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Betriebsschließungsversicherung

Betriebsschließungsversicherung: Begriff und Einordnung

Die Betriebsschließungsversicherung ist eine besondere Form der Sach- und Ertragsausfallversicherung. Sie schützt Unternehmen vor finanziellen Einbußen, wenn der Betrieb ganz oder teilweise aufgrund einer behördlichen Maßnahme im Zusammenhang mit übertragbaren Krankheiten oder Kontaminationen geschlossen wird. Im Mittelpunkt steht nicht ein Sachschaden (etwa Feuer oder Sturm), sondern die behördlich veranlasste Unterbrechung des Geschäftsbetriebs aus Gründen des Gesundheitsschutzes.

Abgrenzung zu verwandten Versicherungen

  • Betriebsunterbrechungsversicherung: Setzt regelmäßig einen vorangegangenen Sachschaden voraus (z. B. Feuer). Die Betriebsschließungsversicherung greift demgegenüber ohne Sachschaden, wenn die Schließung aus gesundheitspolizeilichen Gründen angeordnet wird.
  • Praxisausfall- oder Betriebsausfallversicherung: Schützt häufig die Arbeitsfähigkeit der Inhaberin oder des Inhabers; die Betriebsschließungsversicherung knüpft an eine behördliche Maßnahme im Betrieb an.
  • Produkthaftpflicht- oder Rückrufversicherung: Deckt Haftungs- und Rückrufkosten bei fehlerhaften Produkten; die Betriebsschließungsversicherung adressiert den Stillstand des Betriebs infolge behördlicher Auflagen.

Typische Deckungsinhalte und Auslöser

Versicherungsfall

Der Versicherungsfall liegt üblicherweise vor, wenn eine zuständige Behörde den Betrieb oder abgrenzbare Betriebsteile wegen des Verdachts oder des Auftretens bestimmter Krankheiten oder Erreger schließt oder Tätigkeiten untersagt. Je nach Bedingungswerk kann auch eine Teilschließung, ein Tätigkeitsverbot für Mitarbeitende oder ein Betretungsverbot für Kundschaft erfasst sein. Maßgeblich sind die vertraglichen Definitionen von „Schließung“, „Betriebsteil“ und „behördlicher Maßnahme“.

Versichertes Risiko und versicherte Gefahren

Versichert sind regelmäßig Gefahren, die von bestimmten, vertraglich genannten Krankheiten oder Krankheitserregern ausgehen. Es existieren unterschiedliche Klauseltypen, die den Umfang bestimmen:

  • Statische Listen: Aufzählung bestimmter, namentlich genannter Krankheiten/Erreger.
  • Dynamische Bezüge: Verweis auf jeweils geltende, öffentlich-rechtliche Melde- oder Maßnahmenkataloge.
  • Offene Formulierungen: Seltener; erfassen neuartige Erreger, soweit sie unter die allgemeine Definition fallen.

Nicht jede flächendeckende Einschränkung ist automatisch gedeckt. Entscheidend ist, ob die vertraglich geforderte behördliche Maßnahme greift und ob die Gefahrenquelle vom Bedingungswortlaut erfasst ist.

Versicherte Leistungen

  • Entschädigung für Ertragsausfall: Häufig als Tagesentschädigung oder auf Basis des entgangenen Rohertrags; begrenzt durch Höchstentschädigung oder Entschädigungsdauer.
  • Kostenpositionen: Zum Beispiel Lohn- und Gehaltsfortzahlung, Desinfektions-, Reinigungs- und Entsorgungskosten, Sachverständigen- und Untersuchungskosten, soweit vereinbart.
  • Mehrkosten zur Aufrechterhaltung eingeschränkter Betriebsabläufe, soweit ausdrücklich vorgesehen.

Umfang und Höhe der Leistungen ergeben sich ausschließlich aus der vereinbarten Deckung, Entschädigungsgrenzen, Sublimits und Selbstbehalten.

Zeitliche Grenzen

Verträge enthalten oft Wartezeiten, feste Entschädigungszeiträume (z. B. eine maximale Anzahl von Tagen) und Obliegenheiten zur Mitteilung des Schließungsbeginns sowie der Wiedereröffnung. Eine Verlängerung über die vertraglich festgelegte Dauer hinaus ist regelmäßig nicht vorgesehen.

Vertragsgestaltung und Rechtsnatur

Vertragsparteien und Risikobeschreibung

Vertragspartner sind das Unternehmen als Versicherungsnehmer und der Versicherer. Grundlage des Risikoprofils sind Betriebsart, Standort(e), Mitarbeiterstruktur, Hygienekonzepte und der Kundenverkehr. Diese Angaben beeinflussen Prämie und Deckungsumfang.

Allgemeine und besondere Bedingungen

Der Vertrag besteht aus allgemeinen Versicherungsbedingungen, besonderen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung und individuellen Vereinbarungen (Klauseln, Sublimits, Selbstbehalte). Maßgeblich ist der Wortlaut der konkreten Police, da sich Deckungen je nach Anbieter und Abschlusszeitpunkt erheblich unterscheiden.

