Begriff und Zweck des Billigkeitserlasses
Ein Billigkeitserlass ist eine Entscheidung der Abgabenbehörde, eine festgesetzte oder festsetzbare öffentliche Abgabe ganz oder teilweise aus Gründen der Angemessenheit zu erlassen. Er dient dazu, atypische Härten abzumildern, die sich im Einzelfall aus der strikten Anwendung des Abgabenrechts ergeben können. Ziel ist ein Ausgleich zwischen dem Gebot gleichmäßiger Abgabenerhebung und besonderen Umständen, in denen die Einhaltung der gesetzlichen Regel grundsätzlich rechtmäßig wäre, aber im konkreten Fall unbillig erscheint.
Der Billigkeitserlass ist kein Anspruchsinstrument, sondern eine Ermessensentscheidung. Er setzt voraus, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Abweichung vom Regelfall rechtfertigen. Er kann sich auf die Hauptforderung (z. B. Steuer) oder auf Nebenleistungen (z. B. Zinsen, Säumniszuschläge) beziehen.
Rechtsnatur und Einordnung
Der Billigkeitserlass ist ein Verwaltungsakt mit Außenwirkung. Er wird im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen und ist in das System der Abgabenerhebung eingebettet. Seine Funktion ist ausgleichend: Er korrigiert keine Rechtsfehler, sondern mildert ausnahmsweise rechtlich korrekte, aber im Einzelfall unangemessene Ergebnisse.
Ermessensentscheidungen unterliegen allgemeinen Grenzen: Sie müssen am Zweck der Ermächtigung ausgerichtet sein, den Gleichheitsgrundsatz beachten und dürfen nicht willkürlich sein. Verwaltungspraxis und interne Richtlinien können zu einer Selbstbindung führen, die die Ausübung des Ermessens prägt. In besonderen Konstellationen kann sich das Ermessen faktisch auf eine bestimmte Entscheidung verdichten, wenn jede andere Entscheidung als sachwidrig erschiene.
Neben Einzelfallentscheidungen sind auch generelle Billigkeitsmaßnahmen möglich, bei denen eine Behörde in bestimmten Lagen (etwa bei außergewöhnlichen Ereignissen) vorgibt, wie mit vergleichbaren Fällen umzugehen ist. Die Einzelfallprüfung bleibt gleichwohl grundlegend.
Arten des Billigkeitserlasses
Sachliche Billigkeitsgründe
Sachliche Gründe beziehen sich auf die Struktur des Abgabentatbestands. Ein Erlass kommt in Betracht, wenn die Gesetzesanwendung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu Ergebnissen führt, die vom gesetzgeberischen Leitbild nicht erfasst oder offensichtlich nicht gewollt sind. Typisch sind atypische Konstellationen, in denen die Abgabenlast unverhältnismäßig erscheint, obwohl die Festsetzung dem Wortlaut entspricht.
Persönliche Billigkeitsgründe
Persönliche Gründe betreffen die individuelle Lage der betroffenen Person oder des Unternehmens. Maßgeblich können wirtschaftliche Schwierigkeiten, besondere Belastungssituationen oder existenzielle Härten sein. Ein Erlass aus persönlichen Gründen setzt regelmäßig voraus, dass die Erfüllung der Abgabenschuld unzumutbar wäre und andere mildernde Instrumente nicht ausreichen.
Teilweiser und vollständiger Erlass
Der Erlass kann vollständig oder teilweise ausgesprochen werden. Beim Teilerlass wird die Forderung in einem angemessenen Umfang reduziert. Eine Quotelung kann sachbezogen (z. B. abgrenzbarer Teil der Bemessungsgrundlage) oder personenbezogen (z. B. wirtschaftliche Leistungsfähigkeit) begründet sein.
Erlass von Nebenleistungen
Nebenleistungen wie Zinsen oder Säumniszuschläge können eigenständig erlassen werden, wenn deren Erhebung im Einzelfall unbillig ist. Dies kommt etwa in Betracht, wenn die Nebenleistung eine atypische Mehrbelastung bewirkt, die dem Steuerzweck oder dem Lenkungszweck der Nebenleistung widerspricht.
