Begriff und Zielsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren, das Arbeitgeber verpflichtet, gemeinsam mit länger erkrankten Beschäftigten nach Lösungswegen zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und zur langfristigen Erhaltung des Arbeitsplatzes zu suchen. Das BEM stellt ein zentrales Instrument im Kontext des Arbeits- und Gesundheitsschutzes dar und ist im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) rechtlich geregelt. Ziel des BEM ist es, die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis dauerhaft zu sichern.
Gesetzliche Grundlagen
Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)
Die maßgebliche Rechtsgrundlage für das Betriebliche Eingliederungsmanagement findet sich in § 167 Abs. 2 SGB IX. Diese Vorschrift verpflichtet Arbeitgeber, Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, ein BEM anzubieten. Dies gilt unabhängig von der Größe des Unternehmens und betrifft sowohl privatwirtschaftliche als auch öffentlich-rechtliche Arbeitgeber.
Gesetzestext (Auszug)
§ 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, im Einzelfall zu klären:
– Wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann,
– wie erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann und
– wie der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Rechtliche Einordnung und Pflichtenkreis
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist keine freiwillige Leistung, sondern vielmehr eine gesetzlich geregelte Obliegenheit des Arbeitgebers. Sie besteht unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung nachweist. Das Unterlassen des BEM kann im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses nachteilige Rechtsfolgen für den Arbeitgeber haben, insbesondere bei krankheitsbedingten Kündigungen.
Verfahren und Ablauf des Betrieblichen Eingliederungsmanagements
Einleitung des Verfahrens
Die Einleitung eines BEM-Verfahrens erfolgt durch die schriftliche Information und Einladung des betroffenen Beschäftigten. Der Arbeitgeber muss aufklären, worum es beim BEM geht, welche Ziele verfolgt werden und wer an dem Verfahren beteiligt ist.
Beteiligte Personen und Stellen
- Der betroffene Arbeitnehmer
- Der Arbeitgeber als Initiator und ggf. Vorgesetzte
- Die Interessenvertretung (Betriebsrat, Personalrat)
- Die Schwerbehindertenvertretung (sofern betroffen)
- Der Werks- oder Betriebsarzt
- Der Integrationsfachdienst (bei schwerbehinderten Beschäftigten)
- Gegebenenfalls externe Berater, falls der Arbeitnehmer dies wünscht
Freiwilligkeit und Datenschutz
Die Teilnahme am BEM ist für den Arbeitnehmer freiwillig. Die Ablehnung hat in der Regel keine unmittelbaren arbeitsrechtlichen Konsequenzen, allerdings kann dies im Fall einer späteren krankheitsbedingten Kündigung Folgen haben. Alle während des Verfahrens erhobenen Daten unterliegen dem Datenschutz und dürfen ausschließlich zum Zweck des BEM verwendet werden. Die Einwilligung zur Datenverarbeitung ist für jeden Einzelfall einzuholen. Eine Nichtbeachtung der Datenschutzregelungen kann einen Verstoß gegen arbeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Pflichten darstellen.
Ablauf und Inhalte
Das BEM-Verfahren verläuft in mehreren Phasen:
- Einladung und Information: Der Arbeitgeber unterrichtet den Arbeitnehmer schriftlich über das Verfahren und bittet um Mitwirkung.
- Analyse der Arbeitsunfähigkeit: In einem geschützten Rahmen wird gemeinsam nach den Ursachen und Umständen der Arbeitsunfähigkeit gesucht.
- Erarbeitung von Maßnahmen: Basierend auf den Analyseergebnissen werden Maßnahmen zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit geplant.
- Umsetzung und Kontrolle: Die beschlossenen Maßnahmen werden umgesetzt und deren Erfolg regelmäßig überprüft.
Mögliche Maßnahmen sind z. B. Anpassung der Arbeitszeiten, Umgestaltung des Arbeitsplatzes, technische oder organisatorische Unterstützung und Qualifizierungsangebote.
