Bestreiten der Klagetatsachen – Begriff, Bedeutung und rechtliche Einordnung
Das Bestreiten der Klagetatsachen ist ein zentrales Element im Zivilprozessrecht. Es bezeichnet die Prozesshandlung des Beklagten, mit der er die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen beanstandet und deren Richtigkeit in Abrede stellt. Das Bestreiten hat erhebliche Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sowie auf den Fortgang des Prozesses. Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen, die Erfordernisse des Bestreitens, die verschiedenen Arten des Bestreitens sowie die prozessualen Konsequenzen detailliert dargestellt.
Rechtliche Grundlagen des Bestreitens der Klagetatsachen
Das Bestreiten der Klagetatsachen ist in den Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) verankert. Nach § 138 ZPO sind die Parteien verpflichtet, sich zu dem Vorbringen des Gegners zu erklären. Unterlassen sie eine Erklärung, gelten die behaupteten Tatsachen grundsätzlich als zugestanden. Deshalb ist das Bestreiten eine essenzielle Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten und sichert den kontradiktorischen Charakter des zivilen Erkenntnisverfahrens. Durch das Bestreiten wird zwischen streitigen und unstreitigen Tatsachen unterschieden, was wiederum für die Verteilung der Beweislast nach § 286 ZPO von zentraler Bedeutung ist.
Voraussetzungen und Anforderungen an das Bestreiten
Substanziiertes Bestreiten
Das sogenannte substanziierte Bestreiten verlangt, dass sich der Beklagte zu den einzelnen Tatsachenvorträgen des Klägers konkret äußert. Pauschales oder allgemein gehaltenes Bestreiten ist nur in Ausnahmefällen ausreichend, etwa wenn dem Beklagten nähere Angaben ohne eigene Sachkenntnis nicht möglich oder nicht zumutbar sind. Grundsätzlich ist der Beklagte verpflichtet, im Rahmen seiner Erklärungspflicht so konkret wie möglich anzugeben, welche Bestimmungen oder Behauptungen er in Zweifel zieht.
Einfaches und qualifiziertes Bestreiten
- Einfaches Bestreiten: Das einfache Bestreiten beschränkt sich auf die bloße Infragestellung der gegnerischen Behauptungen, ohne eigene Tatsachen darzustellen.
- Qualifiziertes Bestreiten: Das qualifizierte Bestreiten liegt vor, wenn der Beklagte zusätzlich eigene, gegenteilige Tatsachen vorträgt oder alternative Geschehensabläufe schildert. Dieses Vorgehen ist vor allem dann geboten, wenn der Sachverhalt durch eigene Wahrnehmung oder Beteiligung des Beklagten besser dargelegt werden kann.
Beweisbestreiten
Das Bestreiten kann sich auch auf die vom Kläger angebotenen Beweismittel beziehen. Hierbei wird nicht (nur) der Wahrheitsgehalt der klägerischen Behauptung, sondern die Beweiskraft des angebotenen Beweismittels angezweifelt, z.B. durch Bestreiten der Echtheit einer Urkunde.
Formen und Grenzen des Bestreitens
Ausdrückliches und konkludentes Bestreiten
- Ausdrückliches Bestreiten: Dies liegt vor, wenn der Beklagte die Richtigkeit der klägerischen Tatsachendarstellung ausdrücklich in Frage stellt.
- Konkludentes Bestreiten: Das konkludente Bestreiten ergibt sich aus dem Gesamtvortrag oder den Handlungen des Beklagten, ohne dass ausdrücklich widersprochen wird.
Unzulässiges Bestreiten
Das Bestreiten ist in bestimmten Fällen unbeachtlich:
- Das Bestreiten „ins Blaue hinein“ ist unzulässig, wenn es offensichtlich ohne tatsächliche Grundlage und lediglich zu Verzögerungszwecken erfolgt.
- Ein verspätetes Bestreiten kann nach § 296 ZPO von der Berücksichtigung ausgeschlossen werden, sofern es die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und keine ausreichenden Entschuldigungsgründe vorliegen.
- Das Bestreiten bereits unstreitiger Tatsachen ist rechtlich unbeachtlich.
Folgen und Wirkung des Bestreitens
Auswirkungen auf die Beweislastverteilung
Durch das wirksame Bestreiten einer klägerischen Tatsachenbehauptung wird diese zur streitigen Tatsache. Der Kläger ist dann nach § 286 ZPO verpflichtet, die streitige Tatsache zu beweisen. Bleibt der Beweis aus, wird zugunsten des Beklagten entschieden.
Prozessuale Konsequenzen
- Die Unterscheidung zwischen bestrittenen und unbestrittenen Tatsachen ist maßgeblich für die gerichtliche Beweiserhebung (§§ 284 ff. ZPO).
