Begriff und Wesen der Begnadigung
Die Begnadigung ist ein staatlicher Gnadenakt, bei dem die zuständige Behörde eine bestehende rechtskräftige Strafe ganz oder teilweise erlässt, abändert oder deren weitere Vollstreckung suspendiert. Sie stellt ein außerordentliches Rechtsinstitut im Strafrecht dar, das als Ausdruck des staatlichen Gnadenrechts verstanden wird. Die Begnadigung setzt einen endgültigen, nicht mehr anfechtbaren Schuldspruch voraus und wirkt regelmäßig nicht auf die Feststellung der Schuld, sondern nur auf deren Rechtsfolgen ein.
Historische Entwicklung der Begnadigung
Die Wurzeln der Begnadigung reichen bis in die Antike zurück, wo Monarchen und Herrscher die Möglichkeit hatten, durch Gnade Strafen aufzuheben. In Europa entwickelte sich das Begnadigungsrecht seit dem Mittelalter zum Vorrecht des Landesherrn. Mit der Herausbildung moderner Rechtsstaaten wurde die Begnadigungsbefugnis in der Regel auf bestimmte Staatsorgane übertragen, um deren Missbrauch zu verhindern und einheitlichere Maßstäbe zu gewährleisten.
Arten der Begnadigung
Begnadigungen können in mehreren Ausprägungen auftreten, die sich insbesondere danach unterscheiden, wie sie wirken und durch wen sie vorgenommen werden.
Einzelbegnadigung
Diese Form der Begnadigung betrifft eine individuell bestimmte Person. Bei der Einzelbegnadigung kann beispielsweise eine Freiheitsstrafe ganz oder teilweise erlassen oder die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden.
Gruppen- oder Kollektivbegnadigung (Amnestie)
Als Amnestie wird die vollständige oder teilweise Aufhebung von Strafen oder Strafverfolgungen für eine Vielzahl von Personen aufgrund bestimmter Rechtsakte bezeichnet. Sie stellt eine Form der Kollektivbegnadigung dar, bei der es nicht auf die persönliche Situation der jeweiligen Begünstigten ankommt, sondern auf den gesetzgeberischen Willen.
Rechtsgrundlagen der Begnadigung in Deutschland
Im deutschen Recht finden sich die maßgeblichen Rechtsgrundlagen der Begnadigung auf mehreren Ebenen.
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Nach Artikel 60 Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland übt der Bundespräsident das Begnadigungsrecht für den Bund aus. In Angelegenheiten der Länder liegt die Begnadigungsbefugnis bei den jeweils zuständigen Landesorganen, üblicherweise dem Ministerpräsidenten oder einem bestimmten Ministerium.
Einfachgesetzliche Regelungen
Das Strafgesetzbuch (StGB) kennt die Maßnahme der Begnadigung ausdrücklich in § 59 und § 60, während die Strafprozessordnung (StPO) insbesondere in den §§ 455 ff. Näheres zur Aussetzung der Vollstreckung festlegt. Die rechtlichen Bedingungen und das genaue Verfahren bestimmen sich nach Bundes- oder Landesrecht.
Länderspezifische Ausgestaltung
Die Bundesländer verfügen über eigene Ausführungs- und Begnadigungsverordnungen, die Umfang, Zuständigkeit und Verfahren für die Begnadigung festlegen. Die Ausgestaltung kann dabei von Land zu Land erheblich variieren.
Abgrenzung zu anderen Gnadenakten
Es besteht eine klare Abgrenzung zwischen Begnadigung und anderen außerordentlichen Rechtsmitteln oder Maßnahmen.
Unterschied zur Amnestie
Während die Begnadigung eine Einzelfallentscheidung darstellt, ist die Amnestie eine generelle und gesetzlich festgelegte Strafaufhebung für eine bestimmte Personengruppe.
Unterschied zur Rehabilitation
Die Rehabilitation zielt auf die Wiederherstellung des guten Leumunds und kann neben oder unabhängig von einer Begnadigung erfolgen. Sie ist oft gekoppelt an besondere persönliche Umstände und dient einer vollständigen Rehabilitierung.
Unterschied zur Strafaussetzung zur Bewährung
Die Strafaussetzung zur Bewährung ist eine im Urteil angeordnete Maßnahme und kein Gnadenakt. Sie tritt nicht nachträglich, sondern im Rahmen des Urteils in Kraft.
Verfahren für die Gewährung einer Begnadigung
Das Begnadigungsverfahren ist in Deutschland nicht bundeseinheitlich geregelt und erfolgt in der Regel auf Antrag der betroffenen Person oder von Amts wegen.
Antragstellung
Den Antrag kann grundsätzlich die verurteilte Person selbst oder auch eine dritte Person, zum Beispiel ein Angehöriger, stellen. Es besteht kein Rechtsanspruch auf die Bewilligung, lediglich auf eine sachgerechte Behandlung des Antrags.
