Begriff und Definition der Besatzungsgerichte
Der Begriff Besatzungsgerichte bezeichnet gerichtliche Instanzen, die von Besatzungsmächten nach der militärischen Einnahme eines Staatsgebietes eingerichtet werden, um die Gerichtsbarkeit im betroffenen Territorium sicherzustellen. In der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist die Bezeichnung insbesondere im Zusammenhang mit der Besetzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg von Bedeutung. Die Besatzungsgerichte fungierten in dieser Zeit als Instrument der jeweiligen Besatzungsmacht zur Durchsetzung von Recht und Ordnung innerhalb des besetzten Gebietes.
Besatzungsgerichte unterscheiden sich von regulären nationalen Gerichten dadurch, dass sie rechtlich unmittelbar an den Willen der jeweiligen Besatzungsmacht gebunden sind und deren Rechtssystem sowie Weisungen unterliegen.
Historische Entstehung und Entwicklung
Besatzungsgerichte im Völkerrecht
Nach dem Völkerrecht sind Besatzungsmächte grundsätzlich verpflichtet, die Gesetze des besetzten Gebietes (soweit diese nicht die Besatzungsmacht gefährden) aufrechtzuerhalten. Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung von 1907 sieht vor, dass eine Besatzungsmacht für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im besetzten Gebiet sorgt. Zur Durchsetzung dieser Verpflichtung bedienen sich Besatzungsmächte häufig der Schaffung von Besatzungsgerichten.
Besatzungsgerichte in Deutschland nach 1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Deutschland in vier Besatzungszonen geteilt. In jeder Zone richteten die jeweiligen Mächte (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion) unterschiedliche Besatzungsgerichte mit teils weitreichenden Kompetenzen ein. Diese Gerichte arbeiteten auf der Grundlage des jeweiligen Besatzungsrechts, das durch die jeweiligen alliierten Kommandanturen bestimmt wurde.
Rechtliche Grundlagen der Besatzungsgerichte
Rechtsgrundlagen in der Besatzungszeit
Die Einrichtung von Besatzungsgerichten gründete sich sowohl auf völkerrechtliche Regeln als auch auf spezifische Anordnungen der alliierten Militärregierung. Das sogenannte „Alliierte Kontrollrecht“ und das „Besatzungsstatut“ bildeten die rechtliche Basis für die Einführung und Tätigkeit der Besatzungsgerichte. In ihrer Tätigkeit unterlagen diese Gerichte keinerlei Weisungsbindung an deutsche Institutionen, sondern ausschließlich der jeweiligen Besatzungsmacht.
Zuständigkeiten und Verfahren
Die Besatzungsgerichte waren in der Regel für folgende Sachverhalte zuständig:
- Strafsachen gegen Angehörige der Besatzungsmächte und gegen Zivilpersonen, die gegen Besatzungsanordnungen verstießen
- Zivilsachen mit besonderer Relevanz für die Besatzungsmacht (z. B. Eigentumsstreitigkeiten mit Bezug auf beschlagnahmtes Vermögen)
- Ordnungswidrigkeiten nach Besatzungsrecht
Das Verfahren vor den Besatzungsgerichten wich häufig erheblich von nationalen Prozessordnungen ab. Es war vielfach geprägt durch vereinfachte Verfahrensregeln und das Fehlen von Rechtsmitteln gegen ergangene Urteile.
Aufbau und Organisation der Besatzungsgerichte
Gerichtstypen und Instanzenzug
Es existierten unterschiedliche Typen von Besatzungsgerichten, darunter
- Militärgerichte: Zuständig vor allem für Strafverfahren gegen Zivilisten und Militärangehörige
- Zivilgerichte: Behandelten zivilrechtliche Streitsachen mit Bezug zum Besatzungsrecht
- Sondergerichte: Eingesetzt für besonders relevante oder politische Verfahren
Der Instanzenzug variierte zwischen den Sektoren. Eine übergeordnete Kontrollinstanz bildeten vielfach alliierte Obergerichte oder die jeweilige Besatzungsmacht selbst.
