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Besitzentziehung


Begriff und rechtliche Einordnung der Besitzentziehung

Definition der Besitzentziehung

Die Besitzentziehung ist ein rechtlicher Vorgang, bei dem einer Person der tatsächliche Besitz an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache gegen oder ohne ihren Willen entzogen wird. Im deutschen Recht beschreibt Besitzentziehung das Wegnehmen oder dauerhafte Vorenthalten einer Sache, sodass der bisherige Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft verliert. Maßgeblich ist dabei nicht, ob der Entziehende ein Recht zum Besitz hat, sondern dass der bisherige Besitzer gewollt oder ungewollt seine Sachherrschaft aufgibt.

Bedeutungsabgrenzung zu Besitzstörung und Besitzerlangung

Die Besitzentziehung unterscheidet sich von der bloßen Besitzstörung, bei der lediglich die Ausübung des Besitzes beeinträchtigt wird, ohne dass der Besitzer die tatsächliche Gewalt vollständig verliert. Ebenso ist zwischen Besitzentziehung und Besitzerlangung zu differenzieren. Während bei der Besitzentziehung der ursprüngliche Besitzer seinen Besitz verliert, erlangt beim Vorgang der Besitzerlangung ein Dritter die tatsächliche Sachherrschaft.


Besitzentziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

Rechtliche Grundlagen

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) normiert die Besitzentziehung insbesondere im Zusammenhang mit den Besitzschutzvorschriften (§§ 858 ff. BGB). Nach § 858 Abs. 1 BGB liegt verbotene Eigenmacht vor, wenn dem Besitzer ohne seinen Willen der Besitz entzogen oder sonst widerrechtlich beeinträchtigt wird. Die Besitzentziehung kann sowohl durch unmittelbare Handlungen (z.B. Wegnahme einer Sache) als auch durch mittelbare Maßnahmen (z.B. Versperrung des Zugangs zu einer Immobilie) erfolgen.

Voraussetzungen einer Besitzentziehung

Für die Annahme einer Besitzentziehung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Vorliegen eines Besitzes: Eine Person muss zuvor die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache ausgeübt haben.
  • Handlung des Entziehenden: Es bedarf einer aktiven Maßnahme, durch die dem Besitzer die Sachherrschaft genommen wird.
  • Wille des Besitzers: Die Entziehung erfolgt gegen oder ohne den Willen des bisherigen Besitzers.
  • Ausnahme bei Duldung: Lässt der bisherige Besitzer die Sache freiwillig und bewusst zurück, liegt keine Besitzentziehung, sondern Besitzaufgabe vor.

Rechtsfolgen der Besitzentziehung

Wird einer Person der Besitz entzogen, stehen ihr verschiedene rechtliche Schutzmechanismen zu:

  • Selbsthilferecht (§ 859 BGB): Der Besitzer darf sich gegen verbotene Eigenmacht mit angemessenen Mitteln zur Wehr setzen und den Besitz selbst wiederherstellen, soweit die Besitzentziehung noch andauert oder unmittelbar zurückliegt.
  • Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes (§ 861 BGB): Der frühere Besitzer kann vom aktuellen Besitzer die Wiedereinräumung verlangen, sofern der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde.
  • Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch (§ 862 BGB): Liegt zusätzlich eine Besitzbeeinträchtigung vor, kann der Besitzer Beseitigung und zukünftige Unterlassung verlangen.

Besitzentziehung im Strafrecht

§ 242 StGB – Diebstahl

Im deutschen Strafrecht wird die Besitzentziehung insbesondere im Rahmen des Diebstahls (§ 242 Strafgesetzbuch – StGB) relevant. Hierbei wird dem bisherigen Besitzer eine bewegliche Sache gegen oder ohne seinen Willen weggenommen, um sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Besitz zu verschaffen. Die dauerhafte Besitzentziehung ist damit zentraler Tatbestand des Diebstahls.

Weitere strafrechtliche Tatbestände

Auch bei anderen Delikten, wie etwa bei der Unterschlagung (§ 246 StGB) oder der räuberischen Erpressung (§ 255 StGB), bildet die Besitzentziehung ein wesentliches Element der Tathandlung. Im Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 StGB) ist die Besitzentziehung mit dem Hinzukommen erschwerender Umstände verbunden, was zu einer höheren Strafandrohung führt.


Besitzentziehung im Zivilrecht

Eigentümer-Besitzer-Verhältnis und Rückgaberechte

Im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 987 ff. BGB) kann die Besitzentziehung zur Geltendmachung von Herausgabeansprüchen führen. Der Eigentümer, dem der Besitz an seiner Sache entzogen wurde, kann deren Rückgabe verlangen, sofern kein Recht zum Besitz seitens des Entziehenden vorliegt (§ 985 BGB).

Schutz von Eigen- und Fremdbesitz

Der gesetzliche Schutz vor Besitzentziehung bezieht sich sowohl auf den Eigenbesitz als auch auf den Besitz im Auftrag oder mit Einwilligung eines Dritten (Fremdbesitz). Hierbei ist unerheblich, ob der Besitzer zugleich auch Eigentümer der Sache ist.


