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Belästigung der Allgemeinheit


Begriff und rechtliche Einordnung der Belästigung der Allgemeinheit

Die Belästigung der Allgemeinheit ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht, der im Wesentlichen das unerlaubte Beeinträchtigen der Allgemeinheit durch bestimmte Handlungen erfasst. Gesetzlich ist die Belästigung der Allgemeinheit in § 118 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) geregelt. Der Tatbestand dient dem Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Störungen ihres Zusammenlebens durch rücksichtsloses, grob ungehöriges oder störendes Verhalten in der Öffentlichkeit.

Gesetzliche Grundlage

§ 118 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)

Nach § 118 Abs. 1 OWiG begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Diese Vorschrift ist als Auffangtatbestand im Ordnungswidrigkeitenrecht ausgestaltet und bezieht sich insbesondere auf Verhaltensweisen, die nicht von speziellen gesetzlichen Regelungen erfasst sind.

Wortlaut von § 118 OWiG:

„Ordnungswidrig handelt, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen.“

Verhältnis zu anderen Normen

Die Vorschrift findet nur dann Anwendung, wenn kein spezieller Straftatbestand oder Ordnungswidrigkeitentatbestand eingreift. Beispiele hierfür sind Störungen der Nachtruhe, öffentliche Ruhestörungen oder das Verstreuen von Abfällen (§ 326 StGB – unerlaubtes Entsorgen von Abfällen).

Tatbestandsmerkmale der Belästigung der Allgemeinheit

Die Unterscheidung und genaue Bestimmung der Tatbestandsmerkmale ist für das Verständnis und die Anwendung der Vorschrift zentral.

Grob ungehörige Handlung

Eine grob ungehörige Handlung setzt ein Verhalten voraus, das nach allgemeinem gesellschaftlichen Urteil in besonderem Maße als unpassend, unangemessen oder rücksichtslos angesehen wird. Die Grenze zur Ungehörigkeit ist überschritten, wenn das Verhalten sozial unerträglich erscheint, beispielsweise öffentliches Urinieren, gravierende Lärmbelästigungen oder mutwillige Verunreinigungen öffentlicher Anlagen.

Geeignetheit zur Belästigung oder Gefährdung der Allgemeinheit

Die Handlung muss geeignet sein, eine Vielzahl von Personen (Allgemeinheit) zu belästigen oder sogar zu gefährden, nicht lediglich Einzelne. Eine potenzielle, nicht rein theoretische Möglichkeit einer Belästigung oder Gefährdung reicht dabei aus.

Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung

Ein wesentliches Merkmal ist die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung. Hierunter versteht man den ungeschriebenen Teil der Rechtsordnung, d.h. die Gesamtheit der Regeln, deren Beachtung nach herrschender sozialethischer Auffassung als unentbehrliche Voraussetzungen für ein geordnetes menschliches Zusammenleben angesehen werden.

Strafrechtliche und ordnungsrechtliche Einordnung

Rechtsnatur und Sanktionen

Die Belästigung der Allgemeinheit stellt keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit dar. Die zuständigen Verwaltungsbehörden können eine Geldbuße verhängen. Eine Strafbarkeit ist nur dann gegeben, wenn der Sachverhalt durch ein spezielles Strafgesetz erfasst wird.

Abgrenzung zu anderen Delikten

  • Straftaten: Verhaltensweisen, die im Strafgesetzbuch als Straftaten geregelt sind, wie z.B. schwere Umweltverschmutzungen (§ 324 StGB), werden vorrangig angewendet.
  • Andere Ordnungswidrigkeiten: §§ 117, 119 OWiG erfassen weitere Verhaltensweisen im Bereich der öffentlichen Ordnung (z.B. Begehung von Lärm oder grobe Belästigung während öffentlicher Veranstaltungen).

Nebeneinander von Maßnahmen

Neben der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit können im Einzelfall polizeirechtliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergriffen werden.

Typische Fallgruppen

Öffentliche Belästigung

Wiederkehrende Praxisfälle sind das Lärmen in Wohngebieten zu nächtlicher Zeit, die Verunreinigung von Gehwegen und Parkanlagen mit Abfällen oder ähnliche nachteilige Einwirkungen auf den öffentlichen Raum.

Störung von Ruhe und Ordnung

Unter die grob ungehörige Handlung können Verhaltensweisen wie laute Musik auf öffentlichen Plätzen, das „Posing“ von Fahrzeugen oder gezielte Provokationen in der Öffentlichkeit fallen. Hierbei muss die Allgemeinheit und nicht nur ein Einzelner betroffen sein.

