Begriff und Rechtsnatur der Bedingten Strafaussetzung
Die Bedingte Strafaussetzung ist ein zentrales Institut des deutschen Strafrechts, das es ermöglicht, die Vollstreckung einer Strafe – insbesondere einer Freiheitsstrafe – unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen zur Bewährung auszusetzen. Damit verbunden ist die Chance für die verurteilte Person, die Sanktion nicht unmittelbar antreten zu müssen, sondern diese bei Bewährung und Einhaltung von Auflagen gänzlich zu vermeiden. Ziel der bedingten Strafaussetzung ist die Resozialisierung und die Verhinderung weiterer Straftaten.
Gesetzliche Grundlagen
Regelung im Strafgesetzbuch (StGB)
Die bedingte Strafaussetzung ist in den §§ 56 bis 58 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Kernstück dieser Normen sind die Aussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB), die Dauer der Bewährungszeit (§ 56a StGB), die Auflagen und Weisungen (§ 56b, § 56c StGB) sowie die Widerrufsgründe (§ 56f StGB).
Anwendungsbereich
Die bedingte Strafaussetzung ist grundsätzlich für folgende Sanktionen vorgesehen:
- Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren (§ 56 StGB)
- Jugendstrafe (§ 21 JGG – Jugendgerichtsgesetz)
- Geldstrafe im Ausnahmefall, wenn das Gesetz dies anordnet (z. B. § 153a StPO, im Rahmen der Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen)
Die Möglichkeit der Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung besteht daher ausschließlich bis zu einer Höchstdauer von zwei Jahren; darüber hinaus ist das Institut nicht anwendbar.
Voraussetzungen der bedingten Strafaussetzung
Formelle Voraussetzungen
Dauer der Strafe
Die Hauptvoraussetzung ist, dass die verhängte Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt (§ 56 Abs. 1 StGB).
Keine zwingenden Ausschlusstatbestände
Für bestimmte besonders schwere Straftaten kann die bedingte Strafaussetzung durch spezielle gesetzliche Regelungen ausgeschlossen sein.
Materielle Voraussetzungen
Positive Sozialprognose
Das Gericht muss prognostizieren können, dass der Verurteilte künftig keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB). Hierzu werden verschiedene Faktoren geprüft, wie etwa:
- Vorleben und Persönlichkeit
- Umstände der Tat
- Verhalten nach der Tat
- Lebensverhältnisse (familiäre, berufliche Einbindung)
- Motivation zur Wiedereingliederung
Berücksichtigung des Täterverhaltens
Das Bemühen der verurteilten Person um Schadenswiedergutmachung oder ihre Mitarbeit an der Aufklärung des Tatgeschehens kann sich positiv auf die Sozialprognose auswirken.
Durchführung der Bewährung
Bewährungszeit
Die Bewährungszeit beträgt mindestens zwei und höchstens fünf Jahre (§ 56a StGB). Die konkrete Dauer wird vom Gericht festgesetzt.
Auflagen und Weisungen
Im Rahmen der Bewährung können dem Verurteilten sogenannte Auflagen (§ 56b StGB) und Weisungen (§ 56c StGB) erteilt werden. Diese dienen dem Zweck, den Verurteilten von weiteren Straftaten abzuhalten und mögliche Nachteile auszugleichen.
Typische Auflagen
- Schadenswiedergutmachung
- Geldzahlung an eine gemeinnützige Einrichtung
- Zahlung eines Geldbetrages an die Staatskasse
Typische Weisungen
- Meldeauflagen bei den Behörden
- Aufenthaltsverbote
- Kontaktverbote
- Teilnahme an bestimmten Kursen oder Therapien
Führung und Überwachung
Die Einhaltung der Auflagen und Weisungen wird durch die Bewährungshelfer überwacht (§ 56d StGB). Der Verurteilte ist verpflichtet, mit dem Bewährungshelfer zusammenzuarbeiten.
Widerruf und Vollstreckung der Strafe
Widerrufsgründe (§ 56f StGB)
Ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung kommt insbesondere in Betracht, wenn der Verurteilte
- während der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht,
- gegen Auflagen oder Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt,
- sich der Aufsicht und Leitung entzieht,
- eine ungünstige Prognose offenbart, die nachträglich bekannt wird.
Wird die Strafaussetzung widerrufen, ist die ursprünglich ausgesetzte Freiheitsstrafe zu vollstrecken.
Absehen vom Widerruf
Das Gericht kann ausnahmsweise von einem Widerruf absehen, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern oder zusätzliche Auflagen/Weisungen zu erteilen.
Rechtsfolgen und Wirkungen
Ablauf der Bewährungszeit
Verläuft die Bewährungszeit erfolgreich, wird die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit und Tilgung der Verurteilung nicht mehr vollstreckt (§ 56g StGB). Die Bewährungszeit kann verlängert werden, sofern dies der Resozialisierung dient.
Eintragungen im Führungszeugnis
Die bedingte Strafaussetzung führt grundsätzlich zu Eintragungen im Führungszeugnis, wobei sich die Löschungsfristen nach § 46 BZRG (Bundeszentralregistergesetz) richten.
Besonderheiten und abweichende Konstellationen
Bedingte Strafaussetzung im Jugendstrafrecht
Im Jugendstrafrecht gelten modifizierte Regeln nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG). Hier kann die Aussetzung einer Jugendstrafe nach den §§ 21 ff. JGG erfolgen, wobei das Gewicht stärker auf erzieherischen Maßnahmen und individueller Resozialisierung liegt.
Bedingte Strafaussetzung bei Geldstrafen
Die Aussetzung der Vollstreckung einer Geldstrafe ist nach deutschem Recht im Regelfall ausgeschlossen, kann aber im Ausnahmefall, insbesondere im Rahmen der Verfahrensbeendigung nach § 153a StPO, eine ähnliche Wirkung entfalten.
Rechtsvergleich: Bedingte Strafaussetzung in anderen Rechtsordnungen
Auch in anderen Staaten existieren Institute, welche der bedingten Strafaussetzung in Deutschland entsprechen. In Österreich nennt sich dieses Institut „bedingte Strafnachsicht“, in der Schweiz „Bedingte Freiheitsstrafe“. Inhalt und Voraussetzungen variieren jedoch entsprechend den nationalen gesetzlichen Regelungen.
Literaturverweise
- Thomas Fischer: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, München 2024
- Roxin/Greco: Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl., München 2023
- Schünemann: Strafprozessrecht, 9. Aufl., Heidelberg 2022
Die bedingte Strafaussetzung stellt ein praxisrelevantes, gesellschaftlich bedeutsames Instrument dar, das die Flexibilität und Humanität des Strafrechts durch die Betonung der Resozialisierung und der Verhinderung von Rückfallkriminalität unterstreicht. Sie dient damit sowohl den Interessen der verurteilten Personen als auch dem Schutz der Allgemeinheit.
Häufig gestellte Fragen
Wann kommt eine bedingte Strafaussetzung gemäß deutschem Strafrecht in Betracht?
Die bedingte Strafaussetzung, auch als Strafaussetzung zur Bewährung bekannt, kommt im deutschen Strafrecht in Betracht, wenn eine verhängte Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt (§ 56 StGB). Dabei spielt die strafrechtliche Bewertung der Tat eine zentrale Rolle, aber auch die Persönlichkeit des Täters und die Umstände, unter denen die Tat begangen wurde, müssen positiv bewertet werden. Das Gericht prüft, ob die Aussetzung zur Bewährung unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und der Wiederholungsgefahr verantwortet werden kann. Hinzu treten Erwägungen zur Sozialprognose des Verurteilten: Es muss zu erwarten sein, dass der Verurteilte künftig auch ohne den Vollzug der Strafe keine Straftaten mehr begeht. Besondere Berücksichtigung finden dabei das Nachtatverhalten, Reue, Wiedergutmachungsbestrebungen und soziale Bindungen. Die Möglichkeit einer bedingten Aussetzung besteht auch bei der Jugendstrafe (§ 21 JGG), sofern die Strafe nicht mehr als ein Jahr beträgt und besondere Umstände die Aussetzung rechtfertigen. In Einzelfällen kann die Aussetzung zur Bewährung auch nachträglich (§ 56a Abs. 2 StGB) gewährt werden, etwa wenn neue Tatsachen eine günstigere Prognose erlauben.
Welche Pflichten und Auflagen können mit einer bedingten Strafaussetzung verbunden werden?