Besitzentziehung im öffentlichen Recht

Enteignung und hoheitliche Eingriffe

Im öffentlichen Recht kann Besitzentziehung in Form hoheitlicher Eingriffe, insbesondere durch Enteignung (§ 87 Baugesetzbuch – BauGB), erfolgen. Hierbei wird dem Besitzer zwar gegen Entschädigung der Besitz an einem Grundstück oder einer Sache entzogen, jedoch in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt und auf gesetzlicher Grundlage.

Verwaltungszwang

Besitzentziehungen durch Verwaltungsakte, polizeiliche Wegnahmen oder andere Maßnahmen des Verwaltungszwangs unterliegen speziellen gesetzlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften. Der Betroffene hat die Möglichkeit, gegen unrechtmäßige Maßnahmen Rechtsmittel einzulegen.


Internationales Privatrecht

Besitzentziehung mit Auslandsbezug

Bei grenzüberschreitenden Besitzentziehungen, beispielsweise im Rahmen internationaler Diebstahlsdelikte oder Rückführung von Kulturgütern, können verschiedene Rechtsordnungen Anwendung finden. Hierbei spielen Regelungen des internationalen Privatrechts sowie völkerrechtliche Abkommen eine Rolle, etwa das UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder illegal ausgeführte Kulturgüter.


Zusammenfassung und Bedeutung der Besitzentziehung im Rechtssystem

Die Besitzentziehung ist ein zentrales Konzept im deutschen Zivil- und Strafrecht, das durch umfangreiche zivilrechtliche und strafrechtliche Schutzvorschriften flankiert wird. Sie betrifft sowohl den Schutz von Individuen in ihrem Eigentum und Besitz als auch die Wahrung öffentlicher Ordnung durch staatliche Maßnahmen. Durch die gesetzlichen Reglungen wird sichergestellt, dass Besitz nur unter bestimmten, klar definierten Voraussetzungen entzogen werden darf und betroffene Personen effektive Rechtsmittel zur Verfügung stehen.


Literaturhinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 858-872
  • Strafgesetzbuch (StGB), insbesondere §§ 242-246
  • Baugesetzbuch (BauGB)
  • UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder illegal ausgeführte Kulturgüter
  • MüKoBGB, Münchener Kommentar zum BGB, Band 1
  • Staudinger, Kommentar zum BGB

Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für eine rechtmäßige Besitzentziehung nach deutschem Recht vorliegen?

Im deutschen Recht ist die Besitzentziehung in verschiedenen Kontexten relevant, etwa im Sachenrecht (§§ 858 ff. BGB) oder Strafrecht (§ 242 StGB). Für eine rechtmäßige Besitzentziehung kommt es maßgeblich auf eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage an. Im Sachenrecht beispielsweise ist eine Besitzentziehung grundsätzlich nur dann rechtmäßig, wenn sie auf einer richterlichen Anordnung, einem vollstreckbaren Titel (z. B. Räumungstitel) oder einer ausdrücklichen Einwilligung des bisherigen Besitzers beruht. Jegliches eigenmächtiges Vorgehen ist regelmäßig als verbotene Eigenmacht gemäß § 858 Abs. 1 BGB rechtswidrig. Im strafrechtlichen Kontext muss eine Wegnahme gegen oder ohne den Willen des Besitzers erfolgen, um als Entziehung zu gelten. Zudem spielt der Besitzschutz nach § 859 BGB eine zentrale Rolle, der dem Besitzer ein Selbsthilferecht einräumt, um Besitzentziehungen abzuwehren, solange kein Gewohnheitsrecht oder Notwehr vorliegt.

Welche Ansprüche entstehen dem bisherigen Besitzer nach einer unrechtmäßigen Besitzentziehung?

Wurde einem Besitzer der Besitz unrechtmäßig entzogen, stehen ihm verschiedene Rechte und Ansprüche zu. Zum einen kann er gemäß § 861 BGB die sogenannte possessorische Besitzkehr verlangen, das heißt, er kann verlangen, dass der bisherige Zustand wiederhergestellt wird. Dies gilt vor allem für den unmittelbaren Besitzer. Weiterhin kann ein Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB (Eigentümer-Besitzer-Verhältnis) bestehen, sofern der Entziehende nicht zugleich Eigentümer der Sache ist. Im Falle eines Schadens, der aus der Entziehung resultiert, kann nach § 823 Abs. 1 BGB Schadenersatz verlangt werden, wenn eine unerlaubte Handlung – wie die verbotene Eigenmacht – vorliegt. Die genannten Ansprüche verjähren unterschiedlich schnell; der Anspruch auf Besitzkehr nach § 861 BGB muss innerhalb eines Jahres ab Entziehung geltend gemacht werden.

Inwiefern ist der Besitzschutz nach § 859 BGB auf Fälle der Besitzentziehung anwendbar?

§ 859 BGB regelt das Selbsthilferecht des Besitzers zur Abwehr oder Rückholung des Besitzes nach einer Besitzentziehung. Dieses Recht erlaubt es dem unmittelbaren Besitzer, sich der Besitzentziehung mit Gewalt zu widersetzen oder den Besitz unverzüglich zurückzunehmen, wenn ihm dieser durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde. Dabei ist zu beachten, dass die Ausübung dieses Rechts an enge Voraussetzungen gebunden ist: Die Rücknahme muss „sofort“ und damit praktisch im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Entziehung erfolgen. Jede verzögerte Rücknahme ist nicht durch § 859 BGB gedeckt und müsste gegebenenfalls gerichtlich durchgesetzt werden. Das Selbsthilferecht umfasst neben beweglichen Sachen auch Immobilien, allerdings gelten bei Hausrecht und Räumung weitergehende Einschränkungen, etwa durch das Gewaltverbot und die Zuständigkeit staatlicher Organe.

Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen bei unrechtmäßiger Besitzentziehung?

Eine unrechtmäßige Besitzentziehung kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere wenn sie im Rahmen einer Wegnahme (§ 242 StGB, Diebstahl) bzw. einer widerrechtlichen Aneignung erfolgt. Wer ohne Einwilligung des Besitzers eine fremde bewegliche Sache wegnimmt, macht sich des Diebstahls strafbar; bei Anwendung von Gewalt oder Drohung kann auch ein Raub (§ 249 StGB) vorliegen. Wird der Besitzer gezwungen, seine Sache herauszugeben, kann zudem eine Nötigung (§ 240 StGB) vorliegen. Darüber hinaus ist die verbotene Eigenmacht strafbar, wenn mit der Entziehung eine Sachbeschädigung (§ 303 StGB) einhergeht. Die Folgen reichen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen, abhängig von Schwere und Umständen der Tat.

Gibt es Ausnahmen, in denen eine Besitzentziehung ohne rechtliche Konsequenzen zulässig ist?

Es existieren Ausnahmefälle, in denen eine Besitzentziehung rechtlich zulässig ist. Besonders hervorzuheben sind das Notwehrrecht (§ 227 BGB) und der Notstand (§ 228, § 904 BGB), wonach in bestimmten Situationen – etwa zur eigenen Verteidigung oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr – auch eine Besitzentziehung rechtmäßig sein kann. Weiterhin dürfen Behörden unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen hoheitlicher Maßnahmen (z. B. Beschlagnahme gemäß Strafprozessordnung oder Gefahrenabwehr) Besitz entziehen. Vorausgesetzt, die gesetzlichen Anforderungen (Verdachtsgrad, Verhältnismäßigkeit, rechtliche Grundlage) sind erfüllt, entsteht für die betroffene Person kein Anspruch auf Herausgabe während der Maßnahme.

Wie unterscheiden sich Besitzentziehung und Besitzdiener im rechtlichen Kontext?

Der Besitzdiener im Sinne des § 855 BGB ist eine Person, die die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen, den sogenannten Besitzherrn, ausübt und dabei dessen Weisungen unterliegt. Eine an einem Besitzdiener begangene Besitzentziehung ist rechtlich so zu behandeln, als ob sie am Besitzherrn selbst vorgenommen worden wäre. Juristisch relevant ist diese Unterscheidung insbesondere im Zusammenhang mit Ansprüchen aus Besitzschutz (§§ 861, 862 BGB), da nur der Besitzherr als Anspruchsberechtigter gilt. Besitzdiener können folglich selbst keine eigenständigen Besitzschutzrechte geltend machen, da sie keine eigenen Besitzrechte im Sinne des Gesetzes erwerben. Eine Besitzentziehung, die allein am Besitzdiener vorgenommen wird, berührt also stets den Besitz des Besitzherrn.

Welche Rolle spielt die Verschaffung des Eigenbesitzes im Zusammenhang mit Besitzentziehung?

Die Verschaffung des Eigenbesitzes spielt insbesondere im Kontext von Eigentumserwerb, Besitzschutz und Herausgabeansprüchen eine Rolle. Erlangt eine Person durch Entziehung fremden Besitzes Eigenbesitz, so kann sie – auch bei fehlender Eigentümerstellung – unter Umständen selbst Besitzschutz gegenüber Dritten beanspruchen. Gegenüber dem ursprünglichen Besitzer steht sie jedoch zunächst in keinem stärkeren Recht. Der entziehende Eigenbesitzer ist in solchen Fällen oft Herausgabeschuldner gemäß § 985 BGB, es sei denn, er kann einen Rechtfertigungsgrund (z. B. Zurückbehaltungsrecht oder Pfandrecht) vorweisen. Kommt es hingegen zwischen zwei Nichtberechtigten zur Besitzentziehung, entscheidet das stärkere Besitzrecht (bspw. der frühere Eigenbesitz) über die zulässigen Ansprüche. Besondere Bedeutung erhält dies bei sogenannten Kettenbesitzverhältnissen und dem Gutglaubenserwerb.