist privaten Gruppen strikt untersagt und unterscheidet sich eindeutig von der Aufgabenwahrnehmung der Polizei. Verstöße werden als Amtsanmaßung, Datenschutzverletzung oder Nötigung geahndet.
Wie bewertet die Rechtsprechung Bürgerwehren in Bezug auf mögliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit?
Die Rechtsprechung betrachtet Bürgerwehren kritisch, da sie mit einer potenziellen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einhergehen können. Maßgeblich ist, ob durch die Aktivitäten der Bürgerwehr das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt wird oder durch eigenmächtiges Handeln rechtswidrige Situationen provoziert werden. Bereits das öffentliche Auftreten als ordnungs- oder polizeiähnliche Gruppierung wird als problematisch und unter Umständen als Ordnungswidrigkeit oder Straftat angesehen. Gerichte prüfen im Einzelfall streng, ob Verstöße gegen das Vereinsgesetz, Polizeiaufgabengesetze oder das Strafrecht vorliegen. In mehreren Entscheidungen wurde klargestellt, dass Bürgerwehren keinerlei Sonderrechte genießen und ihre Aktivitäten sich in den engen Grenzen des allgemeinen Rechts zu bewegen haben.