Begriff und Grundgedanke des Betriebsübergangs
Ein Betriebsübergang beschreibt den Wechsel des Inhabers einer wirtschaftlichen Einheit, bei dem der Betrieb oder ein abgrenzbarer Betriebsteil seine Identität bewahrt und im Wesentlichen unverändert fortgeführt wird. Im Mittelpunkt steht nicht der reine Eigentümerwechsel, sondern die Fortsetzung einer organisierten Tätigkeit mit personellen und sachlichen Mitteln. Ziel der gesetzlichen Regelungen ist der Schutz der Beschäftigten vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und vor einer Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen allein aufgrund des Übergangs.
Abgrenzungen
Betriebsübergang und Anteilserwerb
Beim Erwerb von Geschäftsanteilen bleibt die Arbeitgeberin rechtlich dieselbe Rechtsträgerin; ein Wechsel der Arbeitgeberseite findet nicht statt. Ein Betriebsübergang setzt demgegenüber den Wechsel des Rechtsträgers voraus.
Gesamtbetrieb und Teilbetrieb
Ein Betriebsübergang kann den gesamten Betrieb oder einen organisatorisch eigenständigen Teil betreffen. Entscheidend ist, dass die übernommene Einheit eine eigenständige wirtschaftliche Funktion erfüllt.
Betriebsübergang und Stilllegung
Wird die Tätigkeit dauerhaft eingestellt und keine organisierte Einheit übertragen, liegt keine Fortführung vor. Bei Stilllegung fehlt es an der Identitätswahrung, die den Betriebsübergang kennzeichnet.
Voraussetzungen und Indikatoren
Ob ein Betriebsübergang vorliegt, wird anhand einer Gesamtbetrachtung beurteilt. Maßgeblich ist, ob eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität auf eine neue Inhaberin übergeht. Je nach Branche kann das Gewicht einzelner Kriterien variieren, insbesondere in arbeitsintensiven Dienstleistungsbereichen im Vergleich zu anlagenintensiven Bereichen.
- Übernahme wesentlicher materieller Betriebsmittel (z. B. Maschinen, Infrastruktur, Räumlichkeiten)
- Übernahme immaterieller Werte (z. B. Know-how, Marken, Verfahren, Kundenstamm)
- Übernahme eines nach Zahl und Qualifikation wesentlichen Teils der Belegschaft
- Fortführung der bisherigen Organisation, Leitung und Arbeitsabläufe
- Ähnlichkeit der vor und nach dem Übergang erbrachten Leistungen
- Kontinuität in der Kundschaft und in den Auftragsbeziehungen
Typische Konstellationen
- Outsourcing/Insourcing von Funktionen (z. B. Logistik, IT, Reinigung), wenn eine organisierte Einheit mit Struktur übergeht
- Wechsel des Dienstleisters bei Auftragsnachfolge, sofern Personal und Organisation substantiell übernommen werden
- Übernahme durch Kauf, Pacht oder Miete eines Betriebs mit Fortführung der Tätigkeit
- Umstrukturierungen wie Verschmelzung, Spaltung oder Ausgliederung mit fortbestehender Einheit
- Franchise- oder Betreiberwechsel mit Übernahme der betrieblichen Organisation
- Übernahme aus der Insolvenz, soweit die operative Einheit fortgeführt wird
- Privatisierung oder Kommunalisierung mit Wahrung der organisatorischen Einheit
Rechtsfolgen für Arbeitsverhältnisse
Automatischer Übergang und Bestandsschutz
Die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Beschäftigten gehen automatisch auf die neue Inhaberin über. Ein individueller Vertragsabschluss ist hierfür nicht erforderlich. Die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bleibt gewahrt; Beschäftigungszeiten werden grundsätzlich fortgezählt.
Arbeitsbedingungen und ihre Fortgeltung
Die vereinbarten Arbeitsbedingungen gelten bei der neuen Inhaberin grundsätzlich unverändert fort. Änderungen allein wegen des Übergangs sind unzulässig. Regelungen aus Kollektivordnungen (Tarifwerke, Betriebsvereinbarungen) wirken nach dem Übergang weiter, bis sie durch andere, zulässige Regelungen ersetzt werden. Eine Ablösung ist nur im Rahmen der allgemeinen arbeitsrechtlichen Instrumente und Grenzen möglich.
Kündigungsschutz im Zusammenhang mit dem Übergang
Kündigungen, die allein wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen werden, sind unzulässig. Betriebsbedingte Kündigungen können lediglich aus anderen, vom Übergang unabhängigen Gründen in Betracht kommen und unterliegen den allgemeinen Anforderungen an soziale Rechtfertigung.
Haftung von Veräußerin und Erwerberin
Die neue Inhaberin tritt in die bestehenden Pflichten aus den übergehenden Arbeitsverhältnissen ein. Für bereits entstandene Ansprüche kann eine zeitlich begrenzte Mitverantwortung der bisherigen Inhaberin bestehen. Die genaue Risikoverteilung richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben und den jeweiligen Umständen.
Betriebliche Altersversorgung
Zusagen der betrieblichen Altersversorgung, die Teil des Arbeitsverhältnisses sind, gehen im Grundsatz auf die neue Inhaberin über. Abweichungen können sich insbesondere aus speziellen Konstellationen wie einer Übernahme aus der Insolvenz ergeben.
Besondere Personengruppen
Auch Teilzeitkräfte, befristet Beschäftigte, Auszubildende, Beschäftigte in Elternzeit oder mit Ruhensvereinbarungen sind grundsätzlich einbezogen, sofern ihr Arbeitsverhältnis dem übergehenden Betriebsteil zugeordnet ist. Leiharbeitnehmende bleiben regelmäßig beim verleihenden Unternehmen beschäftigt; sie gehen nicht über.
