Begriffserläuterung und rechtliche Einordnung „Berechtigte Interessen“
Der Begriff der berechtigten Interessen ist ein zentrales rechtliches Konzept in zahlreichen Rechtsgebieten, insbesondere im Datenschutzrecht, Zivilrecht, Urheberrecht sowie im Gesellschaftsrecht. Er dient der Abwägung und dem Ausgleich divergierender Rechtspositionen im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen. „Berechtigte Interessen“ sind Interessen, die von der Rechtsordnung grundsätzlich anerkannt und geschützt werden und im Konflikt mit anderen Interessen, etwa Rechten Dritter oder dem öffentlichen Interesse, abzuwägen sind.
Begriffliche Grundlagen
Definition und Charakteristika
Berechtigte Interessen sind nicht ausdrücklich abschließend im Gesetz definiert. Sie umfassen sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche, ideelle und tatsächliche Interessen. Entscheidend ist, dass das Interesse über ein bloßes Eigeninteresse hinausgeht und vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannt wird. Es kann sich dabei um Einzelinteressen oder auch um Interessen einer größeren Personengruppe handeln.
Das Vorliegen eines berechtigten Interesses setzt üblicherweise voraus, dass
- ein Interesse von einer hinreichenden Intensität und Schutzwürdigkeit besteht,
- das Interesse nicht lediglich vorgeschoben wird,
- keine höherrangigen Interessen dem entgegenstehen.
Berechtigte Interessen im Datenschutzrecht
Relevanz gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
Im Datenschutzrecht ist das Prinzip der berechtigten Interessen insbesondere im Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO geregelt. Danach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.
Voraussetzungen und Abwägung
Bei der Prüfung der berechtigten Interessen im Sinne der DSGVO sind drei Stufen zu durchlaufen:
- Vorliegen eines berechtigten Interesses
Das Interesse kann sowohl rechtlicher, wirtschaftlicher als auch ideeller Natur sein und muss durch den Verantwortlichen, einen Dritten oder die Allgemeinheit verfolgt werden.
- Erforderlichkeit der Verarbeitung
Die Verarbeitung muss geeignet und erforderlich sein, das berechtigte Interesse zu wahren; es dürfen keine milderen Mittel zur Zielerreichung bestehen.
- Interessenabwägung
Schließlich erfolgt eine Gegenüberstellung der Interessen des Verantwortlichen oder Dritten mit den Grundrechten und -freiheiten der betroffenen Person. Überwiegen Letztere, ist die Verarbeitung nicht zulässig.
Anwendungsbeispiele
Zu den typischen Anwendungsfällen gehören die Verarbeitung zu Zwecken der Direktwerbung, die Geltendmachung und Verteidigung rechtlicher Ansprüche oder die Innerbetriebliche Organisation.
Berechtigte Interessen im Zivilrecht
Abwägung im Zivilrecht
Auch im Zivilrecht besitzen berechtigte Interessen eine hohe Bedeutung, beispielsweise beim Auskunftsanspruch zwischen Vertragspartnern (§§ 242, 259 BGB) oder bei der Einsicht in bestimmte Unterlagen (z.B. Grundbuch, Vereinsregister). Hier ist stets eine Güterabwägung erforderlich, bei der das Interesse des Auskunftsersuchenden gegen das Interesse des Verpflichteten (etwa Geheimhaltungsinteressen) abgewogen wird.
Beispiel: Einsicht in das Grundbuch
Gemäß § 12 GBO (Grundbuchordnung) ist die Grundbucheinsicht nur zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse nachgewiesen wird. Das berechtigte Interesse kann nicht nur rechtlicher, sondern auch wirtschaftlicher Natur sein, etwa zur Vorbereitung einer Vermögensverfügung.
Berechtigte Interessen im Urheberrecht
Auskunfts- und Unterlassungsansprüche
Das Urheberrecht gewährt Dritten unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche, die an das Vorliegen berechtigter Interessen geknüpft sind. Das klassische Beispiel ist der Auskunftsanspruch (§ 101 UrhG), bei dem Rechteinhaber von Dritten Auskunft über Herkunft und Vertriebswege von urheberrechtswidrig hergestellten Produkten verlangen können. Hierbei wird das Interesse des Rechteinhabers an der Rechtsverfolgung dem Interesse des Auskunftsverpflichteten an Geheimhaltung gegenübergestellt und abgewogen.
