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Behinderte Menschen


Begriff und Definition: Behinderte Menschen im Rechtssinne

Als behinderte Menschen werden gemäß deutschem und internationalem Recht Personen bezeichnet, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen aufweisen, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Der Begriff ist rechtlich umfassend geregelt und unterliegt im Einzelnen verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen auf nationaler und internationaler Ebene.

UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)

Die UN-Behindertenrechtskonvention bildet das völkerrechtliche Fundament für den Schutz und die Förderung der Rechte behinderter Menschen. Nach Artikel 1 UN-BRK gelten als Personen mit Behinderungen diejenigen, „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“

Definition nach deutschem Recht

Im deutschen Recht ist der Begriff insbesondere im Sozialgesetzbuch (SGB IX) definiert. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind behinderte Menschen „Personen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit attitudinalen und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“

Rechtsgrundlagen und Rechtsquellen

Nationales Recht

Grundgesetz (GG)

Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz verbietet jede Benachteiligung behinderter Menschen: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Dieser Grundsatz gilt als unmittelbar geltendes Recht.

Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)

Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) regelt die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und enthält weitreichende Bestimmungen zu Begriff, Feststellung, Leistungen und Schutzrechten.

Weitere relevante Gesetze

  • Behindertengleichstellungsgesetz (BGG): Regelt die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und die Barrierefreiheit im öffentlichen Bereich.
  • Schwerbehindertengesetz: In das SGB IX integriert, betrifft insbesondere Regelungen zur Feststellung einer Schwerbehinderung und deren Rechtsfolgen.
  • Arbeitsschutzgesetze: Enthalten besondere Vorschriften für die Beschäftigungspflicht, Kündigungsschutz und Arbeitsbedingungen für schwerbehinderte Menschen.

Internationales Recht

Neben der UN-BRK sind auch EU-Richtlinien und internationale Menschenrechtsabkommen maßgeblich, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention und spezifische Antidiskriminierungsrichtlinien der EU.

Feststellung der Behinderung

Verfahren und Zuständigkeiten

Die Feststellung einer Behinderung obliegt in Deutschland in der Regel den Versorgungsämtern oder vergleichbaren Behörden nach Maßgabe des SGB IX. Es wird der Grad der Behinderung (GdB) in Zehnerschritten von 20 bis 100 festgestellt. Ab einem GdB von mindestens 50 gilt eine Person als schwerbehindert.

Nachteilsausgleiche

Festgestellte Behinderungen und insbesondere eine anerkannte Schwerbehinderung begründen verschiedene Nachteilsausgleiche, unter anderem:

  • Zusatzurlaub
  • Anspruch auf besondere Arbeitsplatzgestaltung und Hilfsmittel
  • Erhöhter Kündigungsschutz
  • Steuerliche Vergünstigungen
  • Freifahrtberechtigungen im öffentlichen Personennahverkehr

Rechte und Pflichten behinderter Menschen

Gleichbehandlungsgrundsatz und Diskriminierungsschutz

Behinderte Menschen sind durch zahlreiche nationale sowie internationale Normen vor Diskriminierung geschützt. Neben dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 GG finden sich spezifische Diskriminierungsverbote im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), Behindertengleichstellungsgesetz und in EU-Rechtsakten.

Teilhaberechte

Recht auf Rehabilitation und Integration

Das SGB IX garantiert ein Recht auf medizinische, schulische, berufliche sowie soziale Rehabilitation. Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Chancengleichheit sowie selbstbestimmte Lebensführung.

Barrierefreiheit

Ein zentrales Recht ist der Anspruch auf Beseitigung oder Reduzierung von Barrieren (baulich, kommunikativ, digital) im öffentlichen Sektor, insbesondere bei Zugang zu Bildung, Arbeit, Transport, Medien und generell öffentlichen Einrichtungen.

Schul- und Arbeitsrechtliche Aspekte

Im Bildungsbereich besteht Anspruch auf inklusiven Unterricht sowie bedarfsgerechte Unterstützung. Im Arbeitsleben greifen unter anderem besondere Beschäftigungspflichten, Förderangebote und Kündigungsschutzregelungen.

Besondere Schutzvorschriften

Schwerbehindertenrecht

Schwerbehinderte Menschen genießen besonderen Kündigungsschutz, können Zusatzurlaub beanspruchen und haben eine Vielzahl weiterer Rechte zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben.

Betreuungsrecht

Menschen mit Behinderungen, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können, erhalten auf Antrag eine rechtliche Betreuung. Das Betreuungsrecht sichert die Wahrung der Interessen behinderter Personen und wird unter Beachtung von Selbstbestimmung und Autonomie umgesetzt.