Rechtsfolgen bei Nichtdurchführung des BEM
Auswirkungen auf das Kündigungsschutzverfahren
Die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass ein fehlendes oder fehlerhaftes BEM im Rahmen der Interessenabwägung im Kündigungsschutzprozess zu Lasten des Arbeitgebers gewertet werden kann (BAG, Urteil v. 12.07.2007, 2 AZR 716/06). Das Gericht prüft, ob durch angemessene Maßnahmen die Kündigung hätte vermieden werden können. Der Arbeitgeber trägt die Darlegungslast, dass auch durch ein ordnungsgemäßes BEM keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden hätte.
Bedeutung für das Schwerbehindertenrecht
Für schwerbehinderte Arbeitnehmer ist das BEM besonders relevant, da der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorge- und Präventionspflichten zur Unterstützung verpflichtet ist. Die Unterlassung des BEM kann im Genehmigungsverfahren vor dem Integrationsamt negativ gewertet werden. Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX ist das BEM ausdrücklich im Antragsverfahren auf Zustimmung zur Kündigung zu berücksichtigen.
Verfahrensbesonderheiten in der Praxis
Mitbestimmungsrechte der Interessenvertretung
Der Betriebsrat oder Personalrat ist gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX sowie nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in das Verfahren einzubinden, insbesondere bei der Ausgestaltung und Durchführung des BEM-Verfahrens. Die Interessenvertretung kann auch bei der Auswahl der Beteiligten mitwirken und ist verpflichtet, die Vertraulichkeit der BEM-Daten zu wahren.
Dokumentations- und Nachweispflichten
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Ablauf und die Ergebnisse des BEM nachvollziehbar und datenschutzkonform zu dokumentieren. Dies dient als Nachweis im Falle arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen und schafft Transparenz für alle Beteiligten.
Zusammenfassung und Bedeutung
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Instrument zur Prävention und Rehabilitation im Arbeitsverhältnis. Es verpflichtet Arbeitgeber, gemeinsam mit betroffenen Beschäftigten Wege zur Überwindung und Vermeidung von Arbeitsunfähigkeiten zu suchen. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und der Datenschutzanforderungen ist zwingend erforderlich. Die Nichtdurchführung des BEM kann bei krankheitsbedingten Kündigungen erhebliche Nachteile im Prozess mit sich bringen und stellt einen Verstoß gegen sozialrechtliche Pflichten dar. Das BEM leistet einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit, zur Beschäftigungssicherung und zur inhaltlichen Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtliche Grundlage gibt es für das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)?
Die rechtliche Grundlage für das Betriebliche Eingliederungsmanagement bildet § 167 Abs. 2 SGB IX. Dieser Paragraf verpflichtet Arbeitgeber, für Beschäftigte, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, ein BEM durchzuführen. Das Gesetz verlangt, dass gemeinsam mit dem Arbeitnehmer sowie dem Betriebsrat oder der Personalvertretung nach Möglichkeiten gesucht wird, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Die Pflicht zur Umsetzung ist zwingend, wobei die Teilnahme am BEM für die betroffenen Beschäftigten freiwillig ist. Über die Durchführung hat der Arbeitgeber die Beschäftigten in geeigneter Weise aufzuklären. Missachtet der Arbeitgeber diese Verpflichtung, drohen rechtliche Konsequenzen bis hin zur Unwirksamkeit krankheitsbedingter Kündigungen.
Wer ist zur Teilnahme am BEM verpflichtet und welche Rechte haben die betroffenen Beschäftigten?
Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, allen betroffenen Beschäftigten ein BEM anzubieten. Betroffen sind Arbeitnehmer, unabhängig von ihrem Beschäftigungsverhältnis, sofern sie länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres arbeitsunfähig sind. Die Teilnahme des Beschäftigten ist jedoch ausdrücklich freiwillig. Rechtlich bedeutsam ist, dass der Arbeitgeber zu Beginn des BEM-Prozesses über die Ziele, den Ablauf sowie die erhobenen und verarbeiteten Daten umfassend informieren muss. Arbeitnehmer dürfen durch die Ablehnung oder die Beendigung der Teilnahme am BEM keine rechtlichen Nachteile erleiden. Weitere Rechte umfassen die Vertraulichkeit der im Rahmen des BEM erlangten Daten (§ 167 Abs. 2 SGB IX i.V.m. Datenschutzrecht) sowie das Recht auf Hinzuziehung einer Vertrauensperson, beispielsweise des Betriebsrats oder einer Schwerbehindertenvertretung.
