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Behinderung im Sozialrecht

Begriff und Einordnung von Behinderung im Sozialrecht

Im Sozialrecht beschreibt der Begriff Behinderung eine nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung körperlicher Funktionen, geistiger Fähigkeiten oder der seelischen Gesundheit, die die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert. Maßgeblich ist nicht allein eine Diagnose, sondern die Auswirkung auf Alltag, Bildung, Arbeit, Mobilität und soziale Beziehungen. Der sozialrechtliche Blick richtet sich damit auf die Barrieren zwischen Mensch und Umwelt und weniger auf ein Defizit.

Abgrenzung zur Beeinträchtigung und zur Krankheit

Eine Beeinträchtigung kann vorliegen, ohne dass sie die Teilhabe spürbar einschränkt. Erst wenn die Mitwirkung am gesellschaftlichen Leben erheblich erschwert wird, liegt sozialrechtlich eine Behinderung vor. Krankheiten können vorübergehend oder chronisch sein; relevant wird eine Krankheit im sozialrechtlichen Sinne erst, wenn ihre Folgen die Teilhabe dauerhaft und in bedeutsamer Weise beeinträchtigen.

Dauerhaftigkeit und Teilhabebezug

Die Beurteilung orientiert sich daran, ob die Einschränkungen nicht nur kurzfristig bestehen und die Lebensführung nachhaltig prägen. Entscheidend ist der Teilhabebezug: Welche Aktivitäten sind möglich, welche Situationen sind nur mit erhöhtem Aufwand, unter Schmerzen oder gar nicht erreichbar?

Entwicklungsstand und Lebensalter

Bei Kindern und Jugendlichen wird der altersangemessene Entwicklungsstand berücksichtigt. Maßstab ist, ob die Teilhabe gemessen am jeweiligen Lebensalter erheblich eingeschränkt ist.

Feststellung und Grad der Behinderung (GdB)

Die sozialrechtliche Feststellung dient der objektiven Bewertung der Auswirkungen einer Beeinträchtigung. Sie ist Grundlage für Nachteilsausgleiche und Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe.

Grad der Behinderung

Der Grad der Behinderung (GdB) bildet den Schweregrad der Beeinträchtigung in Zehnerschritten von 20 bis 100 ab. Er bewertet nicht die Diagnose, sondern die Funktionsbeeinträchtigung und ihre Auswirkungen in der Lebensführung. Mehrere Beeinträchtigungen werden nicht addiert, sondern in ihrer Gesamtauswirkung gewürdigt.

Schwerbehinderung

Ab einem GdB von 50 spricht man von einer Schwerbehinderung. Diese Zuerkennung ist mit besonderen Nachteilsausgleichen verbunden. Menschen mit einem GdB von 30 oder 40 können unter bestimmten Voraussetzungen gleichgestellt werden, was in einzelnen Bereichen ähnliche Rechtsfolgen entfalten kann.

Merkzeichen

Zusätzlich zum GdB werden Merkzeichen vergeben, die bestimmte Bedarfe und Nachteilsausgleiche kennzeichnen, zum Beispiel für erhebliche oder außergewöhnliche Gehbehinderung, Begleitpersonenerfordernis, Hilflosigkeit, Blindheit, Gehörlosigkeit oder eingeschränkte Mobilität. Merkzeichen sind im Ausweis eingetragen und dienen als Nachweis für spezifische Unterstützungsrechte.

Verfahren der Feststellung

Die Feststellung erfolgt durch zuständige Behörden auf Basis medizinischer Unterlagen und gutachterlicher Bewertungen. Sie endet in einem Bescheid über den GdB, gegebenenfalls mit Merkzeichen, und einem Ausweis. Der Feststellungszeitraum kann befristet oder unbefristet sein. Änderungen der gesundheitlichen Situation können zu einer Neubewertung führen.

Rechtsfolgen und Nachteilsausgleiche

Die Feststellung einer (Schwer-)Behinderung ist mit Nachteilsausgleichen verbunden. Diese sollen Benachteiligungen ausgleichen, die sich aus Barrieren oder aus den Folgen der Beeinträchtigung ergeben.

Arbeit und Beschäftigung

Im Arbeitsleben reichen die Wirkungen von besonderem Kündigungsschutz über Zusatzurlaub bis hin zu Unterstützungsangeboten für einen geeigneten Arbeitsplatz, technische Arbeitshilfen oder begleitende Hilfen. Ziel ist, Beschäftigung zu sichern oder herzustellen und berufliche Entwicklung zu ermöglichen.

Mobilität und Alltagsleben

Merkzeichen können zu Vergünstigungen im öffentlichen Personennahverkehr, Parkerleichterungen oder Befreiungen und Ermäßigungen bei bestimmten öffentlichen Abgaben führen. Diese Regelungen knüpfen an den nachgewiesenen Bedarf an Unterstützung oder barrierefreie Nutzung an.