Berechtigte Interessen im Gesellschaftsrecht
Informations- und Kontrollrechte
Im Gesellschaftsrecht stützt sich das Recht auf Einsicht und Auskunft häufig auf berechtigte Interessen. Gesellschafter können beispielsweise gemäß § 51a GmbHG Einsicht in die Bücher und Schriften der Gesellschaft verlangen, sofern sie ein berechtigtes Interesse darlegen können. Hierzu zählen etwa Verdachtsmomente auf Geschäftsführerverfehlungen oder zur Prüfung eventueller Ansprüche gegen die Geschäftsleitung.
Berechtigte Interessen im Miet- und Arbeitsrecht
Einsichtnahme und Auskunft
Im Mietrecht kann der Mieter vom Vermieter Auskunft und Belegeinsicht verlangen, beispielsweise bei der Betriebskostenabrechnung, wenn ein berechtigtes Interesse besteht (§ 259 BGB analog). Im Arbeitsrecht gilt entsprechendes bei Auskunftsansprüchen von Arbeitnehmern gegenüber dem Arbeitgeber, etwa zur Ermittlung der Gleichbehandlung nach dem Entgelttransparenzgesetz.
Abgrenzung zu vergleichbaren Rechtsbegriffen
Berechtigte Interessen sind von ähnlichen Rechtsbegriffen wie schutzwürdige Interessen, öffentliches Interesse oder besondere Interessen abzugrenzen. Während das berechtigte Interesse häufig als allgemeiner Auffangtatbestand fungiert, handelt es sich bei den anderen Begriffen um spezifischere Konstellationen oder höherrangige Wertungen.
Rechtsprechung und Auslegung
Die genaue Bestimmung und Abwägung berechtigter Interessen ist regelmäßig Gegenstand der Rechtsprechung. Gerichte wägen im Einzelfall jeweils die kollidierenden Interessen anhand der Umstände und der Intensität des beiderseitigen Interesses ab. Leitsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung geben für viele spezielle Fallgruppen Orientierung, bleiben aber stets von einer am Einzelfall orientierten Bewertung abhängig.
Fazit
Berechtigte Interessen sind ein facettenreicher und dynamischer Rechtsbegriff, der in vielen Rechtsgebieten eine zentrale Rolle spielt. Sie dienen der Abwägung individueller Rechte und Interessen im Spannungsfeld zwischen Privatperson, Unternehmen und öffentlichem Interesse. Die genaue Reichweite und Gewichtung berechtigter Interessen wird durch Gesetz, Rechtsprechung und Einzelfallumstände bestimmt. Für die Praxis ist die sorgfältige Abwägung und Dokumentation des berechtigten Interesses entscheidend, um Transparenz und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Schlagwörter: berechtigtes Interesse, Datenschutzrecht, Zivilrecht, Urheberrecht, Gesellschaftsrecht, Interessenabwägung, DSGVO, Auskunftsanspruch, Abgrenzung, Rechte und Pflichten
Häufig gestellte Fragen
Wann kann ein berechtigtes Interesse eine Verarbeitung personenbezogener Daten rechtfertigen?
Die Verarbeitung personenbezogener Daten auf Grundlage berechtigter Interessen ist gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zulässig, sofern die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen. Dies bedeutet, dass zunächst ein berechtigtes Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten bestehen muss, das die Datenverarbeitung verfolgt und nachweisbar ist. Im Anschluss daran ist eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen: Es gilt zu prüfen, ob das Interesse so gewichtig ist, dass die Verarbeitung gegenüber den schutzwürdigen Belangen der betroffenen Person Vorrang hat. Die Verarbeitung darf zudem nicht durch andere Rechtsvorschriften untersagt sein. Bestimmte Beispiele für berechtigte Interessen sind etwa die Verhinderung von Missbrauch, die Gewährleistung der IT-Sicherheit oder die Direktwerbung. Die Interessenabwägung muss dokumentiert werden und stellt sicher, dass die Rechte der betroffenen Personen, wie etwa Transparenz, Widerspruchsrecht und Datensparsamkeit, berücksichtigt werden. Werden besondere Kategorien personenbezogener Daten betroffen, sind zusätzliche Anforderungen und Schutzmaßnahmen zu beachten.
Wie muss das berechtigte Interesse im Sinne der DSGVO dokumentiert werden?
