Betriebliche Unfälle im Recht – Definition, Voraussetzungen und rechtliche Folgen
Begriffsbestimmung: Was ist ein Betriebsunfall?
Ein Betriebsunfall, im deutschen Sozialversicherungsrecht auch Arbeitsunfall genannt, bezeichnet ein plötzliches, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das im Zusammenhang mit versicherten Tätigkeiten steht und zu einem Gesundheitsschaden oder Tod führt. Ein Betriebsunfall wird im Wesentlichen in § 8 SGB VII (Siebtes Buch Sozialgesetzbuch) geregelt. Abzugrenzen ist der Betriebsunfall von anderen Unfallarten, etwa dem Wegeunfall, sowie von Berufskrankheiten (§ 9 SGB VII).
Voraussetzungen eines Betriebstunfalls
1. Versicherte Person
Voraussetzung für die Anerkennung eines Unfallereignisses als Betriebsunfall ist zunächst, dass der Verunfallte dem Kreis der durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützten Personen angehört. Zu diesem Kreis zählen insbesondere Arbeitnehmer, Auszubildende, Ehrenamtliche, bestimmte Selbstständige sowie Kinder in Einrichtungen (vgl. § 2 SGB VII).
2. Versicherte Tätigkeit
Das Unfallereignis muss im Rahmen einer versicherten Tätigkeit erfolgen. Hierbei muss ein sachlicher Zusammenhang zwischen der ausgeübten Tätigkeit und dem Betriebsgeschehen bestehen. Bloße private oder eigenwirtschaftliche Handlungen während der Arbeitszeit fallen regelmäßig nicht unter den Versicherungsschutz (sog. „unversicherte Eigeninteressen“).
3. Unfall im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang
Der Betriebsunfall muss sich während der Arbeitszeit und in Betriebsräumen oder sonstigen dem Betriebszweck dienenden Örtlichkeiten ereignen. Auch außerhalb des Betriebsgeländes sind betriebliche Unfälle möglich, beispielsweise bei Außendiensttätigkeit oder im Home-Office, sofern die ausgeübte Tätigkeit der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten dient.
4. Unfallereignis
Kennzeichnend für den Betriebsunfall ist das plötzliche, zeitlich genau bestimmbare Ereignis, das von außen auf den Körper einwirkt. Ein schleichender Geschehensablauf (beispielsweise bei Berufskrankheiten) wird hingegen nicht erfasst.
5. Gesundheitlicher Schaden oder Tod
Als Folge des Unfallereignisses muss ein Gesundheitsschaden oder der Tod der versicherten Person eingetreten sein. Die Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden ist unerlässlich; zwischen ihnen muss ein nachweisbarer Zusammenhang bestehen.
Abgrenzung zu anderen Fallgruppen
Wegeunfall
Ein Wegeunfall gemäß § 8 Absatz 2 Nr. 1 SGB VII liegt vor, wenn sich der Unfall auf dem direkten Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignet. Während Betriebsunfälle am Arbeitsplatz selbst oder im Rahmen der Arbeitsausführung geschehen, finden Wegeunfälle im Zusammenhang mit dem Arbeitsweg statt.
Berufskrankheit
Berufskrankheiten sind nach § 9 SGB VII Krankheiten, die durch die versicherte Tätigkeit verursacht werden, jedoch keinen plötzlichen, sondern einen schleichenden Verlauf nehmen. Sie sind in einer gesonderten Berufskrankheitenverordnung aufgeführt.
Sozialversicherungsrechtliche Rechtsfolgen
Meldepflichten
Nach § 193 SGB VII ist ein Betriebsunfall dem Unfallversicherungsträger unverzüglich zu melden, sofern die versicherte Person getötet wurde oder so verletzt ist, dass sie mehr als drei Tage arbeitsunfähig ist. Arbeitgeber sind hierfür verantwortlich. Auch behandelnde Ärzte haben gegebenenfalls Meldepflichten.
Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung
Bei Anerkennung eines Betriebsunfalls gewährt die gesetzliche Unfallversicherung verschiedene Leistungen:
- Heilbehandlung und Rehabilitation: Übernahme der Kosten für medizinische Behandlung, Rehabilitation und berufliche Wiedereingliederung.
- Verletztengeld: Lohnersatzleistung während der Arbeitsunfähigkeit.
- Unfallrente: Bei dauerhafter Minderung der Erwerbsfähigkeit.
- Sterbegeld und Renten für Hinterbliebene: Im Todesfall erhalten die Hinterbliebenen Leistungen.