Steuerliche Erleichterungen

Je nach GdB und Merkzeichen gibt es Pauschbeträge und weitere steuerliche Vergünstigungen, die Aufwendungen ausgleichen sollen, die im Alltag durch die Beeinträchtigung entstehen.

Bildung und Prüfungen

Im Bildungsbereich kommen Nachteilsausgleiche in Betracht, die den Zugang, die Teilnahme und die Bewertung von Leistungen so gestalten, dass Beeinträchtigungen ausgeglichen werden. Dazu zählen zum Beispiel angepasste Prüfungsmodalitäten oder barrierefreie Lernumgebungen.

Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe

Rehabilitation und Teilhabe bilden den Kernbereich des sozialrechtlichen Schutzes. Ziel ist, mit passgenauen Leistungen die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe zu fördern.

Medizinische Rehabilitation

Dazu gehören diagnostische und therapeutische Maßnahmen, Heil- und Hilfsmittel, medizinische Therapien, Psychotherapie, Rehabilitationssport oder Funktionstraining. Sie richten sich auf Stabilisierung, Wiederherstellung oder Kompensation beeinträchtigter Funktionen.

Teilhabe am Arbeitsleben

Leistungen umfassen Beratung, Qualifizierung, technische Hilfen, Anpassung des Arbeitsplatzes, Mobilitätshilfen sowie Unterstützung bei Aufnahme, Sicherung oder Wiederaufnahme einer Beschäftigung. Auch Leistungen an Arbeitgeber können vorgesehen sein, wenn dadurch die Teilhabe am Arbeitsleben gesichert wird.

Teilhabe an Bildung

Hierzu zählen unterstützende Maßnahmen in Schule, Ausbildung, Hochschule und Weiterbildung, inklusive Assistenz, Hilfsmittel und barrierefreie Gestaltung der Lernumgebung.

Soziale Teilhabe

Leistungen dienen der selbstbestimmten Lebensführung, etwa Assistenz, Mobilitätshilfen, Kommunikationshilfen, Freizeit- und Kulturteilhabe, Wohnformen sowie Maßnahmen zur Stärkung sozialer Beziehungen.

Koordination der Träger

Rehabilitationsträger stimmen ihre Leistungen ab. Zielorientierte Planungen ermöglichen, dass Leistungen nahtlos und bedarfsorientiert ineinandergreifen. Schnittstellen zwischen verschiedenen Systemen sollen dadurch überwunden werden.

Gleichstellung, Diskriminierungsschutz und Barrierefreiheit

Der rechtliche Rahmen sichert Menschen mit Behinderungen Schutz vor Benachteiligung und fördert die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen.

Benachteiligungsverbot

Benachteiligungen wegen einer Behinderung sind unzulässig. Dies gilt insbesondere in Bereichen wie Beschäftigung, Bildung, Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, öffentlich-rechtliche Verfahren und Verwaltungshandeln.

Angemessene Vorkehrungen

Angemessene Vorkehrungen sind konkrete, zumutbare Anpassungen im Einzelfall, um gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, etwa durch barrierefreie Kommunikation, technische Unterstützung oder organisatorische Anpassungen. Eine unzumutbare oder unverhältnismäßige Belastung muss dabei vermieden werden.

Barrierefreiheit

Barrierefreiheit zielt auf die allgemeine, vorausschauende Gestaltung von Gebäuden, Verkehrsmitteln, Informations- und Kommunikationsangeboten sowie digitalen Diensten, sodass sie ohne besondere Erschwernis genutzt werden können. Sie ergänzt die individuellen Vorkehrungen und dient als strukturelle Voraussetzung für Inklusion.

Kinder und Jugendliche

Für Minderjährige wird der Unterstützungsbedarf im Lichte der altersgerechten Entwicklung beurteilt. Frühförderung, inklusive Bildungsangebote und Assistenzsysteme zielen darauf, Entwicklungs- und Bildungschancen zu sichern und familiäre Lebenssituationen zu stabilisieren.

Übergang in Ausbildung und Arbeit

Beim Übergang von der Schule in Ausbildung und Arbeit werden Maßnahmen der Berufsorientierung, Qualifizierung und Begleitung aufeinander abgestimmt. Ziel ist, die nachhaltige Teilhabe am Arbeitsleben und eigenständige Lebensführung zu unterstützen.

Schnittstellen zu Gesundheit, Pflege und Sozialsystem

Behinderung überschneidet sich häufig mit Themen der Gesundheitsversorgung und Pflege. Sozialrechtlich werden die Systeme aufeinander abgestimmt, um Versorgungslücken zu vermeiden.

Pflegebedürftigkeit und Behinderung

Behinderung und Pflegebedürftigkeit sind unterschiedliche Rechtsbegriffe. Sie können nebeneinander bestehen. Während die Feststellung der Behinderung an der Teilhabe ansetzt, richtet sich Pflegebedürftigkeit nach Unterstützungsbedarf in Bereichen wie Selbstversorgung und Mobilität.

Hilfsmittel, Heilmittel und Assistenz

Hilfsmittel und Heilmittel ordnen sich in den Bereich medizinischer Versorgung ein, Assistenzleistungen überwiegend in die soziale Teilhabe. Zuständigkeiten und Leistungsinhalte sind aufeinander abzustimmen, um die erforderliche Unterstützung vollständig zu erfassen.

Verfahrensaspekte, Nachweis und Dauer

Die Anerkennung von Behinderung stützt sich auf nachvollziehbare medizinische Grundlagen und eine einheitliche Bewertungspraxis.

Begutachtung und Nachweise

Bewertungen erfolgen anhand ärztlicher Befunde, funktioneller Tests und nachvollziehbarer Einschätzungen der Auswirkung auf die Lebensführung. Die Nachweise sollen aktuell, aussagekräftig und auf die Teilhabebeeinträchtigungen bezogen sein.

Befristung, Überprüfung und Änderung

Feststellungen können befristet sein, insbesondere wenn Änderungen zu erwarten sind. Verbessern oder verschlechtern sich die Verhältnisse, ist eine Überprüfung und Anpassung der Feststellung möglich. Unbefristete Feststellungen bleiben wirksam, solange die Voraussetzungen bestehen.

Auslandsbezüge

Bei Anerkennungen aus dem Ausland wird geprüft, inwieweit sie mit den inländischen Bewertungsmaßstäben vergleichbar sind. Die Anerkennung kann sich auf Nachteilsausgleiche und Leistungen auswirken, soweit eine Vergleichbarkeit gegeben ist.

Häufig gestellte Fragen zum Thema Behinderung im Sozialrecht

Wann liegt im sozialrechtlichen Sinne eine Behinderung vor?

Eine Behinderung liegt vor, wenn Beeinträchtigungen der Körperfunktionen, der geistigen Fähigkeiten oder der seelischen Gesundheit nicht nur vorübergehend bestehen und die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erheblich erschweren. Maßgeblich sind Ausmaß und Dauer der Teilhabeeinschränkung, nicht allein eine Diagnose.

Was bedeutet der Grad der Behinderung (GdB)?

Der GdB beschreibt den Schweregrad der funktionalen Einschränkungen in Zehnerschritten von 20 bis 100. Er bewertet die Auswirkungen auf die Lebensführung. Mehrere Beeinträchtigungen werden in ihrer Gesamtschau beurteilt. Der GdB ist Grundlage für Nachteilsausgleiche.

Ab wann gilt man als schwerbehindert?

Als schwerbehindert gilt, wessen GdB 50 oder höher festgestellt wurde. Mit der Anerkennung sind besondere Nachteilsausgleiche verbunden. Bei einem GdB von 30 oder 40 kann eine Gleichstellung möglich sein, die in bestimmten Bereichen vergleichbare Wirkungen entfaltet.

Welche Bedeutung haben Merkzeichen im Ausweis?

Merkzeichen kennzeichnen besondere Bedarfe, etwa in der Mobilität, bei der Notwendigkeit einer Begleitperson oder bei Kommunikations- und Orientierungsbeeinträchtigungen. Sie dienen als Nachweis für spezifische Vergünstigungen und Unterstützungsleistungen.

Welche Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe sind vorgesehen?

Vorgesehen sind medizinische Rehabilitation (zum Beispiel Therapien, Hilfsmittel), Teilhabe am Arbeitsleben (etwa Qualifizierung, technische Hilfen, Arbeitsplatzanpassung), Teilhabe an Bildung (unterstützende Maßnahmen in Schule, Ausbildung, Hochschule) sowie Leistungen zur sozialen Teilhabe (Assistenz, Mobilität, Kommunikation, Wohnen, Kultur und Freizeit).

Wie lange gilt eine Feststellung und kann sie geändert werden?

Feststellungen können befristet oder unbefristet sein. Bei veränderter gesundheitlicher Situation ist eine Überprüfung möglich, die zu einer Anpassung des GdB oder der Merkzeichen führen kann.

Werden Anerkennungen aus dem Ausland in Deutschland berücksichtigt?

Ausländische Feststellungen können berücksichtigt werden, wenn sie mit inländischen Maßstäben vergleichbar sind. Maßgeblich ist die Übertragbarkeit auf die hiesigen Kriterien und Bewertungssysteme, insbesondere hinsichtlich GdB und Merkzeichen.