Begriff und rechtliche Einordnung des Bereitschaftsdienstes
Der Bereitschaftsdienst bezeichnet im deutschen Arbeitsrecht eine Sonderform der Arbeitszeit, bei der sich Arbeitnehmer außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort – häufig dem Betrieb oder einer dazugehörigen Einrichtung – aufhalten müssen, um im Bedarfsfall unverzüglich die Arbeit aufnehmen zu können. Der Bereitschaftsdienst ist insbesondere im Gesundheitswesen, bei Rettungsdiensten, in Kraftwerken, bei der Polizei sowie in der Versorgungswirtschaft verbreitet. Rechtlich zeichnet sich der Bereitschaftsdienst durch die Pflicht zur physischen Anwesenheit und die sofortige Arbeitsaufnahme bei Bedarf aus. Dies unterscheidet ihn zentral von der Rufbereitschaft, bei der sich Arbeitnehmer nicht am Arbeitsplatz, sondern an einem frei wählbaren Ort aufhalten.
Grundlagen und gesetzliche Regelungen
Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und Bereitschaftsdienst
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bildet die zentrale gesetzliche Grundlage für die Regelung von Bereitschaftsdiensten in Deutschland. Nach § 2 Abs. 1 ArbZG ist als Arbeitszeit jede Zeitspanne anzusehen, während der Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Arbeit zu leisten haben oder sich zur Arbeitsleistung bereitzuhalten haben. Bereitschaftsdienst gilt somit als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG.
Abgrenzung: Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft
- Bereitschaftsdienst: Arbeitnehmer müssen sich an einem festgelegten Ort aufhalten, um bei Bedarf sofort tätig zu werden.
- Arbeitsbereitschaft: Hierbei handelt es sich um Zeiten wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung, etwa Wartezeiten am Arbeitsplatz.
- Rufbereitschaft: Arbeitnehmer bestimmen den Aufenthaltsort selbst, müssen aber telefonisch erreichbar sein.
Die rechtliche Abgrenzung dieser Begriffe ist entscheidend für die Vergütung, die Arbeitszeitabrechnung und insbesondere für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten.
Regelungen zur Höchstarbeitszeit und Ruhezeit
Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten. Eine Verlängerung auf bis zu zehn Stunden täglich ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Für den Bereitschaftsdienst bedeutet dies, dass sowohl die aktive als auch die passive Zeit (während der Bereitschaft keine Arbeitsleistung erbracht wird) vollumfänglich als Arbeitszeit gilt.
Ruhepausen und Ruhezeiten richten sich ebenfalls nach dem ArbZG. Nach § 5 ArbZG ist eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit vorgeschrieben. Allerdings existieren für Tätigkeiten mit Bereitschaftsdienst spezielle Ausnahmeregelungen, beispielsweise in Krankenhäusern und bei Rettungsdiensten (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG).
Ausnahmeregelungen und Tarifverträge
Das Arbeitszeitgesetz erlaubt im Rahmen von Tarifverträgen oder entsprechenden Betriebsvereinbarungen Ausnahmen bei der Gestaltung und Anrechnung von Bereitschaftsdienstzeiten. Die Zulässigkeit und Ausgestaltung von Bereitschaftsdiensten, die Vergütung hierfür sowie mögliche Verkürzungen der Ruhezeiten sind vielfach tariflich geregelt. Tarifverträge sehen teils abgestufte Vergütungsmodelle je nach Anteil der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit während des Bereitschaftsdienstes vor.
Vergütung und Vergütungsmodelle
Bereitschaftsdienst zählt als Arbeitszeit und ist grundsätzlich zu vergüten. Die Höhe der Vergütung hängt von der tariflichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung ab. Häufig wird zwischen der aktiven Zeit (tatsächliche Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes) und der passiven Zeit (reine Anwesenheit ohne Tätigkeit) unterschieden.
Tarifverträge gewähren für passive Zeiten oft eine reduzierte Vergütung, etwa in Höhe eines bestimmten Bruchteils des regulären Stundenlohns. Fehlt eine tarifliche oder arbeitsvertragliche Regelung, ist laut ständiger Rechtsprechung eine angemessene Vergütung unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit und des Umfangs der tatsächlichen Arbeitsleistung zu leisten (§ 612 BGB).
Europarechtliche Vorgaben
Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union
Die Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) legt europaweit Mindestvorgaben zur Arbeitszeitgestaltung fest. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist der Bereitschaftsdienst grundsätzlich voll umfänglich als Arbeitszeit anzusehen, sofern sich der Arbeitnehmer während dieser Zeit am Arbeitsplatz aufhalten muss (u. a. Urteil C-151/02 „Jaeger“, Urteil vom 9.9.2003).