Abgrenzung zu verwandten Instrumenten
Stundung
Die Stundung verschiebt die Fälligkeit einer Forderung. Sie ändert die Höhe der Abgabenschuld nicht, sondern gewährt Zahlungsaufschub. Der Billigkeitserlass demgegenüber beseitigt die Forderung ganz oder teilweise.
Aussetzung der Vollziehung
Die Aussetzung der Vollziehung hemmt vorläufig die Durchsetzung eines Verwaltungsakts, in der Regel bis zur Klärung offener Rechtsfragen. Sie ist eine vorläufige Maßnahme und keine endgültige Korrektur der Abgabenschuld. Der Billigkeitserlass wirkt dauerhaft.
Niederschlagung
Die Niederschlagung ist eine verwaltungsinterne Maßnahme, mit der die Vollstreckung einstweilen unterbleibt, weil sie aussichtslos oder unzweckmäßig erscheint. Die Forderung bleibt rechtlich bestehen. Beim Billigkeitserlass wird die Forderung materiell reduziert oder aufgehoben.
Allgemeine Verwaltungsvorgaben
Allgemeine Verwaltungsvorgaben legen die Linie einer Behörde fest, begründen aber keine unmittelbaren Ansprüche. Der Billigkeitserlass setzt stets eine Entscheidung im konkreten Einzelfall voraus, auch wenn allgemeine Vorgaben die Ermessensausübung prägen.
Verfahren und Zuständigkeit
Zeitpunkt und Verfahrensstand
Ein Billigkeitserlass kommt grundsätzlich nach Entstehen der Abgabenschuld in Betracht. Er kann an die Festsetzung anknüpfen oder die Vollstreckung betreffen. Er ist nachrangig gegenüber vorrangigen Korrekturmöglichkeiten, die Rechtsfehler beheben; der Billigkeitsweg dient nicht der Fehlerkorrektur, sondern der Härteausgleichung.
Beteiligung und Mitwirkung
Die Entscheidung beruht regelmäßig auf den konkreten Umständen, die für die Unbilligkeit maßgeblich sind. Tatsächliche Angaben und Nachweise werden in die Ermessensabwägung einbezogen. Die Behörde prüft die Eignung und Erforderlichkeit eines Erlasses im Lichte des Zwecks der Abgabenerhebung und der Gleichbehandlung.
Entscheidung und Begründung
Die Entscheidung erfolgt durch Bescheid. Sie begründet, auf welcher Tatsachengrundlage und mit welcher Abwägung das Ermessen ausgeübt wurde. Eine Ablehnung muss erkennen lassen, dass alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt wurden. Ermessensfehler (z. B. Nichtgebrauch, Überschreitung, Fehlgewichtung) können zur Rechtswidrigkeit führen.
Nebenbestimmungen und Auflagen
Ein Billigkeitserlass kann mit Nebenbestimmungen verbunden werden, etwa mit Bedingungen oder Auflagen. Sie müssen einen inneren Zusammenhang mit dem Zweck des Erlasses aufweisen und verhältnismäßig sein. Bei Nichterfüllung kann die Vergünstigung entfallen.
Dokumentation und Datenschutz
Die abwägungsrelevanten Tatsachen sind aktenkundig zu machen. Personenbezogene Daten werden nur im erforderlichen Umfang verarbeitet. Die Entscheidung ist nachvollziehbar zu dokumentieren, damit sie einer rechtlichen Überprüfung zugänglich bleibt.
Wirkungen und Grenzen
Wirkung auf die Forderung
Mit dem Billigkeitserlass erlischt die Forderung im erlassenen Umfang endgültig. Er wirkt grundsätzlich nicht über den geregelten Zeitraum oder Gegenstand hinaus. Bei Teilerlassen verbleibt die Restschuld voll wirksam.
Rücknahme und Widerruf
Ein begünstigender Bescheid kann unter den allgemeinen Voraussetzungen aufgehoben werden, etwa bei unrichtigen Angaben oder Wegfall der Voraussetzungen. Der Vertrauensschutz wird im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben abgewogen.
Nachrangigkeit gegenüber vorrangigen Korrekturen
Der Billigkeitserlass tritt zurück, wenn vorrangige, auf Rechtsfehler bezogene Korrekturinstrumente einschlägig sind. Er dient nicht der Umgehung von Bestandskraftregeln oder von Fristen für reguläre Rechtsbehelfe.
