Begriff und rechtliche Einordnung der Behinderung von Parlamentariern
Die Behinderung von Parlamentariern bezeichnet die unzulässige Beschränkung oder Unterbindung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte und Befugnisse von gewählten Abgeordneten innerhalb eines Parlaments. Im deutschen Rechtsraum stellt die Behinderung von Abgeordneten einen schwerwiegenden Verstoß gegen die parlamentarische Demokratie und die freie Mandatsausübung dar und ist straf- sowie verfassungsrechtlich relevant. Die Regelungen hierzu finden sich insbesondere im Grundgesetz (GG), im Strafgesetzbuch (StGB) sowie in den verfahrensrechtlichen Ordnungen der jeweiligen Parlamente.
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Freies Mandat gemäß Art. 38 Grundgesetz
Im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Betrachtung steht das freie Mandat nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG. Danach sind Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes und an Weisungen nicht gebunden, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen. Dieses Grundprinzip schützt die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten und soll sicherstellen, dass die parlamentarische Arbeit unbeeinträchtigt ausgeübt werden kann.
Rechte der Abgeordneten und Schutz vor Behinderung
Abgeordnete haben im Rahmen ihres Mandats verschiedene Rechte, darunter:
- Redefreiheit
- Stimmrecht
- Teilnahme an Ausschüssen und Fraktionen
- Informationsbeschaffung
- Initiativrecht (Einbringung von Vorlagen)
- Immunität und Indemnität
Diese Rechte werden umfassend durch das Grundgesetz, die Geschäftsordnungen der Parlamente sowie die Abgeordnetengesetze geschützt. Eine Behinderung liegt vor, wenn Dritte oder staatliche Stellen diese Rechte einschränken oder deren Ausübung verhindern.
Strafrechtliche Aspekte
§ 106 StGB: Nötigung von Verfassungsorganen
Der Tatbestand der Nötigung von Verfassungsorganen (§ 106 StGB) schützt die Funktionsfähigkeit der höchsten Organe der Bundesrepublik Deutschland, zu denen auch die Mitglieder des Bundestages zählen. Wer mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel ein Mitglied einer der in § 106 Absatz 1 StGB genannten Organe zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, die gegen dessen dienstliche Pflichten verstößt, macht sich strafbar.
§ 108e StGB: Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern
Ergänzend schützt § 108e StGB die Integrität der Mandatsausübung und wertet auch indirekte Formen der Manipulation, etwa durch Korruptionsdelikte, als strafbare Handlungen, die sich mitunter als Behinderung der freien und unabhängigen Ausübung des Mandats auswirken können.
Ablauf und Formen der Behinderung
Behinderung von Parlamentariern kann in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten:
- Physische Behinderung: Verhinderung der Teilnahme an Sitzungen durch Blockaden oder andere physische Einwirkungen.
- Psychische oder wirtschaftliche Behinderung: Ausübung von Druck, Drohungen, Stalking oder Erpressung zur Mandatsniederlegung oder zur Änderung politischen Verhaltens.
- Informationsverweigerung: Systematische Vorenthaltung relevanter Informationen oder Dokumente durch Behörden oder Dritte.
- Technische Manipulation: Beeinträchtigung der Kommunikations- oder Abstimmungsprozesse, z. B. durch Störung digitaler Abstimmungen oder Technikinfrastrukturen.
Parlamentsrechtliche Maßnahmen
Ordnungsgewalt des Parlaments
Die Parlamente verfügen über eigene Ordnungsbefugnisse zur Sicherstellung des ungestörten Ablaufs ihrer Arbeiten. Mittel hierzu sind unter anderem:
- Hausrecht des Präsidenten (z. B. gemäß § 7 GO-BT)
- Disziplinarmaßnahmen gegen störende Mitglieder
- Zugangsbeschränkungen für Besucher
Die Störung oder Behinderung eines Abgeordneten durch Parlamentsangehörige kann durch diese Befugnisse geahndet werden.
Rechtsschutz und Durchsetzung
Rechtsmittel und gerichtlicher Schutz
Betroffene Abgeordnete haben verschiedene Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung:
- Beschwerde an das Präsidium
- Anrufung von Parlamentsausschüssen
- Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG bei Streitigkeiten über Rechte und Pflichten eines Organs oder Mitglieds eines Organs
Straf- und zivilrechtliche Schritte
Sind strafbare Handlungen gegeben, können Strafanzeigen oder Privatklagen erhoben werden. Auch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen können geltend gemacht werden.
Immunität, Indemnität und Einschränkbarkeit
Immunität
Die Immunität schützt Abgeordnete vor Strafverfolgungsmaßnahmen während der Ausübung ihres Mandats (§ 46 Abs. 2 GG). Maßnahmen, die zu einer Behinderung führen, benötigen i.d.R. eine Aufhebung der Immunität durch das Parlament.
Indemnität
Durch die Indemnität gemäß Artikel 46 GG sind Abgeordnete für Äußerungen im Parlament straflos gestellt. Angriffe auf die parlamentarische Redefreiheit, etwa durch Zensur oder Repressalien, gelten als besonders schwerwiegende Form der Behinderung.
Bedeutung für die Demokratie
Die Verhinderung oder Einschränkung der Rechte von Abgeordneten betrifft zentrale Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates. Die freie Ausübung des parlamentarischen Mandats ist Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit parlamentarischer Gremien und die politische Willensbildung.
Fazit:
Die Behinderung von Parlamentariern ist rechtlich umfassend geregelt und berührt zahlreiche verfassungs-, straf- und parlamentsrechtliche Normen. Ziel sämtlicher Regelungen ist der Schutz der Integrität, Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit der Legislative als wesentliches Element der demokratischen Rechtsordnung. Verstöße gegen diese Schutzmechanismen können schwerwiegende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Regelungen bestehen für die Feststellung einer Behinderung bei Parlamentariern?
Für Parlamentarier gelten hinsichtlich der Feststellung einer Behinderung grundsätzlich die allgemeinen gesetzlichen Maßstäbe des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) und die Feststellung durch die zuständigen Versorgungsämter oder Behörden nach § 152 SGB IX. Ein spezielles Verfahren zur Feststellung einer Behinderung lediglich für Mitglieder eines Parlaments existiert nicht. Erforderlich ist die Vorlage eines entsprechenden Feststellungsbescheides oder Behindertenausweises, damit spezifische Rechte und Nachteilsausgleiche geltend gemacht werden können. Das Parlament als Institution erhält dabei keine Einsicht in medizinische Unterlagen, sondern es werden ausschließlich Nachweise des festgestellten Grades der Behinderung (GdB) anerkannt, um Datenschutz und Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten.
Welche besonderen Rechte stehen behinderten Parlamentariern rechtlich zu?
Behinderten Parlamentariern stehen verschiedene rechtliche Ansprüche auf Nachteilsausgleiche und Unterstützung zu, insbesondere aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dem SGB IX sowie aus der jeweiligen Geschäftsordnung des Parlaments. Dazu zählt insbesondere das Recht auf angemessene Vorkehrungen, wie barrierefreie Zugänge zu Gebäuden und Sitzungsräumen, Bereitstellung von Assistenz, Gebärdensprachdolmetschern oder technischen Hilfsmitteln. Rechtliche Grundlage ist hierbei die UN-Behindertenrechtskonvention, die auch für deutsche Gesetzgebungsorgane gilt und Chancengleichheit im politischen Prozess fordert. Gegebenenfalls kann der Anspruch durch Anrufung des Petitionsausschusses oder Verwaltungsgerichts durchgesetzt werden.
Bestehen rechtliche Hürden für eine Kandidatur zum Parlament bei bestehender Behinderung?
