Betriebsschließungsversicherung
Die Betriebsschließungsversicherung (BSV) ist eine besondere Form der Versicherungen für Unternehmen, die dazu dient, wirtschaftliche Risiken abzufedern, die durch behördlich angeordnete Schließungen des Betriebs entstehen. Vor allem seit der Corona-Pandemie hat die Betriebsschließungsversicherung an enormer Bedeutung gewonnen, da zahlreiche Betriebe mit behördlich verordneten Betriebsschließungen konfrontiert wurden. Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen, typische Vertragsbestandteile, Versicherungsumfang, Ausschlüsse sowie die aktuelle Rechtsprechung umfassend dargestellt.
Rechtliche Grundlagen
Ausgangslage und Einbettung ins Versicherungsrecht
Die Betriebsschließungsversicherung ist eine Form der Sachversicherung und wird den sogenannten „Betriebsunterbrechungsversicherungen“ zugeordnet. Rechtlich relevant sind vor allem folgende Bestimmungen:
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG): Das VVG bildet die Grundlage für sämtliche Versicherungsverträge in Deutschland, konkret §§ 1 ff. VVG. Hier werden unter anderem Pflichten und Rechte der Vertragsparteien, Prämienzahlung, und Leistungsumfang geregelt.
- Handelsgesetzbuch (HGB): Für Unternehmen sind bestimmte handelsrechtliche Vorschriften von Bedeutung, etwa zu Buchführungspflichten bei Eintritt eines Versicherungsfalls (§§ 238ff. HGB).
- Bedingungswerke der Versicherer: Die BSV ist keine gesetzlich normierte Pflichtversicherung. Die genaue Ausgestaltung erfolgt durch die jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die den Vertragsparteien zur Kenntnis gegeben und vertraglich vereinbart werden.
Abgrenzung zu anderen Versicherungsarten
Die Betriebsschließungsversicherung unterscheidet sich insbesondere von der klassischen Geschäftsinhaltsversicherung sowie von der Ertragsausfallversicherung. Während diese Versicherungen typischerweise Schäden durch Sachzerstörung (z. B. Feuer, Einbruch) abdecken, schützt die Betriebsschließungsversicherung vor finanziellen Schäden aufgrund behördlicher Schließung zur Infektionsprävention.
Versicherungsumfang und Leistungsgegenstand
Versicherte Gefahren und Ursachen
Die BSV deckt vornehmlich wirtschaftliche Schäden ab, die sich aus einer behördlichen Anordnung zur vollständigen oder teilweisen Schließung des Betriebs ergeben. Solche Anordnungen können gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) erfolgen, häufig im Kontext der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (z. B. COVID-19, Salmonellen, Noroviren).
Versicherte Kosten und Entschädigungsformen
Typische Kosten, die durch die BSV abgedeckt werden, sind unter anderem:
- Fortlaufende Betriebskosten (Miete, Leasing, Strom, Löhne und Gehälter etc.)
- Gewinnausfall/Ertragsausfall infolge der Betriebsschließung
- Kosten für Desinfektionsmaßnahmen und andere Wiederherstellungsmaßnahmen
Je nach Vereinbarung leisten die Versicherer eine pauschale Tagesentschädigung oder ersetzen nachgewiesene Schäden bis zur Höhe der Versicherungssumme. Trotz ähnlicher Bezeichnung ist die BSV keine klassische Ertragsausfallversicherung, weil sie unabhängig von einem Sachschaden, sondern nur von einer behördlichen Anordnung abhängig ist.
Bedingungen und Ausschlüsse
Voraussetzungen für eine Leistungspflicht
Voraussetzung ist in der Regel eine „behördliche Anweisung“ zur Betriebsschließung, die entweder den gesamten Betriebsablauf (Totalschließung) oder Teile davon (Teilschließung) betrifft. Die Versicherungsbedingungen legen dabei fest, bei welchen konkreten Krankheiten oder Krankheitserregern Versicherungsschutz besteht. Die meisten Bedingungswerke orientieren sich an den im Infektionsschutzgesetz explizit aufgeführten Erregern.
Typische Ausschlussklauseln
Wesentliche Haftungsausschlüsse sind:
- Schließungen aufgrund von Personalmangel, wirtschaftlichen Erwägungen oder Betriebsschäden (z. B. technische Defekte) sind in der Regel nicht versichert.