Verhältnis zum Haushalts- und Beihilfenrecht
Ein Erlass berührt den öffentlichen Haushalt. Bei erheblichen oder systematischen Entlastungen sind haushaltsrechtliche Grundsätze und Vorgaben zur Gewährung von Vorteilen zu beachten. Im Einzelfall kann eine Prüfung auf beihilfenrechtliche Relevanz erforderlich sein, wenn selektive Vorteile für Unternehmen entstehen.
Gleichbehandlung und Selbstbindung
Der Gleichheitsgrundsatz verlangt, vergleichbare Fälle gleich zu behandeln. Eine gefestigte Verwaltungspraxis kann zu einer Selbstbindung führen, von der nur aus sachlichen Gründen abgewichen werden darf. Umgekehrt darf aus Einzelfallentscheidungen kein Anspruch auf Gleichbehandlung in atypischen Konstellationen abgeleitet werden.
Rechtsschutz
Gegen ablehnende oder einschränkende Entscheidungen besteht der allgemeine verwaltungsrechtliche Rechtsschutz. Die gerichtliche Kontrolle erstreckt sich auf Rechtsfehler und Ermessensfehler. Geprüft wird insbesondere, ob die gesetzlichen Grenzen eingehalten, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und die Entscheidung plausibel begründet wurden. Die inhaltliche Ermessensausübung wird nur eingeschränkt überprüft; maßgeblich sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, Gleichbehandlung und Zweckbindung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Billigkeitserlass im Abgabenrecht?
Ein Billigkeitserlass ist die behördliche Entscheidung, eine rechtmäßig entstandene Abgabe ganz oder teilweise aufzuheben, weil ihre Erhebung im konkreten Fall als unangemessen gilt. Er korrigiert keine Rechtsfehler, sondern mildert außergewöhnliche Härten.
Worin unterscheidet sich der Billigkeitserlass von Stundung und Niederschlagung?
Die Stundung verschiebt die Zahlungsfälligkeit, ohne die Höhe der Schuld zu ändern. Die Niederschlagung setzt die Vollstreckung vorübergehend aus, lässt die Forderung aber bestehen. Der Billigkeitserlass reduziert oder beseitigt die Forderung endgültig.
Welche Voraussetzungen sind für einen Billigkeitserlass maßgeblich?
Erforderlich sind besondere Umstände, die eine Abweichung vom Regelfall rechtfertigen, etwa atypische Härten. Maßgeblich sind sachliche Gründe (Atypik des Gesetzesvollzugs) oder persönliche Gründe (besondere Belastungssituation). Die Entscheidung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen.
Auf welche Abgaben kann sich ein Billigkeitserlass beziehen?
Er kann sich auf verschiedene öffentliche Abgaben beziehen, einschließlich Steuern, steuerlicher Nebenleistungen und kommunaler Abgaben. Ob und in welchem Umfang ein Erlass möglich ist, richtet sich nach den einschlägigen Regelungen und der Verwaltungspraxis.
Erfasst der Billigkeitserlass auch Zinsen und Zuschläge?
Ja. Nebenleistungen wie Zinsen oder Säumniszuschläge können eigenständig erlassen werden, wenn deren Erhebung im Einzelfall unbillig ist. Die Prüfung erfolgt getrennt von der Hauptforderung.
Kann ein Billigkeitserlass rückwirkend wirken oder widerrufen werden?
Die Wirkung bezieht sich auf den geregelten Zeitraum oder Sachverhalt und tritt mit Bescheid ein. Eine Aufhebung des Bescheids ist unter den allgemeinen Voraussetzungen möglich, insbesondere bei unrichtigen Angaben oder geänderten Umständen unter Beachtung des Vertrauensschutzes.
Welche Möglichkeiten der Überprüfung gibt es bei Ablehnung?
Gegen ablehnende Entscheidungen steht der allgemeine Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren offen, gefolgt von gerichtlicher Kontrolle. Überprüft werden insbesondere Begründung, Beachtung der Ermessensgrenzen und Gleichbehandlung.