Rechtliche Grundlagen und Begriffsbestimmung von Biostoffen
Definition und Rechtsquellen
Biostoffe sind im deutschen und europäischen Recht als biologische Arbeitsstoffe definiert, die Mikroorganismen, Zellkulturen oder Endoparasiten umfassen, die beim Menschen Infektionen, Allergien oder toxische Wirkungen hervorrufen können. Die rechtliche Basis bildet hauptsächlich die Biostoffverordnung (BioStoffV), welche die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2000/54/EG zum Schutz der Beschäftigten gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit regelt. Ergänzend greifen weitere nationale und europäische Vorschriften, etwa das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das Infektionsschutzgesetz (IfSG) und Verordnungen zur Einschlägigkeit der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV).
Abgrenzung zu anderen Rechtsbegriffen
Der Begriff „Biostoffe“ unterscheidet sich rechtlich von Begriffen wie „Gefahrstoffe“ oder „Bioabfall“. Während Gefahrstoffe nach der Gefahrstoffverordnung grundsätzlich alle gesundheitsgefährdenden Stoffe und Gemische umfassen, beziehen sich Biostoffe ausschließlich auf biologische Agenzien mit potenziellen Risiken für Menschen, insbesondere Beschäftigte. Bioabfall ist hingegen ein Begriff des Abfallrechts und hat keine unmittelbare Überschneidung mit Biostoffen im arbeitsrechtlichen Sinne.
Systematik und rechtliche Einstufung von Biostoffen
Klassifizierung der Biostoffe
Die Biostoffverordnung unterteilt Biostoffe nach dem Grad des Infektionsrisikos für den Menschen in vier Schutzstufen (1-4). Grundlage für die Klassifikation ist insbesondere der von der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) erstellte und fortlaufend aktualisierte Biostoff-Katalog.
- Schutzstufe 1: Kein oder ein geringes Risiko für den Menschen
- Schutzstufe 2: Kann Krankheiten beim Menschen verursachen, ist aber dagegen normalerweise behandelbar oder beugt vor
- Schutzstufe 3: Verursacht schwere Krankheiten, gegen die in der Regel aber Gegenmaßnahmen möglich sind
- Schutzstufe 4: Sehr hohes Risiko, schwer behandelbare oder nicht behandelbare Erkrankungen
Diese Einstufung hat erhebliche Auswirkungen auf die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen und die jeweiligen Pflichten der Arbeitgeber.
Pflichten und Verantwortlichkeiten nach der Biostoffverordnung
Arbeitgeberpflichten
Arbeitgeber, die Tätigkeiten mit Biostoffen durchführen lassen, sind nach § 4 BioStoffV verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Diese Gefährdungsbeurteilung umfasst:
- Identifikation und Beurteilung der vorhandenen Biostoffe
- Klassifizierung nach Gefährdungspotenzial
- Festlegung der erforderlichen Schutzmaßnahmen
- Dokumentation und fortlaufende Aktualisierung
Zu den weiteren Pflichten zählen die Information und Unterweisung der Beschäftigten, die Bereitstellung persönlicher Schutzausrüstung (PSA) sowie die Meldung bestimmter Tätigkeiten an die zuständigen Behörden (§ 16 BioStoffV).
Schutzmaßnahmen
Schutzmaßnahmen richten sich nach dem sogenannten STOP-Prinzip:
- Substitution (Ersatz der Biostoffe durch weniger gefährliche Stoffe)
- Technische Maßnahmen (zum Beispiel Absaugvorrichtungen, geschlossene Systeme)
- Organisatorische Maßnahmen (Arbeitsanweisungen, Zugangsbeschränkungen)
- Persönliche Schutzmaßnahmen (Handschuhe, Atemschutzmasken)
Je nach Schutzstufe und Risiko sind die Maßnahmen in Intensität und Umfang anzupassen.
Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen
Auch die Mitbestimmung der Arbeitnehmervertretungen ist rechtlich relevant. Betriebsräte haben im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) das Recht auf Mitbestimmung und Anhörung bei der Ausgestaltung von Schutzmaßnahmen im Umgang mit Biostoffen (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG).
Überwachung und Sanktionen
Behördenzuständigkeiten
Die Überwachung der Einhaltung der Biostoffverordnung liegt bei den Gewerbeaufsichtsämtern beziehungsweise den Arbeitsschutzbehörden der Länder. Im medizinischen Bereich kann auch das Gesundheitsamt zuständig sein. Die Behörden kontrollieren sowohl die Einhaltung der Schutzmaßnahmen als auch die ordnungsgemäße Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen.