Die DSGVO verlangt in Art. 5 Abs. 2 die sogenannte Rechenschaftspflicht („Accountability“), wonach der Verantwortliche nachweisen können muss, dass die Grundsätze der Datenverarbeitung eingehalten werden, insbesondere wenn die Verarbeitung auf ein berechtigtes Interesse gestützt wird. Konkret bedeutet dies, dass das Interesse klar und nachvollziehbar beschreiben werden muss. Die Abwägungsentscheidung sollte schriftlich erfolgen und sowohl die Natur des berechtigten Interesses als auch die Interessen, Grundrechte und Freiheiten der betroffenen Personen sowie die ergriffenen Schutzmaßnahmen berücksichtigen. Diese Dokumentation erfolgt regelmäßig im sogenannten Verarbeitungsverzeichnis nach Art. 30 DSGVO und soll Aufsichtsbehörden oder Betroffenen auf Anfrage vorgelegt werden können. Die Dokumentation dient dem Nachweis, dass die Entscheidung sorgfältig und im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben getroffen wurde.
Welche Schutzmaßnahmen müssen bei einer Datenverarbeitung auf Grundlage berechtigter Interessen ergriffen werden?
Bei der Verarbeitung auf Basis berechtigter Interessen müssen angemessene technische und organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, um die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen zu schützen. Diese können die Pseudonymisierung oder Anonymisierung der Daten, Zugriffsbeschränkungen, Verschlüsselung, regelmäßige Überprüfung der Notwendigkeit der Verarbeitung sowie die Schulung des Personals umfassen. Ferner ist sicherzustellen, dass die Daten nicht länger aufbewahrt werden, als es für den Zweck erforderlich ist, und regelmäßige Löschroutinen implementiert werden. Ebenso sind klare Prozesse für die Wahrnehmung von Betroffenenrechten, wie Auskunft, Widerspruch oder Löschung, einzurichten. Ist die Verarbeitung mit einem hohen Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen verbunden, ist nach Art. 35 DSGVO eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchzuführen.
Welche Rechte haben Betroffene bei einer Verarbeitung aufgrund berechtigter Interessen?
Betroffenen stehen sämtliche Rechte gemäß der DSGVO zu, die speziell auch bei einer Verarbeitung basierend auf berechtigten Interessen gelten. Besonders hervorzuheben ist das Widerspruchsrecht nach Art. 21 Abs. 1 DSGVO: Betroffene können aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten Widerspruch einlegen. Der Verantwortliche darf daraufhin die Daten nicht mehr verarbeiten, es sei denn, er kann zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen, die die Interessen, Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen, oder die Verarbeitung dient der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen. Neben dem Widerspruchsrecht verbleiben Auskunftsrecht, Recht auf Berichtigung, Löschung und Einschränkung der Verarbeitung sowie das Recht auf Datenübertragbarkeit.
Welche Beispiele für berechtigte Interessen sind durch die Rechtsprechung oder Aufsichtsbehörden anerkannt?
Im Rahmen der Rechtsprechung und durch Leitlinien der Aufsichtsbehörden wurden zahlreiche Fallgruppen als berechtigtes Interesse im Sinne der DSGVO anerkannt. Dazu zählen insbesondere: die Verarbeitung zu Zwecken der Direktwerbung, die Wahrung der IT-Sicherheit und Netzwerkintegrität, die Verhinderung von Betrug oder Missbrauch, die Geltendmachung rechtlicher Ansprüche, sowie interne Verwaltungszwecke innerhalb von Unternehmensgruppen (etwa konzerninterne Übermittlungen). Auch die Videoüberwachung zum Schutz des Eigentums oder die Verarbeitung zur Sicherstellung der Sicherheit am Arbeitsplatz können als berechtigte Interessen gewertet werden. Wichtig ist stets, dass die Verarbeitung erforderlich ist und nach sorgfältiger Interessenabwägung keine überwiegenden Interessen der betroffenen Personen bestehen.
Welche Risiken bestehen, wenn eine Datenverarbeitung unzulässigerweise auf berechtigte Interessen gestützt wird?
Wird eine Verarbeitung personenbezogener Daten fälschlich auf berechtigte Interessen gestützt, drohen verschiedene rechtliche Konsequenzen. Zum einen kann die jeweilige Aufsichtsbehörde Sanktionen verhängen, welche von Verwarnungen bis hin zu erheblichen Geldbußen nach Art. 83 DSGVO reichen können. Zum anderen besteht das Risiko, dass betroffene Personen Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche geltend machen. Darüber hinaus kann ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften das Vertrauen von Kunden und Geschäftspartnern beeinträchtigen und zu Reputationsschäden führen. Um diese Risiken zu vermeiden, sind eine sorgfältige und dokumentierte Interessenabwägung sowie die Einhaltung aller Schutzmaßnahmen und Betroffenenrechte unerlässlich.