- Nur über bestrittene Tatsachen, die für die Endscheidung rechtserheblich sind (streitige Haupt- und Hilfstatsachen), wird Beweis erhoben.
- Zugestandene oder unbestrittene Tatsachen werden der Entscheidungsfindung ohne weitere Beweiserhebung zugrunde gelegt.
Besonderheiten im Bestreiten bei spezifischen Verfahrensarten
Urkundenprozess
Im Urkundenprozess (§§ 592 ff. ZPO) ist das Bestreiten der Klagetatsachen speziell auf den Inhalt und die Echtheit der vorgelegten Urkunden abzustellen. Ein reines Bestreiten ohne Substanz kann zur Präklusion führen.
Verbraucherstreitigkeiten und Massenverfahren
Im Rahmen von Massenverfahren oder Verbraucherstreitigkeiten gelten teils vereinfachte Anforderungen an den Tatsachenvortrag und das Bestreiten, jedoch bleibt das Erfordernis der Substanziierung im Grundsatz erhalten.
Zusammenfassung
Das Bestreiten der Klagetatsachen ist eine grundlegende prozessuale Handlung im Zivilprozessrecht. Es bildet die Basis für die sachliche Auseinandersetzung der Parteien vor Gericht und ist maßgeblich für die Verteilung der Beweislast. Die Anforderungen an das Bestreiten sind hoch: Es muss substanziiert erfolgen und möglichst konkret auf die klägerischen Tatsachenvorträge eingegangen werden. Die Grenzen des Bestreitens liegen vor allem in der Unzulässigkeit pauschaler, verspäteter oder unbegründeter Einwendungen. Ein ordnungsgemäßes Bestreiten führt dazu, dass der Kläger für die betreffenden Tatsachen den Beweis antreten muss, während unbestrittene Tatsachen als feststehend angenommen werden.
Literaturhinweise:
- Thomas/Putzo, ZPO, aktuelle Auflage
- Musielak/Voit, ZPO, aktuelle Auflage
- Zöller, ZPO, aktuelle Auflage
- Prütting/Gehrlein, ZPO, aktuelle Auflage
Dieser Beitrag bietet eine umfassende, klar strukturierte Übersicht über alle rechtlichen Aspekte des Bestreitens der Klagetatsachen im deutschen Zivilprozessrecht.
Häufig gestellte Fragen
Wie und in welchem Stadium des Verfahrens können Klagetatsachen bestritten werden?
Im zivilprozessualen Verfahren müssen Klagetatsachen in der Regel im Rahmen der Klageerwiderung durch die beklagte Partei bestritten werden. Das Bestreiten muss spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen, andernfalls gelten die vorgetragenen Tatsachen gemäß § 138 ZPO als zugestanden. Dabei ist es entscheidend, dass mit substantiiertem, also konkretem Sachvortrag bestritten wird, sofern dies möglich und zumutbar ist. Allgemeines Bestreiten reicht bei komplexeren Sachverhalten nicht aus, vielmehr muss die beklagte Partei im Einzelnen darlegen, welche behaupteten Umstände genau bestritten werden und ggf. eine eigene gegenteilige Darstellung liefern. Eine Nachbesserung oder Ergänzung des Bestreitens kann das Gericht in Ausnahmefällen zulassen, etwa wenn neue Angaben der Gegenseite dies erforderlich machen oder das Gericht einen entsprechenden Hinweis erteilt. Ein verspätetes oder unzulängliches Bestreiten kann nach §§ 296 ff. ZPO als verspätet zurückgewiesen werden.
Welche Anforderungen stellt das Gesetz an ein wirksames Bestreiten im Zivilprozess?
Das Gesetz verlangt ein sogenanntes substantiiertes Bestreiten. Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO hat sich die Partei über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Sie muss hierbei genau angeben, inwiefern und aus welchem Grund sie eine Behauptung bestreitet. Reines Nichtwissen darf nur dort behauptet werden, wo es sich um Tatsachen handelt, die außerhalb der eigenen Wahrnehmung oder des eigenen Einflussbereichs liegen. Bei Vorwürfen, die sich auf eigene Handlungen oder Wissen beziehen, ist ein einfaches Bestreiten ohne nähere Angaben meist ungenügend und reicht prozessual nicht aus. So ist ein pauschales „Bestreiten mit Nichtwissen“ bei eigenen Handlungen oder Vorgängen unzulässig und führt dazu, dass die Tatsachen als zugestanden gelten. Das Bestreiten muss zudem so deutlich und umfassend sein, dass das Gericht und die Gegenpartei den Umfang und Gegenstand des Bestreitens zweifelsfrei erkennen können.
Welche Folgen hat ein unzureichendes oder fehlendes Bestreiten von Klagetatsachen?