Prüfungsverfahren
Der zuständigen Behörde obliegt die umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage. Eingehend werden beispielsweise der Strafverlauf, besondere Härten, gesundheitliche Aspekte und gesellschaftliche Erwägungen gewürdigt. In der Regel werden Justiz- und Strafvollzugsorgane gehört.
Entscheidung und Rechtsmittel
Die Entscheidung über eine Begnadigung trifft die zuständige Behörde im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens. Gegen die Ablehnung des Gnadengesuchs stehen grundsätzlich keine Rechtsmittel zur Verfügung; sie ist nicht gerichtlich anfechtbar.
Wirkungen der Begnadigung
Die Begnadigung bewirkt regelmäßig keinen nachträglichen Wegfall der Schuld, sondern bezieht sich auf die Sanktionen der Verurteilung.
Aufhebung oder Milderung der Strafe
Je nach Tenor des Gnadenerlasses kann die Strafe ganz oder teilweise aufgehoben, gemildert oder zur Bewährung ausgesetzt werden.
Tilgung von Nebenfolgen und Eintragungen
In manchen Fällen erstreckt sich die Begnadigung auch auf Nebenfolgen oder bewirkt die vorzeitige Tilgung im Bundeszentralregister.
Bindungswirkung
Die Bindungswirkung der Begnadigung erfasst die an der Strafvollstreckung beteiligten Behörden umfassend. Die Feststellung der Schuld bleibt davon jedoch unberührt.
Internationale Aspekte der Begnadigung
Auch im internationalen Recht ist das Begnadigungsrecht verbreitet. Im Rahmen internationaler Kooperationen und Auslieferungen kann die Möglichkeit der Begnadigung von Staaten einbezogen werden. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert im Art. 6 EMRK das Recht auf gerichtliches Gehör, lässt das Begnadigungsrecht als Mittel humanitärer Staatsräson aber ausdrücklich zu.
Kritik und Bedeutung der Begnadigung
Die Begnadigung wird mitunter kritisch beurteilt, da sie als „Letzte Instanz“ eines Verfahrens rechtsstaatlicher Kontrolle entzogen ist. Gleichzeitig stellt sie jedoch ein wichtiges Korrektiv im Spannungsfeld zwischen Gesetz und individueller Schicksalsbewältigung dar. Sie ist Ausdruck staatlicher Humanität und Ermessen – und wird als solcher regelmäßig mit hoher Zurückhaltung gewährt.
Zusammenfassung:
Die Begnadigung ist ein hoheitlicher Akt, der die Strafen positiver Rechtskraft modifizieren oder aufheben kann. Im deutschen und internationalen Rechtssystem erfüllt sie als Ausdruck des ultimativen Gnadenrechts eine zentrale, aber restriktiv gehandhabte Funktion zur Korrektur von Härten und zur Ausübung von Barmherzigkeit auf Einzelfallbasis.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist in Deutschland für die Entscheidung über eine Begnadigung zuständig?
In Deutschland ist das Recht der Begnadigung grundsätzlich in Art. 60 des Grundgesetzes (GG) geregelt. Die Ausübung des Gnadenrechts obliegt dem Bundespräsidenten für rechtskräftig verhängte Strafen und Maßnahmen, die aufgrund Bundesrechts ausgesprochen wurden. Der Bundespräsident kann dabei Ermessensentscheidungen in eigener Verantwortung treffen. Für strafrechtliche Urteile, die auf landesrechtlichen Vorschriften beruhen, sind dagegen die jeweiligen Landesregierungen bzw. deren beauftragte Stellen zuständig, häufig ausgeübt durch die Justizministerien der Länder. Die rechtlichen Grundlagen zur Ausübung des Gnadenrechts ergeben sich aus den jeweiligen Landesverfassungen und Gnadenordnungen. Die Entscheidungsfindung erfolgt regelmäßig nach einer umfassenden Prüfung des Einzelfalls unter Einbeziehung von Gutachten und Stellungnahmen der beteiligten Strafvollstreckungsbehörden und Gerichte. Das Gnadenverfahren ist ausdrücklich kein weiterer Rechtsbehelf und stellt ein Instrument der staatlichen Strafmilderung aus besonderen Gründen dar.
Welche Formen der Begnadigung gibt es im deutschen Recht?
Das deutsche Recht kennt verschiedene Formen der Begnadigung. Die bekannteste ist die Einzelbegnadigung, bei der einer bestimmten Person ein vollständiger oder teilweiser Erlass einer Strafe oder strafprozessualer Nebenfolgen gewährt wird. Daneben existiert die Kollektivbegnadigung (Amnestie), bei der ganze Personengruppen, beispielsweise bei politischen Umwälzungen, begnadigt werden können – wobei diese Form in der Bundesrepublik Deutschland sehr selten ist und ihrer Anordnung ein Gesetzesbeschluss des Parlaments zugrunde liegen muss. Weiterhin differenziert man zwischen der Strafrestbegnadigung (Erlass eines Strafrestes), der Umwandlung einer Strafe (z.B. Freiheitsstrafe in Geldstrafe) oder Aufhebung bestimmter Nebenfolgen (Berufsverbote, Fahrerlaubnisentzug). Auch die sogenannte Strafaussetzung zur Bewährung im Gnadenwege ist möglich, wenn andere Rechtsmittel ausgeschöpft sind.