Beteiligung und Information
Informationspflicht gegenüber Beschäftigten
Betroffene Beschäftigte sind vor dem Übergang in Textform über Zeitpunkt, Anlass, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen sowie geplante Maßnahmen zu unterrichten. Die Information dient der Transparenz und ist Grundlage weiterer Rechte der Beschäftigten.
Widerspruchsrecht der Beschäftigten
Beschäftigte können dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen. Der Widerspruch ist fristgebunden und setzt eine ordnungsgemäße Unterrichtung voraus. Ein wirksamer Widerspruch führt dazu, dass das Arbeitsverhältnis bei der bisherigen Inhaberin verbleibt, was je nach Situation unterschiedliche Folgen haben kann.
Beteiligung der Interessenvertretungen
Die Interessenvertretungen im Betrieb sind bei geplanten Übergängen zu beteiligen. Je nach Ausgestaltung können Unterrichtungs-, Beratungs- und Mitwirkungsrechte bestehen. Auch die betriebliche Vertretungsstruktur kann sich ändern und bedarf gegebenenfalls einer Anpassung.
Datenschutz und Personalakten
Die Weitergabe von personenbezogenen Daten ist nur zulässig, soweit sie für die Durchführung des Übergangs und die Fortführung der Arbeitsverhältnisse erforderlich ist. Der Schutz der Personalakten ist sicherzustellen; betroffene Personen sind über den Übergang und die Datenverarbeitung zu informieren.
Besonderheiten in ausgewählten Situationen
Insolvenz
Bei Übergängen aus der Insolvenz gelten besondere Regeln. Diese betreffen unter anderem die Fortgeltung bestimmter Verpflichtungen und die Anpassungsmöglichkeiten von Arbeitsbedingungen. Ziel ist die Erhaltung tragfähiger Einheiten bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Insolvenzordnung.
Grenzüberschreitende Übergänge
Für grenzüberschreitende Sachverhalte gelten europaweit abgestimmte Grundsätze. Maßgeblich ist, dass die Einheit als solche fortgeführt wird und die Schutzmechanismen für Beschäftigte gewahrt bleiben.
Öffentlicher Dienst
Auch im öffentlichen Bereich können Einheiten übergehen, etwa bei Ausgliederungen oder Aufgabenübertragungen. Die Grundprinzipien des Bestandsschutzes gelten entsprechend, abgestimmt mit den Besonderheiten öffentlicher Arbeitgeber.
Funktionsnachfolge ohne Strukturübernahme
Wird lediglich eine Tätigkeit fortgeführt, ohne dass Personal, Betriebsmittel oder Organisation übernommen werden, spricht man von Funktionsnachfolge. Diese allein begründet regelmäßig keinen Betriebsübergang.
Streitfragen und Beweislast
Ob eine identitätswahrende Einheit übergegangen ist, ist häufig Gegenstand von Auseinandersetzungen. Die Beurteilung erfolgt anhand der Umstände des Einzelfalls und der aufgeführten Indikatoren. Wer sich auf den Betriebsübergang oder dessen Nichtvorliegen beruft, hat die entsprechenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt ein Betriebsübergang vor?
Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn eine wirtschaftlich organisierte Einheit unter Wahrung ihrer Identität auf eine neue Inhaberin übergeht und im Wesentlichen gleichartig fortgeführt wird. Ausschlaggebend ist eine Gesamtbetrachtung von Kriterien wie Personal-, Kunden- und Betriebsmittelübernahme sowie der Fortführung der Betriebsorganisation.
Gehen Arbeitsverträge automatisch über?
Ja. Die bestehenden Arbeitsverhältnisse der betroffenen Beschäftigten gehen mit allen Rechten und Pflichten automatisch auf die neue Inhaberin über. Es bedarf keiner neuen Einzelverträge, und die Beschäftigungszeiten laufen grundsätzlich weiter.
Dürfen Arbeitsbedingungen nach einem Betriebsübergang geändert werden?
Änderungen allein wegen des Übergangs sind unzulässig. Anpassungen sind nur im Rahmen der allgemein geltenden arbeitsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen zulässig. Kollektive Regelungen wirken nach, bis sie wirksam ersetzt werden.
Ist eine Kündigung wegen Betriebsübergangs zulässig?
Nein. Kündigungen, die ihren Grund allein im Betriebsübergang haben, sind unzulässig. Unabhängige betriebliche Gründe können Kündigungen rechtfertigen, unterliegen aber den allgemeinen Voraussetzungen.
Was bedeutet das Widerspruchsrecht der Beschäftigten?
Betroffene können dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen. Der Widerspruch ist fristgebunden und setzt eine ordnungsgemäße Unterrichtung über den Übergang voraus. Bei wirksamem Widerspruch verbleibt das Arbeitsverhältnis bei der bisherigen Inhaberin.
Was passiert mit Betriebsvereinbarungen und Tarifbindungen?
Bestehende kollektive Regelungen wirken nach dem Übergang grundsätzlich fort. Sie können später durch andere zulässige Regelungen ersetzt werden. Die Fortgeltung dient der Stabilität der Arbeitsbedingungen in der Übergangsphase.
Wer haftet für offene Lohn- und Urlaubsansprüche?
Die neue Inhaberin tritt in die Pflichten aus den übergehenden Arbeitsverhältnissen ein. Für bereits entstandene Ansprüche kann die bisherige Inhaberin für einen begrenzten Zeitraum mitverantwortlich bleiben. Die konkrete Haftungsverteilung richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben und den Umständen des Einzelfalls.