Bedeutung und Auswirkungen von Entscheidungen der Besatzungsgerichte
Rechtskraft und Überprüfbarkeit
Urteile der Besatzungsgerichte besaßen grundsätzlich vollstreckbare Rechtskraft. In den meisten Fällen war keine Berufung oder Revision vor unabhängigen Gerichten möglich. Die Überprüfung und Aufhebung von Urteilen erfolgte allein durch Instanzen der Besatzungsmacht oder durch deren Gnadenrecht.
Nachwirkung nach Ende der Besatzung
Mit dem Ende der Besatzungszeit und der Wiederherstellung der nationalen Gerichtsbarkeit stellte sich die Frage, inwieweit Entscheidungen der Besatzungsgerichte weiter Bestand hatten. Grundsätzlich blieben vollstreckte Entscheidungen in Kraft, einzelne Entscheidungen wurden jedoch in Wiederaufnahmeverfahren oder durch politische Entscheidungen überprüft oder revidiert.
Abgrenzung zu anderen Gerichten
Unterschiede zu Militärtribunalen und nationalen Sondergerichten
Im Unterschied zu reinen Militärtribunalen, die oft ausschließlich für Kriegsverbrechen und ähnliches zuständig waren, hatten Besatzungsgerichte ein umfassenderes Aufgabenfeld. Im Gegensatz zu nationalen Sondergerichten unterlagen sie auch nicht dem internen Rechtssystem des betroffenen Staates.
Literatur und Quellen
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Besatzungsgerichte basiert auf Gesetzestexten, völkerrechtlichen Bestimmungen wie der Haager Landkriegsordnung, alliierten Anordnungen sowie zahlreichen historischen Analysen und Studien zur Rechtslage in den Nachkriegsjahren.
Zusammenfassung:
Besatzungsgerichte stellen eine eigenständige Form der Gerichtsbarkeit dar, die während militärischer Besatzung zur Sicherstellung von Recht, Ordnung und Durchsetzung von Besatzungsinteressen eingesetzt werden. Ihr rechtlicher Rahmen sowie ihre Wirkung sind eng mit dem Völkerrecht und den spezifischen Anordnungen der jeweiligen Besatzungsmacht verbunden. Die Nachwirkungen der Besatzungsgerichtsbarkeit sind sowohl rechtlich als auch historisch bis heute von Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Zuständigkeit hatten Besatzungsgerichte nach dem Zweiten Weltkrieg?
Besatzungsgerichte, errichtet von den alliierten Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg, besaßen eine umfassende Zuständigkeit hinsichtlich straf-, zivil- und teilweise verwaltungsrechtlicher Angelegenheiten. Ihre gerichtliche Autorität erstreckte sich insbesondere auf Straftaten gegen alliierte Interessen, Verstöße gegen alliierte Anordnungen sowie auf sogenannte „Kontrollratsgesetze“. Daneben behandelten sie auch zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Deutschen und alliierten Staatsangehörigen sowie bestimmte politische Delikte, etwa im Zusammenhang mit Entnazifizierungsmaßnahmen. Die alliierte Rechtsprechung hatte Vorrang vor jeder nationalen deutschen Gerichtsbarkeit und konnte selbst Entscheidungen deutscher Gerichte aufheben oder korrigieren.
Wie war das Verfahren vor einem Besatzungsgericht ausgestaltet?
Das Verfahren vor Besatzungsgerichten richtete sich primär nach den Vorgaben und Anweisungen der jeweiligen Besatzungsmacht. Deutsche Verfahrensgrundsätze, wie etwa die Strafprozessordnung oder Zivilprozessordnung, fanden nur Anwendung, sofern die alliierte Militärverwaltung dies ausdrücklich erlaubte. Häufig galten spezielle Verfahrensordnungen der jeweiligen Militärregierung, die etwa eine verkürzte Beweisaufnahme oder Einschränkungen beim Recht auf Verteidigung vorsahen. Urteile konnten oftmals nur durch alliierte Dienststellen überprüft werden; eine Berufung im herkömmlichen Sinne war regelmäßig ausgeschlossen. Die Verfahren waren mitunter von einer ausgeprägten Rechtsunsicherheit und politischen Prägung beeinflusst.
Welche Rechtsmittel standen gegen Urteile von Besatzungsgerichten zur Verfügung?