Gefährdung durch leichtfertiges Handeln

Ein weiteres Beispiel ist das Abbrennen von Feuerwerkskörpern außerhalb erlaubter Zeiten mit Verletzungsgefahr für Passanten; auch dies kann unter § 118 OWiG fallen, sofern keine weitergehenden Vorschriften eingreifen.

Verfahren und Rechtsfolgen

Zuständige Behörde

Für die Verfolgung und Ahndung ist üblicherweise die örtliche Ordnungsbehörde (z.B. Stadtverwaltung, Landratsamt) zuständig. Die Polizei kann als Amtsträger Maßnahmen zur Gefahrenabwehr treffen und den Sachverhalt an die zuständige Behörde weiterleiten.

Bußgeldrahmen und Sanktionen

Der Bußgeldrahmen für eine Belästigung der Allgemeinheit ist im Bußgeldkatalog der zuständigen Länder und Kommunen geregelt. Er kann, abhängig von Schwere und Häufigkeit des Verstoßes, deutlich variieren.

Rechtsschutz und Rechtsmittel

Rechtsmittel gegen Bußgeldbescheide

Gegen einen Bußgeldbescheid kann der Betroffene Einspruch einlegen. Über den Einspruch entscheidet zunächst die Behörde; kommt es zu keiner Einigung, kann das Amtsgericht angerufen werden. In diesem gerichtlichen Verfahren erfolgt eine umfassende Sachverhalts- und Rechtsprüfung.

Bedeutung und aktuelle Entwicklung

Sozialer Wandel und Anpassung der Norm

Die Norm des § 118 OWiG ist bewusst offen gehalten, um flexibel auf gesellschaftliche Veränderungen und neue Erscheinungsformen öffentlicher Belästigung reagieren zu können. Mit dem Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen verändern sich auch die Anwendungsbereiche und Maßstäbe für die grobe Ungehörigkeit.

Kritik und Diskussion

Die offene Formulierung der Vorschrift ist Gegenstand gesetzgeberischer und wissenschaftlicher Diskussion. Kritisiert wird insbesondere, dass der Tatbestand zu unbestimmt sei und einen zu großen Auslegungsspielraum eröffne. Die Praxis bestätigt, dass Gerichte stets eine Einzelfallbetrachtung vornehmen und auf die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts abstellen.

Literaturhinweise und weiterführende Informationen

  • Michael Sachs: Ordnungswidrigkeitengesetz. Kommentar, Beck, aktuelle Auflage
  • Schönke/Schröder: Strafgesetzbuch, Kommentar, Kapitel zum OWiG
  • Fischer: Strafgesetzbuch, Kommentar, Ausführungen zur groben Ungehörigkeit
  • Broschüren und Informationen der Landespolizeibehörden zu öffentlichen Ordnungswidrigkeiten

Hinweis: Dieser Beitrag bietet einen fundierten, thematisch umfassenden Überblick zum Thema „Belästigung der Allgemeinheit“ für rechtswissenschaftliche Nutzung und als Nachschlagewerk zu den rechtlichen Aspekten dieses Begriffs.

Häufig gestellte Fragen

Was sind typische Beispiele für eine Belästigung der Allgemeinheit nach deutschem Recht?

Typische Beispiele für eine Belästigung der Allgemeinheit gemäß deutschem Recht, insbesondere § 118 OWiG (Gesetz über Ordnungswidrigkeiten), umfassen Handlungen, die das übliche Empfinden der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigen oder gefährden können. Dazu zählen etwa unzulässiges Lärmen, wie laute Musik in Wohngebieten zu Nachtzeiten, erhebliche Geruchsbelästigungen durch das Verbrennen von Abfällen, Verschmutzung öffentlicher Wege durch das Liegenlassen von Müll, wilde Plakatierungen oder das Verrichten der Notdurft an öffentlichen Plätzen. Auch das unberechtigte Abstellen von Fahrzeugen auf Gehwegen, das Blockieren von Zufahrten oder das vorsätzliche Verschmutzen von Gewässern können darunterfallen. Entscheidend ist stets, dass die Handlung geeignet ist, das Wohl der Allgemeinheit über das übliche Maß hinaus zu beeinträchtigen und somit das öffentliche Interesse verletzt wird.

Wer ist für die Verfolgung und Ahndung von Belästigungen der Allgemeinheit zuständig?