Klauseltypen zur Krankheitsdefinition

Positivlisten

Der Vertrag nennt abschließend bestimmte Krankheiten oder Erreger. Deckung besteht nur, wenn die Schließung auf diese konkreten Gefahren zurückgeht.

Dynamische Bezugnahmen

Der Vertrag knüpft an jeweils geltende behördliche Melde- oder Maßnahmenkataloge an. Der Umfang kann sich dadurch im Zeitablauf verändern, je nachdem, wie sich öffentlich-rechtliche Vorgaben entwickeln.

Weite Formulierungen

Seltenere Bedingungswerke verwenden nicht abschließende Definitionen. In der Schadenpraxis führt dies zu Auslegungsfragen, wenn neuartige Erreger auftreten.

Versicherungssumme, Selbstbehalt und Entschädigungsgrenzen

Die Versicherungssumme bildet die Obergrenze der Leistung. Ergänzend enthalten Verträge regelmäßige und besondere Sublimits (z. B. für Reinigung, Entsorgung oder Lohnkosten) sowie Selbstbehalte. Häufig wird die Entschädigung zeitlich durch eine maximale Anzahl von Tagen begrenzt.

Obliegenheiten und Mitwirkung

Anzeige- und Auskunftspflichten

Verträge sehen in der Regel vor, dass der Versicherungsfall unverzüglich angezeigt und über Art, Umfang und Ursache der Schließung Auskunft erteilt wird. Zudem werden Nachweise wie behördliche Anordnungen, Hygiene- oder Reinigungsnachweise und betriebswirtschaftliche Unterlagen gefordert.

Schadenminderung und Dokumentation

Die Bedingungen enthalten typischerweise Pflichten zur Schadenminderung und lückenlosen Dokumentation. Dazu zählen etwa Nachweise über den Schließungszeitraum, die Wiedereröffnung, die betroffenen Betriebsteile, angeordnete Maßnahmen und die entstandenen Kosten.

Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen

Verstöße gegen vertragliche Pflichten können die Leistung mindern oder ausschließen. Umfang und Voraussetzungen richten sich nach den vereinbarten Bedingungen, insbesondere nach Grad des Verschuldens und Relevanz der Pflichtverletzung für den Schaden.

Ausschlüsse und typische Streitpunkte

Pandemieklauseln und flächendeckende Maßnahmen

Viele Verträge enthalten Ausschlüsse für großflächige Ereignisse, Pandemien oder allgemeine Maßnahmen, die nicht auf einen konkreten Betrieb bezogen sind. Ob ein generelles Tätigkeitsverbot oder eine allgemeine Verordnung ausreicht, hängt vom jeweiligen Bedingungswortlaut ab.

Verdachtsfall versus bestätigter Fall

Einige Deckungen setzen einen bestätigten Krankheits- oder Erregernachweis im Betrieb voraus; andere genügen sich mit einem begründeten Verdacht oder einem Tätigkeitsverbot für Mitarbeitende. Der genaue Auslöser ist eine der zentralen Auslegungsfragen im Leistungsfall.

Freiwillige Schließungen

Schließt ein Betrieb ohne ausdrückliche behördliche Anordnung präventiv, ist dies häufig nicht gedeckt. Entscheidend ist, ob die vertraglich geforderte behördliche Maßnahme vorliegt.

Allgemeinverfügungen und Verordnungen

Maßnahmen, die allgemein für bestimmte Regionen oder Branchen gelten, werden je nach Vertragslage unterschiedlich behandelt. Teilweise wird eine individuelle Anordnung gegenüber dem Betrieb verlangt, teils genügen auch kollektiv wirkende Anordnungen, sofern sie den Betrieb konkret erfassen.

Anspruchsdurchsetzung und Schadenermittlung

Nachweise

Im Leistungsfall werden regelmäßig behördliche Bescheide, Mitteilungen über Tätigkeits- oder Betretungsverbote, Kontaminations- oder Hygienenachweise sowie interne Berichte verlangt. Bei Verdachtsfällen sind häufig Labor- oder Arztberichte relevant, soweit die Bedingungen dies vorsehen.

Berechnung des Schadens

Die Ermittlung des Ertragsausfalls erfolgt üblicherweise auf Basis betriebswirtschaftlicher Kennzahlen (zum Beispiel Rohertrag, historischer Umsatzvergleich) unter Berücksichtigung saisonaler Schwankungen. Fixkosten und fortlaufende Löhne können, soweit versichert, als Kostenpositionen berücksichtigt werden. Entsorgung, Reinigung und Desinfektion unterliegen oft gesonderten Sublimits.