Die Möglichkeiten, gegen Urteile von Besatzungsgerichten vorzugehen, waren im Vergleich zu regulären Gerichten erheblich beschränkt. In der Regel existierte kein klassisches Rechtsmittel wie Berufung oder Revision. Es bestand jedoch insbesondere bei härteren Sanktionen (wie Todesurteil oder langjährigen Haftstrafen) die Möglichkeit, ein Gnadengesuch an die jeweilige Militärregierung zu stellen. In wenigen Fällen waren interne Überprüfungsverfahren vorgesehen, die allerdings ausschließlich von der Besatzungsmacht initiiert werden konnten und nicht dem Rechtsschutzsystem der Angeklagten entsprachen.
Inwiefern war das Prinzip der Unabhängigkeit der Richter bei Besatzungsgerichten gewahrt?
Das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit war bei Besatzungsgerichten lediglich eingeschränkt vorhanden. Die Richter beziehungsweise Richterkommissionen bestanden fast ausschließlich aus Angehörigen der alliierter Militärbehörden oder von ihnen eingesetzten Zivilisten. Diese Beamten waren unmittelbar den Vorgaben ihrer jeweiligen Militärregierungen unterworfen und in ihren Entscheidungen oftmals an Weisungen gebunden. Eigenständige Rechtsprechungsgewalt, losgelöst von politischen Interessen der Besatzungsmächte, war daher kaum gegeben. Teilweise wurden auch Maßnahmen getroffen, um bestimmte Personen oder Tatbestände im Vorfeld gezielt einer bestimmten Gerichtsbarkeit zuzuweisen.
Gab es eine rechtliche Grundlage für die Einrichtung von Besatzungsgerichten in Deutschland?
Die rechtliche Grundlage der Besatzungsgerichte gründete sich vor allem aus dem Völkerrecht, insbesondere dem Haager Landkriegsordnung und den Vereinbarungen auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam. Weiterhin legitimierten sich diese Gerichte durch die alliierten Kontrollratsgesetze und Verordnungen der Militärregierungen, welche die oberste staatliche Gewalt über das besetzte Deutschland ausübten. Nach völkerrechtlicher Auffassung lag während der Besatzung die höchste Gewalt (supreme authority) beim Militärbefehlshaber, was die Errichtung von Sondergerichten einschloss, sofern dies „zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit“ für nötig erachtet wurde.
Wie wirkte sich die Tätigkeit der Besatzungsgerichte auf das deutsche Justizwesen aus?
Die Präsenz und Rechtsprechung der Besatzungsgerichte führten zu einer massiven Einschränkung der Souveränität und des Gestaltungsspielraums des deutschen Justizsystems. Traditionelle Kompetenzen der deutschen Gerichte wurden zeitweise vollständig suspendiert oder konnten nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch alliierte Stellen wahrgenommen werden. Zahlreiche deutsche Richter und Justizbedienstete wurden zudem im Rahmen der Entnazifizierung aus dem Dienst entfernt, was zu Personalengpässen und einer erheblichen Umstrukturierung der deutschen Justiz führte. Erst mit der schrittweisen Rückgabe gerichtlicher Zuständigkeiten konnten nach und nach wieder deutsche Gerichte tätig werden, jedoch blieben teils bis in die 1950er-Jahre Sonderzuständigkeiten der Besatzungsgerichte bestehen.
Welche besonderen Verfahrensgarantien galten für Angeklagte vor Besatzungsgerichten?
Die Verfahrensgarantien für Angeklagte vor Besatzungsgerichten waren meist geringer ausgestaltet als in der deutschen Straf- bzw. Zivilgerichtsbarkeit. Zwar gab es häufig Verteidigungsmöglichkeiten, doch waren diese durch eingeschränkten Zugang zu Akten, limitierte Anwesenheit von Rechtsbeiständen und eingeschränkte Beweisaufnahme beschränkt. Die Übersetzungsdienste waren nicht immer gewährleistet, Mitspracherechte deutscher Anwälte gegenüber alliierten Behörden waren gering. Ein umfassendes Recht auf einen fairen, öffentlichen Prozess nach europäischen Maßstäben bestand daher vielfach nicht. Erst mit dem Fortschreiten der Demokratisierung wurden sukzessive Mindeststandards rechtsstaatlichen Verfahrens eingeführt.