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Berufsunfähigkeitsrente


Begriff und rechtliche Einordnung der Berufsunfähigkeitsrente

Die Berufsunfähigkeitsrente ist eine Zahlung, die an eine versicherte Person geleistet wird, wenn diese aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt in der Lage ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf oder eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben. Die Berufsunfähigkeitsrente kann aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung oder, seltener, aus gesetzlichen Regelungen stammen. In Deutschland ist der Begriff sowohl im Sozialversicherungsrecht als auch im Privatrecht verankert und von zentraler Bedeutung im Versicherungsrecht sowie im Bereich der Existenzsicherung.


Rechtliche Grundlagen der Berufsunfähigkeitsrente

Abgrenzung zur Erwerbsminderungsrente

Während die gesetzliche Erwerbsminderungsrente auf den allgemeinen Arbeitsmarkt Bezug nimmt und die Fähigkeit zur Ausübung irgendeiner Erwerbstätigkeit bewertet, knüpft die Berufsunfähigkeitsrente an die Ausübung des letzten ausgeübten Berufs an. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied in der Anspruchsvoraussetzung sowie in der Leistungsgewährung dar.

Gesetzliche Regelungen

Gesetzliche Rentenversicherung

Nach der Rentenreform 2001 wurde die gesetzliche Berufsunfähigkeitsrente für nach dem 1. Januar 1961 geborene Personen abgeschafft. Für diesen Personenkreis ist ausschließlich die Erwerbsminderungsrente (§ 43 SGB VI) maßgeblich. Für vor 1961 Geborene bestehen sogenannte Bestandsrechte; sie können unter bestimmten sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch eine Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen.

Private Berufsunfähigkeitsversicherung

Im Bereich der privaten Vorsorge ist die Berufsunfähigkeitsrente Gegenstand eigenständiger Versicherungsverträge. Die vertraglichen Regelungen orientieren sich an den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die auf dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) fußen. Vertragsgestaltungen, Definitionen, Bedingungen, Leistungsauslöser sowie das Antrags- und Leistungsprüfungsverfahren sind detailliert im Vertrag festgelegt.


Anspruchsvoraussetzungen

Berufsunfähigkeit im rechtlichen Sinn

Berufsunfähigkeit im Kontext der privaten Versicherung wird üblicherweise wie folgt definiert: Berufsunfähig ist, wer infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zu mindestens 50 Prozent außerstande ist, den zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Maßgeblich sind medizinische sowie berufsspezifische Kriterien.

Nachweispflicht und Beweislast

Die versicherte Person trägt die Nachweispflicht für das Vorliegen der Berufsunfähigkeit. Hierzu sind ärztliche Atteste, Gutachten und berufskundliche Stellungnahmen erforderlich. Der Versicherer prüft sowohl den medizinischen Zustand als auch die konkrete Ausgestaltung der bisherigen Berufstätigkeit.


Bedeutung des „abstrakten“ und „konkreten“ Verweisungsrechts

In vielen Versicherungsverträgen ist geregelt, inwieweit die versicherte Person auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden kann („Verweisungsklausel“):

  • Abstrakte Verweisung: Der Versicherer kann darauf verweisen, dass eine andere, dem bisherigen Beruf vergleichbare Tätigkeit ausgeübt werden könnte, auch wenn diese tatsächlich nicht ausgeübt wird.
  • Konkrete Verweisung: Die Verweisung ist nur zulässig, wenn die versicherte Person tatsächlich eine andere Tätigkeit ausübt.

In neueren Verträgen findet sich meist die konkrete Verweisung, was die Verbraucherrechte stärkt und den tatsächlichen Lebensumständen Rechnung trägt.


Beginn und Ende der Berufsunfähigkeitsrente

Leistungsbeginn

Die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente beginnt mit dem vertraglich geregelten Zeitpunkt, typischerweise nach Ablauf einer meist sechsmonatigen Karenzzeit nach Eintritt der Berufsunfähigkeit. Rückwirkende Zahlungen sind je nach Vertrag möglich.

Leistungsdauer und -ende

Die Rentenzahlung endet mit Wiederherstellung der Berufsfähigkeit, dem Eintritt ins Rentenalter oder mit dem Tod der versicherten Person. Verträge sehen jährliche oder mehrjährige Nachprüfungen der Berufsunfähigkeit vor; der Versicherer kann die Leistung einstellen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.


