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Berufskrankheiten


Begriff und rechtliche Einordnung von Berufskrankheiten

Definition von Berufskrankheiten

Berufskrankheiten bezeichnen Krankheiten, die durch die versicherte Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder einer gleichgestellten Tätigkeit entstehen und in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ausdrücklich aufgeführt sind. Sie unterscheiden sich von Arbeitsunfällen dadurch, dass sie nicht durch ein einmaliges, von außen wirkendes Ereignis ausgelöst werden, sondern infolge einer längerfristigen Einwirkung bestimmter schädlicher Faktoren im beruflichen Umfeld auftreten.

Gesetzliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch VII (SGB VII)

Die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen zu Berufskrankheiten finden sich hauptsächlich im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) – Gesetzliche Unfallversicherung. Nach § 9 SGB VII werden Berufskrankheiten als Krankheiten definiert, „die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die ein Beschäftigter infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleidet“. Die Anerkennung und Entschädigung erfolgt ebenfalls nach den Vorgaben des SGB VII.

Berufskrankheiten-Verordnung (BKV)

Die Berufskrankheiten-Verordnung listet abschließend alle Krankheiten auf, die nach dem deutschen Rechtssystem als Berufskrankheit anerkennungsfähig sind. Eine Krankheit kann ausschließlich dann als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn sie in dieser Anlage (Anlage 1 zur BKV) genannt ist oder in seltenen Ausnahmefällen als „wie Berufskrankheit“ anerkannt wird (sogenannte Kann-Vorschrift des § 9 Abs. 2 SGB VII).

Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit

Versicherter Personenkreis

Vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und damit vom Anwendungsbereich der Berufskrankheitenregelungen umfasst sind insbesondere:

  • Arbeitnehmer und Auszubildende
  • Kinder im Kindergarten, Schüler, Studierende (bei spezifischer versicherter Tätigkeit)
  • Bestimmte ehrenamtlich Tätige und Helfer
  • Selbstständige in einigen Berufsgruppen, sofern eine freiwillige Versicherung abgeschlossen wurde

Kausalität und versicherte Tätigkeit

Die versicherte Person muss die Krankheit „infolge“ einer versicherten Tätigkeit erleiden. Dies bedeutet, dass ein ursächlicher Zusammenhang (haftungsbegründende Kausalität) zwischen der schädigenden Einwirkung im Beruf und dem Auftreten beziehungsweise der Verschlimmerung einer Krankheit bestehen muss. Die Beweisführung erfolgt hierbei nach dem Prinzip „hinreichender Wahrscheinlichkeit“, wobei nicht jeder Zweifel ausgeschlossen werden muss.

Einwirkung und Krankheitsbegriff

Erforderlich ist eine schädigende Einwirkung, die typischerweise mit der jeweiligen versicherten Tätigkeit verbunden ist (z. B. regelmäßiger Kontakt mit krebserregenden Stoffen bei Chemiearbeiter:innen). Die Krankheit selbst muss zudem die in der Berufskrankheiten-Liste genau definierten Krankheitsbilder erfüllen.

Meldeverfahren und Verwaltungsverfahren

Meldepflichten

Nach § 202 SGB VII besteht eine Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte sowie für bestimmte Behörden und Unfallversicherungsträger, wenn der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit besteht. Die Meldung soll frühzeitig eine Untersuchung und Bewertung der Sachlage durch den zuständigen Unfallversicherungsträger ermöglichen.

Ermittlungs- und Entscheidungsverfahren

Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens prüft die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit erfüllt sind. Hierzu werden gegebenenfalls medizinische und arbeitsmedizinische Gutachten eingeholt. Die Entscheidung wird in einem Verwaltungsakt formal ausgesprochen.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Gegen ablehnende Bescheide können die Betroffenen Widerspruch einlegen und im weiteren Schritt vor dem Sozialgericht Klage erheben, um die Anerkennung durchzusetzen.

Leistungen bei Berufskrankheiten

Heilbehandlung und Rehabilitation

Im Fall der Anerkennung einer Berufskrankheit haben Betroffene Anspruch auf umfassende Heilbehandlung, medizinische Rehabilitation sowie Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 26 ff. SGB VII).

Geldleistungen

Verletztengeld

Während der Arbeitsunfähigkeit erhalten Betroffene für die Dauer der medizinischen Rehabilitation Verletztengeld.