Werden Klagetatsachen nicht oder nur unzureichend bestritten, gelten sie gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden und müssen nicht mehr bewiesen werden. Das bedeutet, das Gericht legt diesen Tatsachenvortrag der entscheidenden Partei bei seiner Urteilsfindung zugrunde. Nur wenn Tatsachen ausdrücklich oder konkludent bestritten werden, sind sie streitig und bedürfen des Beweises. Besondere Bedeutung erlangt dies bei der Beweislastverteilung: Die bestreitende Partei kann durch ein wirksames Bestreiten erreichen, dass die Gegenpartei für diese Tatsachen Beweis erbringen muss. Erfolgt das Bestreiten erst nach Fristablauf bzw. nach Ablauf der Erklärungsfrist oder nicht konkret genug, läuft die Partei Gefahr, dass nach §§ 282, 296 ZPO entsprechende Präklusionsvorschriften greifen und das Vorbringen nicht mehr berücksichtigt wird.
Muss jede einzelne Klagetatsache ausdrücklich bestritten werden?
Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO muss jede einzelne Klagetatsache, der widersprochen werden soll, ausdrücklich oder zumindest konkludent bestritten werden. Ein pauschales Bestreiten des gesamten Vortrags der klagenden Seite ist in aller Regel unzureichend, insbesondere bei mehreren, voneinander unabhängigen Behauptungen. Einzelne, voneinander getrennte Tatsachen bestehen als jeweils eigenständige Entscheidungspunkte, sodass immer konkret zu jeder einzelnen Behauptung Stellung genommen werden muss. Ein umfassend pauschales „Wird bestritten“ führt in der Regel nur insoweit zur Wirkung eines Bestreitens, wie die Tatsachenbehauptungen sich auf Bereiche beziehen, die der bestreitenden Partei nicht näher bekannt sein können. In allen anderen Fällen droht, dass es als unbestritten gilt und somit als zugestanden gilt.
Wie unterscheidet sich das einfache vom qualifizierten Bestreiten?
Das einfache Bestreiten genügt bei sogenannten einfachen Behauptungen, bei denen es keine besondere Darlegungs- und Substantiierungspflicht gibt. Hier reicht es aus, die Tatsache schlicht in Abrede zu stellen. Das qualifizierte Bestreiten ist jedoch erforderlich, wenn der klägerische Tatsachenvortrag besonders substantiiert ist oder sich der Vorgang im Wahrnehmungsbereich der bestreitenden Partei abspielte. In diesen Fällen muss die bestreitende Partei im Detail schildern, warum und mit welchem eigenen Sachverhalt sie den Vortrag in Frage stellt. Ein qualifiziertes Bestreiten verlangt die Darlegung einer Gegenversion, sodass eine reine Negation (z.B. „Das ist nicht passiert.“) nicht mehr ausreicht; es müssen vielmehr positive Gegenbehauptungen aufgestellt werden, die den klägerischen Vortrag widerlegen oder entkräften können.
Kann ein zunächst zugestandener Sachverhalt später wieder bestritten werden?
Einmal zugestandene Tatsachen können grundsätzlich nicht mehr bestritten werden. Nach § 288 ZPO sind zugestandene Tatsachen für das Gericht bindend und vom Beweis ausgeschlossen. Ein Widerruf des Geständnisses ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 290 ZPO möglich, zum Beispiel bei nachweislicher Irrtumsanfechtung oder wenn das Geständnis durch eine falsche Information oder betrügerische Handlung des Gegners erlangt wurde. Ein einfaches Umdenken oder das nachträgliche Erkennen eines prozessualen Vorteils reicht für einen Widerruf des Zugeständnisses nicht aus. Das Gericht prüft in solchen Fällen sorgfältig, ob tatsächlich ein Grund für den Widerruf besteht und ob das rechtliche Gehör der anderen Partei dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt wird.
Welche Rolle spielt das Bestreiten im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme?
Die Aufgabe des Bestreitens besteht darin, den tatsächlichen Vortrag des Anspruchstellers zu entkräften oder zumindest Zweifel an dessen Richtigkeit zu begründen. Erst wenn Tatsachen wirksam bestritten wurden, muss das Gericht in die Beweisaufnahme eintreten. Die Beweislast bleibt dabei grundsätzlich bei der Partei, die aus dem behaupteten, streitigen Umstand rechtliche Vorteile ableiten will. Das wirksame Bestreiten ist daher eine Prozessvoraussetzung für die Anordnung oder Durchführung einer Beweisaufnahme. Unterbleibt ein substantiiertes Bestreiten, kann das Gericht gemäß dem Grundsatz „Unstreitiges ist wahr“ nach Aktenlage entscheiden, ohne weitergehende Beweise zu erheben. Ein förmliches Bestreiten ist der erste und zentrale Schritt, um einen Sachverhalt zum Streitgegenstand des Prozesses zu machen.