Verfahren der Leistungsprüfung

Die Leistungsprüfung erfolgt in mehreren Schritten:

  1. Anzeige der Berufsunfähigkeit

Die betroffene Person muss dem Versicherer die Berufsunfähigkeit anzeigen und alle relevanten Unterlagen einreichen.

  1. Begutachtung

Medizinische Sachverständigengutachten und berufskundliche Stellungnahmen werden eingeholt.

  1. Entscheidung des Versicherers

Nach vollständiger Prüfung wird über die Leistungspflicht entschieden.

Möchte der Versicherer die Zahlung beenden, muss er die Besserung des Gesundheitszustands darlegen und beweisen.


Steuerliche Behandlung der Berufsunfähigkeitsrente

Die steuerliche Behandlung richtet sich nach der Art des Vertrags:

  • Bei einer als Zusatzversicherung zur privaten Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung sind im Regelfall nur die Erträge, nicht die komplette Leistung, steuerpflichtig.
  • Wird die Berufsunfähigkeitsversicherung separat abgeschlossen, gelten die Zahlungen als sonstige Einkünfte und sind einkommensteuerpflichtig. Oft wird nur der Ertragsanteil versteuert.

Leistungsausschlüsse und Obliegenheiten

Versicherungsverträge regeln Fälle, in denen ein Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente ausgeschlossen ist, beispielsweise bei vorsätzlicher Herbeiführung der Berufsunfähigkeit, bei schweren Straftaten oder bei Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten (Obliegenheitsverletzungen).


Rechtliche Streitigkeiten und Prozessuales

Im Fall der Leistungsablehnung durch den Versicherer ist der Klageweg zum Zivilgericht möglich. Zentrale Streitpunkte sind die Auslegung der Berufsunfähigkeitsdefinition, die Qualität der medizinischen Gutachten sowie die Zulässigkeit einer Verweisung. Die Beweislast für das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit liegt grundsätzlich bei der versicherten Person.


Zusammenfassung

Die Berufsunfähigkeitsrente ist ein zentrales Element der individuellen Existenzsicherung. Durch die Komplexität der vertraglichen, medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen ist sowohl bei Vertragsabschluss als auch im Leistungsfall eine umfassende Prüfung erforderlich. Das Recht der Berufsunfähigkeitsrente ist geprägt von der ständigen Entwicklung der Rechtsprechung, der Dynamik der Versicherungsbedingungen sowie von steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen.

Häufig gestellte Fragen

Ab welchem Grad der Berufsunfähigkeit besteht ein rechtlicher Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente?

Ein rechtlicher Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente entsteht in der Regel, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall voraussichtlich dauerhaft außerstande ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf, wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, zu mindestens 50 % auszuüben. Der exakte Grad der Einschränkung wird durch ärztliche Gutachten und die Auswertung der individuellen beruflichen Anforderungen ermittelt. Maßgeblich ist dabei regelmäßig die in der jeweiligen Versicherungspolice oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) geregelte Schwelle, die zumeist bei 50 % Berufsunfähigkeit liegt. Die Prognose, dass die Berufsunfähigkeit voraussichtlich auf Dauer, das heißt mindestens sechs Monate, bestehen wird, ist Voraussetzung für die Leistungspflicht des Versicherers. Die Feststellung erfolgt nach rechtlichen und medizinischen Maßstäben, wobei auch der Bereich des Sozialrechts und die höchstrichterliche Rechtsprechung (z.B. Bundesgerichtshof) zu berücksichtigen sind. Wichtig ist zudem, dass nach Eintritt der Berufsunfähigkeit und vor Antragstellung keine Ausübung einer anderen, vergleichbaren Tätigkeit besteht, da dies den Anspruch rechtlich verlustig machen könnte.

Wie ist die sogenannte „abstrakte Verweisung“ rechtlich einzuordnen und bei welchen Verträgen ist sie heute noch zulässig?