Verletztenrente

Kommt es infolge der Berufskrankheit zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 Prozent, wird eine einmalige oder laufende Verletztenrente gezahlt. Die Höhe richtet sich nach dem Grad der MdE und dem Jahresarbeitsverdienst.

Weitere Leistungen

Dazu gehören Zuschüsse zur Pflege, Hinterbliebenenrenten im Todesfall sowie Leistungen bei besonderen Bedarfen.

Außerordentliche Fälle: „Wie-Berufskrankheit“ nach § 9 Abs. 2 SGB VII

Erweist sich eine Krankheit aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse als arbeitsbedingt und schwerwiegend, jedoch noch nicht in der BKV aufgeführt, kann sie durch Einzelfallentscheidung als „wie eine Berufskrankheit“ anerkannt werden. Dies unterliegt strengen Voraussetzungen und prüft der Unfallversicherungsträger im Benehmen mit dem Ärztlichen Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Verhältnis zur privaten Absicherung und Schmerzensgeld

Die gesetzliche Unfallversicherung ist grundsätzlich vorrangig gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen. Schmerzensgeld kommt im Zusammenhang mit Berufskrankheiten nur in Ausnahmefällen, etwa bei vorsätzlichem Verhalten Dritter, in Betracht. Die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung können daneben nicht durch private Unfallversicherungen ersetzt, jedoch ergänzt werden.

Abschließende Bemerkungen und Besonderheiten

Die Regelungen zu Berufskrankheiten in Deutschland sind im internationalen Vergleich besonders detailliert ausgestaltet. Durch die regelmäßige Überarbeitung der Berufskrankheiten-Liste und die wissenschaftliche Begleitung durch den Ärztlichen Sachverständigenbeirat wird gewährleistet, dass neue Erkenntnisse und gesellschaftliche Entwicklungen in den Katalog aufgenommen werden können. Der Rechtsrahmen stellt so einen umfassenden Schutz für Erwerbstätige dar, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt sind, und sichert ihre Ansprüche bei Eintreten einer Berufskrankheit zuverlässig ab.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird?

Damit eine Erkrankung im rechtlichen Sinne als Berufskrankheit anerkannt wird, müssen verschiedene juristische Voraussetzungen erfüllt werden. Zunächst muss die Erkrankung in der Berufskrankheiten-Liste (Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung, BKV) aufgeführt sein. Daneben sind das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der beruflichen Tätigkeit und der festgestellten Erkrankung sowie ein nachgewiesenes schädigendes Agens erforderlich. Dies bedeutet, dass die Erkrankung entweder unmittelbar durch die berufliche Tätigkeit oder durch Art, Dauer und Intensität der Exposition ausgelöst worden sein muss. In Einzelfällen ist eine Anerkennung auch dann möglich, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse einen Zusammenhang zwischen Berufsausübung und der Erkrankung darlegen können, selbst wenn die Krankheit nicht ausdrücklich gelistet ist (sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII). Die Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang liegt in der Regel beim Versicherten, es gilt jedoch das Prinzip der sogenannten „Beweiserleichterung“ zugunsten der Versicherten, sofern bestimmte Gefährdungsbereiche nachweislich gegeben sind.

Wer entscheidet über die Anerkennung einer Berufskrankheit und wie läuft das Verfahren ab?

Die Entscheidung über die Anerkennung einer Berufskrankheit obliegt in Deutschland den Unfallversicherungsträgern, insbesondere den Berufsgenossenschaften und der Unfallkasse. Das Verfahren wird zumeist durch eine ärztliche Anzeige über den Verdacht einer Berufskrankheit eingeleitet. Nach Eingang der Anzeige nimmt der zuständige Unfallversicherungsträger Ermittlungen auf, was unter anderem die Anforderung medizinischer Unterlagen, die Einholung von Sachverständigengutachten sowie die Durchführung von Arbeitsplatzbesichtigungen umfassen kann. Die Betroffenen haben ein Recht auf Anhörung im Verwaltungsverfahren. Nach Abschluss der Ermittlungen erlässt der Unfallversicherungsträger einen Bescheid, der den Verwaltungsakt zur Anerkennung oder Ablehnung der Berufskrankheit darstellt. Gegen diesen Bescheid steht den Versicherten der Verwaltungsrechtsweg offen, sodass sie Widerspruch und im Folgenden Klage vor dem Sozialgericht einlegen können.