Auswirkungen auf das deutsche Arbeitszeitrecht
Aufgrund dieser rechtlichen Vorgaben erfolgte in Deutschland eine verstärkte Berücksichtigung des Bereitschaftsdienstes bei der Arbeitszeiterfassung und Einhaltung der Mindestruhezeiten. Insbesondere müssen nationale Erleichterungen, etwa tarifvertragliche Verkürzungen der Ruhezeiten bei Bereitschaftsdienst, im Lichte der Arbeitszeitrichtlinie ausgelegt werden. In begründeten Ausnahmefällen sind Abweichungen möglich, müssen jedoch durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert werden.
Besondere Branchenregelungen
Gesundheitswesen
Im Krankenhaus sowie im Rettungsdienst ist der Bereitschaftsdienst kontinuierlich geregelt. Tarifverträge (TV Ärzte, TVöD, TV-L) normieren Art, Umfang und Vergütung, häufig mit differenzierten Stufenmodellen, abhängig vom Anteil der aktiven Tätigkeit und der Gesamtdauer des Dienstes.
Feuerwehr, Polizei, Energieversorgung
Auch in diesen Bereichen erfolgt die Organisation des Bereitschaftsdienstes auf Grundlage spezifischer Gesetze, Verordnungen und Tarifverträge. Ziel ist die Sicherstellung der ständigen Einsatzfähigkeit bei gleichzeitiger Wahrung der gesetzlichen Arbeitszeitvorgaben.
Rechtsprechung zum Bereitschaftsdienst
Insbesondere das Bundesarbeitsgericht (BAG) sowie der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben durch zahlreiche Entscheidungen weiterhin Klarheit zur rechtlichen Einordnung und Behandlung des Bereitschaftsdienstes geschaffen. Wichtige Urteile bestätigen, dass Bereitschaftsdienst vollumfänglich als Arbeitszeit anzusehen ist und dementsprechend auch vergütet werden muss.
Abgrenzung zur Rufbereitschaft
Wesentlich für die praktische Ausgestaltung ist die deutliche Unterscheidung von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Während während des Bereitschaftsdienstes die Vorgabe eines festen Aufenthaltsortes und die sofortige Rückgriffsmöglichkeit durch den Arbeitgeber vorliegen, ist dies bei der Rufbereitschaft nicht der Fall. Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen, insbesondere hinsichtlich Arbeitszeiterfassung, Vergütung und Ruhezeit, sind daher unterschiedlich.
Zusammenfassung
Der Bereitschaftsdienst stellt eine spezifische arbeitszeitrechtliche Kategorie dar, bei der Arbeitnehmer sich an einem bestimmten Ort für eine etwaige unverzügliche Arbeitsaufnahme bereithalten müssen. Rechtlich gilt der Bereitschaftsdienst als vollwertige Arbeitszeit, unterliegt den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes und ist sowohl arbeits- als auch tarifvertraglich intensiv geregelt. Die europarechtlichen Vorgaben haben hierbei zu einer umfassenden Berücksichtigung des Bereitschaftsdienstes im Arbeitszeitschutz geführt. Eine korrekte Differenzierung zu anderen Dienstformen, insbesondere zur Rufbereitschaft, ist dabei unerlässlich. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt – vielfach branchenabhängig – durch Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung.
Häufig gestellte Fragen
Ist die Zeit des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit im rechtlichen Sinne zu werten?
Im rechtlichen Kontext, insbesondere nach europäischem und deutschem Arbeitszeitrecht, zählt die Zeit des Bereitschaftsdienstes in aller Regel als Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (z.B. Arbeitsplatz, Klinik) bereithalten muss, um bei Bedarf unverzüglich die Arbeit aufzunehmen. Dieses Verständnis basiert auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Das zentrale Kriterium ist dabei die fremdbestimmte Zeitbindung: Wird vom Arbeitnehmer verlangt, dass er sich innerhalb eines engen zeitlichen Rahmens an einem bestimmten Ort zur Verfügung hält, spricht dies für die Einordnung als Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich Arbeit geleistet wird. Im Gegensatz hierzu steht die Rufbereitschaft, bei der sich der Arbeitnehmer lediglich für einen Arbeitseinsatz bereithalten muss, aber der Aufenthaltsort weitgehend frei wählbar bleibt; diese wird in der Regel nicht vollständig als Arbeitszeit gewertet, sondern nur die tatsächlich geleistete Arbeitszeit während eines Einsatzes.
Wie wirkt sich der Bereitschaftsdienst auf die Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz aus?