Ordnungswidrigkeiten und Strafbestimmungen
Verstöße gegen die Biostoffverordnung können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden (§ 22 BioStoffV). Bei grober oder wiederholter Missachtung können Bußgelder oder weitere verwaltungsrechtliche Maßnahmen folgen. Unter besonderen Voraussetzungen kann ein Verstoß – insbesondere bei schwerwiegenden Personenschäden – als Straftat nach dem Strafgesetzbuch (StGB) qualifiziert werden.
Besondere Bestimmungen für bestimmte Branchen
Gesundheitswesen und Forschungseinrichtungen
Für das Gesundheitswesen und Forschungseinrichtungen bestehen ergänzende Vorschriften, insbesondere bezüglich besonders gefährlicher Biostoffe der Schutzstufen 3 und 4. Hier unterliegen Tätigkeiten strengen Meldepflichten und Schutzvorkehrungen. Die Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) gibt hierfür detaillierte Vorgaben zu baulichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen.
Landwirtschaft und Lebensmittelbereich
Auch in der Landwirtschaft und im Bereich der Lebensmittelverarbeitung finden die Vorschriften der Biostoffverordnung Anwendung, etwa bei Tätigkeiten mit tierischen Exkrementen, Kompost oder bei der Produktion fermentierter Lebensmittel. Die Schutzmaßnahmen müssen auf die jeweiligen typischen Biostoffrisiken abgestimmt werden.
Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften
Schnittstellen zu Gefahrstoffrecht und Infektionsschutz
Das Regelungssystem zu Biostoffen steht in engem Verhältnis zu anderen Vorschriften, etwa zur Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Bei Überschneidungen ist auf die Geltung der jeweils strengeren Vorschrift zu achten. Zudem können Vorschriften aus dem Umweltschutzrecht, insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), eine Rolle spielen, wenn von Biostoffen Gefahren für die Umwelt ausgehen.
Weiterführende Informationen und Literaturhinweise
- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Biostoffverordnung – Praxishilfen und Erläuterungen
- Bundesgesetzblatt: Biostoffverordnung (BioStoffV)
- Europäische Richtlinie 2000/54/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit
Fazit
Der Begriff Biostoffe ist rechtlich eindeutig geregelt und unterliegt strengen Vorschriften zum Schutz der Gesundheit Beschäftigter. Die Biostoffverordnung stellt den zentralen gesetzlichen Rahmen dar und verpflichtet zur umfassenden Gefährdungsbeurteilung, zu Schutzmaßnahmen und zur Behördenmeldung. Angesichts der Vielschichtigkeit des Regelungsbereichs sind die Einhaltung und laufende Aktualisierung der Schutzvorkehrungen essenziell, um arbeits- und haftungsrechtliche Risiken zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Wann besteht für Arbeitgeber eine Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Biostoffen?
Arbeitgeber sind gemäß § 4 der Biostoffverordnung (BioStoffV) verpflichtet, vor Aufnahme einer Tätigkeit mit Biostoffen eine sorgfältige Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Diese Pflicht gilt unabhängig von der Branche und betrifft sämtliche Arbeitsbereiche, in denen Beschäftigte in Kontakt mit biologischen Arbeitsstoffen (z. B. Bakterien, Viren, Pilze) kommen können. Die Gefährdungsbeurteilung umfasst das Ermitteln der Art, Konzentration und Übertragungswege der Biostoffe sowie die Feststellung der möglichen Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten. Darüber hinaus müssen dabei die Schutzstufen (1-4) gemäß der BioStoffV sowie die jeweiligen technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen geprüft und dokumentiert werden. Wird die Gefährdungsbeurteilung unterlassen oder unzureichend durchgeführt, drohen dem Arbeitgeber empfindliche Bußgelder oder sogar strafrechtliche Konsequenzen, insbesondere im Schadensfall. Die Dokumentationspflicht ist zwingend und muss jederzeit auf dem aktuellen Stand gehalten werden, etwa bei einer Änderung der Arbeitsverfahren oder neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Biostoffen.
Welche Pflichten ergeben sich für Arbeitgeber im Hinblick auf die Schutzmaßnahmen nach Feststellung einer Gefährdung durch Biostoffe?
Nach einer erfolgten Gefährdungsbeurteilung muss der Arbeitgeber gemäß § 8 BioStoffV geeignete Schutzmaßnahmen festlegen und umsetzen. Diese orientieren sich am Stop-Prinzip (Substitution, technische Maßnahmen, organisatorische Maßnahmen, persönliche Schutzmaßnahmen) und richten sich nach der jeweiligen Schutzstufe der Tätigkeit. Die Maßnahmen reichen vom Einsatz geeigneter Lüftungssysteme und geschlossener Arbeitsverfahren über Schulungen und arbeitsmedizinische Vorsorge bis hin zur Bereitstellung persönlicher Schutzausrüstung (z. B. Handschuhe, Atemschutz). Der Arbeitgeber ist zudem verpflichtet, die Einhaltung der Maßnahmen regelmäßig zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen. Werden besonders gefährliche Tätigkeiten nach Schutzstufe 3 oder 4 ausgeführt, sind darüber hinaus spezifische Vorschriften, zum Beispiel zum Zugang oder zur Dekontamination, einzuhalten.
