Beendeter Versuch: Bedeutung, Abgrenzung und rechtliche Folgen
Der Begriff „beendeter Versuch“ beschreibt eine zentrale Stufe innerhalb des Systems der Versuchsstrafbarkeit. Er bestimmt, wie ein unvollendet gebliebenes Tatgeschehen rechtlich einzuordnen ist und welche Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt gelten. Für das Verständnis ist besonders wichtig, wie die innere Vorstellung der handelnden Person im Moment nach der letzten Ausführungshandlung bewertet wird.
Definition
Ein Versuch ist „beendet“, wenn die handelnde Person nach der letzten Ausführungshandlung davon ausgeht, dass der tatbestandliche Erfolg ohne ihr weiteres Zutun eintreten wird. Mit anderen Worten: Aus ihrer Sicht ist bereits alles Erforderliche geschehen, damit der Erfolg eintritt.
Demgegenüber ist ein Versuch „unbeendet“, wenn die Person glaubt, dass zur Herbeiführung des Erfolgs noch weitere Ausführungshandlungen nötig wären.
Abgrenzung zum unbeendeten Versuch
Die Abgrenzung beruht auf der subjektiven Sicht zum Zeitpunkt unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (häufig als „Bewertungshorizont“ oder „Rücktrittshorizont“ bezeichnet):
- Unbeendeter Versuch: Die Person meint, sie müsse noch weiter handeln, um den Erfolg herbeizuführen.
- Beendeter Versuch: Die Person meint, der Erfolg tritt bereits ein, wenn sie nichts mehr unternimmt.
Wesentlich ist die tatsächliche Vorstellung im konkreten Moment. Spätere Neubewertungen können nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn sie unmittelbar an die Situation anschließen und die ursprüngliche Einschätzung als Irrtum erkennbar machen.
Abgrenzung zum fehlgeschlagenen Versuch
Der fehlgeschlagene Versuch ist nicht mit dem beendeten Versuch zu verwechseln. Von einem Fehlschlag spricht man, wenn der Erfolg mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne von der Tat abzulassen oder eine neue Handlungseinheit zu beginnen. Die Frage „beendet oder unbeendet?“ betrifft die innere Einschätzung zur Erfolgsherbeiführung; die Frage „fehlgeschlagen?“ betrifft die tatsächliche Möglichkeit, die Tat ohne Unterbrechung zum Erfolg zu bringen. Ein fehlgeschlagener Versuch schließt einen strafbefreienden Rücktritt aus.
Bedeutung für den Rücktritt vom Versuch
Die Einordnung als beendet oder unbeendet hat unmittelbare Konsequenzen dafür, unter welchen Bedingungen ein Rücktritt von der Versuchsstrafbarkeit befreit.
Rücktrittsvoraussetzungen im Überblick
- Beim unbeendeten Versuch genügt es regelmäßig, von weiteren Ausführungshandlungen Abstand zu nehmen und das Tatgeschehen nicht fortzusetzen, sofern dies freiwillig geschieht.
- Beim beendeten Versuch reicht bloßes Nichtstun nicht aus. Erforderlich ist ein aktives Gegensteuern, das den Erfolgseintritt verhindert oder nach der Vorstellung der handelnden Person geeignet ist, ihn zu verhindern. Dazu zählen etwa Rettungsmaßnahmen oder das Veranlassen Dritter, wirksam einzugreifen.
In beiden Fällen muss der Rücktritt freiwillig erfolgen. Freiwilligkeit liegt vor, wenn die Entscheidung, die Tat nicht weiter zu fördern oder den Erfolg zu verhindern, aus selbstbestimmten Gründen getroffen wird und nicht nur auf zwingendem äußeren Druck beruht.
Bestimmen eines Dritten und ernsthafte Bemühungen
Wer selbst nicht wirksam verhindern kann, dass der Erfolg eintritt, kann auch dadurch zurücktreten, dass er einen Dritten zur erfolgreichen Verhinderung bewegt. Gelingt eine Verhinderung aus tatsächlichen Gründen nicht, können ernsthafte Bemühungen ausreichend sein, wenn sie nach der eigenen Einschätzung zur Erfolgsabwendung geeignet sind und rechtzeitig einsetzen.