Die Verfolgung und Ahndung von Belästigungen der Allgemeinheit obliegt im Allgemeinen den Ordnungsbehörden, insbesondere den örtlichen Ordnungsämtern. Je nach Einzelfall kann auch die Polizei zuständig sein, sofern die Belästigung unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung birgt. Die Behörden sind im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts ermächtigt, Bußgelder zu verhängen und gegebenenfalls Gefahren abzuwehren, indem sie Platzverweise aussprechen oder andere ordnungsrechtliche Maßnahmen einleiten. Bei wiederholten oder besonders schwerwiegenden Verstößen kann zudem die Staatsanwaltschaft involviert werden, insbesondere wenn durch die Handlung auch strafrechtliche Normen verletzt werden.

Welche rechtlichen Folgen drohen bei einer festgestellten Belästigung der Allgemeinheit?

Wird eine Belästigung der Allgemeinheit festgestellt, drohen in erster Linie ordnungsrechtliche Sanktionen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Insbesondere sieht § 118 OWiG die Verhängung von Bußgeldern vor, deren Höhe sich nach Art, Umfang und Schwere der Handlung richtet und im Einzelfall mehrere hundert Euro betragen kann. Bei besonders schweren oder wiederholten Verstößen können auch höhere Bußgelder verhängt werden. Neben dem Bußgeld kann die Ordnungsbehörde auch kostenpflichtige Beseitigungsanordnungen oder weitere verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie das Anordnen von Ersatzvornahmen treffen. Im Falle von anhaltender oder erheblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann auch eine strafrechtliche Verfolgung erfolgen, sofern einschlägige Tatbestände wie etwa Sachbeschädigung, Umweltstraftaten oder Körperverletzung verwirklicht werden.

Ist das subjektive Empfinden für eine Belästigung der Allgemeinheit maßgeblich?

Für die Feststellung einer Belästigung der Allgemeinheit kommt es nicht auf das subjektive Empfinden einzelner Personen an, sondern maßgeblich ist ein objektiver Maßstab. Maßstab ist das Empfinden eines verständigen und durchschnittlich empfindlichen Mitglieds der Allgemeinheit. Einzelmeinungen oder individuelle Empfindlichkeiten sind für die rechtliche Bewertung nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, ob die Handlung nach objektiven Kriterien geeignet ist, das Empfinden der Allgemeinheit oder erheblicher Teile davon zu beeinträchtigen. Die Rechtsprechung stellt demnach auf den sogenannten hypothetischen Durchschnittsbürger ab, wodurch eine möglichst einheitliche und nachvollziehbare Bewertung erfolgen soll.

Welche Rolle spielen Vorsatz und Fahrlässigkeit bei der Beurteilung?

Auch der Grad des Verschuldens spielt eine bedeutende Rolle. Sowohl vorsätzliches als auch fahrlässiges Handeln kann eine Ordnungswidrigkeit nach § 118 OWiG begründen. Wer eine Handlung, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen, willentlich begeht, handelt vorsätzlich. Aber auch dann, wenn jemand die Auswirkungen seiner Handlung auf die Allgemeinheit zur Kenntnis hätte nehmen können und fahrlässig die nötige Sorgfalt außer Acht lässt, kann eine Ordnungswidrigkeit vorliegen. Dabei wird im Rahmen der Zumessung der Sanktionen regelmäßig berücksichtigt, ob die Belästigung vorsätzlich oder fahrlässig erfolgte.

Gibt es Ausnahmen oder Rechtfertigungsgründe für eine Belästigung der Allgemeinheit?

Es existieren durchaus Ausnahmefälle, in denen eine an sich störende Handlung gerechtfertigt sein kann. So greifen z. B. andere Rechtsvorschriften, wenn eine Handlung im Rahmen hoheitlicher Aufgaben, aufgrund einer behördlichen Genehmigung oder aus Gründen höherer Gewalt erfolgt. Ebenso kann eine Belästigung der Allgemeinheit gerechtfertigt sein, wenn sie im Rahmen zulässiger Ausübung von Grundrechten (z. B. Versammlungsfreiheit) erfolgt, wobei hier meist eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Grundrechtspositionen der Beteiligten vorzunehmen ist. Auch sozialadäquates Verhalten, etwa durch kurzzeitige Beeinträchtigungen im Rahmen von Bauarbeiten, kann unter bestimmten Voraussetzungen von einer Ahndung ausgenommen sein.