Anrechnung anderweitiger Leistungen

Vertragsbedingungen sehen häufig vor, dass ersparte Aufwendungen, anderweitige Ersatzleistungen und Zuwendungen, die denselben Schadenbereich betreffen, angerechnet werden. Dazu können staatliche Unterstützungsleistungen oder Entgeltersatzleistungen zählen, soweit sie denselben Zweck haben.

Fristen und Verjährung

Es bestehen vertragliche Fristen zur Schadenanzeige und zur Einreichung von Unterlagen. Für Ansprüche gelten gesetzliche Verjährungsfristen; Verträge können zudem spezielle Ausschlussfristen enthalten. Die Einhaltung dieser Fristen ist für die Durchsetzung des Anspruchs regelmäßig bedeutsam.

Datenschutz, Compliance und behördliche Zusammenarbeit

Im Kontext einer Betriebsschließung fallen häufig sensible Informationen an, etwa zu Erkrankungen von Mitarbeitenden oder Kontaktdaten. Die Verarbeitung solcher Informationen hat sich an die einschlägigen Datenschutzvorgaben zu halten. Behördenabfragen und Meldungen sind mit dem Umfang der jeweiligen Anordnungen und dem Zweck der Maßnahmen in Einklang zu bringen.

Standort- und Branchenbezug

Deckungskonzepte variieren nach Branche und Standort. Betriebe mit Kundenverkehr oder mit Lebensmittelbezug weisen andere Risikoprofile auf als reine Verwaltungs- oder Produktionsbetriebe. Für Filialstrukturen sind räumliche Geltungsbereiche, die Zuordnung von Betriebsteilen und die Kumulierungsgefahr mehrerer gleichzeitiger Schließungen besonders relevant.

Marktentwicklung

Der Markt für Betriebsschließungsversicherungen entwickelt sich regelmäßig weiter. Nach großflächigen Krankheitsereignissen wurden Bedingungswerke vielfach präzisiert, insbesondere hinsichtlich Pandemierisiken, Allgemeinverfügungen und neu auftretenden Erregern. Zentrale Streitfragen betreffen die Auslegung der Krankheitskataloge, den Umfang behördlicher Maßnahmen und die Anrechnung externer Leistungen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Betriebsschließungsversicherung

Wann liegt eine behördliche Schließung im Sinne der Versicherung vor?

Eine behördliche Schließung liegt vor, wenn eine zuständige Behörde den Betrieb oder Teile davon ausdrücklich schließt, Tätigkeiten untersagt oder den Zutritt untersagt, und dies im Zusammenhang mit versicherten Krankheiten oder Erregern geschieht. Ob eine allgemeine Maßnahme genügt oder eine individuelle Anordnung erforderlich ist, ergibt sich aus den Versicherungsbedingungen.

Reicht eine allgemeine Verordnung oder Allgemeinverfügung für den Versicherungsfall aus?

Das hängt vom Vertragswortlaut ab. Manche Bedingungen verlangen eine individuelle Maßnahme gegenüber dem Betrieb, andere erfassen auch allgemeine behördliche Anordnungen, sofern sie den Betrieb konkret betreffen und auf versicherte Gefahren gestützt sind.

Sind Teilschließungen und Tätigkeitsverbote für Mitarbeitende mitversichert?

Viele Verträge sehen Deckung für Teilschließungen vor, wenn abgrenzbare Bereiche betroffen sind. Tätigkeitsverbote für Schlüsselpersonen oder bestimmte Mitarbeitende können erfasst sein, wenn der Bedingungswortlaut dies vorsieht und die Ursache eine versicherte Krankheit oder ein Erreger ist.

Wie wird der Ertragsausfall ermittelt?

Die Berechnung erfolgt typischerweise anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen, etwa historischer Umsätze und Roherträge, unter Berücksichtigung saisonaler Einflüsse. Ersparte Aufwendungen werden abgezogen, und vertraglich vereinbarte Höchstentschädigungen, Sublimits und Zeitgrenzen finden Anwendung.

Werden staatliche Unterstützungsleistungen auf die Entschädigung angerechnet?

Häufig sehen Versicherungsbedingungen eine Anrechnung von Leistungen vor, die denselben Schadenbereich betreffen. Ob und in welchem Umfang staatliche Hilfen, Entgeltersatzleistungen oder sonstige Zuwendungen angerechnet werden, bestimmt sich nach den konkreten Vertragsklauseln.

Welche Rolle spielen Verdachtsfälle ohne bestätigte Infektion?

Einige Policen genügen sich mit einem begründeten Verdacht als Auslöser, sofern eine behördliche Maßnahme erfolgt. Andere erfordern eine bestätigte Infektion oder Kontamination im Betrieb. Maßgeblich ist die vertragliche Definition des Versicherungsfalls.

Gilt die Deckung auch für neu auftretende Krankheiten oder Erreger?

Bei statischen Listen besteht Deckung nur für die aufgeführten Krankheiten oder Erreger. Dynamische oder weiter gefasste Klauseln können auch neu auftretende Gefahren erfassen, wenn die vertraglichen Voraussetzungen erfüllt sind.