Pflichten öffentlicher und privater Akteure

Staatliche Träger und Institutionen

Öffentliche Stellen sind verpflichtet, Barrierefreiheit zu gewährleisten, behinderungsgerechte Angebote bereitzustellen und bei allen Maßnahmen die Belange behinderter Menschen ausdrücklich zu berücksichtigen.

Arbeitgeber

Private Arbeitgeber müssen eine Mindestzahl schwerbehinderter Personen beschäftigen (§ 154 SGB IX) und für angemessene Vorkehrungen am Arbeitsplatz sorgen. Wird diese Pflicht nicht erfüllt, fällt eine Ausgleichsabgabe an. Zudem sind weitreichende Vorgaben zum Schutz vor Benachteiligungen einzuhalten.

Besondere Kategorien und Formen der Behinderung

Geistige Behinderung

Spezifische Schutz- und Förderrechte bestehen für Menschen mit geistigen Behinderungen in Schule, Arbeit und Betreuungswesen.

Psychische Beeinträchtigungen

Auch seelische Erkrankungen werden vom Behindertenbegriff umfasst. Entsprechend sind psychisch beeinträchtigte Menschen beispielsweise bei Maßnahmen zur Rehabilitation gesetzlich privilegiert und geschützt.

Körperliche und Sinnesbehinderungen

Für Menschen mit körperlicher oder Sinnesbehinderung existieren differenzierte Regelungen zur technischen, baulichen und kommunikativen Barrierefreiheit sowie zum Zugang zu spezifischen Hilfsmitteln.

Rechtsschutz und Durchsetzung

Verwaltungsverfahren

Die Feststellung oder Festlegung einer Behinderung kann mittels Verwaltungsverfahren eingeleitet werden. Gegen Ablehnungen oder ungenügende Anerkennung stehen Widerspruch und ggf. Klagewege offen.

Gerichtlicher Rechtsschutz

Betroffene können bei Verstößen gegen Teilhabe- und Gleichstellungsrechte Verwaltungsgerichte oder Sozialgerichte anrufen. Auch Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ist unter Umständen möglich.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Teilhabebericht
  • UN-BRK und Begleitkommentare
  • Kommentierungen SGB IX, BGG und AGG

Dieser Artikel bietet eine detaillierte Übersicht über die vielschichtige rechtliche Einordnung und Absicherung behinderter Menschen gemäß nationalen und internationalen Rechtsgrundlagen sowie deren praktische Umsetzung im Tages- und Arbeitsleben. Er berücksichtigt aktuelle gesetzliche Entwicklungen und gibt einen umfassenden Einblick in die Thematik aus einer rechtlichen Perspektive.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Regelungen schützen Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung im Alltag und Berufsleben?

In Deutschland sind Menschen mit Behinderung durch verschiedene Gesetze vor Diskriminierung geschützt. Das zentrale Gesetz ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die Benachteiligung aufgrund einer Behinderung (neben anderen Merkmalen wie Geschlecht, Ethnie, Religion) explizit untersagt. Ergänzend hierzu schützt das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) die Rechte schwerbehinderter Menschen insbesondere im Arbeitsleben. Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, mindestens 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen (§ 154 SGB IX). Werden diese Quoten nicht erfüllt, ist eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Konkretisiert werden die Schutzrechte auch durch die Behindertengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder (BGG, BayBGG etc.), die u.a. den barrierefreien Zugang zu öffentlichen Gebäuden und Dienstleistungen vorschreiben. Zudem ist die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die 2009 in deutsches Recht übernommen wurde, bindend und stärkt die umfassenden Rechte zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Welche Rechte haben schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Kündigungen?

Schwerbehinderte Menschen genießen nach § 168 SGB IX einen besonderen Kündigungsschutz. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist nur dann wirksam, wenn zuvor die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt wurde. Das Integrationsamt prüft, ob die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht und ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung zugemutet werden kann. Die Zustimmung wird nur in Ausnahmefällen (z. B. bei Betriebsstilllegungen oder gravierenden Pflichtverletzungen) erteilt. Dieser besondere Kündigungsschutz gilt ab Beginn des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung von der Schwerbehinderung Kenntnis hatte oder diese innerhalb von drei Wochen nach Ausspruch der Kündigung nachträglich mitgeteilt wird. Auch befristete Arbeitsverhältnisse unterliegen Schutzvorschriften, insbesondere hinsichtlich der Nichtverlängerung eines Arbeitsvertrages.

Welche Nachteilsausgleiche stehen Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis zu?

Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis haben Anspruch auf verschiedene Nachteilsausgleiche, die sich nach dem festgestellten Grad der Behinderung (GdB) und den gesundheitlichen Merkzeichen richten. Dazu zählen steuerliche Vergünstigungen durch den Pauschbetrag nach EStG, zusätzliche Urlaubstage (mindestens fünf Werktage jährlich bei einer 5-Tage-Woche, § 208 SGB IX), besonderer Kündigungsschutz sowie die Möglichkeit, früher in Rente zu gehen (Schwerbehindertenrente gemäß § 236a SGB VI). Menschen mit bestimmten Merkzeichen erhalten darüber hinaus Vorteile bei der Mobilität, z. B. unentgeltliche oder ermäßigte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs (Merkzeichen G, aG, H oder Bl), Parkerleichterungen, eine Kfz-Steuerermäßigung bzw. -befreiung sowie Befreiungsmöglichkeiten von der Rundfunkbeitragspflicht (Merkzeichen RF). Beim Zugang zu Gebäuden und Dienstleistungen ist eine barrierefreie Ausgestaltung verpflichtend.

Welche Unterstützung erhalten Arbeitgeber bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen?

Arbeitgeber werden bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen durch verschiedene Förderinstrumente unterstützt. Die Agenturen für Arbeit und die Integrationsämter bieten finanzielle Hilfen an, z. B. Lohnkostenzuschüsse im Rahmen der „Eingliederungshilfe“, Zuschüsse für die behinderungsgerechte Ausstattung von Arbeitsplätzen sowie Anpassung und Umbau von Betriebsräumen. Daneben können Zuschüsse zur Aus- und Weiterbildung sowie zur betrieblichen Eingliederung (z. B. durch Probebeschäftigungen) beantragt werden. Das SGB IX regelt auch die Begleitung durch Integrationsfachdienste, die sowohl Unternehmen als auch schwerbehinderte Beschäftigte beraten und langfristig unterstützen.

Wie wird eine Behinderung offiziell festgestellt und was ist das Verfahren zur Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft?

Das Feststellungsverfahren zur Anerkennung einer Behinderung erfolgt auf Antrag beim zuständigen Versorgungsamt oder der entsprechenden Behörde des Bundeslandes (§ 69 SGB IX). Im Rahmen der Antragstellung müssen medizinische Gutachten, Arztberichte oder andere relevante Unterlagen eingereicht werden. Die Behörde prüft die gesundheitlichen Einschränkungen und den Grad der Behinderung (GdB), der in 10er-Schritten von mindestens 20 bis maximal 100 festgestellt wird. Ab einem GdB von 50 gilt man als schwerbehindert. Das Verfahren ist kostenfrei und schließt gegebenenfalls auch die Feststellung von Merkzeichen für spezifische Nachteilsausgleiche ein. Gegen die Entscheidung der Behörde kann Widerspruch eingelegt werden, ggf. ist auch der Klageweg zum Sozialgericht offen.

Welche Barrierefreiheits-Vorgaben gibt es für private und öffentliche Einrichtungen?

Öffentliche Stellen sind gemäß § 8 ff. BGG verpflichtet, bauliche, kommunikative und digitale Barrierefreiheit herzustellen. Dazu zählen etwa barrierefreier Zugang zu Gebäuden, Aufzügen, behindertengerechte Sanitäranlagen, aber auch barrierefreie Informations- und Kommunikationssysteme (Webseiten, elektronische Dokumente). Auch private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen, die öffentlich zugänglich sind (wie z. B. Handelsunternehmen, Gaststätten, Banken), unterliegen zunehmend Barrierefreiheitsanforderungen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) schreibt ab 2025 für bestimmte Produkte und Dienstleistungen verbindliche Barrierefreiheitsstandards vor. Verstöße können sowohl aufsichtsrechtliche Maßnahmen als auch zivilrechtliche Ansprüche auf Beseitigung/Unterlassung nach sich ziehen.

Welche besonderen Regelungen gelten für die schulische und berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung?

Nach dem Recht auf Inklusion gemäß Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention und dem SGB IX sind Schulen und Ausbildungsbetriebe verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu treffen, damit Menschen mit Behinderung ohne Benachteiligung Zugang zu Bildung und beruflicher Ausbildung erhalten. Im Schulbereich existieren insbesondere das Recht auf Einzelintegration (Besuch einer Regelschule mit individuell angepasster Unterstützung) sowie der Anspruch auf sonderpädagogischen Förderbedarf. Für die berufliche Ausbildung sieht § 117 ff. SGB III besondere Unterstützungen vor, wie Berufsausbildung in einer Werkstatt für behinderte Menschen, betriebliche Ausbildungsassistenz oder ausbildungsbegleitende Hilfen. Beratungs- und Förderleistungen bieten zudem die Integrationsämter, Reha-Träger und die Bundesagentur für Arbeit.