Begriff und rechtlicher Rahmen der Berücksichtigungszeiten in der Rentenversicherung
Als Berücksichtigungszeiten (im Sinne des § 57 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]) werden in der gesetzlichen Rentenversicherung Zeitabschnitte bezeichnet, die wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit der Versicherten zwar keine Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung begründen, aber rentenrechtlich relevante Wirkung entfalten. Sie sind insbesondere für bestimmte Personengruppen, wie Eltern oder pflegende Angehörige, von erheblicher Bedeutung. Ziel ist es, Lebensphasen anzuerkennen, in denen Versicherte aufgrund familiärer oder sozialer Verpflichtungen keine oder nur eingeschränkt Beiträge leisten konnten, und so Nachteile im Rentenrecht auszugleichen.
Rechtsgrundlagen der Berücksichtigungszeiten
Die maßgeblichen Bestimmungen zu Berücksichtigungszeiten finden sich im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), insbesondere in den §§ 57-58 SGB VI. Weitere relevante Regelungen betreffen Verwaltungsvorschriften der Deutschen Rentenversicherung und höchstrichterliche Rechtsprechung.
§ 57 SGB VI – Definition und allgemeine Voraussetzungen
Nach § 57 Abs. 1 SGB VI gelten Zeiten, in denen eine versicherte Person ein Kind erzieht oder eine pflegebedürftige Person (nach § 3 Abs. 1 Nr. 1a SGB VI oder § 3 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI) nicht erwerbsmäßig pflegt, unter bestimmten Voraussetzungen als Berücksichtigungszeit. Für beide Fallgruppen bedarf es eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland.
§ 58 SGB VI – Weitere Anforderungen und Abgrenzungen
§ 58 SGB VI grenzt die Berücksichtigungszeiten gegenüber anderen rentenrechtlichen Zeiten ab, regelt das Zusammentreffen mit Pflichtbeitragszeiten, Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes sowie Ausschluss- und Ruhenstatbestände.
Arten von Berücksichtigungszeiten
Kindererziehungszeiten als Berücksichtigungszeiten
Maßgeblich ist der Zeitraum von der Geburt eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr (§ 57 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Für diesen Zeitraum wird eine Berücksichtigungszeit zugunsten der erziehenden Person, regelmäßig eines Elternteils, anerkannt, sofern sich dieser mit dem Kind im selben Haushalt und mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland aufhält.
Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege
Nicht erwerbsmäßige Pflege einer pflegebedürftigen Person (mindestens Pflegegrad 2 nach den §§ 14, 15 SGB XI) wird als Berücksichtigungszeit anerkannt (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI), wenn die Pflege regelmäßig mindestens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf wenigstens zwei Tage, erbracht wird.
Besonderheiten anrechenbarer Zeiten
Berücksichtigungszeiten können auch für Pflegekinder oder für bestimmte Fälle der Erwerbsminderung, des Mutterschutzes oder bei Aufnahme eines Kindes in den Haushalt entstehen. Einzelregelungen hierzu sind in den schon genannten Vorschriften sowie im Zusammenhang mit weiteren rentenrechtlichen Zeiten geregelt.
Wirkung und Bedeutung der Berücksichtigungszeiten
Rentenrechtliche Funktion
Berücksichtigungszeiten sind rentenrechtlich keine Beitragszeiten. Sie erhöhen jedoch die Gesamtleistungsbewertung, führen zur Anrechnung bestimmter Mindestversicherungszeiten und verbessern häufig die Rentenansprüche, insbesondere im Hinblick auf die Wartezeit (§ 51 Abs. 3a SGB VI), den Zugangsfaktor und die Bewertung von Versicherungszeiten bei der Berechnung der Rentenhöhe.
Zusammentreffen mit anderen rentenrechtlichen Zeiten
Berücksichtigungszeiten können mit Pflichtbeitragszeiten, Anrechnungszeiten und Ersatzzeiten zusammentreffen. Sie werden jedoch nur einmal pro Zeitabschnitt berücksichtigt und stehen im Rang nach Pflichtbeitrags- und Beitragszeiten, haben aber vor Anrechnungszeiten Bedeutung (§ 58 Abs. 2 SGB VI).
Bedeutung für verschiedene Rentenarten
Für die Altersrente für langjährig Versicherte (§ 236 SGB VI), für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b SGB VI) sowie für Hinterbliebenen- und Erwerbsminderungsrenten sind Berücksichtigungszeiten in verschiedener Weise relevant. Sie werden beispielsweise auf die Wartezeiten für die jeweiligen Renten angerechnet.
Nachweis und Feststellungsverfahren von Berücksichtigungszeiten
Verfahren bei der Deutschen Rentenversicherung
Zur Anerkennung von Berücksichtigungszeiten ist ein entsprechender Antrag erforderlich. Hierbei sind alle erforderlichen Nachweise, etwa über die Geburtsurkunde des Kindes oder Bescheinigungen über die Pflegetätigkeit, beizubringen. Die Deutsche Rentenversicherung prüft alle Voraussetzungen und erlässt einen Feststellungsbescheid.
