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Beschäftigungspflicht


Begriffsdefinition und rechtliche Einordnung der Beschäftigungspflicht

Die Beschäftigungspflicht bezeichnet im deutschen Arbeitsrecht die rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer nicht nur eine Vergütung zu zahlen, sondern auch tatsächlich eine Arbeitsmöglichkeit zu verschaffen. Diese Pflicht bildet einen zentralen Bestandteil des Arbeitsverhältnisses und ist eng mit dem Grundsatz der persönlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers verbunden. Sie stellt sicher, dass das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis – Arbeitsleistung gegen Entgelt – in beiderseitigem Interesse und unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes vollzogen wird.

Grundlegende Rechtsgrundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) enthält keine ausdrückliche Regelung der Beschäftigungspflicht. Vielmehr ergibt sich diese Pflicht als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag (§ 611a BGB) und darüber hinaus aus allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts. Der Arbeitgeber ist demnach verpflichtet, den Arbeitnehmer zur Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung tatsächlich zu beschäftigen.

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und Tarifrecht

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und einschlägigen Tarifverträgen können sich zudem ergänzende Regelungen zur Ausgestaltung der Beschäftigungspflicht ergeben, etwa hinsichtlich Versetzungen oder Arbeitsplatzgestaltung. Die Interessenvertretung der Arbeitnehmer (Betriebsrat) kann bei bestimmten Maßnahmen Mitbestimmungsrechte geltend machen.

Inhalt und Reichweite der Beschäftigungspflicht

Persönlicher Beschäftigungsanspruch

Der persönliche Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers bedeutet, dass der Arbeitgeber die tatsächliche Arbeitsaufnahme sowie Ausführung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit ermöglichen muss. Dies umfasst insbesondere:

  • Die Bereitstellung eines entsprechenden Arbeitsplatzes
  • Die Ausstattung mit notwendigen Arbeitsmitteln
  • Die Vermeidung unwesentlicher Tätigkeitsänderungen ohne wirksame arbeitsvertragliche Vereinbarung

Der Anspruch kann in der Regel gerichtlich durchgesetzt werden, etwa mittels Leistungsklage auf Beschäftigung.

Besonderer Persönlichkeitsschutz

Die Beschäftigungspflicht dient dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers. In der Rechtsprechung wird darauf abgestellt, dass der Arbeitnehmer durch sinnvolle Arbeitserfüllung persönliche Wertschätzung erlangt und seine berufliche Entwicklung fördert. Die Beschäftigung verhindert zudem Stigmatisierung und die Gefahr eines Karriereknicks durch unberechtigte Freistellung oder Nichtbeschäftigung.

Einschränkungen und Ausnahmen der Beschäftigungspflicht

Betriebliche Gründe

Die Beschäftigungspflicht ist nicht absolut. Der Arbeitgeber kann berechtigt sein, den Arbeitnehmer vorübergehend nicht zu beschäftigen, wenn dringende betriebliche Gründe vorliegen – beispielsweise bei einer vorübergehenden Betriebsschließung, aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses oder im Rahmen rechtmäßiger Kurzarbeit.

Tätigkeitsverbote und Unzumutbarkeit

In Ausnahmefällen entfällt die Beschäftigungspflicht auch bei gesetzlichen Beschäftigungsverboten (z. B. Mutterschutz, Quarantäne nach Infektionsschutzgesetz) oder wenn die Beschäftigung dem Arbeitgeber unzumutbar ist (z. B. bei schweren betrieblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers).

Recht zur einseitigen Freistellung

Die Freistellung ohne arbeitsvertragliche oder gesetzliche Grundlage ist nur in besonders gelagerten Fällen zulässig, beispielsweise während ordnungsgemäß gewährten Urlaubs, im Rahmen des Annahmeverzugs oder bei dringenden Verdachtsfällen, bei denen eine Weiterbeschäftigung bis zur Klärung unzumutbar wäre.

Durchsetzung und Rechtsschutz

Beschäftigungsklage

Der Arbeitnehmer kann seinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung gerichtlich durchsetzen. Arbeitsgerichte prüfen dabei das Vorliegen und Fortbestehen der Beschäftigungspflicht. Bei rechtswidrigen Freistellungen kann die gerichtliche Anordnung der tatsächlichen Beschäftigung durchgesetzt werden.

Mitbestimmungsrechte

In Bezug auf die Ausgestaltung und etwaige Einschränkung der Beschäftigungspflicht greifen betriebliche Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG, insbesondere bei Versetzungen, wesentlichen Änderungen der Arbeitsbedingungen oder bei Einführung von Kurzarbeit.