Welche rechtlichen Ansprüche bestehen nach der Anerkennung einer Berufskrankheit?

Sobald eine Berufskrankheit anerkannt wird, entstehen für die Betroffenen umfassende Ansprüche gegenüber dem Unfallversicherungsträger nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Zu den wichtigsten Leistungen zählen die Übernahme der Kosten für Heilbehandlungsmaßnahmen (einschließlich ärztlicher Behandlung, Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel), Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Rentenzahlungen bei Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 Prozent sowie ggf. Hinterbliebenenleistungen. Hinzu kommen ggf. Ansprüche auf Pflegeleistungen und weitere Rehabilitationsangebote. Die Leistungen sind grundsätzlich darauf ausgerichtet, die Gesundheit und die Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben wiederherzustellen oder zu sichern.

Wie verhalten sich Mitwirkungspflichten und Mitverschulden der versicherten Person im Verfahren um eine Berufskrankheit?

Im Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit treffen die versicherte Person diverse Mitwirkungspflichten, insbesondere nach § 60 ff. SGB I. Dazu gehört die Verpflichtung, Auskünfte zu erteilen, medizinische Untersuchungen zu dulden sowie alle relevanten Unterlagen termingerecht vorzulegen. Kommt die versicherte Person diesen Pflichten nicht nach, kann dies zur Versagung oder Kürzung der Leistung führen. Im Hinblick auf ein mögliches Mitverschulden, etwa bei unterlassener Nutzung von Schutzvorrichtungen oder Verstößen gegen Arbeitsschutzvorschriften, kann der Anspruch ebenfalls gekürzt werden (§ 110 SGB VII). Allerdings steht hierbei stets die individuelle Zumutbarkeit und das Maß der Eigenverantwortung im Spannungsfeld zu den Schutzpflichten des Arbeitgebers.

Müssen Berufskrankheiten auch dann angezeigt werden, wenn sie bereits geheilt oder nicht mehr behandelbar sind?

Nach der Berufskrankheiten-Verordnung und § 202 SGB VII besteht eine gesetzliche Anzeigepflicht für Ärzte, Arbeitgeber und Krankenkassen, sofern der Verdacht auf eine Berufskrankheit vorliegt – unabhängig davon, ob die Krankheit geheilt, chronisch oder bereits irreversibel fortgeschritten ist. Auch in Fällen, in denen keine therapeutischen Maßnahmen mehr möglich sind, besteht diese Pflicht, da aus der Anerkennung unter Umständen dennoch Ansprüche auf Renten- oder Hinterbliebenenleistungen erwachsen können. Die Anzeige muss umgehend bei dem zuständigen Unfallversicherungsträger erfolgen.

Welche Besonderheiten gelten beim Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Beruf und Krankheit in Grenzfällen?

In Grenzfällen, in denen der Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Erkrankung nicht eindeutig belegt werden kann, gilt rechtlich das Prinzip der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“. Das bedeutet, es genügt, dass die überwiegenden Umstände für einen beruflichen Ursprung sprechen; ein Naturwissenschaftlicher Beweis muss nicht zwingend erbracht werden. Die Anforderungen an den Beweis sind somit niedriger als die sonst im Zivil- oder Strafrecht übliche „Vollbeweisregel“. Besonders relevant ist dies bei Erkrankungen mit multifaktoriellen Ursachen, wo eine berufliche Mitverursachung ausreichend sein kann, solange diese nicht gänzlich unwahrscheinlich erscheint. In solchen Fällen wird oft ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, das eine risikobasierte Einschätzung vornimmt.

Wie ist die Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit Berufskrankheiten geregelt?

Die Ansprüche auf Leistungen wegen einer Berufskrankheit unterliegen grundsätzlich keiner Verjährung im klassischen zivilrechtlichen Sinne. Vielmehr sieht das SGB VII vor, dass Ansprüche auf Geldleistungen frühestens für einen Zeitraum von vier Jahren vor dem Jahr der Antragstellung geltend gemacht werden können (§ 45 SGB I). Wird eine Berufskrankheit also zu einem späteren Zeitpunkt gemeldet, kann maximal auf diesen Zeitraum rückwirkend Leistungen erhalten werden. Eine absolute Verjährungsgrenze besteht jedoch nicht, sodass auch Jahrzehnte zurückliegende Schadensursachen gegebenenfalls zur Anerkennung einer Berufskrankheit führen können, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen.