Begriff und rechtliche Einordnung der Begnadigung
Begnadigung ist ein hoheitlicher Gnadenakt, durch den eine bereits verhängte oder noch drohende strafrechtliche Sanktion ganz oder teilweise erlassen, umgewandelt, ausgesetzt oder aufgeschoben werden kann. Sie dient als außergewöhnliches Korrektiv, wenn die strikte Anwendung des Strafrechts im Einzelfall als unbillig oder unverhältnismäßig empfunden wird. Die Begnadigung berührt die Strafbarkeit als solche nicht, sondern wirkt auf die Vollstreckung oder die Folgen einer Entscheidung.
Definition
Unter Begnadigung wird die individuelle, einzelfallbezogene Gewährung von Nachsicht verstanden. Sie reicht von der vollständigen Aufhebung der Vollstreckung einer Strafe über die Herabsetzung oder Umwandlung bis hin zum zeitweisen Aufschub. Auch Nebenfolgen einer Verurteilung können im Gnadenwege ganz oder teilweise entfallen.
Charakter und Abgrenzung
Abgrenzung zur Amnestie
Die Amnestie ist eine generelle Maßnahme für ganze Personengruppen oder bestimmte Taten innerhalb eines festgelegten Zeitraums. Sie wird allgemein und abstrakt verfügt. Demgegenüber bezieht sich die Begnadigung auf eine bestimmte Person und einen konkreten Einzelfall.
Abgrenzung zu Rechtsmitteln und Wiederaufnahme
Rechtsmittel und die Wiederaufnahme dienen der Überprüfung von Urteilen auf Recht- und Zweckmäßigkeit. Die Begnadigung ersetzt diese Rechtsbehelfe nicht und ist kein Instrument zur Klärung von Schuldfragen. Sie setzt regelmäßig eine rechtskräftige Entscheidung voraus und knüpft an Billigkeitserwägungen an.
Abgrenzung zu Entscheidungen des Strafvollzugs
Entscheidungen zum Vollzug, etwa Lockerungen oder reguläre Entlassungen nach festen Regeln, beruhen auf Vollzugsvorschriften. Begnadigungen sind davon unabhängig und beruhen auf einem besonderen Gnadenrecht mit eigenständigen Voraussetzungen.
Zuständigkeiten in Bund und Ländern
In einem föderalen System liegt das Begnadigungsrecht grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten für Taten, die ihrer Strafrechtspflege zugeordnet sind. Für Angelegenheiten des Bundes ist der Bund zuständig. Auf Bundesebene wird das Begnadigungsrecht in der Regel vom Staatsoberhaupt ausgeübt. In den Ländern obliegt es meist den Regierungschefinnen und -chefs, häufig mit Übertragung auf die Justizressorts. Die Zuständigkeitsverteilung richtet sich nach der Ebene, auf der das Verfahren geführt oder die Strafe vollstreckt wird.
Formen der Begnadigung
Erlass und Herabsetzung von Strafen
Eine Strafe kann vollständig erlassen oder in ihrem Umfang herabgesetzt werden. Dies betrifft insbesondere Freiheitsstrafen und Geldstrafen sowie verhängte Ordnungs- oder Zwangsmittel.
Aussetzung, Aufschub und Umwandlung
Die Vollstreckung kann für eine bestimmte Zeit ausgesetzt oder aufgeschoben werden. Auch eine Umwandlung, etwa einer Freiheitsstrafe in eine mildere Sanktion, ist möglich. Solche Maßnahmen können an Auflagen oder Bedingungen geknüpft werden.
Abolition (Einstellung vor Abschluss)
In besonderen Konstellationen kann die Strafverfolgung vor Abschluss eines Verfahrens beendet werden. Diese Form der Begnadigung greift vor oder während eines anhängigen Verfahrens und beendet die Verfolgung aus Gnaden.
Nebenfolgen und Maßnahmen
Begnadigungen können sich auch auf Nebenfolgen beziehen, etwa auf bestimmte Verbote oder Sperren, die durch das Strafgericht angeordnet wurden. Maßnahmen rein verwaltungsrechtlicher Natur bleiben hiervon grundsätzlich unberührt.
Verfahren der Begnadigung
Antrag und Anstoß
Begnadigungsverfahren werden meist durch einen Antrag der betroffenen Person angestoßen. In Betracht kommen auch Anregungen durch Dritte. In seltenen Fällen wird von Amts wegen tätig geworden.
Prüfung und Beteiligung
Die zuständige Stelle holt regelmäßig Stellungnahmen ein, typischerweise von Staatsanwaltschaft, Gericht oder Vollzugsbehörden. Geprüft werden Persönlichkeit, bisheriger Lebensweg, Verhalten seit der Tat, soziale Situation und besondere Härtegründe.
Entscheidung und Begründung
Die Entscheidung steht im freien Ermessen der zuständigen Stelle. Ein Anspruch besteht nicht. Entscheidungen können kurz begründet sein; sie erfolgen häufig schriftlich und werden der betroffenen Person mitgeteilt.
Bedingungen, Auflagen und Widerruf
Begnadigungen können mit Auflagen oder Bedingungen verbunden werden, etwa zur Schadenswiedergutmachung oder zur Einhaltung bestimmter Verhaltensanforderungen. Bei Verstößen ist ein Widerruf möglich, sodass die ursprüngliche Rechtslage wieder auflebt.
Rechtswirkungen
Strafvollstreckung
Die Hauptwirkung betrifft die Vollstreckung: Strafen können entfallen, verkürzt oder in milderer Form vollstreckt werden. Die Verurteilung als solche bleibt davon unberührt.
Einträge und Register
Begnadigungen beseitigen die Verurteilung in der Regel nicht aus Registern. Einträge werden nach den allgemein geltenden Fristen getilgt. Eine Begnadigung kann vermerkt werden, ändert die Tilgungsfristen grundsätzlich nicht.
Zivil- und Verwaltungsfolgen
Private Forderungen, zivilrechtliche Ansprüche oder eigenständige verwaltungsrechtliche Maßnahmen werden durch eine Begnadigung regelmäßig nicht berührt, sofern sie nicht unmittelbar von der strafrechtlichen Sanktion abhängen.
Grundsätze und Kriterien
Humanitäre und soziale Gesichtspunkte
Typische Erwägungen sind schwere Krankheit, außergewöhnliche Notlagen, besondere familiäre Bindungen, fortgeschrittene Resozialisierung und nachgewiesener nachhaltiger Lebenswandel.
Zeitmoment und Verhalten
Je länger die seit der Tat vergangene Zeit und je positiver das Verhalten im Vollzug oder in Freiheit, desto eher können Gnadengründe gesehen werden. Auch Schadensausgleich und Einsicht können eine Rolle spielen.
Öffentliches Interesse und Rechtsfrieden
Abgewogen wird das individuelle Interesse an Nachsicht mit dem öffentlichen Interesse an gleichmäßiger Rechtsdurchsetzung, Generalprävention und dem Vertrauen in die Rechtsordnung.
Transparenz und Kontrolle
Ermessensentscheidung und Grenzen
Begnadigungsentscheidungen sind Ermessensakte. Sie folgen internen Leitlinien, die den Gleichbehandlungsgrundsatz berücksichtigen. Absolute Grenzen ergeben sich aus grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien.
Rechtsschutzmöglichkeiten
Da kein Anspruch auf Begnadigung besteht, ist die gerichtliche Überprüfung einer Ablehnung nur in sehr engem Rahmen möglich, etwa bei grundlegenden Verfahrensfehlern. Eine umfassende inhaltliche Neubewertung erfolgt nicht.
Internationaler Vergleich in Grundzügen
International wird das Begnadigungsrecht meist durch Staatsoberhaupt, Regierung oder Gouverneure ausgeübt. Überall gilt der Grundgedanke einer außergewöhnlichen Nachsicht im Einzelfall, mit Unterschieden bei Zuständigkeiten, Formen und Verfahren.
Häufig gestellte Fragen
Worin besteht der Unterschied zwischen Begnadigung und Amnestie?
Die Begnadigung betrifft eine einzelne Person und einen konkreten Fall. Die Amnestie gilt generell für eine Vielzahl von Fällen oder Personen in einem bestimmten Rahmen und wird allgemein angeordnet. Eine Amnestie kann die Strafbarkeit selbst entfallen lassen, die Begnadigung wirkt primär auf die Vollstreckung.
Hebt eine Begnadigung die Verurteilung auf?
Nein. Die Verurteilung bleibt bestehen. Die Begnadigung ändert die Vollstreckung oder bestimmte Rechtsfolgen. Sie ist kein Freispruch und trifft keine neue Entscheidung über Schuld oder Unschuld.
Wer ist für Begnadigungen zuständig?
Die Zuständigkeit richtet sich nach der staatlichen Ebene, auf der das Verfahren geführt oder die Strafe vollstreckt wird. Für Bundesangelegenheiten ist der Bund zuständig, für die übrigen Fälle die Länder. Innerhalb dieser Ebenen üben Staatsoberhaupt oder Landesregierungen das Begnadigungsrecht aus, häufig mit Übertragungen auf nachgeordnete Stellen.
Kann eine Begnadigung an Bedingungen geknüpft werden?
Ja. Begnadigungen können mit Auflagen oder Bedingungen verbunden sein. Bei Nichterfüllung kann die Begnadigung widerrufen werden, sodass die ursprünglichen Rechtsfolgen wieder eintreten.
Wann kommt eine Begnadigung in Betracht?
Regelmäßig erst nach rechtskräftiger Entscheidung. Ausnahmsweise kann sie in Form einer Einstellung vor Abschluss des Verfahrens erfolgen. Maßgeblich sind außergewöhnliche Billigkeitsgründe, humanitäre Aspekte und das öffentliche Interesse.
Welche Wirkung hat eine Begnadigung auf Registereinträge und Führungszeugnis?
Einträge bleiben grundsätzlich bestehen und werden nach den allgemein geltenden Fristen getilgt. Eine Begnadigung ändert diese Fristen in der Regel nicht, kann aber als Vermerk erfasst werden. Für die Aufnahme in ein Führungszeugnis gelten eigenständige, fristenbasierte Regeln.
Kann die Ablehnung einer Begnadigung angefochten werden?
Ein einklagbarer Anspruch besteht nicht. Eine umfassende inhaltliche Überprüfung findet nicht statt. Lediglich eine sehr begrenzte Kontrolle auf fundamentale Verfahrensmängel ist eröffnet.