Besondere Fallkonstellationen

Beschäftigungspflicht Schwerbehinderter

Das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) schreibt öffentlichen und privaten Arbeitgebern vor, schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Beschäftigungspflicht auf geeigneten Arbeitsplätzen zu beschäftigen (§ 154 SGB IX). Dies dient der Teilhabe am Arbeitsleben und ist mit besonderen Förder- und Schutzrechten ausgestattet.

Beschäftigungspflicht gegenüber Auszubildenden

Für Auszubildende ergeben sich aus § 14 Berufsbildungsgesetz (BBiG) erhöhte Schutzpflichten. Der Ausbildende ist verpflichtet, dem Auszubildenden die zum Ausbildungsziel nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse tatsächlich zu vermitteln und eine angemessene Beschäftigung zu ermöglichen.

Besonderheiten im öffentlichen Dienst

Auch im öffentlichen Dienst findet die Beschäftigungspflicht Anwendung, wobei sich Besonderheiten aus dem Beamtenrecht und dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ergeben. Insbesondere gilt ein Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung.

Beendigung und Suspendierung der Beschäftigungspflicht

Kündigung und Aufhebungsvertrag

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sei es durch Kündigung, Aufhebungsvertrag oder Ablauf eines befristeten Vertrages, entfällt die Pflicht zur Beschäftigung grundsätzlich.

Suspendierung während Kündigungsfristen

Während einer Kündigungsfrist kann eine einseitige Suspendierung nur ausnahmsweise und bei Vorliegen eines sachlichen, triftigen Grundes erfolgen. Regelmäßig bleibt der Beschäftigungsanspruch bis zum rechtlichen Ende des Vertrages bestehen.

Fazit

Die Beschäftigungspflicht ist ein integraler Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts und schützt sowohl die Interessen des Arbeitnehmers an tatsächlicher Beschäftigung als auch die Erfüllung des arbeitsvertraglichen Leistungsaustauschs. Die Pflicht ist gesetzlich nicht explizit verankert, ergibt sich jedoch zwingend aus dem Arbeitsvertrag und wird durch zahlreiche Schutzmechanismen flankiert. Sie kann im Einzelfall durch gesetzliche, tarifliche oder vertragliche Regelungen modifiziert werden, ist aber grundsätzlich verbindlich, solange das Arbeitsverhältnis besteht. Bei Streitigkeiten über ihren Umfang oder ihre Einschränkung gewährleisten die Arbeitsgerichte effektiven Rechtsschutz.

Häufig gestellte Fragen

Welche Unternehmen unterliegen der Beschäftigungspflicht?

Unternehmen, beziehungsweise Arbeitgeber, unterliegen der Beschäftigungspflicht gemäß § 154 SGB IX, wenn sie im Jahresdurchschnitt monatlich mindestens 20 Arbeitsplätze haben. Die Verpflichtung greift unabhängig von der Branche und gilt für private Unternehmen ebenso wie für öffentliche Arbeitgeber. Maßgeblich ist dabei die sogenannte Arbeitsplatzzahl, nicht die Personalstärke: Es zählen alle Arbeitsplätze mit, auch Teilzeitstellen, sofern sie sozialversicherungspflichtig sind und nicht befristet für weniger als acht Wochen pro Jahr besetzt werden. Ausgenommen sind jedoch Auszubildende, Personen in reiner Fort- oder Weiterbildung sowie Beschäftigte, die weniger als 18 Stunden wöchentlich tätig sind. Für Filialbetriebe oder Konzernstrukturen erfolgt die Berechnung grundsätzlich auf Betriebsebene, es sei denn, die Personalführung ist zentral organisiert. Bei Arbeitgebern mit mehreren Betriebsstätten wird gegebenenfalls eine Gesamtbetrachtung angestellt.

Wie hoch ist die gesetzlich vorgeschriebene Beschäftigungsquote für schwerbehinderte Menschen?

Die gesetzlich vorgeschriebene Beschäftigungsquote für schwerbehinderte Menschen beträgt nach § 154 Abs. 1 SGB IX 5 Prozent der Arbeitsplätze. Diese Quote gilt gleichermaßen für öffentliche wie private Arbeitgeber. Bei der Berechnung wird die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gemäß § 2 SGB IX zugrunde gelegt. Dabei können auch gleichgestellte behinderte Menschen (nach § 2 Abs. 3 SGB IX) auf die Quote angerechnet werden. Ein Arbeitgeber mit beispielsweise 100 Arbeitsplätzen muss somit mindestens fünf schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen beschäftigen. Die Berechnung der Quote erfolgt jährlich und ist jeweils zum 31. März des Folgejahres für das Vorjahr der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden.

Was passiert, wenn ein Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht nicht erfüllt?