Wie läuft das Gnadenverfahren ab?
Das Begnadigungsverfahren beginnt meist mit einem Antrag des Verurteilten, eines Rechtsanwalts, Angehörigen oder auch von Amts wegen. Das Verfahren ist grundsätzlich formfrei, sollte jedoch alle relevanten Angaben (Personalien, Aktenzeichen, Darstellung des Sachverhalts und Begründung des Gnadengesuchs) enthalten. Nach Eingang des Antrags erfolgt eine Überprüfung durch die zuständige Gnadenbehörde, die alle erforderlichen Unterlagen – insbesondere Urteile, Gutachten, Berichte aus dem Strafvollzug und Stellungnahmen der vollstreckenden Behörde – einholt. Anschließend erfolgt eine umfassende Prüfung unter rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkten. Die Entscheidung liegt vollständig im Ermessen der Gnadenbehörde; es besteht kein Rechtsanspruch auf Begnadigung. Das Ergebnis wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, eine Begründung besteht rechtlich nicht in jedem Fall, ist jedoch im Einzelfall üblich. Gegen eine ablehnende Entscheidung sind grundsätzlich keine weiteren Rechtsmittel gegeben.
Welche Voraussetzungen müssen für eine Begnadigung gegeben sein?
Die Entscheidung über eine Begnadigung ist eine Ermessensentscheidung und an keine zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen geknüpft. Grundsätzlich wird geprüft, ob das Ziel der Strafe bereits erreicht wurde oder ob besondere Umstände – wie etwa schwere Krankheit, außergewöhnliche Härten, humanitäre Belange oder eine nachhaltig positive Sozialprognose – eine Begnadigung rechtfertigen. Reine Unzufriedenheit mit dem Urteil oder der Wunsch nach Strafmilderung reichen nicht aus. Auch der Schutz der Allgemeinheit und das öffentliche Interesse werden einbezogen, etwa bei schwerwiegenden Straftaten oder Wiederholungsgefahr. Zudem wird oftmals eine gewisse Zeit seit Strafantritt bzw. Strafvollstreckung vorausgesetzt, damit das Gnadenrecht nicht zum Ersatz für Rechtsmittel wird.
Kann eine Begnadigung widerrufen werden?
Eine bereits ausgesprochene Begnadigung kann grundsätzlich nur unter sehr engen Voraussetzungen widerrufen werden. Maßgeblich ist, ob die Begnadigung unter bestimmten Auflagen oder Bedingungen erteilt wurde und der Begnadigte diese verletzt hat (z.B. erneute Straftat, Verstoß gegen Auflagen). In einigen Konstellationen ist ein Rücknahme- oder Widerrufsrecht explizit in der Begnadigungsentscheidung vorbehalten. Ansonsten folgt das Verfahren den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip und dem Vertrauensschutz. Ein Widerruf ist also regelmäßig nur in Ausnahmefällen möglich und bedarf einer besonderen Begründung unter Berücksichtigung der getroffenen Interessenabwägung.
Welche Rechtsfolgen hat eine Begnadigung?
Durch eine Begnadigung wird die Strafvollstreckung ganz oder teilweise aufgehoben oder das Strafmaß abgemildert. Rechtskräftige Urteile werden damit nicht aufgehoben oder für nichtig erklärt; vielmehr bleibt die Verurteilung im juristischen Sinne bestehen. Die Begnadigung wirkt lediglich auf die Vollstreckung – also auf die Durchsetzung der Strafe oder Nebenfolgen. In Folge der Begnadigung können auch bestimmte Nebenfolgen wie Berufsverbote aufgehoben werden, jedoch nicht automatisch alle mit der Verurteilung verbundenen Nachteile, wie zum Beispiel die Eintragung im Bundeszentralregister, es sei denn, dies war ausdrücklich Gegenstand der Gnadenentscheidung.
Gibt es Einspruchs- oder Beschwerdemöglichkeiten gegen die Entscheidung im Gnadenverfahren?
Das Gnadenverfahren ist ausdrücklich von den ordentlichen Rechtsbehelfsverfahren, wie Berufung, Revision oder Beschwerde, zu unterscheiden. Eine Entscheidung im Gnadenverfahren ist grundsätzlich endgültig und keiner weiteren gerichtlichen Nachprüfung zugänglich. Es besteht weder ein Anspruch auf mündliche Anhörung noch auf Begründung der Ablehnung. Dennoch kann ein neues Gnadengesuch gestellt werden, sofern neue Tatsachen oder erhebliche Veränderungen der Umstände vorliegen, die eine erneute Prüfung rechtfertigen. In seltenen Fällen kann der Verwaltungsrechtsweg eingeschränkt offenstehen, beispielsweise wenn Verfahrensvorschriften grob verletzt wurden oder Willkür vorliegt. Eine inhaltliche Überprüfung der Ermessenentscheidung erfolgt jedoch durch die Gerichte nicht.