Widerspruch und gerichtliche Überprüfung
Gegen ablehnende Feststellungsbescheide besteht die Möglichkeit zum Widerspruch bei der Deutschen Rentenversicherung und gegebenenfalls auch die Klage vor den Sozialgerichten.
Unterschiede zu anderen rentenrechtlichen Zeiten
Berücksichtigungszeiten unterscheiden sich deutlich von anderen rentenrechtlichen Zeiten, insbesondere:
- Pflichtbeitragszeiten: Eigenständige Beitragszahlung aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit.
- Anrechnungszeiten: Zeiträume, in denen aus persönlichen Gründen keine Beiträge gezahlt werden konnten, beispielsweise wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit (§ 58 SGB VI).
- Ersatzzeiten: Zeiträume besonderer Notlagen, etwa Kriegs- und Fluchtzeiten (§ 250 SGB VI).
Abgrenzung zu Kindererziehungszeiten
Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) werden ebenfalls für die Rentenversicherung anerkannt und wirken sich unmittelbar leistungserhöhend aus, da für diese Zeit fiktive Beiträge angerechnet werden. Im Gegensatz dazu führen Berücksichtigungszeiten nicht direkt zur Erhöhung des individuellen Rentenanspruchs, sondern entfalten Wirkung im Rahmen der rentenrechtlichen Bewertung, beispielsweise für Wartezeiten.
Relevante Rechtsprechung
Die sozialgerichtliche Rechtsprechung hat die Vorschriften zu Berücksichtigungszeiten präzisiert und ausgelegt. Insbesondere wurde entschieden, dass die tatsächliche Ausübung der Erziehung (nicht nur die Eintragung als Elternteil) maßgeblich ist, sowie die konkreten Voraussetzungen an die nicht erwerbsmäßige Pflege.
Fazit
Berücksichtigungszeiten in der Rentenversicherung stellen eine zentrale rentenrechtliche Schutzvorschrift für Lebensabschnitte mit besonderen sozialen Belastungen dar. Sie gewährleisten, dass Zeiten der Kindererziehung und Pflege nicht zu Nachteilen im Rentenversicherungsverlauf führen. Die genaue Kenntnis und Anwendung der entsprechenden Vorschriften ist für die sachgerechte Berechnung und Bewilligung von Rentenansprüchen unerlässlich.
Siehe auch: Pflichtbeitragszeiten, Kindererziehungszeiten, Wartezeiten, Anrechnungszeiten, Pflegezeiten, Deutsches Rentenrecht
Rechtsgrundlagen:
- Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), insb. §§ 56-58
- Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), Pflegeversicherung
- Verordnungen und Verwaltungsvorschriften der Deutschen Rentenversicherung
- Urteile der Sozialgerichtsbarkeit
Literaturhinweise:
- Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB VI – Kommentar
- Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 1, SGB VI
- Deutsche Rentenversicherung Bund, Broschüre „Rente: Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten“
Häufig gestellte Fragen
Werden Berücksichtigungszeiten automatisch bei der Rentenversicherung berücksichtigt oder müssen diese beantragt werden?
Berücksichtigungszeiten, zum Beispiel wegen Kindererziehung oder Pflege, werden in der Regel nicht automatisch bei der Rentenversicherung gespeichert, sondern müssen durch den Versicherten im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens aktiv beantragt und nachgewiesen werden. Im Rahmen der sogenannten Kontenklärung prüft die Rentenversicherung dann, ob die Voraussetzungen nach den gesetzlichen Vorschriften – insbesondere den Regelungen des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) – vorliegen. Hierzu ist es erforderlich, entsprechende Nachweise vorzulegen, etwa Geburtsurkunden, Meldebestätigungen oder Nachweise über die Pflegetätigkeit. Erst nach positiver Prüfung durch den Rentenversicherungsträger werden die Berücksichtigungszeiten förmlich anerkannt und in das Versicherungskonto aufgenommen. Diese Anerkennung ist insbesondere für die spätere Leistungsprüfung und Rentenberechnung relevant; ohne Antragstellung können Berücksichtigungszeiten unter Umständen unberücksichtigt bleiben.
Welche rechtlichen Nachweise sind für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten aufgrund von Kindererziehung erforderlich?
Für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten im Zusammenhang mit Kindererziehung gelten strenge gesetzliche Nachweisanforderungen. Nach § 56 SGB VI ist unter anderem ein Nachweis über die Geburt des Kindes (etwa durch die Geburtsurkunde), der Zeitraum der tatsächlichen Erziehung sowie der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Inland erforderlich. Außerdem muss die Erziehung im eigenen Haushalt oder einem gemeinsamen Haushalt erfolgt sein. Die Rentenversicherung verlangt in der Regel eine Kopie der Geburtsurkunde sowie einen Nachweis über den eigenen Wohnsitz während des Erziehungszeitraums, beispielsweise durch amtliche Meldebescheinigungen. In bestimmten Fällen kann auch die Vorlage einer Sorgerechtsbescheinigung oder anderer familiengerichtlicher Entscheidungen notwendig sein. Werden diese Nachweise nicht oder nur unvollständig erbracht, kann die Rentenversicherung die Anerkennung der Berücksichtigungszeiten ablehnen oder bis zur Klärung zurückstellen.