Zeitpunkt der Bewertung – der Rücktrittshorizont
Für die Einordnung als beendet oder unbeendet ist der Moment nach der letzten Ausführungshandlung maßgeblich. Irrt sich die handelnde Person in dieser Sekunde über die Folgen und korrigiert sie den Irrtum sofort erkennbar, kann die Bewertung entsprechend angepasst werden. Entscheidend bleibt die subjektive Sicht: Was erwartete die Person tatsächlich in diesem Zeitpunkt für den weiteren Geschehensablauf?
Mehrere Beteiligte
Bei mehreren Beteiligten wird grundsätzlich auf die individuelle Vorstellung des jeweiligen Beteiligten abgestellt. Rücktrittshandlungen eines Beteiligten können den Erfolgseintritt insgesamt verhindern und dadurch auch für andere relevant sein. Die Zurechnung hängt davon ab, wer welche Schritte zur Erfolgsabwendung ergriffen oder veranlasst hat.
Anwendung auf verschiedene Deliktsarten
Erfolgsdelikte und Gefährdungsdelikte
Der beendete Versuch spielt vor allem bei Delikten mit einem tatbestandlichen Erfolg (zum Beispiel Verletzung eines geschützten Rechtsguts) eine Rolle. Beendet ist der Versuch, wenn die Person glaubt, dass der Erfolg ohne weiteres Zutun eintreten wird. Bei Gefährdungsdelikten kann entsprechend darauf abgestellt werden, ob nach der eigenen Einschätzung bereits eine relevante Gefährdungslage geschaffen wurde, die sich ohne weiteres Zutun realisiert.
Unterlassungsdelikte
Beim Unterlassen resultiert die Beendigung aus der Erwartung, dass der Erfolg eintritt, wenn nicht rettend gehandelt wird. Praktisch entspricht dies häufig der Lage eines beendeten Versuchs: Wer davon ausgeht, dass ohne Eingreifen der Erfolg eintreten wird, muss aktiv tätig werden, um ihn zu verhindern. Die Anforderungen an einen Rücktritt sind daher regelmäßig höher und verlangen ein rechtzeitiges, ernsthaftes Gegenhandeln.
Untauglicher Versuch
Auch bei ungeeigneten Mitteln oder einem ungeeigneten Tatobjekt kann ein Versuch vorliegen. Für die Einordnung als beendet oder unbeendet bleibt ausschlaggebend, was die Person subjektiv erwartet: Hält sie das Mittel für ausreichend und rechnet mit dem Erfolgseintritt ohne weiteres Zutun, kann der Versuch trotz objektiver Untauglichkeit als beendet gelten.
Praktische Beispiele
- Eine Person verabreicht Gift in der Überzeugung, dass der Betroffene ohne weiteres Handeln sterben wird. Der Versuch ist beendet. Ein Rücktritt erfordert ein rechtzeitiges Gegensteuern, etwa durch Herbeiführen medizinischer Hilfe.
- Nach einem einzelnen Schlag glaubt die Person, weitere Schläge seien nötig, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Der Versuch ist unbeendet. Ein Rücktritt ist bereits durch Nichtweiterhandeln möglich, sofern die Entscheidung freiwillig ist.
- Eine pflegeverantwortliche Person unterlässt die Gabe lebenswichtiger Nahrung in der Erwartung, dass der Erfolg (Gesundheitsschädigung oder Schlimmeres) ohne rettendes Eingreifen eintritt. Für einen Rücktritt ist aktives Handeln erforderlich, um die schädliche Entwicklung aufzuhalten.
- Jemand setzt ein Mittel ein, das objektiv wirkungslos ist, glaubt aber an die Wirksamkeit und den bevorstehenden Erfolg. Der Versuch kann beendet sein, wenn die Person meint, dass der Erfolg nun von allein eintreten wird.
Häufige Abgrenzungsprobleme und Irrtümer
Irrtümer über den Kausalverlauf
Hält die handelnde Person den Erfolgseintritt für sicher, irrt sich aber über den tatsächlichen Geschehensablauf, bleibt es beim beendeten Versuch, solange sie mit dem Erfolg rechnet. Entscheidend ist, ob sie selbst weiteres Handeln für nötig hält.
Spätere Reue versus Rücktritt
Reine Reue oder ein Unterlassen weiterer Handlungen nach der Einschätzung, alles Erforderliche bereits getan zu haben, genügt beim beendeten Versuch nicht. Es braucht ein rechtzeitiges, ernsthaftes Gegensteuern, das den Erfolg verhindert oder nach eigener Einschätzung geeignet ist, ihn zu verhindern.