Welche Anforderungen stellt das Datenschutzrecht an das BEM?
Im Rahmen des BEM ist die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben zwingend. Hier gilt insbesondere die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie § 167 Abs. 2 SGB IX. Es dürfen ausschließlich solche personenbezogenen Daten erhoben, verarbeitet und genutzt werden, die für die Durchführung des BEM notwendig sind. Erforderlich ist eine ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Beschäftigten zur Verarbeitung seiner Gesundheitsdaten. Diese Daten sind streng vertraulich zu behandeln, dürfen nicht ohne Zustimmung an Dritte weitergegeben werden und sind getrennt von der Personalakte aufzubewahren. Werden Datenschutzbestimmungen nicht eingehalten, können daraus erhebliche arbeitsrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Konsequenzen folgen.
Welche Rolle spielen Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung beim BEM?
Der Betriebsrat beziehungsweise die Personalvertretung haben beim BEM ein Mitwirkungsrecht. Arbeitgeber sind verpflichtet, diese Gremien über das BEM zu informieren und sie in den Prozess einzubeziehen, sofern der betroffene Beschäftigte dem zustimmt. Insbesondere bei schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Beschäftigten ist zudem die Schwerbehindertenvertretung zwingend zu beteiligen (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Die Beteiligung dieser Gremien dient unter anderem der Wahrung der Interessen der Belegschaft und der Verbesserung der Wirksamkeit sowie Fairness des BEM-Prozesses.
Wie wirkt sich die Durchführung oder unterlassene Durchführung eines BEM auf eine krankheitsbedingte Kündigung aus?
Die Durchführung eines BEM ist zwar keine formale Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung, wird von der Rechtsprechung – insbesondere vom Bundesarbeitsgericht (BAG) – aber als ein maßgebliches Indiz für die Verhältnismäßigkeit einer Kündigung herangezogen. Wird kein BEM angeboten oder durchgeführt, muss der Arbeitgeber im Falle eines Kündigungsschutzprozesses besonders umfassend darlegen, warum es keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten oder milderen Mittel als die Kündigung gab. Die fehlende Durchführung eines BEM kann somit entscheidend dazu führen, dass eine krankheitsbedingte Kündigung als unverhältnismäßig und damit unwirksam angesehen wird (vgl. BAG-Urteil v. 20.11.2014, 2 AZR 755/13).
Was gehört zu einem rechtlich ordnungsgemäßen BEM-Verfahren?
Ein rechtlich ordnungsgemäßes BEM-Verfahren beginnt mit einem korrekten BEM-Angebot an den betroffenen Beschäftigten, das umfassend über Ziele, Ablauf sowie datenschutzrechtliche Aspekte informiert. Die Teilnahme ist freiwillig und bedarf einer ausdrücklichen Einwilligung. Die Beteiligung des Betriebsrats und ggf. der Schwerbehindertenvertretung muss angeboten werden. Im weiteren Verlauf sind Handlungsoptionen zu erarbeiten, die der Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und der Erhaltung des Arbeitsplatzes dienen. Alle Absprachen und Maßnahmen sind zu dokumentieren, und es besteht eine Verpflichtung zur Vertraulichkeit hinsichtlich sensibler personenbezogener Daten. Die Einhaltung dieser Verfahrensschritte ist im Streitfall von hoher rechtlicher Bedeutung.
Welche rechtlichen Risiken bestehen für Arbeitgeber beim Verstoß gegen die BEM-Pflicht?
Verstößt ein Arbeitgeber gegen die Pflicht zur Durchführung des BEM, drohen erhebliche rechtliche Risiken. Eine krankheitsbedingte Kündigung kann vor Gericht als unverhältnismäßig angesehen und für unwirksam erklärt werden, wenn kein BEM durchgeführt wurde. Auch kann der Betriebsrat die Kündigung anfechten. Zudem bestehen datenschutzrechtliche Risiken: Bei Verstößen gegen die DSGVO und § 167 Abs. 2 SGB IX drohen Bußgelder sowie arbeitsrechtliche Konsequenzen. Weiterhin kann eine unterbliebene BEM-Einladung einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot darstellen, insbesondere bei schwerbehinderten Beschäftigten, sodass auch Schadensersatzansprüche entstehen können.