- Schließungen, die nicht durch eine konkrete behördliche Anordnung, sondern auf allgemeiner Grundlage (z. B. politisch verfügte „Lockdowns“ ohne individuellen Verwaltungsakt) erfolgen, sind häufig ausgeschlossen.
- Deckungslücken können zudem dann entstehen, wenn neue Krankheitserreger noch nicht im Infektionsschutzgesetz aufgenommen wurden.
Die genaue Regelung hängt maßgeblich vom Wortlaut der Versicherungspolice und der zugehörigen AVB ab.
Vertragliche Gestaltung und Pflichten der Versicherten
Abschluss und Laufzeit
Der Abschluss einer BSV erfolgt auf Basis individueller Risikoeinschätzung, deckt regelmäßig einen Zeitraum von maximal zwölf Monaten pro Vertragsperiode ab und ist meist jährlich kündbar. Prämienhöhe und Leistungsumfang sind variabel und verhandelbar.
Obliegenheiten im Schadenfall
Versicherungsnehmer sind verpflichtet,
- eine behördliche Schließungsanordnung unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen,
- den Schadenumfang umfassend zu dokumentieren,
- Mitwirkungspflichten zu erfüllen (Belege vorlegen, Betriebsunterlagen offenlegen, etc.).
Verletzungen dieser Obliegenheiten können zu Leistungsreduzierungen bis hin zum vollständigen Verlust des Versicherungsschutzes führen, soweit der Versicherer durch die Obliegenheitsverletzung nachweislich benachteiligt wurde.
Schäden und Entschädigungsberechnung
Schadensbemessung
Die Berechnung des zu leistenden Entschädigungsbetrags erfolgt in der Regel nach den konkret entstandenen Kosten sowie dem nachweisbaren Gewinn- oder Umsatzausfall bezogen auf eine Referenzperiode. Das kann die durchschnittliche betriebliche Entwicklung der Vorjahre oder Quartale betreffen.
Höchstgrenzen und Sublimits
Versicherungspolicen beinhalten in der Regel sowohl eine maximale Deckungssumme (Jahreslimit) als auch Sublimits für Einzelpositionen oder Tageshöchstsätze, unter Umständen mit Selbstbeteiligungen.
Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung
Bedeutung während der Corona-Pandemie
Im Zuge der COVID-19-Pandemie ist die Relevanz der BSV stark gestiegen. Viele Betriebe wurden behördlich und teilweise bundesweit geschlossen. Es entstand eine intensive rechtliche Diskussion zur Leistungspflicht der Versicherer, insbesondere in Fällen, in denen Versicherungspolicen nicht ausdrücklich auf COVID-19 oder vergleichbare neue Infektionserreger Bezug genommen hatten.
Prägende Urteile
Zahlreiche obergerichtliche Urteile, u.a. des Bundesgerichtshofs sowie diverser Oberlandesgerichte, haben sich mit der Auslegung der Versicherungsbedingungen und der Frage, ob allgemeine „Lockdowns“ oder nur individuell angeordnete Betriebsschließungen versichert sind, befasst.
- Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18. Januar 2023 (Az. IV ZR 465/21) klargestellt, dass die Musterbedingungen vieler Policen eine abschließende Liste von Krankheitserregern zugrunde legen. Fehlen darin neue Erreger wie SARS-CoV-2, besteht kein Versicherungsschutz.
- Gleichwohl gibt es Policen mit offener Formulierung („alle gemäß IfSG meldepflichtigen Krankheiten“), bei denen individuell geprüft werden muss, ob Deckung vorliegt.
Steuerliche Behandlung der Versicherungsleistung
Versicherungsleistungen aus der Betriebsschließungsversicherung gelten als Ersatz für Betriebseinnahmen und unterliegen daher als Betriebseinnahmen der Besteuerung nach dem Einkommensteuergesetz (EStG). Zeitliche Zuordnung und Höhe der Besteuerung richten sich nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung.