Das passive Wahlrecht ist in Deutschland grundsätzlich nicht von einem etwaigen Behinderungsstatus abhängig. Artikel 38 des Grundgesetzes garantiert das allgemeine und gleiche Wahlrecht, wobei keine Einschränkungen aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung vorgesehen sind. Ausnahmen bestehen nur in den gesetzlich besonders geregelten Fällen des § 13 Nr. 2 Bundeswahlgesetz, wenn jemand infolge eines gerichtlichen Beschlusses auf Dauer aller seiner öffentlichen Rechte verlustig gegangen ist; eine Behinderung ist hierbei kein Ausschlussgrund. Für den Zugang zu Wahlen, Kandidatenaufstellungen sowie Wahlkampfhandlungen gelten ebenfalls die Anforderungen an Barrierefreiheit nach der Wahlrechtsnovelle und der UN-BRK.
Wie ist die barrierefreie Ausgestaltung der Parlamentsarbeit gesetzlich geregelt?
Die Verpflichtung zu einer barrierefreien Ausgestaltung der Parlamentsarbeit ergibt sich unmittelbar aus § 4 SGB IX sowie dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). Hierbei geht es um die Gestaltung baulicher Anlagen, digitale Arbeitsmittel, Sitzungsunterlagen sowie Kommunikationshilfen. Die jeweiligen Parlamentsverwaltungen sind nach § 8 BGG verpflichtet, Barrieren systematisch abzubauen und parlamentarische Prozesse so zu gestalten, dass Parlamentarier mit Behinderung gleichberechtigt teilnehmen können. Die Geschäftsordnungen der Parlamente sehen häufig zusätzliche Regelungen zur Unterstützung im Sitzungsbetrieb vor. Die Umsetzung wird in der Praxis von diversen Behindertenbeauftragten oder Inklusionsbeauftragten begleitet und kontrolliert.
Welche Pflichten treffen das Parlament in Bezug auf Diskriminierungsschutz?
Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie dem SGB IX ist das Parlament verpflichtet, Diskriminierungen von Mitgliedern mit Behinderung aktiv zu verhindern und Benachteiligungen auszugleichen. Dazu zählen sowohl Maßnahmen zur Sensibilisierung als auch die Durchsetzung von Schutzmechanismen im internen Parlamentsbetrieb. Verstöße kann das betroffene Parlamentsmitglied nach § 15 AGG geltend machen, wodurch unter anderem Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche entstehen können. Ferner besteht für Parlamentarier der Zugang zu unabhängigen Beratungs- und Beschwerdestellen.
Haben behinderte Parlamentarier einen Anspruch auf Assistenzleistungen während der Mandatsausübung?
Ja, Parlamentarier mit Behinderung haben gemäß § 166 SGB IX sowie den entsprechenden Regelwerken der Parlamentsverwaltungen einen Anspruch auf notwendige Assistenzleistungen, die eine effektive Mandatswahrnehmung ermöglichen. Dazu zählen beispielsweise persönliche Assistenz, Vorlese- oder Schreibdienst, Gebärdensprachdolmetscher oder technische Assistenzsysteme. Die Finanzierung erfolgt je nach Gesetzeslage entweder durch den Parlamentshaushalt oder über Integrationsämter beziehungsweise spezielle Disability-Units innerhalb der Parlamentsverwaltung. Ferner können individuelle Bedarfe im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements geklärt werden.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei Streitigkeiten zu Nachteilsausgleichen?
Kommt es zu Streitigkeiten hinsichtlich der Gewährung oder dem Umfang von Nachteilsausgleichen, steht dem Parlamentarier der ordentliche Rechtsweg offen. Zumeist beginnt das Verfahren mit einer Beschwerde an die Gleichstellungs- oder Behindertenbeauftragten des Parlaments. Bleibt dies ohne Erfolg, kann der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden. Entsprechende Klage- und Beschwerdemechanismen sind im BGG sowie im SGB IX geregelt. Darüber hinaus kann der Parlamentarier den Petitionsausschuss des jeweiligen Parlaments anrufen oder sich an den oder die Landesbehindertenbeauftragte(n) wenden. Die Rechtsprechung legt dabei großen Wert auf eine zügige, diskriminierungsfreie Bearbeitung der Anliegen.