Unterbrechungen und neue Handlungseinheiten
Ist der ursprüngliche Tatplan gescheitert, sodass der Erfolg ohne neue, unabhängige Schritte nicht mehr erreichbar ist, liegt ein Fehlschlag vor. Die Einordnung als beendeter oder unbeendeter Versuch betrifft diesen Punkt nicht, beeinflusst aber die Frage, ob ein Rücktritt möglich bleibt.
Folgen für die Strafzumessung
Die Einordnung als beendeter oder unbeendeter Versuch wirkt sich auf die Möglichkeit und die Anforderungen eines Rücktritts aus. Ein wirksamer Rücktritt führt zur Strafbefreiung. Scheitert der Rücktritt oder ist er ausgeschlossen (etwa bei Fehlschlag), verbleibt es bei der Versuchsstrafbarkeit, bei der die Strafe im Vergleich zur Vollendung regelmäßig herabgesetzt werden kann. Bei der Bemessung können Umstände wie Intensität der Ausführungshandlungen, Nähe zum Erfolg und nachträgliche Verhinderungsbemühungen berücksichtigt werden.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „beendeter Versuch“?
Ein Versuch ist beendet, wenn die handelnde Person nach ihrer letzten Ausführungshandlung davon ausgeht, dass der tatbestandliche Erfolg auch ohne weiteres Zutun eintreten wird. Maßgeblich ist ihre subjektive Einschätzung unmittelbar nach Abschluss der letzten Handlung.
Wodurch unterscheidet sich ein beendeter vom unbeendeten Versuch?
Beim unbeendeten Versuch hält die Person weitere Handlungen für erforderlich, um den Erfolg herbeizuführen. Beim beendeten Versuch rechnet sie mit dem Erfolgseintritt ohne weiteres Handeln. Diese Unterscheidung ist vor allem für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts entscheidend.
Welche Rolle spielt der beendete Versuch beim Rücktritt?
Beim unbeendeten Versuch genügt das freiwillige Abbrechen weiterer Ausführungshandlungen. Beim beendeten Versuch muss aktiv verhindert werden, dass der Erfolg eintritt, oder es müssen ernsthafte, geeignete Schritte zur Erfolgsabwendung unternommen werden.
Wann ist ein Versuch fehlgeschlagen und wie verläuft die Abgrenzung?
Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Erfolg mit den vorhandenen oder naheliegenden Mitteln nicht mehr ohne Unterbrechung erreichbar ist. Der Fehlschlag betrifft die objektive Möglichkeit der Erfolgsherbeiführung; die Beendigung betrifft die subjektive Erwartung der handelnden Person. Ein Fehlschlag schließt einen Rücktritt aus.
Gilt bei Unterlassungsdelikten immer ein beendeter Versuch?
Im Unterlassen entspricht die Lage häufig einem beendeten Versuch, weil der erwartete Erfolg ohne rettendes Eingreifen eintreten soll. Rücktritt erfordert daher regelmäßig aktives Gegenhandeln, das rechtzeitig ansetzt und den Erfolg verhindert oder nach eigener Einschätzung geeignet ist, ihn zu verhindern.
Wie wird der Zeitpunkt der Bewertung bestimmt?
Entscheidend ist der Moment unmittelbar nach der letzten Ausführungshandlung. Korrekturen einer Fehleinschätzung kommen nur in Betracht, wenn sie sich nahtlos anschließen und erkennen lassen, dass die ursprüngliche Bewertung auf einem Irrtum beruhte.
Welche Bedeutung hat die subjektive Vorstellung der handelnden Person?
Sie ist ausschlaggebend: Ob beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, hängt davon ab, was die Person in diesem Moment für erforderlich hielt und ob sie mit dem Erfolgseintritt ohne weiteres Handeln rechnete.
Welche Folgen hat die Einordnung für die Strafhöhe?
Die Einordnung beeinflusst, ob und wie ein strafbefreiender Rücktritt möglich ist. Gelingt ein Rücktritt, entfällt die Bestrafung wegen Versuchs. Andernfalls bleibt es bei einer Strafe für den Versuch, die im Vergleich zur Vollendung regelmäßig milder ausfallen kann, wobei die Nähe zum Erfolg und Verhinderungsbemühungen berücksichtigt werden.