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Besitzkonstitut


Definition und Rechtsnatur des Besitzkonstituts

Das Besitzkonstitut ist ein rechtliches Konstrukt des Sachenrechts, das als Mittel zur Besitzmittlungsabrede dient. Es handelt sich dabei um ein so genanntes „Besitzmittlungsverhältnis“, durch welches der unmittelbare Besitzer einer beweglichen Sache mit dem bisherigen Eigentümer vereinbart, den Besitz nicht mehr zu eigenem, sondern zu fremdem Recht für eine andere Person (den mittelbaren Besitzer) auszuüben. Das Besitzkonstitut ist im deutschen Recht insbesondere in § 868 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt und kommt häufig im Rahmen der Übereignung beweglicher Sachen zum Einsatz, wenn eine Übergabe im Sinne des § 929 Satz 1 BGB nicht oder nur schwer möglich ist.

Gesetzliche Grundlage und Anwendungsbereich

Gesetzliche Regelung (§ 868 BGB)

§ 868 BGB definiert das Besitzmittlungsverhältnis wie folgt:

„Besitzt jemand eine Sache als Mittelsperson für einen anderen, so ist dieser im Verhältnis zu dritten Personen als Besitzer anzusehen.“

Das Besitzkonstitut bildet damit neben der Übergabe und der Besitzaufgabe eine zentrale Möglichkeit, den Besitz an einer Sache zu übertragen, ohne dass die tatsächliche Übergabe erforderlich wird.

Anwendungsbereiche in der Praxis

  • Sicherungsübereignung: Hier bleibt der Sicherungsgeber im Besitz der Sache, übt diesen jedoch als sog. „Besitzmittler“ für den Sicherungsnehmer aus.
  • Verkauf unter Eigentumsvorbehalt: Nach § 930 BGB kann der Besitz mittels Besitzkonstitut beim Verkäufer verbleiben, der die Sache weiterhin nutzt, aber das Eigentum bereits übergeht.
  • Leihe, Miete und Pacht: Auch bei Dauerschuldverhältnissen kann das Besitzkonstitut vereinbart werden, um Treuhandverhältnisse abzubilden.

Voraussetzungen eines wirksamen Besitzkonstituts

1. Besitzmittlungsverhältnis

Erforderlich ist ein besonderes Rechtsverhältnis zwischen dem bisherigen Besitzer und dem neuen mittelbaren Besitzer. Das Besitzmittlungsverhältnis muss hinreichend bestimmt und rechtlich fundiert sein, etwa durch ein Schuldverhältnis (z. B. Miet-, Leih- oder Verwahrungsvertrag).

2. Fremdbesitzerwille (Besitzmittlungswille)

Der unmittelbare Besitzer muss bereit und willens sein, den Besitz für den mittelbaren Besitzer auszuüben. Fehlt dieser Wille, so ist das Besitzmittlungsverhältnis nicht wirksam begründet und das Besitzkonstitut unwirksam.

3. Vereinbarung (Besitzmittlungsabrede)

Die Parteien müssen ausdrücklich oder konkludent eine Besitzmittlungsabrede treffen. Diese kann sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form erfolgen und bedarf grundsätzlich keiner Mitteilung an Dritte.

4. Bestimmtheit der Sache

Das Besitzkonstitut ist nur wirksam, wenn die betreffende Sache eindeutig individualisiert (bestimmt) ist. Eine generelle Besitzmittlungsabrede für unbestimmte Sachen genügt nicht den rechtlichen Anforderungen.

Arten und Formen des Besitzkonstituts

Sicherungsbesitzkonstitut

Hier wird der Sicherungsgeber weiterhin unmittelbarer Besitzer, übt den Besitz jedoch ausschließlich im Interesse des Sicherungsnehmers aus (z. B. Sicherungsübereignung von Maschinen oder Fahrzeugen).

Verwahrungsbesitzkonstitut

Im Rahmen eines Verwahrungsverhältnisses kann die Verwahrung ebenfalls mittels Besitzkonstitut ausgestaltet werden, etwa bei Banken, die Wertgegenstände für Kunden aufbewahren.