Die abstrakte Verweisung bezeichnet das Recht des Versicherers, bei Eintritt der Berufsunfähigkeit den Versicherten auf einen anderen, theoretisch auszuübenden Beruf zu verweisen, unabhängig davon, ob dieser konkret ausgeübt wird oder eine solche Anstellung am Arbeitsmarkt besteht. Rechtlich war diese Verweisungsklausel historisch üblich, ist jedoch bei neueren Versicherungstarifen seit ungefähr 2001 aus verbraucherrechtlichen Gründen weitgehend ausgeschlossen und wird von vielen Anbietern nicht mehr verwendet. Nach §§ 305 ff. BGB (AGB-Recht) und gefestigter Rechtsprechung sind abstrakte Verweisungen in Altverträgen grundsätzlich wirksam, sofern sie transparent und eindeutig vereinbart wurden. Seit dem Inkrafttreten der VVG-Reform (Versicherungsvertragsgesetz) und durch die Entwicklung des Verbraucherschutzes in Deutschland sind Berufsunfähigkeitsversicherungen mit abstrakter Verweisung jedoch bei Neuabschluss heute praktisch nicht mehr erhältlich. Bei bestehenden Altverträgen sollte der individuelle Wortlaut geprüft werden, da in bestimmten Fällen noch eine Verweisung auf eine fachlich und sozial gleichwertige Tätigkeit erfolgen darf.

Welche rechtlichen Anforderungen werden an das ärztliche Gutachten im Leistungsfall gestellt?

Das ärztliche Gutachten hat im Rahmen des Leistungsprüfungsverfahrens der Berufsunfähigkeitsversicherung eine zentrale rechtliche Bedeutung. Es muss den Eintritt und das Ausmaß der Berufsunfähigkeit nachvollziehbar, umfassend und nach medizinisch-wissenschaftlichen Standards darlegen. Rechtlich erforderlich ist eine genaue Beschreibung des pathologischen Zustands und dessen Auswirkungen auf die konkret zuletzt ausgeübte Tätigkeit, wobei alle gesundheitlichen Einschränkungen detailliert zu dokumentieren sind. Das Gutachten muss den Zeitraum der erwarteten Dauer der Berufsunfähigkeit benennen und begründen. Die Rechtsprechung verlangt, dass das Gutachten substantiiert die Arbeitsunfähigkeit in Prozentzahlen zuordnet, medizinische Befunde belegt und auf die berufsbezogenen Anforderungen eingeht. Im Streitfall kann der Versicherte ein eigenes Gutachten beibringen, und das Gericht kann einen unabhängigen Sachverständigen bestimmen. Die Gutachten müssen zudem von der Person unterschrieben sein, die sie erstellt hat, und der Versicherer darf sich zur eigenen Beurteilung nicht allein auf Atteste des Hausarztes stützen, sofern das Gutachten wesentliche fachliche Mängel enthält.

Kann der Versicherer die Auszahlung der Berufsunfähigkeitsrente zeitlich befristen und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen?

Der Versicherer ist berechtigt, im Rahmen der Prüfung und Auszahlung der Berufsunfähigkeitsrente zunächst nur eine befristete Leistung zuzusagen, wenn die dauerhafte Berufsunfähigkeit noch nicht abschließend festgestellt werden kann oder wenn der Gesundheitszustand eine Besserung erwarten lässt. Rechtlich ist eine befristete Anerkennung der Leistung unter dem Gesichtspunkt der „vorläufigen Leistungspflicht“ zulässig, muss jedoch klar und eindeutig befristet und sachlich begründet sein. Der Versicherungsnehmer muss zudem explizit darüber informiert werden, dass die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente nur für einen bestimmten Zeitraum gilt und nach Ablauf oder bei veränderten Umständen erneut geprüft wird. Nach § 174 Abs. 1 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) darf der Widerruf oder die Befristung nicht willkürlich erfolgen, sondern muss sich auf objektive medizinische Befunde stützen. Der Versicherte hat das Recht, gegen eine zeitliche Begrenzung der Bewilligung rechtlich vorzugehen, insbesondere wenn ersichtlich ist, dass die Berufsunfähigkeit dauerhaft besteht.

Besteht ein rechtlicher Anspruch auf Nachprüfung der Berufsunfähigkeit während des Rentenbezugs?