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) schreibt grundsätzlich eine maximale werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden vor, die auf bis zu zehn Stunden verlängert werden kann, sofern innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Da Bereitschaftsdienst arbeitszeitrechtlich meist als Arbeitszeit gilt, ist auch diese auf die maximal zulässige Arbeitszeit anzurechnen. Überschreitungen können insbesondere im Gesundheitswesen notwendig sein, hier aber sind spezielle tarifliche oder gesetzliche Ausnahmen vorgesehen. Beispielsweise existiert für Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern eine abweichende Regelung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG in Verbindung mit § 7 Abs. 2a). Hierdurch sind verlängerte Schichten unter bestimmten Voraussetzungen möglich, vorausgesetzt, die Einhaltung von Ausgleichszeiten und die Wahrung des Gesundheitsschutzes werden gewährleistet.
Welche gesetzlichen Ruhezeiten sind nach einem Bereitschaftsdienst zu beachten?
Nach dem Ende eines Bereitschaftsdienstes gilt die gesetzliche Ruhezeit gemäß § 5 ArbZG. Demnach muss dem Arbeitnehmer eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewährt werden. Ausnahmen bestehen, etwa im Gesundheitswesen oder in Bereichen der Daseinsvorsorge, wenn eine Verkürzung der Ruhezeit durch tarifvertragliche Regelung zugelassen wird – beispielsweise auf zehn Stunden, sofern die Verkürzung innerhalb eines festgelegten Ausgleichszeitraums wieder ausgeglichen wird. Auch innerhalb von Bereitschaftsdiensten ist zu unterscheiden, ob aktive Arbeitsphasen innerhalb der Ruhezeit erfolgen, denn diese unterbrechen die Ruhezeit und verschieben den Beginn der neuen Ruhezeit entsprechend.
Wie ist die Vergütung von Bereitschaftsdiensten gesetzlich geregelt?
Die Vergütung für Bereitschaftsdienste ist im Wesentlichen nicht detailliert gesetzlich geregelt. Der Gesetzgeber überlässt dies größtenteils den Tarifvertragsparteien oder individuellen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. In vielen Tarifverträgen – etwa im öffentlichen Dienst oder im Gesundheitswesen – wird zwischen Vollarbeitszeit und Bereitschaftsdienst differenziert und für den Bereitschaftsdienst häufig ein geringer prozentualer Anteil des regulären Stundenlohns angesetzt, je nach Intensität des Dienstes. Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf Vergütung für Bereitschaftsdienstzeiten hat, sofern keine anderslautende Absprache existiert. Die Abrechnung richtet sich häufig nach dem Umfang der tatsächlich während des Bereitschaftsdienstes geleisteten Arbeit und den tariflichen Vorgaben.
Welche Unterschiede bestehen zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft aus arbeitsrechtlicher Sicht?
Arbeitsrechtlich ist der entscheidende Unterschied zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft, dass beim Bereitschaftsdienst der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bleiben muss, während er bei der Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort weitgehend frei wählen kann. Während der Bereitschaftsdienst grundsätzlich als Arbeitszeit gilt, zählt bei der Rufbereitschaft nur die Zeit der tatsächlichen Arbeitsleistung als Arbeitszeit. Diese Unterscheidung wurde vielfach durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs bestätigt. Die genaue Einordnung ist insbesondere für die Anwendung des Arbeitszeitgesetzes, der Berechnung von Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten sowie für die Vergütung relevant.
Welche Haftungsfragen ergeben sich im Zusammenhang mit dem Bereitschaftsdienst?
Im Rahmen des Bereitschaftsdienstes haftet der Arbeitnehmer grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln der Arbeitnehmerhaftung, wie sie sich aus der Rechtsprechung und aus § 619a BGB ergeben. Während der gesamten Bereitschaftszeit, sofern sie als Arbeitszeit gilt, unterliegt der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Arbeitgebers und erfüllt dienstliche Pflichten. Kommt es im Rahmen des Bereitschaftsdienstes zu Schäden, so gelten abgestufte Haftungsmaßstäbe, abhängig von der Schwere des Verschuldens – von leichter bis grober Fahrlässigkeit sowie Vorsatz. Zudem genießen Arbeitnehmer während des Bereitschaftsdienstes den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, sofern ein schädigendes Ereignis in Ausübung der beruflichen Tätigkeit auftritt.
Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen beim Einsatz von Bereitschaftsdiensten?
Beim Einsatz von Bereitschaftsdiensten besitzt der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht, insbesondere in Bezug auf Beginn und Ende der Arbeitszeit, die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage sowie den Gesundheitsschutz. Die Einführung und Ausgestaltung von Bereitschaftsdiensten ist somit ohne Vereinbarung mit dem Betriebsrat nicht rechtmäßig, soweit eine betriebliche Mitbestimmung vorgesehen ist. Der Arbeitgeber muss mit dem Betriebsrat eine Einigung über Dienstpläne und die Grundsätze der Dienstgestaltung erzielen; bei Nichteinigung kann die Einigungsstelle angerufen werden.