Kommt ein Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht ganz oder teilweise nicht nach, ist gemäß § 160 SGB IX eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Die Höhe dieser Abgabe staffelt sich nach dem Grad der Nichterfüllung: Für kleinere Unternehmen ab 20 bis unter 40 Beschäftigten, die keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, beträgt der Satz aktuell 140 Euro pro Monat und unbesetztem Pflichtplatz. Bei größeren Unternehmen steigt dieser Betrag gestaffelt auf bis zu 360 Euro. Die konkrete Höhe wird jährlich durch Rechtsverordnung angepasst. Die Ausgleichsabgabe ist für jedes Kalenderjahr selbständig zu berechnen und unaufgefordert an die Integrationskasse bei der für den Unternehmenssitz zuständigen Agentur für Arbeit zu zahlen, wobei die Frist jeweils zum 31. März des Folgejahres endet. Eine verspätete oder unterlassene Zahlung kann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Können Arbeitgeber sich von der Beschäftigungspflicht befreien lassen?

Eine generelle Befreiung von der Beschäftigungspflicht besteht im Gesetz nicht. Jedoch enthält § 159 SGB IX wenige Ausnahmeregelungen, zum Beispiel für Betriebe, die ganz überwiegend nach Art und Schwere der Behinderung nicht in der Lage sind, entsprechende Arbeitsplätze bereitzustellen. In seltenen Fällen kann auf Antrag eine Befreiung gewährt werden, insbesondere, wenn die Erfüllung der Pflicht im Einzelfall aus betrieblichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist. Die Entscheidung hierüber trifft die Agentur für Arbeit im Einzelfall. Losgelöst hiervon ist die Möglichkeit, besondere Personengruppen (z.B. ehemalige Soldaten mit Wehrdienstbeschädigung, Werkstattbeschäftigte) unter bestimmten Voraussetzungen auf die Beschäftigungsquote anzurechnen.

Wie erfolgt die Meldung und Überprüfung der Beschäftigungspflicht?

Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, jährlich eine sogenannte Anzeige nach § 163 SGB IX abzugeben. Diese muss bis spätestens 31. März des Folgejahres für das vorangegangene Kalenderjahr an die zuständige Agentur für Arbeit übermittelt werden. Die Meldung erfolgt in elektronischer Form mittels des vorgeschriebenen Anzeigeverfahrens (Software „IW-Elan“). In der Anzeige sind Angaben zu allen Arbeitsplätzen, zu den beschäftigten schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen, zur gegebenenfalls zu zahlenden Ausgleichsabgabe sowie zu weiteren anrechenbaren Tatbeständen zu machen. Die Agentur für Arbeit prüft die Angaben und fordert gegebenenfalls Nachweise oder Ergänzungen an. Verstöße gegen die Anzeige- oder Zahlungspflichten können als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern geahndet werden.

Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber, ihrer Beschäftigungspflicht nachzukommen?

Arbeitgeber können ihre Pflicht durch die tatsächliche Beschäftigung schwerbehinderter oder gleichgestellter Menschen erfüllen. Darüber hinaus ist die Anrechnung besonderer Beschäftigungsverhältnisse möglich: So werden in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigte Personen (bis zu 50 Prozent) und bestimmte externe Maßnahmen teilweise auf die Beschäftigungsquote angerechnet (§ 160 Abs. 2 SGB IX). Auch Beschäftigungsverhältnisse mit besonders betroffenen schwerbehinderten Menschen sowie mit ehemaligen Soldaten nach Wehrdienstbeschädigung werden besonders gewichtet. Nicht möglich ist es allerdings, die Verpflichtung durch reine finanzielle Leistungen oder projektbezogene Teilnahmen zu ersetzen, sofern kein entsprechendes Anrechnungsmodell vom Gesetz vorgesehen ist.

Gibt es Sanktionen bei Verstößen gegen die Beschäftigungspflicht?

Ja, werden die gesetzlichen Pflichten nicht eingehalten – etwa durch die unterlassene Anzeige, falsche Angaben, verspätete oder ausgefallene Zahlung der Ausgleichsabgabe – drohen sowohl finanzielle als auch verwaltungsrechtliche Sanktionen. Dies umfasst insbesondere Bußgelder nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 238 SGB IX), die von den Integrationsämtern verhängt werden können. Auch kann die Integrationsverwaltung Maßnahmen zur Nachbesserung anordnen. Zudem erhöhen Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht das Risiko einer Überprüfung durch Behörden und können im Ernstfall reputationsschädigende Konsequenzen für den Arbeitgeber nach sich ziehen. Die Einhaltung und Umsetzung der Beschäftigungspflicht steht daher regelmäßig auch im Fokus arbeitsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Prüfungen.