Ja, der Versicherer hat das Recht und die Pflicht zur Nachprüfung der Berufsunfähigkeit während des gesamten Rentenbezugs. Gemäß § 174 VVG kann der Versicherer in regelmäßigen Abständen den Gesundheitszustand des Versicherten überprüfen und bei wesentlicher Besserung die Rentenzahlung einstellen oder anpassen. Voraussetzung ist, dass neue, substanzielle medizinische Erkenntnisse vorliegen, die eine Änderung des Gesundheitszustands oder eine Anpassung der beruflichen Leistungsfähigkeit belegen. Die Nachprüfung darf rechtlich nicht schikanös erfolgen, sondern nur auf Basis neuer Tatsachen und unter Wahrung der Rechte des Versicherten. Dieser ist verpflichtet, an der Nachprüfung mitzuwirken und sich gegebenenfalls ärztlichen Untersuchungen zu unterziehen. Unterbleibt eine Mitwirkung ohne wichtigen Grund, kann dies zur Einstellung der Leistungen führen. Die Beweislast für die wesentliche Änderung obliegt dem Versicherer, und der Ablauf des Nachprüfungsverfahrens ist in den Versicherungsbedingungen oft detailliert geregelt.

Welche rechtlichen Folgen hat das Verschweigen oder die Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen im Antrag auf Berufsunfähigkeitsversicherung?

Werden im Rahmen des Antrags auf Berufsunfähigkeitsversicherung Gesundheitsfragen unrichtig oder unvollständig beantwortet (sogenannte vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung), hat dies gravierende rechtliche Konsequenzen. Die Rechtsfolgen richten sich nach §§ 19 bis 22 VVG. Der Versicherer kann bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht zurücktreten, den Vertrag anfechten oder die Leistungen verweigern. Bei fahrlässigem Verschweigen kann der Versicherer den Vertrag kündigen und im Schadenfall die Leistung kürzen oder verweigern. Im Einzelfall kann auch eine Vertragsanpassung vorgenommen werden. Die Beweislast für die Anzeigepflichtverletzung und deren Relevanz für den Versicherungsfall liegt beim Versicherer. Im Streitfall sind Art, Umfang und Kausalität der vermeintlich verschwiegenen Erkrankung entscheidend. Der Versicherer muss zudem nachweisen, dass er den Versicherten ordnungsgemäß über seine Pflicht zur Beantwortung der Gesundheitsfragen belehrt hat. Liegt eine vorsätzliche Täuschung vor, kann die gesamte Versicherungsleistung auch nach Jahren rückwirkend verweigert werden.

Inwieweit ist eine Tätigkeit außerhalb des erlernten oder ausgeübten Berufs, die nach Eintritt der Berufsunfähigkeit aufgenommen wird, rechtlich relevant für den Rentenanspruch?

Wird nach Eintritt der Berufsunfähigkeit und während des Leistungsbezugs eine andere Tätigkeit aufgenommen, hat dies rechtliche Auswirkungen auf den bestehenden Anspruch. Nach den meisten Vertragsmodellen ist nicht die Erwerbsunfähigkeit an sich, sondern die Unfähigkeit zur Ausübung des zuletzt ausgeübten Berufs maßgeblich. Wird jedoch eine neue Tätigkeit aufgenommen, die dem Anforderungsprofil der ursprünglichen Berufstätigkeit entspricht, kann der Versicherer eine Nachprüfung anstoßen, um zu bewerten, ob die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit noch vorliegen. Ist die neue Tätigkeit mit ähnlichen Qualifikationen, Anforderungen und sozialen Rahmenbedingungen verbunden, kann dies zum Wegfall des Versicherungsanspruchs führen. In manchen Verträgen besteht eine sogenannte „Umorganisationsklausel“, die insbesondere für Selbstständige gilt und bestimmte Nachweispflichten zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes beinhaltet. Im Einzelfall ist auf die vertraglich vereinbarten Bedingungen und die höchstrichterliche Rechtsprechung abzustellen. Es gilt das Maß der Vergleichbarkeit hinsichtlich Ausbildung, Erfahrung und bisheriger Lebensstellung. Bei Tätigkeiten unterhalb des bisherigen Niveaus oder als Rehabilitationsmaßnahme bleibt der Anspruch in der Regel bestehen, solange die Berufsunfähigkeit im eigentlichen Beruf fortdauert.