Das Gericht kann im Rahmen der bedingten Strafaussetzung gemäß § 56b StGB verschiedene Pflichten und Auflagen anordnen. Pflichten dienen dazu, den Täter davon abzuhalten, weitere Straftaten zu begehen, und können etwa darin bestehen, dass sich der Verurteilte regelmäßig bei einer Bewährungshilfe meldet oder einen bestimmten Wohnsitz nicht verlässt (Meldepflichten, Aufenthaltsbestimmungen). Auflagen beinhalten typischerweise die Wiedergutmachung des Schadens (z. B. Schadensersatzzahlungen an das Opfer), die Zahlung eines Geldbetrags zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder die Teilnahme an bestimmten sozialen Trainingsprogrammen. Ferner kann eine Verpflichtung zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit ausgesprochen werden. Verstöße gegen diese Pflichten und Auflagen können zur Verwarnung, zur Änderung der Auflagen oder sogar zum Widerruf der Strafaussetzung führen.
Unter welchen Umständen kann eine bereits gewährte bedingte Strafaussetzung widerrufen werden?
Eine einmal gewährte bedingte Strafaussetzung kann nach den §§ 56f, 453 StPO widerrufen werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Gründe für einen Widerruf sind insbesondere: Der Verurteilte begeht während der Bewährungszeit eine neue Straftat, verletzt vorsätzlich oder gröblich die ihm auferlegten Pflichten oder Auflagen, oder entzieht sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelfer auf andere Weise. Auch wenn sich nachträglich zeigt, dass die ursprüngliche Prognose der Nichtwiederholung falsch war, kann das Gericht die Aussetzung widerrufen. Der Widerruf ist ein Ermessensakt, bei dem das Gericht die Gesamtumstände, die Schwere der Pflichtverletzung sowie das Gewicht der neuen Tat würdigt. Ein einmal erfolgter Widerruf bedeutet grundsätzlich, dass die verhängte Freiheitsstrafe in der Strafvollzugsanstalt verbüßt werden muss.
Wie lange dauert die Bewährungszeit bei einer bedingten Strafaussetzung und kann sie verlängert werden?
Die Bewährungszeit gemäß § 56a StGB beträgt mindestens zwei und höchstens fünf Jahre. Das Gericht legt die genaue Dauer individuell im Strafurteil fest. Während dieser Zeit muss der Verurteilte die festgelegten Auflagen erfüllen und darf keine neuen Straftaten begehen. Die Bewährungszeit kann von dem Gericht verlängert werden, wenn besondere Umstände dies erfordern. Eine solche Verlängerung ist zulässig, wenn das Verhalten des Täters dies zu seiner Besserung notwendig erscheinen lässt oder wenn der Verurteilte kurz vor Beendigung der Bewährungszeit gegen Pflichten oder Auflagen verstoßen hat. Die maximal zulässige Gesamtdauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre; eine weitere Verlängerung über diesen Zeitraum hinaus ist nicht möglich.
Welche Rolle spielt die Bewährungshilfe während der bedingten Strafaussetzung?
Die Bewährungshilfe spielt eine wesentliche Rolle bei der Überwachung und Unterstützung des Verurteilten während der Bewährungszeit. Gemäß § 56d StGB bestellt das Gericht in der Regel für die Zeit der Bewährung einen Bewährungshelfer. Dieser unterstützt den Verurteilten bei der Bewältigung seiner Lebenssituation, berät in sozialen und beruflichen Fragen und stellt sicher, dass alle gerichtlichen Auflagen und Pflichten eingehalten werden. Der Bewährungshelfer berichtet dem Gericht regelmäßig über die Entwicklung des Verurteilten. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Verurteiltem und Bewährungshelfer kann maßgeblichen Einfluss auf die endgültige Entscheidung über den Fortbestand oder möglichen Widerruf der Bewährung haben.
Was geschieht nach Ablauf der Bewährungszeit?
Nach erfolgreichem Ablauf der Bewährungszeit und Erfüllung sämtlicher Auflagen und Pflichten wird die zur Bewährung ausgesetzte Strafe gemäß § 56g StGB erlassen, d. h., der Verurteilte muss die Freiheitsstrafe nicht mehr verbüßen. Tritt jedoch während der Bewährungszeit ein Widerrufsgrund ein, kann das Gericht auch nach Ablauf der Bewährungszeit, jedoch innerhalb einer kurzen Frist nach deren Ende, die Aussetzung widerrufen. Das erfordert jedoch konkrete und rechtzeitige Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen oder erneute Straftaten während der Bewährungszeit. Andernfalls gilt die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit als getilgt, und der Verurteilte gilt offiziell als nicht vorbestraft im Sinne der Bewährungsentscheidung.