Fazit und Ausblick
Die Betriebsschließungsversicherung ist ein wichtiger Teil der betrieblichen Risikoabsicherung. Neben der individuellen Vertragsausgestaltung stehen die Versicherungsnehmer vor der Herausforderung, die Bedingungswerke genau zu überprüfen. Maßgeblich für den Versicherungsschutz sind die konkreten Formulierungen der Versicherungsbedingungen und die jeweilige Rechtsprechung. Eine Anpassung der Policen an aktuelle und zukünftige gesundheitliche Bedrohungen ist für viele Unternehmen ratsam und notwendig, um möglichen Deckungslücken vorzubeugen. Die Rechtsentwicklung in diesem Bereich bleibt dynamisch, insbesondere mit Blick auf neue Infektionskrankheiten und veränderte regulatorische Rahmenbedingungen.
Häufig gestellte Fragen
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ist die Betriebsschließungsversicherung einstandspflichtig?
Einstandspflichtig ist die Betriebsschließungsversicherung grundsätzlich dann, wenn aufgrund einer behördlichen Anordnung eine vollständige oder teilweise Schließung des versicherten Betriebs erfolgt. Die Voraussetzung ist regelmäßig, dass ein versichertes Risiko nach dem jeweiligen Versicherungsvertrag – oft also eine meldepflichtige Krankheit oder Krankheitserreger gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) – ursächlich für die Anordnung ist. Die rechtliche Würdigung hängt maßgeblich vom Wortlaut der Versicherungsbedingungen ab: Ist der versicherte Katalog abschließend oder beispielhaft? Zudem ist entscheidend, ob die behördliche Verfügung konkret-individuell oder lediglich allgemein (z.B. als Allgemeinverfügung oder Verordnung) erfolgt und inwiefern dies gemäß dem Vertragswerk anspruchsbegründend ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung – z.B. durch den Bundesgerichtshof (BGH) – hat hervorgehoben, dass Klauseln im Zweifel versicherungsnehmerfreundlich auszulegen sind, etwa bei Unklarheiten über den Katalog der Krankheiten oder bei der Reichweite des Versicherungsfalls. Entscheidend bleibt, dass sowohl der tatsächliche Versicherungsfall als auch seine rechtliche Erfassung im individuellen Vertrag hinreichend nachweisbar ist.
Kann die Leistungspflicht der Betriebsschließungsversicherung durch Ausschlüsse im Vertrag beschränkt werden?
Ja, der Umfang der Leistungspflicht kann durch vertragliche Ausschlussklauseln erheblich eingeschränkt werden. Solche Ausschlüsse betreffen beispielsweise bestimmte Krankheiten oder Krankheitserreger, behördliche Maßnahmen allgemeiner Art oder Ereignisse, die nicht explizit im Katalog der Versicherungsbedingungen aufgeführt sind. Rechtlich wirksam sind diese Ausschlüsse nur, wenn sie transparent, deutlich verständlich und weder überraschend noch unangemessen benachteiligend für den Versicherungsnehmer sind (§ 307 Abs. 1 BGB). Die Gerichte prüfen im Streitfall, ob der Ausschluss mit dem Transparenzgebot im Einklang steht und ob der Versicherungsvertrag ausreichend auf entsprechende Risiken hinweist. Sofern ein Ausschluss wirksam vereinbart wurde, entfällt die Einstandspflicht für diese Risiken selbst dann, wenn ansonsten die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt wären.
Wie ist die Leistungshöhe der Betriebsschließungsversicherung rechtlich zu bestimmen?
Die Leistungshöhe bemisst sich nach den vertraglichen Vereinbarungen, wobei regelmäßig ein Tagesentschädigungssatz (oft ein Prozentsatz des Jahresumsatzes oder eine steuerliche Kennziffer) und eine vordefinierte Leistungsdauer zugrunde gelegt werden. Rechtlich maßgeblich ist hier die Auslegung der Versicherungsbedingungen durch die Gerichte. Besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, ob und in welchem Umfang etwaige Ersatzzahlungen anderer Stellen (z.B. staatliche Hilfen, Ausgleichszahlungen nach dem IfSG) angerechnet werden oder nicht – der BGH sieht grundsätzlich eine Anrechnung vor, sofern dies im Vertrag geregelt ist oder eine Doppelkompensation ausgeschlossen werden soll. Die genaue Berechnung richtet sich also sowohl nach den vertraglichen Grundlagen als auch nach ergänzenden gesetzlichen Regelungen und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Welche Mitwirkungspflichten treffen den Versicherungsnehmer im Schadenfall?
