Legal Lexikon

Wiki»Betriebsverlegung

Betriebsverlegung


Begriff und allgemeine Definition der Betriebsverlegung

Die Betriebsverlegung bezeichnet die vollständige oder teilweise Verlagerung eines Betriebs oder Betriebsteils an einen anderen Standort. Im arbeitsrechtlichen Kontext stellt die Betriebsverlegung eine Form der Betriebsänderung dar, welche in § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt ist. Dieser Prozess kann unterschiedliche Gründe haben, darunter wirtschaftliche, strukturelle oder organisatorische Ursachen. Wesentliche Merkmale sind die räumliche Veränderung des gesamten Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten sowie die betriebliche Mitbestimmung.


Rechtliche Grundlagen und Einordnung

Relevante Gesetzesvorschriften

  • § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): Regelt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen, einschließlich Betriebsverlegung.
  • § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Behandelt den Übergang von Arbeitsverhältnissen auf einen neuen Inhaber bei Betriebsübergang, der von einer Betriebsverlegung begleitet sein kann.
  • Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Kommt zur Anwendung, wenn infolge einer Betriebsverlegung betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden.

Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Die Betriebsverlegung ist von anderen betrieblichen Umgestaltungen wie Betriebsteilstilllegung, Betriebszusammenlegung oder Betriebsübergang abzugrenzen:

  • Betriebsverlagerung wird häufig synonym verwendet, bezeichnet aber regelmäßig nur die räumliche Versetzung von Betriebsteilen ohne Änderung der Besitzverhältnisse.
  • Betriebsstillegung beschreibt hingegen die dauerhafte Einstellung der betrieblichen Tätigkeit.
  • Betriebsübergang (§ 613a BGB) ist ein Wechsel des Betriebsinhabers und berührt die Kontinuität der Arbeitsverhältnisse unmittelbar.

Merkmale der Betriebsverlegung

Kriterien der Betriebsverlegung

Für die Annahme einer Betriebsverlegung im Sinne des BetrVG müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:

  1. Standortwechsel: Die wirtschaftliche Einheit wird an einen anderen geographischen Ort verlagert.
  2. Funktionsgleichheit: Die betriebliche Tätigkeit wird am neuen Standort fortgeführt, sodass eine Fortsetzung der bisherigen Betriebsstruktur am neuen Ort stattfindet.
  3. Betroffenheit der Belegschaft: Es müssen wesentliche Auswirkungen auf den Personalbestand und die Arbeitsverhältnisse entstehen.

Vollständige und teilweise Betriebsverlegung

  • Vollständige Betriebsverlegung: Der gesamte Betrieb zieht an einen neuen Standort um.
  • Teilweise Betriebsverlegung: Nur einzelne Betriebsteile werden verlagert, während der verbleibende Teil am bisherigen Standort weitergeführt wird.

Auswirkungen der Betriebsverlegung auf Arbeitsverhältnisse

Beschäftigungsbedingungen

Mit der Verlegung des Betriebs ändern sich oftmals die Arbeitsbedingungen (wie Arbeitswege, Einsatzorte oder betriebliche Abläufe) für die Arbeitnehmer. Diese Veränderungen können im Einzelfall einen Änderungsbedarf der individuellen Arbeitsverträge zur Folge haben.

Betriebsbedingte Kündigungen

Im Zuge einer Betriebsverlegung kann es zu einer Reduzierung des Personalbedarfs am bisherigen Standort kommen. Werden Arbeitnehmer im neuen Betrieb nicht weiterbeschäftigt oder sind ihnen die neuen Arbeitsorte nicht zumutbar, können betriebsbedingte Kündigungen gemäß § 1 KSchG erforderlich werden. Arbeitgeber müssen jedoch vorrangig prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung oder Versetzung möglich und zumutbar ist.

Umsetzung der Verlegung durch Versetzungen oder Änderungskündigungen

Häufig sind Versetzungen im Rahmen des Weisungsrechts gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) möglich, sofern der Arbeitsvertrag einen Ortswechsel zulässt. Andernfalls bedarf es regelmäßig einer Änderungskündigung, um die geänderten Vertragsbedingungen durchzusetzen.


Beteiligungsrechte des Betriebsrats

Informations- und Beratungsrechte

Gemäß § 111 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat frühzeitig und umfassend über die geplante Betriebsverlegung zu informieren. Die Information umfasst insbesondere:

  • Gründe für die Maßnahme
  • Auswirkungen auf die Arbeitnehmer
  • Zeitplan der Umsetzung

Mitbestimmung, Interessenausgleich und Sozialplan

Interessenausgleich

Bei geplanten Betriebsverlegungen muss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat versuchen, einen Interessenausgleich zu verhandeln (§ 112 BetrVG). Ziel ist es, die Modalitäten und den Ablauf der Verlagerung einvernehmlich festzulegen. Einigen sich die Parteien nicht, kann die Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 2 BetrVG angerufen werden, um zu vermitteln. Der Interessenausgleich ist nicht erzwingbar, sondern beruht auf der Konsensbereitschaft der Parteien.

Sozialplan

Zusätzlich besteht die Verpflichtung zur Aufstellung eines Sozialplans (§ 112 BetrVG), der darauf abzielt, wirtschaftliche Nachteile für die Belegschaft abzumildern oder auszugleichen. Der Sozialplan ist erzwingbar und kann notfalls durch die Einigungsstelle festgelegt werden.

Beispiele für Sozialplanleistungen sind:

  • Abfindungen
  • Übernahme von Umzugskosten
  • Fahrkostenzuschüsse
  • Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen

Betriebsverlegung und Betriebsübergang

Zusammenhang und Abgrenzung

Eine Betriebsverlegung kann mit einem Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB einhergehen, wenn die wirtschaftliche Einheit nicht nur an einen neuen Ort übergeht, sondern zugleich der Inhaber wechselt. In diesem Fall gehen die bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Betriebsinhaber über. Die Arbeitnehmer sind hierüber schriftlich zu informieren.


Auswirkungen im kollektiven Arbeitsrecht

Tarifrechtliche Fragestellungen

Die Frage der Weitergeltung von Tarifverträgen am neuen Betriebsstandort kann sich insbesondere dann stellen, wenn dort andere Tarifwerke Anwendung finden oder der Betrieb aus dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags herausfällt.

Beteiligung weiterer Arbeitnehmervertretungen

Sofern ein Unternehmen verschiedene Standorte oder sogar einen Gesamt- oder Konzernbetriebsrat aufweist, können auch diese Gremien mit in die Verfahren einbezogen werden.


Betriebsverlegung und Kündigungsschutz

Bedeutung der ordnungsgemäßen Sozialauswahl

Bei betriebsbedingten Kündigungen infolge der Betriebsverlegung ist die Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG zu beachten. Die Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer muss sozial gerechtfertigt erfolgen.

Mögliche Formen der Kündigung

  • Beendigungskündigung: Endgültige Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
  • Änderungskündigung: Angebot, das Arbeitsverhältnis zu neuen, geänderten Bedingungen am neuen Standort fortzusetzen.

Literatur und Rechtsprechung

Ein umfangreiches Feld an Urteilen und Kommentierungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verdeutlicht, dass die Abgrenzung von Betriebsverlegung, -stillegung und -übergang im Einzelfall kompliziert sein kann. Maßgeblich bleibt stets die tatsächliche Durchführung der Verlegung und ihre Auswirkungen auf die Eigenart des Betriebs und die Rechtsstellung der Arbeitnehmer.


Zusammenfassung

Die Betriebsverlegung ist ein komplexer Vorgang, der tief in das Arbeitsrecht eingreift. Sie stellt eine Betriebsänderung im Sinne des BetrVG dar und bedarf umfassender Mitbestimmungs- und Schutzmechanismen für die Beschäftigten. Die rechtliche Bewertung erfordert detaillierte Prüfung der Einzelfallumstände, insbesondere hinsichtlich Mitbestimmungsrechten, arbeitsvertraglicher Anpassungen, Kündigungsschutz und tarifrechtlicher Anforderungen.


Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Anforderungen müssen bei einer Betriebsverlegung beachtet werden?

Bei einer Betriebsverlegung sind zahlreiche rechtliche Anforderungen zu beachten, um rechtssichere Abläufe und die Wahrung der Rechte von Arbeitnehmern zu gewährleisten. Zentrale Bedeutung hat hierbei § 613a BGB, der den Betriebsübergang regelt und insbesondere vorsieht, dass die bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Betriebsinhaber übergehen. Zusätzlich ist das Kollektivarbeitsrecht relevant, sofern ein Betriebsrat besteht: Nach §§ 111 ff. BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat frühzeitig und umfassend über die geplante Verlegung zu unterrichten und mit ihm über einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan zu verhandeln. Die Einhaltung von Fristen, insbesondere bei der Information und Anhörung der Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB, ist zwingend erforderlich. Darüber hinaus sind Kündigungsschutzregelungen, Mitbestimmungsrechte und Meldepflichten gegenüber Sozialversicherungsträgern und Behörden zu berücksichtigen. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese rechtlichen Vorgaben, drohen Schadensersatzansprüche und Unwirksamkeiten von Maßnahmen.

Welche Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat bei einer Betriebsverlegung?

Im Falle einer Betriebsverlegung besitzt der Betriebsrat weitreichende Mitbestimmungsrechte gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Nach § 111 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Verlegung zu informieren und mit ihm über einen Interessenausgleich zu verhandeln. Kommt es zu keiner Einigung, kann die Einigungsstelle angerufen werden. Ferner ist der Abschluss eines Sozialplans nach § 112 BetrVG obligatorisch, sofern mit Nachteilen für die Belegschaft zu rechnen ist. Der Betriebsrat kann zudem über individuelle Maßnahmen (zum Beispiel Versetzungen oder Änderungskündigungen infolge der Verlegung) nach § 99 BetrVG mitbestimmen. Versäumt der Arbeitgeber die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats, können getroffene Maßnahmen unwirksam sein.

Müssen Beschäftigte einer Betriebsverlegung zustimmen?

Die Beschäftigten müssen einer Betriebsverlegung grundsätzlich nicht aktiv zustimmen, da ihre Arbeitsverhältnisse gemäß § 613a BGB automatisch auf den neuen Betrieb bzw. Betriebsinhaber übergehen. Allerdings besteht ein Widerspruchsrecht: Die Arbeitnehmer können innerhalb eines Monats nach ordnungsgemäßer Unterrichtung der Betriebsverlegung widersprechen und dadurch den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses verhindern. In der Folge bleibt das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber bestehen, was unter Umständen betriebsbedingte Kündigungen zur Folge haben kann, sofern der alte Betrieb aufgelöst wird. Unterbleibt eine ordnungsgemäße Information, verlängert sich die Widerspruchsfrist entsprechend.

Welche Informationspflichten bestehen gegenüber den Arbeitnehmern?

Der Arbeitgeber ist gemäß § 613a Abs. 5 BGB verpflichtet, die Arbeitnehmer vor einer Betriebsverlegung rechtzeitig, umfassend und in Textform zu informieren. Zu den Mindestangaben gehören: Zeitpunkt oder voraussichtlicher Zeitpunkt der Verlegung, Gründe für die Verlegung, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen für die Arbeitnehmer sowie geplante Maßnahmen hinsichtlich der Beschäftigten. Eine bloß mündliche oder unvollständige Information genügt nicht; unvollständige Angaben können die Widerspruchsfrist gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses verlängern und Schadensersatzansprüche auslösen.

Können Arbeitnehmer wegen einer Betriebsverlegung gekündigt werden?

Eine Kündigung allein aufgrund der Betriebsverlegung ist nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam, sofern sie nur wegen der Verlegung oder des Betriebsübergangs ausgesprochen wird. Kündigungen aus anderen Gründen, etwa aus dringenden betrieblichen Erfordernissen (z. B. Personalüberhang durch die Verlegung), bleiben hingegen möglich. In solchen Fällen muss jedoch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) beachtet werden, und der Arbeitgeber ist verpflichtet, soziale Gesichtspunkte wie Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung angemessen zu berücksichtigen. Ferner können abweichende Regelungen in Sozialplänen oder Tarifverträgen bestehen.

Welche Fristen sind im Zusammenhang mit einer Betriebsverlegung einzuhalten?

Im Rahmen einer Betriebsverlegung sind verschiedene Fristen zu beachten. Die Unterrichtung der Arbeitnehmer muss vor dem geplanten Übergang erfolgen, um ihnen die Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb eines Monats ab Zugang der vollständigen Information (§ 613a BGB) zu ermöglichen. Der Betriebsrat ist nach § 111 BetrVG unverzüglich, spätestens jedoch unmittelbar nach Kenntnisnahme der Maßnahme, einzubeziehen. Kommt es zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder Sozialplan, sollten diese möglichst frühzeitig begonnen werden, um rechtzeitig vor der Umsetzung der Verlegung zu einem Abschluss zu kommen. Bei Nichteinhaltung dieser Fristen drohen rechtliche Konsequenzen wie verlängerte Widerspruchsrechte oder Unwirksamkeit bestimmter Maßnahmen.

Welche Rolle spielt der Sozialplan bei einer Betriebsverlegung?

Ein Sozialplan (§ 112 BetrVG) dient dem Ausgleich oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile für Arbeitnehmer infolge einer Betriebsverlegung. Er enthält Regelungen zu Abfindungen, Umzugskosten, Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche oder Qualifizierungsmaßnahmen. Der Sozialplan ist zwingend mit dem Betriebsrat zu verhandeln, nach Scheitern der Verhandlungen kann die Einigungsstelle einen Sozialplan erzwingen. Die Regelungen im Sozialplan sind verbindlich und müssen vom Arbeitgeber umgesetzt werden. Die Höhe der Abfindungen und weitere Leistungen sind dabei häufig an die Dauer der Betriebszugehörigkeit und persönliche Umstände der betroffenen Arbeitnehmer gekoppelt.