Müssen Arbeitsbereiche mit Biostoffen behördlich angezeigt oder genehmigt werden?
Ja, gemäß den §§ 15 ff. BioStoffV besteht für bestimmte Tätigkeiten mit Biostoffen eine Anzeigepflicht gegenüber der zuständigen Behörde. Dies betrifft in der Regel Tätigkeiten in den Schutzstufen 2 bis 4. Der Arbeitgeber muss vor Aufnahme der Arbeiten eine Anzeige erstatten, die detaillierte Angaben zu den verwendeten Biostoffen, Arbeitsverfahren, Schutzmaßnahmen und zu erwartenden Risiken enthält. Für Tätigkeiten der Schutzstufe 4, etwa mit hochpathogenen Viren, ist zudem eine ausdrückliche behördliche Genehmigung einzuholen. Die Behörde prüft die Unterlagen, kann ergänzende Anforderungen stellen oder im Extremfall die Tätigkeit untersagen. Änderungen der angegebenen Umstände während des Betriebs sind ebenfalls unverzüglich anzuzeigen.
Welche Informationen und Unterweisungen sind Beschäftigten im Umgang mit Biostoffen verpflichtend zu geben?
Arbeitgeber müssen gemäß § 14 BioStoffV alle Beschäftigten, die mit oder in der Nähe von Biostoffen arbeiten, umfassend und in verständlicher Weise über die auftretenden Gefahren, Schutzmaßnahmen, Notfallmaßnahmen und Hygienevorschriften unterrichten. Diese Unterweisungen müssen vor Aufnahme der Tätigkeit und danach mindestens jährlich erfolgen oder bei veränderten Arbeitsbedingungen wiederholt werden. Zu den Pflichtinformationen gehören unter anderem die Eigenschaften der Biostoffe, mögliche Infektionswege, Symptome möglicher Krankheiten, die Bedeutung und der richtige Umgang mit Schutzausrüstung sowie das Verhalten bei Unfällen oder ungewolltem Austritt von Biostoffen. Eine schriftliche Dokumentation der Unterweisungen ist gesetzlich vorgeschrieben.
Welche Mitwirkungspflichten haben Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit bei Tätigkeiten mit Biostoffen?
Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind aus rechtlicher Sicht eng in den Arbeitsschutz bei Tätigkeiten mit Biostoffen eingebunden. Sie müssen an der Gefährdungsbeurteilung beteiligt werden (§§ 4, 9 BioStoffV) und beraten den Arbeitgeber bei der Auswahl und Umsetzung von Schutzmaßnahmen. Insbesondere ist der Betriebsarzt gemäß § 11 BioStoffV für die arbeitsmedizinische Vorsorge und die Betreuung der Beschäftigten zuständig, einschließlich der Durchführung und Organisation von Impfangeboten, Untersuchungen und Beratungen. Die Kommunikation über arbeitsmedizinische Erkenntnisse und Empfehlungen sowie deren Dokumentation obliegen ebenfalls diesen Fachkräften. Bei schwerwiegenden Vorkommnissen (z. B. Biostoff-Exposition) sind sie als erste Ansprechpartner und Mitwirkende bei der Ursachenanalyse, Nachsorge und Vermeidung künftiger Vorfälle gesetzlich verpflichtet.
Was ist im Falle von Unfällen oder unbeabsichtigtem Freisetzen von Biostoffen rechtlich zu tun?
Im Fall eines Unfalls oder einer unbeabsichtigten Freisetzung von Biostoffen sind gemäß § 16 BioStoffV unverzüglich Notfallmaßnahmen einzuleiten. Der Arbeitgeber muss umgehend für die Eindämmung der Ausbreitung sorgen (zum Beispiel Dekontamination, Evakuierung, medizinische Erstversorgung) und die zuständige Behörde informieren, sofern es sich um gefährliche oder meldepflichtige Biostoffe handelt. Alle betroffenen Beschäftigten sind über die Gefahrenlage und erforderliches Verhalten zu informieren. Zudem ist der Vorfall detailliert zu dokumentieren und eine Ursachenanalyse durchzuführen. Die Ergebnisse sind zu nutzen, um künftig verbesserte Schutzmaßnahmen umzusetzen und Wiederholungen zu vermeiden. Bei Personenschäden sind gegebenenfalls Unfallanzeigen bei der zuständigen Berufsgenossenschaft bzw. Unfallversicherung einzureichen.