Miet- und Leihbesitzkonstitut

Wenn ein Vermieter eine Sache verkauft, diese aber zunächst weiterhin an den bisherigen Käufer vermietet, bleibt der Besitz kraft Mietverhältnisses beim Verkäufer. Der Käufer wird mittelbarer Besitzer.

Funktionen und Bedeutung im Rechtsverkehr

Vereinfachung der Übereignung

Das Besitzkonstitut ermöglicht die Übereignung von Sachen in Fällen, in denen eine tatsächliche Übergabe unmöglich oder wirtschaftlich nicht sinnvoll ist (etwa bei Serienlieferungen, großen Maschinen oder eingelagerten Waren).

Rechtssicherheit

Durch die Konstruktion des Besitzkonstituts kann Dritten gegenüber klar dokumentiert werden, wer als Besitzer und wer als Eigentümer gilt, was für die Durchsetzung von Besitzschutzansprüchen entscheidend ist.

Flexibilität bei der Vertragsgestaltung

Verschiedene schuldrechtliche Instrumente können über das Besitzkonstitut gekoppelt werden, um den Besitz entsprechend den Bedürfnissen der Parteien zu organisieren.

Rechtliche Wirkungen und Grenzen

Wirkung gegenüber Dritten

Das Besitzkonstitut wirkt regelmäßig nur zwischen den Beteiligten (also im sogenannten Innenverhältnis). Im Außenverhältnis kann der mittelbare Besitz etwa für die Ausübung von Besitzschutzansprüchen (§§ 861 ff., 1007 BGB) oder im Insolvenzfall von Bedeutung sein.

Schutz des Erwerbers im guten Glauben

Im Hinblick auf den gutgläubigen Erwerb gemäß § 932 BGB ist das Besitzkonstitut kritisch zu betrachten. Ist der Veräußerer weiterhin unmittelbarer Besitzer und erfolgt keine offene Besitzübertragung, können Dritte nicht ohne Weiteres erkennen, dass bereits eine Übereignung stattgefunden hat.

Anforderungen an die Bestimmtheit und Transparenz

Gerichte stellen strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der Besitzmittlungsabrede. Unklare oder unvollständige Vereinbarungen werden von der Rechtsprechung häufig als unwirksam angesehen.

Besitzkonstitut im internationalen Kontext

Das Besitzkonstitut ist nicht in allen Rechtsordnungen bekannt. Im deutschen und österreichischen Sachenrecht spielt es eine zentrale Rolle, während beispielsweise im englischen Common Law traditionell stärker auf die tatsächliche Übergabe abgestellt wird.

Rechtsprechung und Literatur

Die Ausgestaltung und Anwendung des Besitzkonstituts wird durch eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sowie der Instanzgerichte geprägt. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird das Besitzkonstitut regelmäßig als wesentliches Instrument der Besitzübertragung und -sicherung hervorgehoben.

Kritik und Risiken

Kritisiert wird das Besitzkonstitut vor allem wegen potenzieller Intransparenz im Rechtsverkehr und der Gefahr von Mehrfachverfügungen. Insbesondere im Insolvenzrecht kann dies zu Interessenkonflikten führen. Deshalb verlangt die Rechtsprechung eine klare und eindeutige Besitzmittlungsabrede, um die Rechte aller Beteiligten angemessen zu wahren.

Zusammenfassung

Das Besitzkonstitut ist ein bedeutsames Mittel der Besitzübertragung im deutschen Sachenrecht, das den Übergang des mittelbaren Besitzes auch ohne tatsächliche Übergabe ermöglicht. Seine sichere und rechtsbeständige Anwendung erfordert eine eindeutige Bestimmung der Besitzmittlungsabrede, des Besitzmittlungswillens und der betroffenen Sache. Es bietet praktische Vorteile, birgt jedoch auch rechtliche Herausforderungen, die insbesondere im Hinblick auf die Transparenz im Rechtsverkehr und die Rechte Dritter zu beachten sind.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat das Besitzkonstitut im Rahmen der Sicherungsübereignung?

Das Besitzkonstitut ist im deutschen Sachenrecht von zentraler Bedeutung, insbesondere bei der Sicherungsübereignung beweglicher Sachen. Bei der Sicherungsübereignung überträgt der Sicherungsgeber das Eigentum an einer beweglichen Sache an den Sicherungsnehmer (z.B. eine Bank), um eine Forderung abzusichern. Nach § 929 BGB setzt jedoch ein Eigentumsübergang grundsätzlich die Übergabe der Sache voraus. Damit der Sicherungsgeber die Sache weiterhin im eigenen Interesse nutzen kann, ohne dass der Sicherungsnehmer unmittelbaren Besitz erlangt, bedient man sich des Besitzkonstituts gemäß § 930 BGB. Hierbei wird vereinbart, dass der Erwerber (Sicherungsnehmer) mittelbarer Besitzer wird, während der Übertragende (Sicherungsgeber) als Besitzmittler die Sache weiterhin im unmittelbaren Besitz behält. Diese Konstruktion ermöglicht es, die wirtschaftliche Nutzung beim Sicherungsgeber zu belassen, während die gesellschaftsrechtlichen Risiken und Chancen auf den Sicherungsnehmer übergehen. Die Wirksamkeit eines solchen Besitzkonstituts setzt voraus, dass das zugrunde liegende Rechtsverhältnis – das Besitzmittlungsverhältnis – wirksam und hinreichend bestimmt ist.

Welche Voraussetzungen müssen für ein wirksames Besitzkonstitut nach § 930 BGB vorliegen?

Für die Wirksamkeit eines Besitzkonstituts müssen mehrere Voraussetzungen beachtet werden. Zunächst bedarf es eines Einigungsvertrags zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber, der ausdrücklich regelt, dass der Besitz nicht unmittelbar, sondern durch Besitzkonstitut übergehen soll. Ferner muss ein wirksames Besitzmittlungsverhältnis vereinbart werden, aus dem sich ergibt, dass der bisherige Besitzer (Verkäufer/Sicherungsgeber) die Sache künftig als Besitzmittler für den Erwerber (Käufer/Sicherungsnehmer) innehat. Dieses Verhältnis kann auf Vertrag, Gesetz oder einem anderen Rechtsgrund beruhen. Das Besitzmittlungsverhältnis muss zudem nach Inhalt, Dauer und Gegenstand hinreichend bestimmt sein. Weiterhin dürfen keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse vorliegen, die dem Besitzübergang entgegenstehen. Insbesondere darf kein abweichendes Besitzrecht Dritter bestehen, das dem Besitzübergang widerspricht. Zudem muss das Besitzkonstitut gegenüber Dritten ernsthaft so ausgestaltet sein, dass der mittelbare Besitz klar erkennbar ist.

Welche Risiken bestehen beim Einsatz des Besitzkonstituts für den Eigentumserwerber?

Das Besitzkonstitut birgt für den Eigentumserwerber erhebliche Risiken, insbesondere im Hinblick auf den sogenannten gutgläubigen Erwerb durch Dritte. Da der unmittelbare Besitz weiterhin beim Veräußerer verbleibt, können Dritte, die mit dem Besitzmittler in Verbindung treten und von dessen Eigentumsstellung ausgehen, die Sache unter Umständen gutgläubig erwerben (§ 932 BGB). Zudem ist die Publizität des Eigentumsübergangs hier problematisch: Da keine Besitzverschiebung nach außen erkennbar ist, bleibt der Eigentumserwerb für Dritte oft verborgen. Auch im Insolvenzfall des Besitzmittlers kann das Besitzkonstitut schwächen: Der Insolvenzverwalter könnte darauf bestehen, dass der Sicherungsnehmer sein rechtmäßiges mittleres Besitzrecht klar nachweist und das Besitzmittlungsverhältnis substantiiert belegen muss. Darüber hinaus ist ein Besitzkonstitut, das lediglich Verschleierung und Umgehung gesetzlicher Regelungen dient, nach § 134 BGB nichtig.

Wie wird ein Besitzkonstitut wirksam beendet und welche Folgen hat dies?

Ein Besitzkonstitut wird regelmäßig durch die einvernehmliche Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses aufgehoben oder erlischt mit dem Ende des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses, etwa durch Rückgabe, Verkauf oder Zerstörung der Sache. Mit der Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses verliert der mittelbare Besitzer (Erwerber) seinen Besitz, und der unmittelbare Besitzer (Veräußerer) wird wieder alleiniger Besitzer. Ist mit dieser Beendigung ein Sicherungsfall verbunden, etwa durch Zahlungsausfall, kann der Sicherungsnehmer die Herausgabe der Sache verlangen, um seine Forderung zu sichern. Zu beachten ist dabei, dass eine einseitige Beendigung durch den Besitzmittler ohne Einwilligung des mittelbaren Besitzers grundsätzlich nicht wirksam ist, solange das Besitzmittlungsverhältnis besteht. Im Falle einer Insolvenz hat der Insolvenzverwalter ein Sonderkündigungsrecht, so dass die faktische Wirkung des Besitzkonstituts beschränkt werden kann.

Ist das Besitzkonstitut auch bei der Verpfändung von Sachen anwendbar?

Das Besitzkonstitut ist im Rahmen der Verpfändung von Sachen ausdrücklich geregelt (§ 1205 Abs. 2 BGB). Auch bei der Verpfändung kann auf eine körperliche Übergabe verzichtet werden, indem der bisherige Besitzer mit dem Pfandgläubiger vereinbart, die Sache als Besitzmittler zu behalten. Dies geschieht insbesondere dort, wo der Verpfänder die Sache weiterhin nutzen muss (z.B. Betriebsinventar bei einem Unternehmen). Allerdings gelten hier strenge Anforderungen für das Besitzmittlungsverhältnis, insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzbarkeit und Publizität der Besitzverhältnisse. Wird das Besitzkonstitut nicht klar und hinreichend bestimmt vereinbart, kann das Pfandrecht bereits mangels Publizität unwirksam sein.

Welche Bedeutung hat das Besitzkonstitut bei der Eigentumsübertragung an „vertretbaren Sachen“?

Bei vertretbaren Sachen spielt das Besitzkonstitut eine maßgebliche Rolle, da die Übergabe im eigentlichen Sinne erschwert oder unmöglich sein kann – etwa bei Getreide, Rohstoffen oder Warenvorräten in einem Lager. Hier ist es zulässig, ein Besitzkonstitut zu begründen, indem beispielsweise vereinbart wird, dass der Lagerhalter die Güter künftig als Besitzmittler für den Erwerber besitzt. Voraussetzung ist allerdings eine eindeutige Bestimmbarkeit des zu übertragenden Bestandes, um die Individualisierung und somit die Zuordnung der Sachgesamtheit zu sichern. Fehlt es an einer solchen Individualisierung, so liegt kein wirksames Besitzkonstitut vor und der Eigentumsübergang scheitert an mangelnder Bestimmtheit gemäß § 243 BGB.

Welche Rolle spielt das Besitzkonstitut im internationalen Kontext bei grenzüberschreitenden Lieferungen?

Im internationalen Handelsverkehr wird das Besitzkonstitut häufig herangezogen, wenn Güter, etwa im Rahmen von Lagergeschäften oder bei Lieferungen unter Eigentumsvorbehalt, physisch nicht übergeben werden, da sie sich im Ausland oder im Transit befinden. Die Wirksamkeit eines Besitzkonstituts richtet sich in diesen Fällen nach dem Kollisionsrecht, insbesondere dem Recht des Lageortes der Sache (lex rei sitae). Dies hat zur Folge, dass ein in Deutschland wirksames Besitzkonstitut im Ausland keine rechtliche Anerkennung finden muss und die Anforderungen im jeweiligen Land unterschiedlich sein können. Daher ist insbesondere bei internationalen Transaktionen eine sorgfältige Prüfung der jeweiligen nationalen Vorschriften und deren Anerkennung erforderlich, um einen wirksamen Eigentumsübergang zu gewährleisten. Die rechtliche Gestaltung muss somit gegebenenfalls an das ausländische Sachenrecht angepasst werden.