Der Versicherungsnehmer unterliegt einer Vielzahl von Mitwirkungspflichten, die rechtlich Grundlage für die Erfüllung des Versicherungsanspruchs sind. Dazu zählen insbesondere die unverzügliche Anzeige des Schadenfalls, das lückenlose Nachweisen der behördlich angeordneten Betriebsschließung unter Beifügung relevanter behördlicher Dokumente, die Offenlegung von Unterlagen zur Berechnung des Betriebsunterbrechungsschadens (z.B. betriebswirtschaftliche Auswertungen, Umsatz- und Kostenbelege) sowie die Aufklärung über etwaige staatliche Unterstützungsleistungen. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Pflichten grob fahrlässig oder vorsätzlich, kann der Versicherer seine Leistung gemäß § 28 VVG ganz oder teilweise verweigern. Auch die Obliegenheit zur Schadensminderung, etwa durch Prüfung alternativer Betriebsfortführung oder -umgestaltung, spielt in der rechtlichen Bewertung eine Rolle.
Inwieweit ist die Betriebsschließungsversicherung bei Pandemien (z.B. COVID-19) rechtlich umfasst?
Ob eine Pandemie wie COVID-19 vom Versicherungsschutz erfasst ist, hängt wesentlich vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, vom Umfang des versicherten Katalogs nach der jeweiligen Vertragsversion und von etwaigen Ausnahmeregelungen ab. Einige ältere Versicherungsbedingungen nehmen pauschal auf das Infektionsschutzgesetz Bezug und bergen deshalb eine rechtliche Unsicherheit, weil das IfSG dynamisch geändert werden kann (wie bei Aufnahme von SARS-CoV-2 und COVID-19). Der BGH hat hierzu entschieden, dass insbesondere der Wortlaut der Bedingungen maßgeblich ist: Ist lediglich ein statischer Krankheitserregerkatalog aufgeführt, besteht kein Versicherungsschutz für neuartige Krankheiten wie COVID-19, sofern diese nicht ausdrücklich benannt sind. Eine Leistungspflicht des Versicherers bleibt in der Regel ausgeschlossen, wenn beziehungsweise solange die Pandemie (und damit konkret COVID-19/SARS-CoV-2) nicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den Bedingungen enthalten war.
Welche Rolle spielt die behördliche Anordnung bei der Leistungsgewährung?
Rechtlich ist die behördliche Anordnung zwingende Anspruchsvoraussetzung, sofern nicht der Vertrag ausdrücklich auch ohne behördlichen Verwaltungsakt leistet. Die Anordnung muss unmittelbar auf das vertraglich genannte Risiko bezogen sein und den Betrieb des Versicherungsnehmers adressieren. Je nach Vertragsgestaltung genügt eine Allgemeinverfügung – etwa wenn sie auf alle Betriebe einer bestimmten Art im Gemeindegebiet abzielt -, sofern der Vertrag dies nicht ausschließt. Ob dagegen eine rein präventive Anordnung ohne konkreten Krankheitsbezug, oder eine auf bloß vorsorgliche Maßnahmen gestützte Verfügung versichert ist, hängt ebenfalls von den detaillierten Vertragsbedingungen und der Auslegung nach dem AGB-Recht ab.
Wie wirken sich staatliche Unterstützungsmaßnahmen (z.B. Soforthilfen) auf die Versicherungsleistung aus?
Staatliche Unterstützungsleistungen sind grundsätzlich auf die Versicherungsleistung anzurechnen, sofern dies durch die Versicherungsbedingungen ausdrücklich geregelt wird. Der Hintergrund ist das Bereicherungsverbot: Eine doppelte Kompensation desselben Schadens (durch Staat und Versicherer) soll ausgeschlossen werden. Das Auseinanderfallen zwischen verdoppelter Kompensation und zivilrechtlicher Vermeidung unbegründeter Bereicherung ist zentrales Thema in der Rechtsprechung. Falls im Versicherungsvertrag keine ausdrückliche Regelung zur Anrechnung staatlicher Leistungen aufgenommen wurde, besteht aus Sicht der Rechtsprechung keine automatische Anrechnungspflicht, was zu einer Vorteilskumulation führen kann. Letztlich entscheidet die genaue Formulierung im individuellen Vertrag.