Gelten Berücksichtigungszeiten auch für Pflege von Angehörigen und wie sind die Voraussetzungen hierfür geregelt?
Ja, Berücksichtigungszeiten können nach § 57 SGB VI auch für die nicht erwerbsmäßige Pflege von pflegebedürftigen Angehörigen angerechnet werden. Voraussetzung ist, dass die Pflege im häuslichen Umfeld stattfindet und der Pflegegrad des Angehörigen entsprechend gesetzlich anerkannt wurde (Pflegegrade 2 bis 5 nach SGB XI). Darüber hinaus muss die Pflege mindestens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage pro Woche, erfolgen. Der Pflegebedürftige darf während dieser Zeit nicht in einer vollstationären Einrichtung untergebracht sein. Als Nachweise dienen in der Regel amtliche Bescheinigungen über die Einstufung in den jeweiligen Pflegegrad sowie Nachweise über die tatsächliche Durchführung und den zeitlichen Umfang der Pflege, die beispielsweise durch Pflegetagebücher oder Bestätigungen seitens der Pflegekasse erbracht werden können. Falls mehrere Personen die Pflege übernehmen, muss der Anteil der jeweils geleisteten Pflege nachgewiesen werden.
Wie wirken sich Berücksichtigungszeiten rechtlich auf die Wartezeit für die Rente aus?
Berücksichtigungszeiten zählen im rechtlichen Sinne als beitragsfreie Zeiten und werden gemäß § 51 Absatz 3 SGB VI auf die allgemeine Wartezeit für die Rente angerechnet. Sie zählen also bei der Erfüllung der Mindestversicherungszeit, der sogenannten Wartezeit von meist fünf Jahren, mit. Allerdings sind Berücksichtigungszeiten grundsätzlich keine rentensteigernden Zeiten, d. h., sie führen nicht zu einer direkten Erhöhung der späteren Rentenleistung, sondern dienen lediglich der Erfüllung bestimmter rentenrechtlicher Voraussetzungen. Sie können jedoch zusammen mit anderen Zeiten (z. B. Pflichtbeitragszeiten) zu sogenannten „Anrechnungszeiten“ werden, die auch vorzeitige Rentenzugänge ermöglichen, zum Beispiel für die Rente wegen Erwerbsminderung.
Können Berücksichtigungszeiten rückwirkend anerkannt werden und welche Fristen sind hierbei zu beachten?
Grundsätzlich ist eine rückwirkende Anerkennung von Berücksichtigungszeiten möglich, da für die Meldung und Anerkennung regelmäßig keine gesetzlichen Verjährungsfristen existieren. Jedoch empfiehlt es sich aus rechtlicher Sicht, Berücksichtigungszeiten so früh wie möglich geltend zu machen, um spätere Nachweisschwierigkeiten zu vermeiden. Bei Antragstellung prüfen die Rentenversicherungsträger auch Jahre oder Jahrzehnte zurückliegende Zeiträume, sofern entsprechende Nachweise vorgelegt werden können. Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn die zur Anerkennung erforderlichen Belege nicht mehr vorhanden oder schwer beizubringen sind. Daher empfiehlt die Deutsche Rentenversicherung, die Klärung des Versicherungskontos – insbesondere im Hinblick auf Berücksichtigungszeiten – frühzeitig durchzuführen und Nachweise sorgfältig aufzubewahren.
Was ist bei im Ausland zurückgelegten Berücksichtigungszeiten zu beachten?
Berücksichtigungszeiten können in bestimmten Fällen auch im Ausland erworben werden, sofern die rechtlichen Voraussetzungen des SGB VI erfüllt sind. So wird beispielsweise die Erziehung eines Kindes, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt während der Erziehungszeit im EU/EWR-Ausland oder der Schweiz hatte, in bestimmten Fällen nach europäischem Gemeinschaftsrecht oder bilateralen Sozialversicherungsabkommen auch als Berücksichtigungszeit anerkannt. Voraussetzung hierfür ist in der Regel, dass der Elternteil zum Zeitpunkt der Kindererziehung in Deutschland rentenversichert war bzw. eine enge Bindung zum deutschen Sozialversicherungssystem bestand. Der Nachweis ausländischer Berücksichtigungszeiten ist oft mit zusätzlichen Hürden verbunden, da ausländische Dokumente gegebenenfalls amtlich übersetzt und mit einer Apostille oder Legalisation versehen werden müssen. Die Anerkennung erfolgt nach sorgfältiger Prüfung durch die Rentenversicherung und unter Berücksichtigung internationaler Abkommen.