Haftungsprivileg für Arbeitgeber
Die gesetzliche Unfallversicherung tritt im Regelfall an die Stelle zivilrechtlicher Haftungsansprüche von Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber und Arbeitskollegen (§§ 104, 105 SGB VII). Eine Haftung dieser Personen tritt nur bei vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls ein. Diese Regelung wird als Haftungsprivileg bezeichnet.
Beweispflichten und Feststellungsverfahren
Der Arbeitnehmer beziehungsweise die versicherte Person trägt grundsätzlich die Beweislast für das Vorliegen eines Betriebsunfalls. Im Verwaltungsverfahren prüft der zuständige Unfallversicherungsträger die Voraussetzungen und trifft eine Verwaltungsentscheidung. Im Streitfall kann der Rechtsweg zu den Sozialgerichten beschritten werden.
Besonderheiten bei bestimmten Fallgestaltungen
Home-Office und Außendienst
Mit der zunehmenden Verbreitung von Home-Office und mobilen Arbeitsplätzen sind neuartige Fallgestaltungen entstanden. Der Versicherungsschutz ist nicht auf den klassischen Arbeitsplatz beschränkt, sondern umfasst auch Arbeitsunfälle im häuslichen Umfeld, sofern die Verrichtung in unmittelbarem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Private Unterbrechungen im Home-Office (z. B. Weg zur Küche) unterliegen jedoch nicht dem Schutz als Betriebsunfall.
Arbeitsunfähigkeit und Mitwirkungspflichten
Nach Eintritt eines Betriebsunfalls bestehen Mitwirkungspflichten gegenüber der Unfallversicherung sowie dem behandelnden Arzt. Kommt die versicherte Person ihren Pflichten nicht nach, kann dies zu einer Minderung oder Versagung von Leistungen führen.
Fazit
Der Betriebsunfall ist ein zentrales Element des deutschen Sozialversicherungsrechts und dient dem Schutz der abhängig Beschäftigten sowie weiterer versicherter Personen. Seine Anerkennung zieht weitreichende versicherungsrechtliche Konsequenzen nach sich, vor allem im Hinblick auf Heilbehandlung, Lohnersatzleistungen und mögliche Rentenzahlungen. Entscheidend ist stets, dass die gesetzlichen Voraussetzungen – insbesondere versicherte Tätigkeit und das Unfallereignis – eindeutig belegt werden können. Die rechtliche Bewertung erfolgt stets im Kontext der einschlägigen Vorschriften des SGB VII sowie der einschlägigen Rechtsprechung der Sozialgerichte und des Bundessozialgerichts.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist bei einem Betriebsunfall anspruchsberechtigt?
Anspruchsberechtigt bei einem Betriebsunfall sind grundsätzlich alle Personen, die im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses stehen, das heißt insbesondere Arbeitnehmer, Auszubildende, Praktikanten, ehrenamtlich Tätige sowie bestimmte unternehmerähnliche Personen, sofern sie in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit verunglücken. Auch Personen, die sich auf dem direkten Weg von oder zur Arbeitsstätte befinden (Wegeunfall), sind in der Regel versichert. Die Unfallversicherung greift allerdings nur, wenn das Unfallgeschehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht. Privatunternehmer, Freiberufler und Selbstständige sind nur dann anspruchsberechtigt, wenn sie sich freiwillig gesetzlich unfallversichert haben. Familienangehörige sind, solange sie nicht formell im Unternehmen angestellt sind, nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt.
Welche Ansprüche kann man nach einem Betriebsunfall geltend machen?
Nach einem Betriebsunfall stehen dem Geschädigten mehrere Ansprüche zu, die sich vor allem gegen die gesetzliche Unfallversicherung richten. Dazu zählen insbesondere das Verletztengeld als Lohnersatzleistung während der Arbeitsunfähigkeit, medizinische Heilbehandlungen (ärztliche Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Rehabilitationsmaßnahmen), sowie Rentenleistungen bei dauerhaften Erwerbsminderungen oder Invalidität. Zudem werden im Todesfall Hinterbliebenenleistungen ausbezahlt. Schadenersatzansprüche gegen den Arbeitgeber sind grundsätzlich ausgeschlossen, da im deutschen Recht das Haftungsprivileg des Arbeitgebers gilt (§ 104 SGB VII); dieser haftet nur in Ausnahmefällen, etwa bei vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls. Zivilrechtliche Ansprüche bestehen daher nur sehr begrenzt.
Welche Pflichten hat der Arbeitgeber im Falle eines Betriebsunfalls?
Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, einen Betriebsunfall unverzüglich der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse zu melden, wenn der Unfall eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Kalendertagen zur Folge hat (§ 193 SGB VII). Darüber hinaus muss der Arbeitgeber für eine umfassende Dokumentation des Unfallhergangs sorgen und entsprechende Schutzmaßnahmen zur Unfallverhütung einleiten oder überprüfen lassen. Im Rahmen seiner Fürsorgepflicht hat er auch Erste-Hilfe-Maßnahmen sowie die organisatorische Unterstützung beim Transport des Verunfallten in ärztliche Behandlung zu gewährleisten. Ein Verstoß gegen diese Meldepflichten kann zu Bußgeldern und Regressansprüchen der Unfallversicherung führen.
Was muss der verunfallte Arbeitnehmer nach einem Betriebsunfall beachten?
Der Arbeitnehmer muss einen Betriebsunfall unverzüglich dem Arbeitgeber, einem Vorgesetzten oder der zuständigen Vertrauensperson melden. Gleichzeitig sollte der Arbeitnehmer – sofern er verletzt wurde – ohne schuldhaftes Zögern einen sogenannten Durchgangsarzt (D-Arzt) aufsuchen, der speziell für die Behandlung und Begutachtung von Arbeitsunfällen zugelassen ist. Die Einhaltung dieser Meldepflichten ist Voraussetzung für die Anerkennung des Unfalls durch die gesetzliche Unfallversicherung. Eine verspätete Meldung oder ein Verzicht auf die ärztliche Untersuchung kann den Versicherungsschutz gefährden und gegebenenfalls zur Ablehnung von Leistungen führen.
Wie wird ein Betriebsunfall rechtlich von einem Wegeunfall unterschieden?
Ein Betriebsunfall umfasst alle Unfälle, die sich unmittelbar im Rahmen der versicherten beruflichen Tätigkeit auf dem Betriebsgelände oder an einem anderen Arbeitsort ereignen. Dagegen liegt ein Wegeunfall vor, wenn der Versicherte auf dem direkten Weg von oder zur Arbeitsstätte verunfallt. Der Versicherungsschutz besteht dabei nur für den objektiv kürzesten oder verkehrsgünstigsten Weg und entfällt bei erheblichen privaten Unterbrechungen oder Umwegen. Rechtlich werden beide Unfallarten grundsätzlich gleich behandelt und sind beide von der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst; Unterschiede bestehen aber regelmäßig bei der Beweisführung und bei der Feststellung des Zusammenhangs mit der beruflichen Tätigkeit.
Wie erfolgt die Beweisführung, ob es sich tatsächlich um einen Betriebsunfall handelt?
Die Beweislast für das Vorliegen eines Betriebsunfalls obliegt grundsätzlich dem Versicherten. Dabei ist darzulegen und nachzuweisen, dass der Unfall während einer versicherten Tätigkeit im Zusammenhang mit der Arbeit eingetreten ist. Im Streitfall muss der Versicherte konkret schildern können, wie, wann und wo sich das Unfallereignis ereignet hat, und dass dieses Ereignis für die Gesundheitsschädigung ursächlich war. Die gesetzliche Unfallversicherung fordert zudem eine ärztliche Dokumentation, oft durch einen Durchgangsarzt, sowie gegebenenfalls Zeugenaussagen oder eine Unfallmeldung des Arbeitgebers. Kann der ursächliche Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Schadensereignis nicht zweifelsfrei hergestellt werden, kann der Versicherungsschutz verweigert werden.
In welchen Fällen kann die gesetzliche Unfallversicherung Leistungen verweigern?
Die gesetzliche Unfallversicherung kann Leistungen verweigern, wenn das Unfallereignis nicht im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht – etwa bei privaten Verrichtungen am Arbeitsplatz oder bei Unfällen während eigenwirtschaftlicher Verrichtungen (zum Beispiel während einer längeren privaten Pause). Leistungen werden auch dann abgelehnt, wenn der Unfall auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des Versicherten zurückzuführen ist, sowie bei Alkoholeinfluss oder strafbaren Handlungen während der Arbeitszeit. Zudem besteht kein Versicherungsschutz bei Unternehmungen, die ausdrücklich nicht durch den Arbeitsauftrag des Arbeitgebers gedeckt sind oder bei erheblichen Umwegen auf dem Weg zur Arbeit (Wegeunfall).